Ich wollte weder widerlegen noch bestätigen, sondern lediglich umreißen, in welcher mittelalterlichen Vorstellungswelt und Endzeiterwartung Unternehmen wie die Kreuzzüge oder auch die spanische Reconquista möglich waren.
In diesem Zusammenhang muss man auch die Parallelität zur explosionsartigen arabisch-muslimischen Expansion des 7. Jh. im islamischen Raum sehen. Die Triebfedern waren identisch, wie das bei allen religiös motivierten Kriegszügen der Fall ist.
Die Frage ob die Kreuzzüge als eine Art Gegenreaktion auf die muslimische, oder präziser formuliert, arabische Expansion zu werten sind wurde oft gestellt und jedes Mal unterschiedlich beantwortet.
Dafür spräche zumindest, dass beide Unternehmen religiösen Charakters waren, aber da nimmt das Problem auch schon seinen Anfang.
Bei der islamischen Expansion ging es allenfalls um eine Verbreitung der Lehren Mohammeds, während die Kreuzzüge keine Missionskriege waren.
Ihr ideologisches und praktisches Ziel war die Befreiung der Heiligen Stätten.
Zu Lebzeiten Mohammeds war der Islam eine rein auf das geistige Leben beschränkte Religionstheorie oder Ethik. Die frühen Suren des Koran stützen dies, in dem sie weder das politische noch das staatliche Leben streifen.
Erst später, nach der Hedschra, werden diese Lehren zunehmend politisiert.
Doch auch hier spricht Mohammed recht eindeutig von der religiösen Einigung der unterschiedlichen Stämme, was im besten Fall arabischer Nationalismus, aber kein religiöser Fundamentalismus war.
Auch als die Araber ihre Vorherrschaft auf fremde Kultur- und Religionskreise ausdehnen, verfolgen sie den Unterworfenen gegenüber eine recht moderate, ja fast liberale Religionspolitik. Kirchen und Glaube bleiben unangetastet, im Gegenzug wird eine Art Kopfsteuer gezahlt (Dschisja).
Teilweise gingen die neuen Herrscher dabei soweit, dass sie das übermäßige Bekehren und die Konvertierung sogar verboten. Man betrachtete die Zugehörigkeit zum Islam als gemeinsames und exklusives Merkmal der arabischen Führungsschicht die auch unter sich bleiben wollte.
Wer von den Unterworfenen politisch, wirtschaftlich oder kulturell dem neuen Zeitgeist folgen und am Ball bleiben wollte, musste also ein nicht geringes Interesse daran gehabt haben zu konvertieren um in jenen "Highsocietyzirkel" aufgenommen zu werden. Von Feuer und Schwert kann in diesem Zusammenhang also nicht wirklich die Rede sein.
Jetzt kann man dem natürlich entgegenhalten, dass der Ottonormalchrist Mitteleuropas davon einen Sch***dreck gewusst haben dürfte und bereitwillig jeder Form von Propaganda aufgesessen sein dürfte.
Dann sollte man aber nicht vergessen, dass die arabische Expansion noch in der ersten Hälfte des 8.Jhd. ihren Höhepunkt erreicht hatte und zwischen diesem Moment und dem Aufruf zum 1.Kreuzzug beinahe 300 Jahre vergangen waren. Dazwischen herrschte, von natürlichen Grenzkämpfen mal abgesehen unter welche ich auch die Auseinandersetzung mit dem Kalifat Al-Andalus subsumieren würde, relativer Friede.
Ein viel zu langer Zeitraum für einen Rache- bzw. Vergeltungsfeldzug.
Man hatte sich längst arrangiert was wiederum kaum möglich gewesen sein dürfte, wenn die Muslime tatsächlich einer göttlichen Sendungsbotschaft gefolgt wären.
Ich bin deshalb nicht der Meinung, dass die religiöse Mentalität die sich hinter den Kreuzzügen verbarg auch die arabische Expansion des 7. und 8.Jhd. erklärt.
