Danke, das war - wenigstens für mich - anschaulicher, als in dem vorherigen Beitrag.
Keine Sorge, ich drücke mich manchmal unnötig kompliziert aus.
Daher halte ich das vielzitierte Wetter der Varusschlacht - ungeachtet dessen, ob es während der echten Varusschlacht regnete und stürmte oder ein laues Lüftchen Römer- und Germanennacken kühlte, während die Sonne auf sie herabschien - für eine die Niederlage begründende Erfindung von Cassius Dio.
Ich persönlich gehe von einer Überzeichnung aus, die wohl einen wahren Kern hat. Die Römer befanden sich demnach in einer rundheraus ungünstigen Ausgangslage, was Wetter, Topographie usw. anging.
Ich denke nicht, dass man das auf "Wertungsfrage" reduzieren kann. Wenn Cassius Dio Naturgesetze bricht und dies nicht etwa nur einmal, sondern mehrfach, dann muss ich als Historiker damit umgehen.
Hier werden wir vermutlich einfach anerkennen müssen, verschiedener Meinung zu sein, und es dabei bewenden lassen, denn ich für mein Teil kann keinen Widerspruch gegen Naturgesetze sehen.
Und wenn er 200 Jahre nach der Schlacht plötzlich um Dinge weiß, die niemand vor ihm wusste, dann muss ich auch damit umgehen.
Ich könnte mir denken, dass im zeitlichen Abstand selber die Erklärung zu finden ist.

Wie ich die Quellenlage deute, wurde Varus nach seinem Tod nicht als für die Niederlage verantwortlich gesehen. Vielmehr schossen sich seine Zeitgenossen auf den heimtückischen Arminius ein. Wie groß ist die da Aussicht, dass sie Interesse an Umständen hatten, die die Bedeutung von Arminius' Verrat schmälerten?

Erst als Varus' Familie unter Tiberius verräterischer Umtriebe bezichtigt wurde, änderte sich das Urteil der römischen Autoren. Jetzt war er der Pfuscher, dem Augustus sein "Legiones redde!" nachgerufen hatte, und wieder konnte die römische Meinung kein Interesse an Entlastungszeugen haben.

Als jedoch genügend zeitlicher Abstand gewonnen war, war eine Neubewertung möglich. Es ist gut möglich, dass Cassius Dio gefundene Hinweise überzeichnete oder sich eine Erklärung gar zusammenreimte, aber allein dass andere vor ihm Wetter und Topographie keinen Raum gaben, spricht in meinen Augen nicht gegen ihn.
 
Hier werden wir vermutlich einfach anerkennen müssen, verschiedener Meinung zu sein, und es dabei bewenden lassen, denn ich für mein Teil kann keinen Widerspruch gegen Naturgesetze sehen.
Du findest es also normal, dass der Sturm die Römer beutelt, sie von Baumkronen erschlagen werden, sie vor sich hin schlittern, während die Germanen derlei Unbilden nicht ausgesetzt sind?

Wie ich die Quellenlage deute, wurde Varus nach seinem Tod nicht als für die Niederlage verantwortlich gesehen. Vielmehr schossen sich seine Zeitgenossen auf den heimtückischen Arminius ein. Wie groß ist die da Aussicht, dass sie Interesse an Umständen hatten, die die Bedeutung von Arminius' Verrat schmälerten?
Erst als Varus' Familie unter Tiberius verräterischer Umtriebe bezichtigt wurde, änderte sich das Urteil der römischen Autoren. Jetzt war er der Pfuscher, dem Augustus sein "Legiones redde!" nachgerufen hatte, und wieder konnte die römische Meinung kein Interesse an Entlastungszeugen haben.
Das würde ich nur teilweise unterschreiben. Augustus hat Varus Kopf noch ehrenvoll bestatten lassen. Aber die früheste Quelle zur Varusschlacht, wenn wir mal von Ovid, Manilius und Strabon (Ovid nennt Varus nicht, Manilius und Strabom sehen ihn als Opfer) absehen, die kaum Verwertbares liefern, ist Velleius Paterculus. Das sind alles Zeitgenossen. Florus und Sueton spiegeln noch die Varuskritik und der ältere Seneca kritisiert gewissermaßen die Sippenhaft, in die Rhetoriklehrer L. Cestius Pius Quinctilius Varus den Jüngeren nimmt.

Als jedoch genügend zeitlicher Abstand gewonnen war, war eine Neubewertung möglich. Es ist gut möglich, dass Cassius Dio gefundene Hinweise überzeichnete oder sich eine Erklärung gar zusammenreimte, aber allein dass andere vor ihm Wetter und Topographie keinen Raum gaben, spricht in meinen Augen nicht gegen ihn.
Du ignorierst die physikalische Andersartigkeiten der Germanen und die Götter. Und: Auch Cassius Dio gehört zu denen, die strategische Fehler bei Varus ausmachen, 56, 19.1: "Varus behielt daher seine Legionen, wie es in einem Feindesland richtig gewesen wäre, nicht beisammen, sondern verteilte viele seiner Soldaten an schwache Gemeinwesen." Also nix mit Neubewertung.
 
Cassius Dio:

Die Berge ohne Ebenen waren nämlich von Schluchten durchzogen,

(das klingt eher nach Hochalpen, als nach deutschem Mittelgebirge)

außerdem standen Baumriesen dicht nebeneinander, so dass die Römer bereits vor dem Überfall mit dem Fällen der Bäume, der Anlage von Wegen und der Überbrückung von Geländeabschnitten, wo solches nötig war, Mühe genug hatten. Wie mitten im Frieden ... Wagen und Lasttiere ...zahlreiche Kinder und Frauen ... Sklaventross ... zu lockerer Marschordnung zwangen. Inzwischen kam auch ein starker Regen und Sturmm auf ... und der Boden, um die Wurzeln und Stämme her schlüpfrig geworden, machte jeden Schritt höchst unsicher; Bruch und Sturz der Baumwipfel sorgten für weitere Verwirrung. Mit solchen Schwierigkeiten hatten die Römer damals zu ringen, als die Barbaren, wegekundig, wie sie waren, gerade durch die ärgsten Dickichte drangen und sie plötzlich von allen Seiten her umzingelten. Zuerst schossen sie
[durch das ärgste Dickicht, dicht nebeneinaderstehende Baumriesen]

nur aus der Ferne, dann aber, als niemnd sich wehrte und viele verwundet wurden, rückten sie näher an die Gegner heran.
Nächster Tag, Slapstick:

...auf engem Raum zusammengepresst, damit Schulter an Schulter Reiter und Fußvolk den Feinden entgegenstürmen könnten, stießen sie vielfach aufeinander oder gegen Bäume.

Vierter Tag, Römer aus Zucker erdulden Physik - Germanen nicht:

...erneut überfielen sie heftiger Regen und starker Wind, die sie weder weitergehen noch festen Stand finden, ja nicht einmal mehr die Waffen gebrauchen ließen. Sie konnten nämlich nicht mehr mit Erfolg ihre Bogen oder Speere oder die ganz und gar durchnäßten Schilde bedienen. Die Feinde hingegen, größtenteils nur leicht gerüstet und imstande, ungefährdet anzugreifen und sich zurückzuziehen, hatten weniger unter den Unbilden zu leiden.

Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen: Der Wind weht so stark, dass die Römer sich kaum auf den Beinen halten können, gleichzeitig machen die Germanen einen auf Hit and Run? Da ziehen auch keine durchnässten Schilde.
 
@El Quijote ...es ist aber auch echt unfair und fies von den gazellengleichen garstigen Germanen, bei Regen aus der Ferne durch ärgste Dickichte und eng stehende Baumriesen hindurch auf die Römer zu schießen, die obendrein von Baumkronen schikaniert werden... :D
 
@El Quijote
Nichts für ungut, aber hast Du nicht in früheren Beiträgen betont, dass man Cassius Dio keineswegs wörtlich nehmen könne? Wäre es dann nicht konsequent, es genauso zu halten, und allein die Botschaft mitzunehmen, die der Autor vermitteln wollte, dass nämlich das Gelände und Wetter die Römer benachteiligte?
 
@El Quijote
Nichts für ungut, aber hast Du nicht in früheren Beiträgen betont, dass man Cassius Dio keineswegs wörtlich nehmen könne? Wäre es dann nicht konsequent, es genauso zu halten, und allein die Botschaft mitzunehmen, die der Autor vermitteln wollte, dass nämlich das Gelände und Wetter die Römer benachteiligte?
Wenn wir‘s darauf eindampfen, bleibt allerdings ziemlich wenig übrig von
Dass wir dank Cassius Dio und den Kalkriese-Ausgrabungen eine gewisse Vorstellung davon haben, wie die Schlacht abgelaufen ist oder plausibel abgelaufen sein könnte, fällt unter den Tisch.

aber hast Du nicht in früheren Beiträgen betont, dass man Cassius Dio keineswegs wörtlich nehmen könne?
Ich verstehe dein aber nicht. Genau das habe ich doch demonstriert.
 
Wie gesagt, mir ging es nur darum, meine Verwunderung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass die Macher der Serie die Schlacht darstellten, als hätten sie sich ihren Verlauf ausdenken müssen und keine Quellen zur Verfügung gehabt. Denn dass Vorbehalte wie Deine sie dabei beeinflussten, glaube ich eher weniger.

Ich deutete auch an, dass ich keinen Sinn darin sehe, die Diskussion zu vertiefen hinsichtlich der Wortwahl, die Dich skeptisch stimmt. Erstens ist sie für die Plausibilität von Dios Kernaussage womöglich unbedeutend, zweitens sehe ich selber keinen Verstoß gegen Naturgesetze, und damit sind wir an einem toten Punkt.

Ich bin sicher, dass man Umstände rekonstruieren könnte, unter denen sich seine Darstellung replizieren lässt; eingangs habe ich das versucht. Damit konnte ich Dich nicht überzeugen. Mag sein, dass Du Recht hast. Aber ich sage nicht, dass es so und so gewesen sei, nur, dass es so und so gewesen sein könne.

Denn ja, ich behaupte weiterhin: Mein Schuhwerk, meine Ortskenntnis, meine momentane Konstitution und die Frage, ob ich mich bergauf oder bergab bewege, machen einen gewaltigen Unterschied aus, wie sicher ich mich bei schlechtem Wetter über einen Waldboden bewegen kann.

Ich würde auch sagen, dass es durchaus möglich ist, dass Wetter und Windbruch die Römer mehr beeinträchtigten als die Germanen, nämlich unter Berücksichtigung des Umstands, dass sie im Gegensatz zu ihren Angreifern nicht die Bewegungsfreiheit hatten, Hindernisse zu umgehen.

Und ich würde bejahen, dass es möglich ist, Pfeile und Wurfspieße durch ein Gebüsch zum Einsatz zu bringen. Nämlich indem man es als Deckung benutzt und aufsteht, um dies zu tun, und sich sofort wieder dahinter verbirgt. Hier hätte ich Skepsis eher wegen des Windes erwartet, von dem der Autor spricht.

Allerdings glaube ich einfach nicht, dass wir uns damit aufhalten müssen, weil das hier in Interpretationskaskaden und Wortklauberei abdriftet. Denn als Nächstes wendet noch jemand ein, Cassius Dio habe doch nichts davon geschrieben, dass die Germanen zum Schießen aufgestanden seien. ;)

Was allerdings den Einwand eingeht, ohne den Dich störenden Wind bleibe nichts mehr übrig, an dem sich die Filmemacher orientieren könnten; da bin ich anderer Ansicht und kann nur empfehlen, die Serie anzuschauen. Denn tatsächlich ist die Schlachtenzene der Teil, in dem die Authentizität am meisten leidet.

Hier findet die Schlacht dergestalt statt, dass Arminius und Varus das römische Heer in Marschordnung über eine "Straße" genannte Waldschneise führen, bis Arminius auf einen Waldweg hinweist, der davon abzweigt.

Die römische Vorhut schwenkt daraufhin herum und marschiert in gestaffelter Kolonne (jeweils zwei Männer nebeneinander) durch den Hohlweg. Gefällte Baumstämme halten die Vorhut zuletzt auf.

Dann kommt ein Pfeilhagel, gefolgt von einem beidseitigen Angriff der im Hinterhalt liegenden Germanen. Die Vorhut erleidet schwere Verluste, und als Varus davon erfährt, befiehlt er sie zurück in die Waldschneise.

Als das Heer sich gerade zur Aufstellung sammelt, um auf dem Hauptweg weiterzumarschieren, tritt ein einzelner Germane mit einer Fackel aus dem Wald und steckt, ohne aufgehalten zu werden, einen Graben in Brand.

Plötzlich lodert überall in versteckten Gräben nach einer Art Battenberg-Muster Feuer auf, sodass die einzelnen Zenturien säuberlich voneinander getrennt werden und sich nicht mehr unterstützen können.

Daraufhin werden sie von den Germanen im Nahkampf niedergemacht.

Der Witz dabei ist, dass Arminius, sein Verrat und der Hinterhalt dadurch gehörig an Bedeutung verlieren. Die Verluste auf der Waldschneise sind nicht weltbewegend, und das Heer wäre wohl auch anders in der Waldschneise aufzuhalten gewesen, wäre dies das eigentliche Ziel gewesen.

Der Wald spielt in der Schlachtenszene kaum eine Rolle. Der Beschuss aus der Ferne spielt kaum eine Rolle. Das Überraschungsmoment wird völlig vergeudet. Im Endeffekt handelt es sich um eine offene Feldschlacht. Darum: Ja, die Darstellung des antiken Autors wäre der Wahrheit wohl nähergekommen.

Sie war wohl für das Durchschnittspublikum nicht bombastisch genug. Vielleicht sollte außerdem der moralische Vorwurf des Verrats gegen Arminius relativiert werden.

Apropos Moral: Man findet sehr viele Zuschauermeinungen, von Kommentaren auf Youtube bis hin zu ausführlichen Rezensionen bspw. für die Internet Movie Database, die nahelegen, das nicht-deutschsprachige Zuschauer eher den Römern die Daumen drückten.

Das fand ich bemerkenswert in einer Zeit, in der die Linke den Kolonialismus als Reizwort wiederentdeckt hat und die Rechte ständig gegen Überfremdung agitiert. Man sollte meinen, im heutigen gesellschaftlichen Klima wären die römischen Invasoren und Ausbeuter der Serie die idealen Bösewichte.
 
Bin wirklich gespannt auf die zweite Staffel, nicht nur weil diese Serie für ne deutsche Produktion echt top war, sondern auch weil ich sehen will wie sie die "Rache" der Römer darstellen, ohne dass die Serie zu niederschlagend wird. Früher dachte ich auch Germanicus hätte nur das Schlachtfeld besucht, da das so in mindestens einer Doku dargestellt wurde!
 
Mit welchen Waffen haben die Germanen Deiner Meinung nach aus der Ferne durch die dicht nebeneinanderstehenden Baumriesen geschossen?

Auf diesen Punkt bin ich nur ein paar Zeilen darunter eingegangen.

Du hattest dies hier geschrieben:
Und ich würde bejahen, dass es möglich ist, Pfeile und Wurfspieße durch ein Gebüsch zum Einsatz zu bringen. Nämlich indem man es als Deckung benutzt und aufsteht, um dies zu tun, und sich sofort wieder dahinter verbirgt. Hier hätte ich Skepsis eher wegen des Windes erwartet, von dem der Autor spricht.

Und Sepiola hatte gefragt, wie man aufs der Ferne durch dicht nebeneinanderstehende Baumriesen schösse. Da machst du einfach aus Cassius Dio einen anderen Text.
Slapstick? Wird ignoriert.
Physik? Siehst du anders. Können wir uns wirklich nicht wenigstens darauf einigen, dass Wind, der angeblich so stark ist, dass er Römer umweht, auch Germanen keine fröhlichen Spaziergänge durch den Wald erlaubt? Oder dass Sturm, der angeblich so stark ist, dass er Baumkronen auf die Römer stürzen lässt eigentlich den Germanen dasselbe Schicksal bereiten müsste?
 
Mit welchen Waffen haben die Germanen Deiner Meinung nach aus der Ferne durch die dicht nebeneinanderstehenden Baumriesen geschossen?

Ihr seid wahrscheinlich alle schon einmal in einem Naturschutzgebiet gewesen. Ich kenne eines das als schmaler Waldstreifen im südlichsten Sauerland nur etwa 150 x 800 m misst, in einer Quellmuldenlandschaft in etwa 400 m Höhe. Unberührt seit dem 2. Weltkrieg. Wer da hineingeht findet sich in einem überraschend lichten Wald, voller Sumpflöcher und umgestürzten Eichen, Eschen und Buchen. Nicht Dickicht sondern mannshohe Wurzelteller schränken die Sicht ein. Nach wenigen Metern verliert man die Orientierung, nicht weil es dichter Urwald ist, sondern lichter Urwald.
Unmöglich mit damaligen Fahrzeugen durchzukommen, unmöglich eine geordnete Aufstellung schwer bewaffneter Legionäre oder von Hilfstruppen durchzuführen.
So stelle ich mir die Wälder am Rande des Weges der römischen Truppen vor: unduchdringlich ja, aber licht und immer den leichtbewaffneten Angreifer begünstigend.
Es musste ein Ziel der Truppen des Arminius sein den Gegner an der Kampfaufstellung, der Entfaltung seiner militärischen Macht in freiem Gelände zu hindern.

Römische Truppen erschreckte keine Landschaft, kein Wetter. Erschreckend war einzig dass man sich im wahrsten Sinne des Wortes in eine erkennbar missliche Lage manövriert hatte.

Ein solches Gelände wie in den Niederungswäldern erforderte noch nicht einmal eine zahlenmäßige oder waffentechnische Überlegenheit des Gegners: es gab keine Möglichkeit des Gegenangriffs und der Umklammerung, jeder Ausfallsversuch führte zu schweren Verlusten.
 
Womit wir wieder beim Waldthema wären und bei der Frage, wie dicht oder wie aufgelichtet wir uns die Wälder in den Randzonen von Mittelgebirge und Tiefebenen in der spätvorrömischen Eisenzeit bzw. der frühen römischen Kaiserzeit (FKZ) eigentlich vorzustellen haben. In Kalkriese wissen wir z.B., dass auf dem Oberesch zum Zeitpunkt des Schlachtgeschehens ein aufgelassenes Bauernhaus stand, von dem nicht ganz klar ist, ob die Reste davon obertägig noch zu sehen waren. Einige hunderte Meter weiter war ein Gehöft, das bereits vor der Schlacht bestand, und wo später Buntmetalle verschrottet und eingeschmolzen wurden. Die Wälder dort werden als Hudewälder beschrieben, also mit relativ wenig Unterholz, weil sie als Weidefläche für das Vieh benötigt wurden, gleichzeitig Einschlag für den Hausbau und die Feuermittelvesorgung.
 
Ihr seid wahrscheinlich alle schon einmal in einem Naturschutzgebiet gewesen. Ich kenne eines das als schmaler Waldstreifen im südlichsten Sauerland nur etwa 150 x 800 m misst, in einer Quellmuldenlandschaft in etwa 400 m Höhe. Unberührt seit dem 2. Weltkrieg. Wer da hineingeht findet sich in einem überraschend lichten Wald, voller Sumpflöcher und umgestürzten Eichen, Eschen und Buchen. Nicht Dickicht sondern mannshohe Wurzelteller schränken die Sicht ein. Nach wenigen Metern verliert man die Orientierung, nicht weil es dichter Urwald ist, sondern lichter Urwald.

Das mag ja alles sein, die Frage ist hier aber: Stimmt das, was Dio schreibt, oder stimmt es nicht?

Bei Dio haben wir:

"Baumriesen dicht nebeneinander", und zwar so dicht, dass die Römer sogar Bäume fällen mussten, um überhaupt durchzukommen.
Und dann kommt der Angriff, ausgerechnet da, wo der Wald am dichtesten ist: "Zuerst schossen sie nur aus der Ferne, dann aber, als niemand sich wehrte und viele verwundet wurden, rückten sie näher an die Gegner."

Welche physikalischen Eigenschaften müssten Fernwaffen haben, die Dios Darstellung plausibel machen könnten?

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Du wirst lachen, Bogenschützen behaupten tatsächlich, dass Pfeile eine leichte Kurve fliegen, und damit ist nicht der Bogen gemeint, wenn man den Pfeil schräg in die Luft schießt, um weitere Weiten zu erreichen.
 
Ganz einfach, wir glauben es nicht. Zum einen ist es literarisch ausgeschmückt, mit den klassischen rhetorischen Mitteln des Gegensatzes und der Dramatisierung.
Zum anderen widerspricht es dem was wir an Wäldern kennen und dem was an historischen Waldstrukturen bekannt oder indirekt zu erschließen ist.
Man darf außerdem nicht vergessen dass die zu Fuß zurückgelegten Strecken alles in allem kurz waren. Anders sieht es mit dem Transport per Schiff über Elbe, Nordsee, Weser und Rhein aus, bei Germanicus.

Der selbstverschuldete Untergang von drei Legionen wäre bei schönem Wetter genau so passiert. 20.000 Soldaten, Tross und Tiere lassen einen schmalen Weg im Sumpfgebiet zum Morast werden. Wer da durch muss, ist zugleich demotiviert als auch körperlich erschöpft.
Welches Narrativ wäre aber in Rom, für einen staatsnahen Schriftsteller oder Historiker, angesichts der Niederlage zu verkaufen, ohne als Angriff auf den Augustus verstanden zu werden?
Ganz klar: das Wetter, das unwirtliche und feindliche Germanien, die Hinterlist des Arminius, die Verblendung des Varus.

Es ist aber nichts von Streitigkeiten oder Differenzen innerhalb des Militärs bekannt. Lauter Experten, und die folgen dann blind vor Gehorsam und doch sehenden Auges, auf einem immer enger werdenden Weg?
 
Was ich meine ist: die Berichte über die Varusschlacht und noch viel mehr die über die Feldzüge des Germanicus sind nichts anderes als die literarische Aufarbeitung einer militärischen und politischen Fehlleistung, und noch mehr die einer Sinnkrise des Imperiums wie des Kaiserhauses.
 
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