Der Kult der Offensive

Die von Dir aufgelisteten Zitate zeigen, dass die These vom "Kult der Offensive" von Leuten belegt wird, deren Urteile sich auf begrenztes Wissen über Militär stützen. Strategie wird fröhlich mit Taktik oder Operation vermischt, die Definitionen von Defensive und Offensive sind nicht wirklich bekannt etc.. Und wenn was nicht passt, behilft man sich mit Kunstbegriffen wie „defensiv-offensiv“ kommt.

Über Militär muss man ja auch nicht weiter nachdenken. Der "Kult der Offensive" erklärt ja dessen ganze Irrationalität. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum seit Clausewitz keine zusammenhängende politisch Theorie des Krieges mehr vorgelegt worden ist. Jedenfalls müssen wir uns bis heute auf seine Definitionen stützen.

Spätestens nach 1891 lehnte die Mehrzahl der deutschen Militärtheoretiker "die defensiv ausgerichtete Operationsführung, ... wie sie Clausewitz und auch noch in Teilen Moltke d. Ä. [zwischen 1880 und 1891] vorgeschwebt hatte", ab,
Da hat Herr Groß offenbar den Clausewitz nicht verstanden. Welche defensive Operationsführung soll dem denn "vorgeschwebt" haben? Clausewitz gibt an keiner Stelle Empfehlungen ab. Er beschreibt nur vier Grundformen der Defensive und stellt klar, dass sie alle eines gemeinsam haben müssen: „Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff - das blitzende Vergeltungsschwert - ist der glänzendste Punkt der Verteidigung; wer ihn sich nicht gleich hinzudenkt, oder vielmehr, wer ihn nicht gleich in den Begriff der Verteidigung aufnimmt, dem wird nimmermehr die Überlegenheit der Verteidigung einleuchten.“ (Buch 6, 5. Kapitel)
Beispiele:
"Krieg führen heißt angreifen" (von Goltz)
Von der Goltz ist der Mann, der 1905 als möglicher Generalstabschef in Frage kam. Er hatte zuvor mit einer Reihe von Momoranden für den Bau von Festungen entlang der Grenzen sowie für Vorbereitungen auf einen Defensivkrieg plädiert. Das von Dir angeführte Zitat liest sich zudem gleich ganz anders, wenn man es vervollständigt. Herr von der Goltz hat gesagt: „Wer nur auf Abwehr sinnt, kann lediglich die eigene Niederlage verhindern. Krieg führen heißt angreifen.“ Liest sich ähnlich wie das, was ich oben von Clausewitz zitiert habe, stimmt´s?

"In der operativen Offensive leigt die Entscheidung des nächsten europäischen Krieges" (von Bernhardi)
(Gerhard Groß, Mythos und Wirklichkeit, Geschichte des operativen Denkens im deutschen Heer ..., 2012)
Ich vermute, es ist Friedrich von Bernhardi gemeint. Seine Arbeiten kenne ich nur oberflächlich aus sekundären Quellen. Ich weiß lediglich, dass er sich angesichts der sich ändernden Bedingungen der Kriegführung für die Ausarbeitung neuer taktischer und strategischer Konzepte einsetzte. In dem zitierten Absatz schreibt er über „operative Offensiven“. Die können auch aus der Defensive heraus erfolgen und einer defensiven Strategie angehören. Der Satz fügt sich gut ein in das Folgende:

Beispiele lassen sich satt in den operativen Studien, Mob.- und Aufmarschplänen sowie Kriegsspielen und Studien der Schulen finden, ich erspare das mal hier mit Verweis auf Groß.

"So prägte der Wille zur Offensive und zur beweglichen Gefechtsführung entscheidend die Entwicklung der Heerestaktik. Der taktische Angriff erhielt als Voraussetzung für eine offensive Operationsführung geradezu zwangweise eine alles überragende Bedeutung.
Beachte: Hier ist von HeeresTAKTIK und von TAKTISCHEM Angriff die Rede. Siehe wiederum Clausewitz oben (ich setze jetzt voraus, dass der Unterschied zwischen Taktik und Strategie bekannt ist). Zudem steht das alles in Zusammenhang mit Überlegungen, wie man eine bewegliche Gefechtsführung hinbekommt. Es geht also um den Versuch, von den seit Napoleon üblich gewordenen Frontalgefechten wegzukommen. Auf offenem Feld spielten die sich nämlich laut Clausewitz in der Weise ab, dass die Parteien sich „aneinander abnutzten“ und Sieger und Verlierer hinterher praktisch gleich hohe Verluste hatten. Ging es um ein Gefecht gegen einen eingegrabenen Gegner sorgten die neuen Waffen für ein Blutbad. Darauf weist schon Dein Zitat hin:
Dabei vergaßen die Protagonisten der angriffsweisen Kriegsführung nicht die Tatsache, dass durch die gesteigerte Waffenwirkung die Defensive gestärkt worden war. ... sollte durch die operative Wirkung des Angriffs [bewegliche Kriegführung] überwunden werden."
Groß, S. 68.
Genau das habe ich weiter oben geschrieben und staunende Zweifel geerntet: Mit dem Bewegungskrieg wollte man das Problem der übermächtigen Verteidigung lösen.
So hatte der russ.-jap. Krieg den Wert von Initiative und Willenskraft als zentrale taktisch-operative Faktoren, somit den Wert der angestrebten Beweglichkeit, bestätigt - Perzeption: "Die Kriegserfahrungen zeigen deutlich (sic!) die operative und taktische Überlegenheit der Offensive über die Verteidigung" (Balck).
Und wieder: Hier ist von der OPERATIVEN und TAKTISCHEN Offensive die Rede. Es wird festgestellt, dass BEWEGLICHKEIT das Mittel ist, um eine starke eingegrabene Verteidigung auszuhebeln. Der japanisch-russische Krieg hat in dieser Hinsicht Vergleichsmöglichkeiten geschaffen, weil auch in diesem Konflikt „normale“ Gefechte (also: Stellungskrieg) ausgetragen worden sind und die Aussichtslosigkeit direkter Sturmangriffe gezeigt hatten.
Konsequenz: das Dogma vom Vorteil der Initiative, das Gesetz des Handelns, die "überraschende Schwerpunktbildung", die vom Angreifer "gewählte Hauptangriffsrichtung", die vom Angreifer bestimmte "Gefechtsentfernung" wurden vollständig verinnerlicht.
Das hat aber nichts mit Defensive und Offensive zu tun. Beispiel: die Kriegführung an der Ostfront im WKI. Es wird niemand bestreiten wollen, dass dort ein defensiver Krieg geführt wurde. Trotzdem führten die deutschen Truppen die Gefechte vorwiegend offensiv. Angriffe und Rückzüge folgten in schnellem Wechsel, weil die deutschen Truppen zu schwach waren, um sich einer Entscheidungsschlacht zu stellen. Das einzige, was ihnen nicht passieren durfte, war stehenzubleiben und vom Feind gestellt zu werden. Das hätte den russischen Truppen nämlich die Gelegenheit verschafft, sich zu sammeln und ihre zahlenmäßige Überlegenheit auszuspielen. Folglich hatte Moltke für diesen explizit defensiven Feldzug das Motto verkündet: „Wenn die Russen kommen, nur keine Defensive, sondern Offensive, Offensive, Offensive.“ (laut Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte)
Ergo: "Überhaupt geht die deutsche Operationsführung von einer rücksichtslosen Offensive verbunden mit einem Schlag auf Schlag ausgeführten Entscheidungskampf aus" (Goltz). Die Numerik wurde infolgedessen marginalisiert, die "Heeresqualität" war für diese Sieg-Faktoren entscheidend. "Umgehung und Flankierung" dominierten, "auf die geschickte Anwendung kommt es an" (Falkenhausen).
Na, dass Numerik marginalisiert wurde, halte ich für etwas überinterpretiert. Die Numerik war schon allein für die Frage entscheidend, ob man einen Entscheidungskampf riskieren wollte oder nicht. Wollte man, blieb zur Offensive keine Wahl. Wie anders sollte man denn an den schwächeren Gegner herankommen? Der greift üblicherweise nicht von sich aus an. So muss man auch von der Goltz hier verstehen. Er redet von Entscheidungskampf. Zur Erinnerung: Er war der Befürworter von Festungsbau etc. Heeresqualität war in der Tat entscheidend. Die gerade beschriebene Gefechtsführung an der Ostfront erforderte hervorragend ausgebildete Truppen von hoher Moral und Nervenstärke. Dass die Defensive irgendwann ihren „negativen Zweck“ (Pläne des Gegners zu vereiteln) ablegen und in die Offensive übergehen muss (positiver Zweck: eigene Pläne verwirklichen), hat schon Clausewitz in aller Ausführlichkeit geschildert. Seine Formel: "Wir haben gesagt, das Abwarten und das Handeln, welches letztere immer ein Zurückgeben des Stoßes, also eine Reaktion ist, sind beides ganz wesentliche Teile der Verteidigung, ohne das erstere wäre sie keine Verteidigung, ohne das letztere kein Krieg."
Dieser Stand, lege artis, wurde nun mit der Durchsetzung der Auffassung Schlieffens kombiniert, "mechanische Kriegsführung" zu betreiben. Im Klartext: die Aufmarsch- und Operationsplanung, die Geschwindigkeit ihrer Durchführung wird entscheidend für den Schlachtenverlauf.
Abgesehen davon, dass ich "lege artis" zweifelhaft finde: Da lag der Schwachpunkt bei der Planung Schlieffens. Sein Feldzugsplan vertrug keine Friktionen. Aber das ist ein anderes Thema. Ich will hier nicht über die Frage diskutieren, wie man den Plan hätte ändern müssen, damit er funktioniert hätte.

Mit Deinen anderen Beiträgen befasse ich mich die Tage näher. Im Moment fehlt die Zeit.

Jedenfalls danke für Deine ausführlichen Antworten.

MfG
 
Die von Dir aufgelisteten Zitate zeigen, dass die These vom "Kult der Offensive" von Leuten belegt wird, deren Urteile sich auf begrenztes Wissen über Militär stützen.

So wird es wohl sein. Die Diskussion um den "Kult der Offensive" kommt aus dem Umfeld dieser völlig inkompetenten Zeitschrift "International Security" und vermutlich erklärt es, warum diese Autoren derartig "verpeiltes Zeugs schreiben". Gut, dass Du denen noch mal erklären willst, wie das mit dem Militär und Clausewitz wirklich ist :D

Steven E. Miller, Editor-in-Chief
Sean M. Lynn-Jones and Owen R. Coté Jr., Editors
Diane J. McCree, Managing Editor
International Security publishes lucid, well-documented essays on the full range of contemporary security issues. Its articles address traditional topics such as war and peace, as well as more recent dimensions of security, including the growing importance of environmental, demographic, and humanitarian issues, and the rise of global terrorist networks. International Security has defined the debate on US national security policy and set the agenda for scholarship on international security affairs for more than thirty years. For many years, International Security has been consistently at or near the top of the Thomson Reuters Impact Factor rankings of all international relations journals. It also ranks #1 among journals of military studies according to Google Scholar.
Readers of IS discover new developments in:

  • The causes and prevention of war
  • Ethnic conflict and peacekeeping
  • Terrorism and homeland security
  • European, Asian, and regional security
  • U.S. foreign policy
  • Arms control and weapons proliferation
  • International relations theory
  • Diplomatic and military history
International Security is published by the MIT Press for the Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard University.

Quarterly Journal: International Security - Harvard - Belfer Center for Science and International Affairs

Vielleicht sollte sich der Präsident der USA doch lieber bessere und kompetentere Berater für strategische und/oder militärisch Probleme suchen. Ein Päsidentenberater wie Richard Clark, der neben anderen hochkarätigen Spezialisten bei IS schreibt, müsste sich dann wohl eine andere Kommunikationsplattform suchen.

Deine Beurteilungen von Publikationen sind schon sehr dubios. :S
 
Zuletzt bearbeitet:
Es wurden hier mehrere Historiker zitiert und als Quelle benannt, die feststellen, dass sich,
sagen wir mal von der Zeit von Moltke dem Älteren zu der Zeit von Moltke dem Jüngeren,
die allgemeine Grundhaltung der Militärs in Richtung Offensivdenken verschob.
Diese Verschiebung sei im Sinne der militärischen Wirksamkeit nicht begründet gewesen.

Diesem Umstand wird mit den Begriffen „Kult“ oder „Dogma“ Rechnung getragen.
Die damit verbunde Vorstellung drückt sich dahingehend aus, dass der beschriebene Zustand nicht einer sachlichen Abwägung entsprungen sei, sondern vielmehr einer sich ausbreitenden Fehlwahrnehmung der Realität.

Es wurde, quellengestützt, von verschiedenen Teilnehmern der Diskussion dargelegt, dass dabei auch eine tendenziös unvollständige Perzeption Clausewitz´ ('Clausewitzes' liest sich ja etwas albern) bemüht wurde.

Nun kann man sich ja auf den Standpunkt stellen, man selber habe den Clausewitz besser verstanden als ein zitierter Militärhistoriker..
Da hat Herr Groß offenbar den Clausewitz nicht verstanden. Welche defensive Operationsführung soll dem denn "vorgeschwebt" haben? Clausewitz gibt an keiner Stelle Empfehlungen ab. Er beschreibt nur vier Grundformen der Defensive und stellt klar, dass sie alle eines gemeinsam haben müssen: „Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff - das blitzende Vergeltungsschwert- ist der glänzendste Punkt der Verteidigung; wer ihn sich nicht gleich hinzudenkt, oder vielmehr, wer ihn nicht gleich in den Begriff der Verteidigung aufnimmt, dem wird nimmermehr die Überlegenheit der Verteidigung einleuchten.“ (Buch 6, 5. Kapitel)
..und auch den ersten Satz der Zitierung hervorheben, jedoch nicht den letzten.
Das allerdings könnte eben ein Schlaglicht auf das Grundproblem der Verbreitung von Wahrnehmungen und Ideen werfen, welches der Clausewitz, nach meinem Dafürhalten, hier so trefflich beschreibt:
Daß die Verteidigung leichter sei als der Angriff, ist
schon im allgemeinen bemerkt, da aber die Verteidigung
einen negativen Zweck hat, das Erhalten, und der Angriff
einen positiven, das Erobern, und da dieser die eigenen
Kriegsmittel vermehrt, das Erhalten aber nicht, so muß
man, um sich bestimmt auszudrücken, sagen: die verteidigende
Form des Kriegführens ist an sich stärker als
die angreifende
. Auf dies Resultat haben wir hinausgewollt;
denn ob es gleich ganz in der Natur der Sache liegt
und von der Erfahrung tausendfältig bestätigt wird, so
läuft es dennoch der herrschenden Meinung völlig entgegen
— ein Beweis, wie sich die Begriffe durch oberflächliche
Schriftsteller verwirren können.
(Hervorhebungen durch den zitierten Verfasser)
http://www.clausewitz-gesellschaft.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/VomKriege-ebook.pdf
PDF-Seite 297
Und hier finden wir vielleicht einen Hinweis auf die eingangs gestellte Frage. :D

Jetzt aber dürfen wir aber wieder aufhören mit den Späßen und uns dem Thema zuwenden.
 
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Die von Dir aufgelisteten Zitate zeigen, dass die These vom "Kult der Offensive" von Leuten belegt wird, deren Urteile sich auf begrenztes Wissen über Militär stützen. Strategie wird fröhlich mit Taktik oder Operation vermischt, die Definitionen von Defensive und Offensive sind nicht wirklich bekannt etc.. Und wenn was nicht passt, behilft man sich mit Kunstbegriffen wie „defensiv-offensiv“ kommt.
...
Da hat Herr Groß offenbar den Clausewitz nicht verstanden.

Gerhard P. Groß ist nicht irgendjemand, man kann ihm gerade zu diesen Fragen Expertise zutrauen, er ist einer der renommiertesten deutschen Militärhistoriker und inzwischen Leiter der Militärhistorischen Abteilung beim deutschen Militärgeschichtlichen Forschungsamt MGFA sowie zuvor 2003-2010 Projektleiter "Erster Weltkrieg" im Forschungsbereich "Zeitalter der Weltkriege" (setze ich mal als bekannt voraus, auch wenn wir hier über Clausewitz fachsimpeln wollen).

Die übrigen zitierten Publikationen betreffen das Journal of Military History JoMH, Publikationsorgan der Society of Military History SMH, international die allererste Adresse für militärhistorische Periodika zu Kriegen der Neuzeit. Zu den Autoren kann ich gern bzgl. Reputation nachtragen.

@thanepower hat außerdem etwas zur IS-Publikation gesagt.

Sorry, dass ich hier mit der Münkler-Kritik offenbar eine Welle losgetreten habe, militärhistorische Publikationen zu kritisieren. Meine Kritik an Münkler war gezielt, und inhaltlich mit Diskrepanzen zum Forschungsstand inkl. Literaturnachweise begründet, die Quellenprüfungen standhält. Ich könnte leicht noch einige Aspekte nachschieben, da Münkler sich auch "nur" auf Literatur stützt, mit der ich mich eben auch seit Jahrzehnten beschäftige (und offenbar auf etwas breiterer Basis als Münkler laut seiner verwendeten Literatur).

Zu den Sachaussagen später mehr, ich hatte heute leider kaum Zeit.

Nur soviel vorab: Die Diskussion über Clausewitz-Interpretationen sind zwar ganz nett, betreffen aber nicht die hier allein relevante Quellenlage. Die orientiert sich weniger an theoretischen Mutmaßungen und Ausdeutungen von Clausewitz (oder was wir darunter verstehen mögen), als an den praktischen Hinterlassenschaften von Schlieffen, Moltke und Co.
 
Es wurden hier mehrere Historiker zitiert und als Quelle benannt, die feststellen, dass sich, sagen wir mal von der Zeit von Moltke dem Älteren zu der Zeit von Moltke dem Jüngeren, die allgemeine Grundhaltung der Militärs in Richtung Offensivdenken verschob. Diese Verschiebung sei im Sinne der militärischen Wirksamkeit nicht begründet gewesen.

Diesem Umstand wird mit den Begriffen „Kult“ oder „Dogma“ Rechnung getragen. Die damit verbunde Vorstellung drückt sich dahingehend aus, dass der beschriebene Zustand nicht einer sachlichen Abwägung entsprungen sei, sondern vielmehr einer sich ausbreitenden Fehlwahrnehmung der Realität.

Es wurde, quellengestützt, von verschiedenen Teilnehmern der Diskussion dargelegt, ...

Das ist richtig. Mit einer Ergänzung: das "nicht begründet" bezieht sich auf die spätere militärhistorische Analyse, nicht auf die zeitgenössische Perzeption der Akteure.
 
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@muheijo

Dir ist schon klar, daß Dein Beitrag und mein Versuch einer Antwort vollkommen o.t. in dem thread ist. ;)

"...
BTW, seit wann gehørt der Klappspaten eigentlich zur Grundausruestung des gemeinen Soldaten?"


Schanzzeug, wie Spaten, Schaufeln, Faschinenmesser etc. gehörten von jeher zur Ausrüstung von Infanterie-, Artillerie- und natürlich Pionier- (Genie-, Armierungs-, Festungs-)einheiten.

Hinsichtlich des persönlichen Schanzzeuges im I. WK z.B. deutscher Infanteristen, schau Dir einmal die Literatur zum Feldspaten M1887 an.

(Faschinenmesser stellten bei dem Schanzzeug eine Ausnahme dar, da manche Waffengattungen sie als "Seitengewehr-Ersatz" trugen.)

"...Im weiteren sollte man pruefen, inwieweit Offiziere und Unteroffiziere ausgebildet waren, inwieweit so etwas geuebt wurde: ..."

M.w. gab es im deutschen Heer bis zum Ende des WKI. keine allgemein bestimmten Gefechtsarten, so wie wir sie heute kennen, wie Angriff, Verteidigung, Verzögerung, Begegnung etc. (Bitte Korrektur, wenn ich das falsch erinnere) von denen sich dann wiederum die vorschriftsmäßigen Handlungen der einzelnen Waffengattungen und taktischen Verbände ableiten ließen. Da müsste man die Dienstvorschriften der einzelnen Waffengattungen durchsuchen, unter dem Blickwinkel, welche Gefechtshandlungen sind taktisch eher offensiv und welche eher defensiv. Ich vermute, daß es dabei soviele Unschärfen gibt, daß das relativ wenig Sinn machen würde.

M.E. folgt die taktische Ausrichtung der Ausbildung den operativen und strategischen Vorgaben und nicht umgekehrt. Wenn man in taktischen Vorschriften oder dem taktischen Handeln vor Ort defensive Handlungen erkennen kann und bei der Analyse erkennen wird, läßt dieses keine Rückschlüsse auf die verfolgte strategische Zielstellung zu, wie sie hier diskutiert wird, das wäre in diesem Zusammenhang nicht lege artis.

Stahlhelm:

Mit dem M1915 ging die Ära der "Pickelhauben" zu Ende, zumindest an der Front. Das nächste Modell der M1916 war dann schon ein Stahlhelm, die Literatur darüber, nicht nur die Militarialiteratur, ist Legion.

Die von einigen Kavallerieregimentern geführten Metrallhelme hatten bereits vor 1914 Kuriositätscharakter und wurden nur zum Paradeanzug, Hofdienstanzug, Wachanzug etc. getragen.

M. :winke:
 
Wieso nahm diese falsche Doktrin, flächendecken und international, die denkenden Köpfe hier in ihren Besitz,
wenn doch die Realität dies garnicht hergab?
So falsch finde ich die Doktrin gar nicht. Eine militärische Operation besteht aus drei Elementen, Bewegung, Feuer, Stoß. Das ist offensiv. Wenn man den WK I sieht, zog sich die Feuerphase lediglich etwas in die Länge.
 
Nach meiner Vermutung wird man sich diese taktische Ueberlegenheit im Verlaufe des Krieges angeeignet haben.
Zu Kriegsbeginn ist man noch frøhlich ohne Stahlhelm ausmarschiert, fuer mich ein starkes Indiz, dass an Stellungskrieg nicht gedacht worden ist.
BTW, seit wann gehørt der Klappspaten eigentlich zur Grundausruestung des gemeinen Soldaten?

Im weiteren sollte man pruefen, inwieweit Offiziere und Unteroffiziere ausgebildet waren, inwieweit so etwas geuebt wurde:
Man braucht Kundschaft im Stellungsbau, gute und zahlenmæssig starke Pionierabteilungen, Geræte und Material. Auch ein Improvisieren "vor Ort" sollte geuebt sein.

Gab es das alles? Inwieweit sind da unterschiede zu anderen Armeen auszumachen?

Gruss, muheijo


Meines Wissens gab es vor 1914 eine ausführliche Ausbildung zum Bau von Feldbefestigungen nur für die Pioniertruppen. Nach 1914 wurde diese dann für die gesamte Infanterie ausgeweitet.

Auf Manöverfotos vor dem Krieg wurden höchstens flache Gräben dargestellt, nach Kriegsbeginn ging man dann schnell in die Tiefe. Die deutschen Schützengräben sollen jedoch, nach mehreren Quellen, wesentlich komplexer und aufwendiger ausgeführt worden sein als die der Allierten.

Ein Hinweis für diese Entwicklung dürften die Entsprechenden Handbücher sein. Im deutschen Heer wurde m.W. ein allgemeines Handbuch für Feldbefestigungen 1915 erstmalig herausgegeben, und später regelmäßig aktualisiert. Auch die Feldhandbücher aus dem 2 WK basierten auf diesen.

Ich habe mir dieses erste Hndbuch vor einiger Zeit mal angesehen, kann mich leider nicht an den genauen Titel erinnern und finde es auch nicht im Netz.


...
1916-17 gelang es den Deutschen, artilleristische und materielle Überlegenheit auszugleichen, indem die Verteidigung in die Tiefe gestaffelt wurde. Das Gefühl der unterlegenheit an Material und die hohen eigenen Verluste wirkten sich aber demoralisierend aus. Der Angreifer bestimmt auch im Grabenkampf das Gesetz des Handelns, entscheidet, ob man schlafen oder Vorräte empfangen oder im Trichtergelände oder im Unterstand Artilleriefeuer und Gas über sich ergehen lassen oder von Schlachtfliegern belästigt wird. Seit Ende 1916 bauten die Deutschen gar keine bombensicheren Unterstände mehr und sprengten Gräben, die zu tief waren, was anfangs von vielen Soldaten als grausam enmpfunden wurde.

Könntest Du letzteres bitte erläutern? Wurden ab 1916 nicht Betonunterstände gebaut?
 
Zuletzt bearbeitet:
Könntest Du letzteres bitte erläutern? Wurden ab 1916 nicht Betonunterstände gebaut?

An der Somme gab es gut ausgebaute Stellungen, teils sogar mit fließend Wasser ausgestattet. Sehr tief angelegte und absolut bombensichere Unterstände boten der Grabenbesatzung gute Sicherheit gegen Artilleriefeuer, sie konnten aber bei gut eingespielter Zusammenarbeit von Artillerie und Infanterie zu Menschenfallen werden, wenn es den Angreifern gelang, einen Graben zu entern und zu stürmen, ehe es der Grabenbesatzung gelang, ihre Unterstände zu verlassen. Mit einigen geballten Ladungen konnte die Grabenbesatzung niedergemacht werden.


Während die Briten die Wirkung ihrer Artillerievorbereitung überschätzten und am 1. Juli 1916 fast 60.000 Verluste, darunter fast 20.000 Tote, von denen die meisten in den ersten Stunden nach dem Sturm fielen, machten die deutschen den Fehler, die 1. Linie unbedingt halten zu wollen und sie konzentrierten ihre Reserven zu nah an der Front und setzten sie so zu sehr dem Artilleriefeuer aus.

Im Verlauf der Sommeschlacht wurden die zu tiefen deutschen Gräben gesprengt, man besetzte die 1. Linie dünner und konzentrierte die Reserven weiter hinten. Der Gegner wurde so in das Stellungssystem hineingelockt, um erst dann zum Gegenangriff anzusetzen, wenn sich der Angriff totgelaufen hatte oder die Verbindung zwischen Artillerie und Infanterie verloren gegangen war.
 
Danke.

Jünger schreibt in seinen Tagebüchern etwas über eine "Grande Trancheé" die anscheinend sehr tief, dafür jedoch recht breit und relativ gerade gebaut war, wodurch die briten es schaften, sie mit enfilierenden Feuer zu belegen.
 
Die Aufmarschplanung, die Operationsstudien und die dazu korrespondierend durchgeführten Kriegsspiele 1905/13 "West" belegen diese Offensivausrichtung für "den ersten großen Schlag" hinreichend.
Es ist auch nie bestritten worden, dass im Westen ein Angriffskrieg geführt und im Osten eine offensive Kriegführung geplant und lediglich auf später verschoben war. Unsere Meinungsverschiedenheit dreht sich lediglich darum, ob diese Entscheidung für die Offensive „kultische“ Ursachen hatte oder ob das Militär rationale Gründe dafür geltend machen konnte.

Damit steht auch nicht im Gegensatz, dass zB Schliefen selbst 1905 im "Kriegsspiel" (unterhalb der Denkschriften, Aufmarschplanungen und Generalstabsreisen) die strategische Defensive an beiden Fronten zugleich (Ost und West!) plante und in bestimmten Kriegssituationen nicht ausschloss. Vielmehr kommt es allein auf die real existierende, militärisch verbindliche Aufmarschplanung 1914 an, die aufgrund der strategischen Kräfteverteilung und in dieser militärischen Logik mit Schwerpunkt West die schnelle Offensiventscheidung West zwingend erforderte. Das wiederum ist die "Moltkeplanung", die abseits von flexiblen Kriegsspielen allein der operativen und strategischen Doktrin Schlieffens folgte:
Ich denke, dass hier der große Irrtum liegt, der zu der Fehldeutung führt, dass eine irrationale Angriffslust des Militärs die Politik in eine bestimmte Richtung gedrängt habe. Die Aufmarschplanung war gar nicht für jeden beliebigen denkbaren Krieg „militärisch verbindlich“. Auch sie galt ausschließlich für „eine bestimmte Kriegssituation“. Oder gibt es einen Dissens über meine Behauptung, dass der Schlieffenplan immer in einem Zusammenhang mit deutschen „Umzingelungsängsten“ einem möglichen Zwei-Fronten-Krieg stand?

Die schnelle Offensiventscheidung im Westen wurde auch nicht deshalb gesucht, weil das so im Schlieffenplan stand. Das stand so im Schlieffenplan, weil man glaubte, in diesem einen besonderen Fall eine schnelle Offensiventscheidung im Westen zu brauchen.

Das Militär hat sich eine Lösung für ein Problem ausgedacht, das vielleicht irgendwann auftreten könnte: aufgezwungener Zwei-Fronten-Krieg. Der Schlieffenplan war nur anwendbar, wenn – im Sinne einer conditio sine qua non – drei Bedingungen erfüllt waren:

  1. Frankreich und Russland „umzingeln“ Deutschland mit feindlicher Absicht.
  2. Die Umzingelung lässt sich mit politischen/diplomatischen Mitteln nicht abwenden oder aufbrechen.
  3. Die Feinde rüsten auf und sind in absehbarer Zeit so stark, dass sie nicht mehr besiegt werden können.
Nur wenn alle diese Bedingungen als erfüllt angesehen wurden, machte der Schlieffenplan Sinn. In jedem anders strukturierten Konflikt (auch mit Frankreich; etwa um Elsass-Lothringen) hätte das Militär je nach den Umständen auf ganz andere Kriegspläne zurückgreifen müssen. Nicht jeder Konflikt hätte automatisch zu einem "Weltkrieg" geführt, der geradezu Grundlage des Schlieffen-Momorandums war. In diesem Sinne war der Schlieffenplan keine „Doktrin“. Und in diesem Sinne war der Schlieffenplan zudem „vernünftig“. Unvernünftig waren (vermutlich) die politisch Verantwortlichen, die Deutschland umzingelt sahen, sich vor der russischen Aufrüstung fürchteten und keine Ideen für diplomatische Initiativen mehr hatten.

1. Verzicht auf eine defensive und reagierende, hin zu einer offensiven und initiativen Kriegführung
2. Unter Nutzung der inneren Linie Auflösung des Zweifrontenkrieges in zwei Einfrontenkriege, die nacheinander gefochten werden sollten
3. Schwerpunktbildung mit Offensive West, Verzögerung Ost
4. Schnelle Vernichtungsschlachten mit Umfassung aus weiträumiger Bewegung heraus
5. Nach dem Vernichtungssieg West Transport nach Osten, um den zwischenzeitlich verzögernden Gegner zu schlagen.

Die Doktrin fusste auf der zeitkritischen, schnellstmöglichen Offensive aus dem Aufmarsch heraus, unter höchstem Risiko, mit Schlachtentscheidung ohne längeren Abnutzungskrieg in der Defensive. Diese Vorgabe wurde der Politik mindestens seit 1912 für die Bestimmung der Reaktion im Krisenfall mitgeteilt.
Die Offensive aus dem Aufmarsch erschien den Verantwortlichen deshalb „notwendig“, weil der Aufmarsch den Feind warnte. Wenn man Keegan (Der Erste Weltkrieg) folgt, dann hätte es den ganzen Schlieffenplan mit seiner ungleichen Verteilung der Truppen auf Ost- und Westfront „enthüllt“, wenn der Angriff nicht unmittelbar nach dem Aufmarsch erfolgt wäre. Da ich dem Keegan inzwischen grundsätzlich misstraue, bleibe ich zweifelnd. Wäre Keegans Deutung richtig, hätte JEDE Art von Aufmarsch unter dem gleichen Zeitdruck gestanden, weil "Enthüllung" drohte. Gegen seine Deutung spricht auch, dass im ursprünglichen Memorandum Schlieffens die Rede davon war, die Truppen eine Zeitlang vor der belgischen Grenze stehen zu lassen. Vielleicht um die Franzosen zum Einmarsch nach Belgien zu provozieren? Wer weiß.

Es geht hier jedenfalls um taktische Erwägungen, die der Politik sicher nicht als „Vorgaben“ mitgeteilt wurden, sondern aus Sicht des Militärs notwendige Bedingungen waren, um Chancen auf einen Sieg in dieser spezifischen Kriegssituation zu eröffnen.

Übrigens wäre ich vorsichtig mit Begriffen wie „Vernichtungsschlacht“ und „Vernichtungssieg“. Den Begriff der „Vernichtung“ hat – wie sollte es anders sein – Clausewitz eingeführt. Allerdings mit einer ganz klaren Definition: „Die Streitkraft muß vernichtet, d. h. in einen solchen Zustand versetzt werden, daß sie den Kampf nicht mehr fortsetzen kann. Wir erklären hierbei, daß wir in der Folge bei dem Ausdruck »Vernichtung der feindlichen Streitkraft« nur dies verstehen werden.“ (Buch 1, Kapitel 2)

Der zeitkritische Faktor, im Kontext des Kults der Offensive, führte dazu, dass eine ausländische Mobilmachung 1914 auch nicht nur einige Tage zur Deeskalation mehr abgewartet werden konnte. Das Zeitfenster wurde in dieser Eskalationsstufe aufgrund der Aufmarschplanung und Operationsplanung zugeschlagen.
Das ist ja das Problem mit dem „Kontext des Kults der Offensive“. Da wird unzulässig generalisiert. Es hätte keineswegs bei jeder beliebigen „Bedrohung“ der Schlieffenplan ausgelöst werden müssen. Der war immer nur für einen ganz genau definierten Fall gedacht. Er ging explizit davon aus, dass Deutschland irgendwann nur mit einem schnellen Angriffskrieg einer existenzbedrohenden Feindseligkeit durch Russland und Frankreich gleichzeitig zuvorkommen muss.

Die früheren Defensivplanungen, die man mit "Zweitschlagkapazitäten" übersetzen könnte, und bei denen es auf einige Tage oder eine Woche nicht angekommen wäre, führten im Juli 1914 nicht mehr die Regie.
Der Kriegsverlauf zeigt deutlich, dass man im Deutschen Heer sehr gut wusste, was Defensive ist und wie man sie einsetzt. Es gab dafür also sehr wohl „Planungen“. Die spielten sich allerdings überwiegend auf der taktischen Ebene ab und treten in strategischen Konzepten deshalb so gut wie nie in Erscheinung. Der Strategie ist es egal, wie die Taktiker ihre Arbeit machen. Hauptsache, sie machen ihre Arbeit. Nur die Ergebnisse zählen. Auch beim unvermeidlichen Clausewitz nachzulesen. (Buch 3, insbes. Kapitel 2). Strategisch galt jedenfalls: Für den Fall, dass der Schlieffenplan ausgelöst werden „musste“, war Defensive keine Option mehr. Defensive hätte bedeutet, so lange abzuwarten, bis die Gegner zu stark geworden sind um noch besiegt werden zu können. Also musste nach der Logik der damaligen Zeit präventiv angegriffen werden, sobald die auslösenden Kriterien erfüllt waren. An der Stelle zu behaupten, dass man auch eine defensive Kriegführung hätte in Erwägung ziehen können, ist gleichbedeutend mit der absurden Forderung, Deutschland hätte einen „präventiven Verteidigungskrieg“ führen müssen.

Genau vor dem Hintergrund, dass man wegen der Pläne für die russische Heeresvergrößerung noch ein Zeitfenster bis 2016/17 zu haben glaubte, bestand 1914 auch noch gar keine zwingende Notwendigkeit, einen Zwei-Fronten-Krieg auszulösen. Die Balkankrise ließ die Lage zwar bedrohlicher erscheinen, aber Frankreich war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht involviert. Man hätte genausogut versuchen können, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln auf den Balkan zu begrenzen. Das ist unterblieben. Dies war aber eine Entscheidung, die nicht das Militär sondern die Politik getroffen hat. Ob noch Aussicht auf diplomatische Lösungen bestanden, konnten die Militärs gar nicht beurteilen (siehe die drei oben genannten conditio-sine-qua-non-Bedingungen).

Genug der ellenlangen Beiträge. Ab jetzt kurz und bündig...

MfG
 
So wird es wohl sein. Die Diskussion um den "Kult der Offensive" kommt aus dem Umfeld dieser völlig inkompetenten Zeitschrift "International Security" und vermutlich erklärt es, warum diese Autoren derartig "verpeiltes Zeugs schreiben". Gut, dass Du denen noch mal erklären willst, wie das mit dem Militär und Clausewitz wirklich ist :D
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International Security has defined the debate on US national security policy and set the agenda for scholarship on international security affairs for more than thirty years.
Ach ja, ist das so? Ich dachte immer, der Ausgangspunkt dieser Debatte wäre eine Publikation von Gerhard Ritter gewesen. Das ist der Mann, der Abschriften des Schlieffenplans entdeckt und als erster die These von der Existenz eines "aggressiven militärischen Automatismus" aufgestellt hat.

Nur nebenbei: Das ist deutlich länger als 30 Jahre her. Wenn die Leute "länger als 30 Jahre" schreiben und damit "länger als 60 Jahre" meinen würden, dann wäre meine Meinung über sie sehr viel schlechter als sie ist. Was "International Security" tut, kannst Du übrigens dem von Dir selbst zitierten Text entnehmen.

Ich bleibe bei meinem Urteil: Du bist einer derjenigen Diskutanten, die hier ziemlich "offensiv" die Existenz eines "Kults der Offensive" postulieren, der mit kriegsverursachend gewesen sei - und die nicht mal eine Ahnung haben, was die Leute damals überhaupt meinten, wenn sie von Offensive sprachen.

MfG
 
Es wurden hier mehrere Historiker zitiert und als Quelle benannt, die feststellen, dass sich,
sagen wir mal von der Zeit von Moltke dem Älteren zu der Zeit von Moltke dem Jüngeren,
die allgemeine Grundhaltung der Militärs in Richtung Offensivdenken verschob.
Diese Verschiebung sei im Sinne der militärischen Wirksamkeit nicht begründet gewesen.
Genau. Und dabei wurde deutlich, dass zwischen Strategie und Taktik nicht unterschieden wurde und die Definitionen für Offensive und Defensive nicht mal bekannt sind.

Diesem Umstand wird mit den Begriffen „Kult“ oder „Dogma“ Rechnung getragen.
Genau. Nun mag jeder für sich entscheiden, welchen Wert die Aussagen von Historikern haben, die den "Kult" oder das "Dogma" der Offensive mit Aktionen begründen, die der Defensive zugerechnet werden müssen.

..und auch den ersten Satz der Zitierung hervorheben, jedoch nicht den letzten.
Abgesehen davon, dass es sich beim ersten und beim letzten um den gleichen Satz handelt: Meine Hervorhebung kann eigentlich nur jemanden überraschen, der sich nicht die Mühe gemacht hat, nachzusehen, zu welcher Aussage ich dort Stellung genommen habe. Dir zuliebe kann ich aber auch anders "hervorheben". Hier:

Er beschreibt nur vier Grundformen der Defensive und stellt klar, dass sie alle eines gemeinsam haben müssen: „Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff - das blitzende Vergeltungsschwert - ist der glänzendste Punkt der Verteidigung; wer ihn sich nicht gleich hinzudenkt, oder vielmehr, wer ihn nicht gleich in den Begriff der Verteidigung aufnimmt, dem wird nimmermehr die Überlegenheit der Verteidigung einleuchten.“ (Buch 6, 5. Kapitel)

Besser so? Und jetzt? Ist das der Beweis, dass der Angriff der Verteidigung doch überlegen war? Oder lässt unser empirisch gewonnenes Wissen über Kriegshandlungen erkennen, dass die Militärs damaliger Zeit hier etwas nicht kapiert haben?

Übrigens: Danke für die folgende Zitierung. Die besagt wirklich alles: :fs:
...ein Beweis, wie sich die Begriffe durch oberflächliche Schriftsteller verwirren können.
MfG
 
Gerhard P. Groß ist nicht irgendjemand, man kann ihm gerade zu diesen Fragen Expertise zutrauen, er ist einer der renommiertesten deutschen Militärhistoriker und inzwischen Leiter der Militärhistorischen Abteilung beim deutschen Militärgeschichtlichen Forschungsamt MGFA sowie zuvor 2003-2010 Projektleiter "Erster Weltkrieg" im Forschungsbereich "Zeitalter der Weltkriege" (setze ich mal als bekannt voraus, auch wenn wir hier über Clausewitz fachsimpeln wollen).
Dann beantworte doch mal die Frage: Welche Art von Defensive hat dem ollen Clausewitz denn "vorgeschwebt"? Ich schließe nicht aus, dass ich dem Herrn Groß Unrecht tue und dass mein Einwand nur durch Deine aus dem Zusammenhang gerissene Zitierweise legitimiert erschien. Ähnlich wie bei Herrn von der Goltz, der hier als Vorreiter der Offensive angeführt wurde, obwohl er der Defensive das Wort geredet hat. Hier bekenne ich freimütig, dass ich die Passage von Groß nur bei Dir und nicht bei Groß gelesen habe.

MfG
 
Nach meiner Vermutung wird man sich diese taktische Ueberlegenheit im Verlaufe des Krieges angeeignet haben.
Zu Kriegsbeginn ist man noch frøhlich ohne Stahlhelm ausmarschiert, fuer mich ein starkes Indiz, dass an Stellungskrieg nicht gedacht worden ist.
BTW, seit wann gehørt der Klappspaten eigentlich zur Grundausruestung des gemeinen Soldaten?

Im weiteren sollte man pruefen, inwieweit Offiziere und Unteroffiziere ausgebildet waren, inwieweit so etwas geuebt wurde:
Man braucht Kundschaft im Stellungsbau, gute und zahlenmæssig starke Pionierabteilungen, Geræte und Material. Auch ein Improvisieren "vor Ort" sollte geuebt sein.

Gab es das alles? Inwieweit sind da unterschiede zu anderen Armeen auszumachen?

Gruss, muheijo
Die Felddienstordnung von 1908 geht auf Schanzarbeiten nicht direkt ein. Aus den Ausführungen über Feuerwirkung kann man eventuell schließen, dass das "Phänomen" der gedeckt operierenden oder eingegrabenen Feinde bekannt war. Vielleicht steht was im Exerzierregelement. Das kenne ich aber nicht. Was taktische Qualität angeht, hat van Creveld ("Kampfkraft") die Auffassung vertreten, dass die deutschen Truppen im 20. Jahrhundert die "leistungsfähigsten" gewesen seien. Er stützt in erster Linie auf das Prinzip der Auftragstaktik. Erstens bezieht er sich dabei aber in erster Linie auf den WKII und behandelt WKI nur kursorisch. Zweitens hat van Creveld auch sehr "grenzwertige" Sachen geschrieben, die seine Glaubwürdigkeit etwas erschüttern.

MfG
 
...
Ein Hinweis für diese Entwicklung dürften die Entsprechenden Handbücher sein. Im deutschen Heer wurde m.W. ein allgemeines Handbuch für Feldbefestigungen 1915 erstmalig herausgegeben, und später regelmäßig aktualisiert. Auch die Feldhandbücher aus dem 2 WK basierten auf diesen.

Ich habe mir dieses erste Hndbuch vor einiger Zeit mal angesehen, kann mich leider nicht an den genauen Titel erinnern und finde es auch nicht im Netz.
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Hier kann man es als PDF herunterladen. Es hiess "Vorschriften für den Stellungskrieg für alle Waffen" und wurde erstmals 1916 herausgegeben.

Stellungsbau 1916 ? LernWerkstatt Geschichte
 
M.E. folgt die taktische Ausrichtung der Ausbildung den operativen und strategischen Vorgaben und nicht umgekehrt. Wenn man in taktischen Vorschriften oder dem taktischen Handeln vor Ort defensive Handlungen erkennen kann und bei der Analyse erkennen wird, läßt dieses keine Rückschlüsse auf die verfolgte strategische Zielstellung zu, wie sie hier diskutiert wird, das wäre in diesem Zusammenhang nicht lege artis.

Ganz richtig.

Und ich würde gern ergänzen:

wenn aus der anhand der Quellen (Operationstudien, Generalstabsreisen, Plan- und Kriegsspiele) dargestellten Operationsdoktrin eine Offensivabsicht hervorgeht, wird das nicht etwa durch "defensive" Übungen auf Verbandsebene, zB einer Division oder kleinerer Truppenkörper, oder noch kleinere Aufgaben auf taktischer Ebene widerlegt.

Um das etwas zu sortieren:

Solche Übungen mit defensiven "Motiven" bzw. "Aufgaben" sind zB sogar im Kontext derjenigen Generalstabsreisen zu finden, die sich mit der ausholenden Umfassung des französischen Festungsgürtels - der großen Westoffensive - beschäftigten. Solche Übungen ergaben sich logischerweise zB aus der Abwehr einer örtlichen Krisis im Rahmen des Vormarsches, Abwehr von Angriffen auf die äußerste deutsche Flanke, Motiven der Abwehr im Osten, der Linien vor dem französischen Festungsgürtel, dem erwarteten frz. Vorstoss nach Elsaß-Lothringen etc. etc.

Für die Analyse und Diskussion der Offensivdoktrin als Rezept des deutschen Generalstabes zur Lösung des Zweifrontenkrieges gibt das nichts her. Ebenso wenig für die Diskussion des brisanten, zeitkritischen Aspekts der Aufmarschplanung für eine solche Offensive und seiner Auswirkung auf die politische Krise im Juli 1914.
 
Das Problem liegt keineswegs darin, dass ich intellektuell nicht in der Lage wäre[0], das „gedankliche Konstrukt“ zu verstehen oder Euren Ausführungen zu folgen.
Von der „vorhandenen historischen Diskussion“ erwarte ich, dass ihre Postulate sich an den historischen Fakten abprüfen lassen [1] oder mit ihnen zumindest nicht im Widerspruch stehen[2]. Wenn die historischen Wissenschaften also behaupten, dass

a) ein „Kult der Offensive“ existiert habe, der Offensive zur „verbindlichen Doktrin“ erklärt habe[3], dann müssen die historischen Wissenschaften (oder deren Befürworter) erläutern, warum der Krieg an der Ostfront (von Deutschland) defensiv geführt wurde [4] und der Krieg an der Westfront nach kürzester Zeit (auf beiden Seiten) in der Defensive erstarrte [5], ohne dass ansatzweise strategische oder auch nur operative Aktionen stattfanden, die offensiv [6] gedeutet werden können


b) deutsche Militärs nur einen einzigen explizit offensiven Kriegsplan hatten [7], dann müssen die Wissenschaften (oder deren Befürworter) erklären, warum deutsche Truppen an der Westfront schon nach ein paar Wochen den Krieg in einer Weise [8] geführt haben, die in krassem Widerspruch zu der angeblich alternativlosen („...kein Plan B...“) offensiven „Doktrin“ stand.
...
An der Stelle reicht es mir jetzt einfach aus, auf die historischen Fakten hinzuweisen [9] und die historischen Wissenschaften (oder deren Befürworter) um Auskunft darüber zu bitten, wie denn die evangeliumsgleiche Theorie mit den historischen Fakten in Einklang [10] zu bringen ist. Ich sehe mich jedenfalls nicht in der Pflicht, den Widerspruch [11] zwischen der Realität und den Postulaten der historischen Wissenschaften (oder ihrer Befürworter) irgendwie auflösen zu müssen oder auch nur darzulegen, dass die Realität eine andere war, obwohl die Wissenschaften doch behaupten, dass es so gar nicht gewesen sein könne.


...dass die Befassung der Wissenschaft mit dem Thema Krieg sich in „Gesinnungs-Ethik“ im Weberschen Sinne erschöpft: in reinen Protest- und Abscheubekundungen.[12]
...
Oder eben Aussagen von Münkler, die der heiligen Wissenschaft vorhalten, das Thema nicht mehr wirklich bearbeiten zu wollen. [13]
...
Nebenbei: Dass Münkler sich im „Großen Krieg“ ganz auf die „entsprechenden Fachhistoriker“ stützt, bezweifele ich eher [14].

[0] Das habe ich nicht behauptet.

[1] Die Prüfung an den historischen Fakten habe ich oben zusammengefasst, als da wären: Operationsdoktrin anhand der Generalstabsreisen, Studien und Kriegesspiele (Planübungen). Dazu ist bislang nichts erwidert worden (kann auch nicht, da die Studien und Übungen nichts anderes hergeben).

[2] Anhand der von mir gelisteten Quellen ergibt sich kein Widerspruch zur Ereignisgeschichte. Im Juli 1914 lagen auf deutscher Seite Offensivplanungen für den großen Westaufmarsch vor, die alternativlos einen brisanten Zeitplan diktierten. Dieser wurde auch zum Handlungsrahmen der Politik. Beschäftigt man sich mit Moltke in den letzen Tagen vor dem Kriegsausbruch, wird die Auswirkung deutlich. Dazu später Mombauer als zitat.

[3] das haben sie erläutert, siehe Zusammenfassungen oben

[4] die von Dir so umschriebene Defensive an der Ostfront ist hier nicht das Problem der zeitkritischen Brisanz für die Politik, sondern allein der Westaufmarsch für die Westoffensive. Um den und seine Auswirkungen auf die Politik geht es. Dieser Plan ist Ausfluss der Offensivdoktrin, die sich 1894/1914 für den Zweifrontenkrieg wie gezeigt entwickelt hat.

[5] warum eine Westfront nach kurzer Zeit erstarrte, ist irrelevant für die Qualifikation des offensiven Westaufmarsches und der großen Westoffensive zu Beginn des Krieges, die im Kontext des Kriegsausbruches wirkten. Plakativ: Wenn ein Auto nach 200 km mit 4 platten Reifen liegen bleibt, heißt das nicht, dass es 200 km zuvor mit 4 platten Reifen losgefahren ist.

[6] Das muss ein anderer Westkrieg gewesen sein, wenn an dem keine offensiven Operationen mehr durchgeführt worden sind. Aber wie gesagt: alles ab Oktober 1914 hat nichts mit der Fragestellung zu tun, mit welcher Offensiv- und Aufmarschplanung der Westfeldzug gestartet ist, und welche Implikationen sich aus dieser Planung für den politischen Handlungsrahmen ergaben.

[7] Ich habe das doch oben erläutert, welche Pläne bestanden und welche Kriegsspiele, Generalstabsreisen und Übungen abgehalten wurden. Für den Zweifrontenkrieg gab es im Juli 1914 keinen Plan "B", nicht einmal für die Umsteuerung der Offensive vom Großen Westaufmarsch zum Großen Ostaufmarsch, schon gar nicht einen Defensivplan für beide Fronten, wie ihn Schlieffen noch 1905 üben ließ. Im Juli 1914 gab es aufgrund der Offensivdoktrin und der real existierenden Aufmarsch- und Operationsplanung keine Handlungsoption. Diesen Fakt mag man auf Basis von Clausewitz rügen, er ist aber durch Clausewitzsche Begrifflichkeiten nicht wegzudiskutieren.

[8] Wie ab Oktober 1914 der Krieg im Westen geführt wurde, ist unerheblich für die Frage, wie die gegebene Offensivdoktrin mit Aufmarsch- und Operationsplanungen im Juli 1914 wirkte. Im Übrigen gelten die Weisheiten Moltkes d. Ä.: Kein Plan überlebt die erste Feindberührung, und Fehler im Aufmarsch sind selten wieder gutzumachen.

[9] Könntest Du bitte die von Dir genannten Fakten der Operationsplanung mit Stand Juli 1914 wiederholen? Das habe ich möglicherweise übersehen. Die Diskussion ist nach meinem Verständnis auf theoretische Erwägungen zu Clausewitz abgeglitten.

[10] Es führt uns nicht weiter, Hinweise auf den militärhistorischen Forschungstand mit "evangeliumsgleich" etc. abzuqualifizieren. Das sind nur Postulate, ebenso wie (11]

[11] Den Widerspruch behauptest Du, insbesondere zu Clausewitzschen Begrifflichkeiten und theoretischen Konzepten. Das mag ja sein, dass Postulat hat aber nichts mit der Relevanz der im Juli 1914 herangereiften und tatsächlich vorhandenen Offensivdoktrin für den Großen Westaufmarsch zu tun. Und das Postulat und Clausewitz erklären leider nicht, welche tatsächliche Entwicklung und welches Denken im Deutschen Generalstab zu dieser Sach- und Faktenlage im Juli 1914 führten.

[12] Hat zwar nichts it dem Thema hier zu tun: aus meiner Beschäftigung mit Militärgeschichte habe ich nicht diesen Eindruck. Aber da werden wir unterschiedliche Bücher gelesen haben.

[13] Sollte er das behauptet haben: Das kann man wirklich als weiteren Unsinn bei Münkler (zu anderen Beispielen siehe oben) ansehen.

[14] Das würde ich auch bezweifeln. Bei Bedarf serienweise Darstellungen über den massiven Mangel von Abstützung auf den aktuellen Forschungsstand bei Münkler. Einige Fachhistoriker scheint er gar nicht, einige nicht richtig gelesen zu haben.
 
Dazu später Mombauer als zitat.

Am 28.7.1914 spitzte sich die Einflussnahme der deutschen Militärs bezüglich des Ablaufs der politischen Krise zu.

Ausgangspunkt ist das Moltke-Memorandum zur Bewertung der politischen Lage. Albertini, und die Forschung bis Mombauer, haben das als Meilenstein der "invasion" militärischer Authoritäten auf das politische Feld, außerhalb ihrer Fäigkeiten und Zuständigkeiten gewertet, mit dem angesprochenen Druck auf die politischen Entscheidungsträger.

Moltkes klare Linie war, die russische Teilmbilmachung mit einer deutschen Voll-Mobilmachung zu beantworten. Wie aufgezeigt vermischten sich dabei beachtliche Skepsis über die Erfolgschancen des eigenen Offensivplans mit einem Fatalismus über den unvermeidbaren "Krieg in Sicht" und die Logik der eigenen Aufmarsch- und Operationsplanung.

Stand der Dinge war, dass die den französischen Festungsgürtel weit ausholende Operation die Verletzung der belgischen Neutralität erzwang, und die zeitliche Taktung der Operation aus logistischen Gründen die überraschende Wegnahme des befestigten Raumes Lüttich vorsah. Die Logik der Operation setzte dieses Manöver soweit zeitkritisch, dass bereits im "Zustand drohender Kriegsgefahr" wegen etwaiger Störhandlungen und Präparationen zur Verteidigung Lüttichs (somit der stundenweisen Verschlechterung der deutschen Kriegschancen) von Moltke ein deutscher "Automatismus" bzw. Dominoeffekt vom Kriegsgefahrzustand zur Generalmobilmachung und dem rasch folgenden Einmarsch gesehen wurde.

Folglich erhöhte Moltke den Druck auf Generalmobilmachung und Krieg am 29.7.1914. Noch vor der Bekanntgabe der russischen Generalmobilmachung und österr.-russischen Gefechtshandlungen, aber direkt in Folge des österr.-serbischen Kriegszustandes und Meldungen aus Belgien über militärische Vorsichtsmaßnahmen sah er den eigenen Operationsplan gefährdet und betonte den Schlüssel der Initialmaßnahmen gegen Belgien und speziell Lüttich. Deutschland könne nicht länger warten. Selbst im Generalstab sah man den Initialvorstoss als Vabanquespiel an, mit dem der Gesamtplan stehen oder fallen würde. Das Duo Moltke-Ludendorff hatte mit dem Lüttich-Plan den Zeittakt vorgegeben, in dem man sich nun gefangen sah. Die Nachrichten aus Belgien sind für Mombauer der entscheidende "trigger" für Moltkes und Falkenhayns Positionierung zur politischen Krise, damit war aus Sicht der Militärs das Zeitfenster einer politischen Lösung zugeschlagen.

Im großen Meeting am 29.7. war es dann Falkenhayn, der massiv drängte, Moltke verhielt sich eher ruhig und widersprach Bethmann kaum (weniger noch als Tirpitz), der auf Abwarten drängte und die Kontraposition zu Falkenhayn vertrat. Noch am Abend positionierte sich Moltke dann ebenso wie Falkenhayn, im Gespräch im Bethmann. In dieser Phase der Krise, intern isoliert und einflusslos, wandte sich Bethmann erneut Wien zu, um darüber eine Verzögerung zu erreichen. Am folgenden Tag verständigten sich Moltke und Falkenhayn auf einen Endtermin, zu dem die endlosen politischen Gespräche beendet werden müssten, den 31.7.1914 Mittags. Aus die Nachricht, ob Russland voll mobilgemacht habe, sollte es danach nicht ankommen, um den deutschen "Kriegsgefahrzustand" auszurufen, mit dem unterstellten Automatismus. Vorauseilend gab Moltke dafür schon vorbereitende Order in der Nacht unmittelbar nach 0 Uhr, 31.7.

Legendär, aber für die Zuspitzung bedeutlungslos, ist schließlich noch Wilhelms Frage, ob der West- zum Großen Ostaufmarsch umgeschmissen werden könne. Hier kam es zum Offfenbarungseid des Generalstabes, der dies verneinte, und auch keinen Plan "C" in der Tasche hatte. Der Automatismus griff, der Plan "A": Kriegszustandsgefahr->sofortige volle Mobilmachung->sofortige Offensive.
 
Irgendwie ist der Fokus hier jetzt auf die Frage Präventivschlag bzw. schnellstmögliche Einsatzbereitschaft durch Mobilisierung oder nicht gekommen, war das die Intention des Eingangsbeitrags?

Denn Stacheldraht und Maschinengewehre waren in den ersten Wochen im Westen auch noch nicht so wichtig wie später. Von der taktischen Seite her hätte der Schlieffenplan also gelingen können. Die Probleme zeigten sich im Rahmen der Logistik, der nicht wie erhofft übernommenen belgischen Infrastruktur und Abstimmungsschwierigkeiten innerhalb der Stäbe, d.h. auf strategischer Seite.

... vielleicht waren sie das doch, im Sinne einer Auswirkung auf die Pläne vor 1914?;)

Der Fokus ist schon gegeben, das Gesamtthema zieht sich von der konkreten Einwirkung in der Julikrise rückwärts:

- > Wie wirkte der Generalstab in der Julikrise -> aufgrund welcher Planungen für Operation und Aufmarsch -> wie und warum entwickelten sich diese Planungen -> usw. hin zu dem Aspekt, den Du jetzt angesprochen hast: -> wie wirkte auf diese Planverläufe der technologische Fortschritt (schnell feuernde Artillerie, Maschinengewehre, entsprechende Ausstattung und Rüstung).

Das Thema wird häufig so angesprochen: Erstarken der Defensive, Ludendorffs Spruch vom "Todeskuss für die Offensive", Abqualifizierung des Generalsstabs als - freundlich ausgedrückt - technikfeindlich und nicht weitsichtig vor 1914 (oder so ähnlich).

Der letzte Punkt ist aber sehr interessant, weniger von der tatsächlichen Wirkung ab August 1914, sondern für den Verlauf 1905/14:

Hier könnte man ansetzen, den Verlauf der Planungen und Kontroversen über die Offensive bzw. der Übungen und Planspiele darauf zu untersuchen, welchen Einfluss die Waffenentwicklung insgesamt, die Erfahrungen zB aus dem russ.-jap. Krieg und die getätigte oder beim Gegner beobachtbare Rüstung hatte.

Da gibt es nämlich interessante Rückwirkungen, bis in die Planung. ZB wurde erneut und dem Eindruck der schweren "Durchbruchswaffen" diskutiert, ob man von der weiten Überflügelung wieder zum zentralen Durchbruch übergeht. Ludendorff hatte solche Ansätze, ebenso Moltke. Man könnte spekulieren, ob der Moltke-Plan "1919" statt 1914 auf dem Papier möglicherweise wieder den frontalen Durchbruch statt der immer weiteren Umfassung und dem "Dogma der Bewegung" vorgesehen hätte. Ansätze dazu gab es, wenn man mal etwas tiefer in die Kriegspiele und Generalstabsreisen sowie Divisionsübungen einsteigt.

Man könnte den Blick aber auch erst beschränken: wie wirkten sich die Waffenentwicklungen, insbesondere MG und Artillerie, auf die Entwicklung der Offensivdoktrin als "Lösung" des Zweifrontenkrieges aus?

Es gibt dazu eine interessante Schrift.
 
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