Der Krieg hat eigene Gesetze. Er folgt nicht bürgerlichen Regeln.
Silent enim leges inter arma. Diese Weisheit ist uralt und sollte immer beachtet werden, wenn man Kriegsereignisse im Nachhinein beurteilt. Wir sollten ja auch nicht vergessen, dass die erfahrenen Soldaten und die gut ausgebildeten Offiziere zum großen Teil tot oder verwundet waren. Großvater wurde mit 24 Jahren Offizier ohne Abitur.
Mich erinnert das auf einer andere Ebene ein bisschen an die Ibiza-Affäre. Gut meinende Bürger glauben, dass es in der Politik geordnet zugeht, bis sie eines Besseren belehrt werden. Der Krieg stellt sich für Zivilisten als geordnetes Geschehen dar. Akten, Briefe und Verwaltungsschriftgut nähren die Illusion der Ordnung. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Krieg ist in vielen Fällen Chaos, Zusammenbruch, Notstand, unmittelbare Gefahr.
@El Quijote Derartige Nachrichten waren ganz normal. Viele Soldaten rechneten nicht mehr damit, heimzukehren. Es gab auch Liebesfunkgrüße in die Heimat nach dem Motto: "Es grüßt Euch euer Führer". In Friedenszeiten völlig unmöglich. Und mal ehrlich: Wen interessierte an vorderster Front irgendein Trottel, der den Kopf nicht hinhielt.
Krieg ist die Erfahrung der elementaren Gefahr. Wo die Wahrscheinlichkeit des Todes sich Richtung 100% nähert, ist Flucht oder Desertation selbstverständlich eine Option. Die Angst vor Repressalien irgendwelcher rückwärtiger Einheiten mag gegeben sein, sie ist aber für den Moment der Gefahr im Bereich des eigentlichen Kampfgeschehens nachrangig. Sprich: Wenn du ohnehin weißt, dass Du sterben wirst, stirbst Du entweder den Heldentod für Deine Kameraden und Dein Vaterland, Du ergibst Dich und Du desertierst, entweder zum Feind oder indem Du Dich zu einem anderen Truppenteil durchschummelst und irgendeine gute Ausrede parat hast ("Zusammenbruch der Front"). Durchsummeln ist riskant, desertieren bedeutet Drangsalierung oder Lagerhaft. Die Option eine Niederlage abzuwarten und sich dann zurückzuziehen, gibt es auch.
Der Zusammenbruch einer Kommandostruktur oder das Operieren gegenüber übermachtigen Feinden erfordert nicht die korrekte Einhaltung des Dienstes und der Dienstvorschriften, sondern Schnelligkeit, Improvisation, Erfindungsgabe und Eigeninitative. Bricht eine Front zusammen, besteht die Gefahr breiter Fluchtbewegungen. Klar, weil sich die Wahrscheinlichkeit für den einfachen Soldaten zu überleben, gegen null bewegt. Darum muss der Befehlshabende mit größtermöglicher Entschlossenheit gegenreagieren. Sprich: Er greift zu entsprechend abschreckenden Maßnahmen. Diese scheinen aus der Binnensicht der Situation verantwortbar. Die Frage, ob der Dienstweg dabei eingehalten wird, scheint im Moment der Gefahr irrelvant. Entscheidend ist die Stabilisierung der Lage. Natürlich wird der Befehlshabende nicht offiziell verkünden, dass er diese oder jede Aktion vorgenommen hat, wenn sie gegen die Vorschriften oder Gesetze war. Somit erscheinen sie nicht in den Akten.
Wer kommt denn eigentlich auf die Idee, dass es im Krieg "sauber" zugeht? Doch nur Leute, die ein bürgerliches Leben gehabt haben, bei der Bundeswehr mit 35 oder 40 Jahren Verantwortung getragen haben und die 60% ihrer Dienstzeit am Schreibtisch verbracht haben. Die Realität dieser Zeit sieht anders. Blutjunges, z.T. noch nicht einmal richtig ausgebildetes Menschenmaterial wurde zur Front geschickt, überforderte Offiziere mussten Lücken schließen, Befehle geben, die richtig oder falsch waren. Der Dienstweg? War das geringste Problem. Entscheidend war die Umsetzung von Befehlen. Das wie war sekundär. Zwischen den Jahren 1941 und 1945 nahm die durchschnittliche Lebenserwartung deutscher Armeerekruten zunehmend ab. Lebte ein Rekrut des Heeres 1941 im Schnitt noch 2,5 Jahre, so sank diese über 1943 auf 1,2 Jahren und zu Kriegsende auf nur 0,1 Jahre.
Frage: Was würdet Ihr als befehlshabender Offizier tun, um die Disziplin aufrechtzuerhalten? Mit der "normalen" Todesstrafe drohen bei einer Lebenserwartung von 0,1 Jahren? wäre das wirksam?