Der Kult der Offensive

Es geht nicht um die Frage, wer den Krieg in Person ausgelöst hat (...). Es geht vielmehr um eine Kumulation von Planungen, Fehlkalkulationen, Fehlverhalten, Fehlinformationen, Hysterie, Unsicherheit, etc., welche die Entscheidung im inneren Zirkel zum Aufmarsch in dem Zusammenwirken wesentlich beeinflusst hat. Es geht um das "wie" des Kriegsausbruchs, zu dem das Militär seine (Offensiv-)Dogmen beisteuerte und den Ablauf im Kontext der dargestellten "Schwächen" beeinflusste.
In diesem Sinne pflichte ich Herwig (und Deinem daraus abgeleiteten Urteil auch vollkommen bei (mit der Einschränkung, dass durchaus umstritten ist, ob der angebliche Präventivkrieg von vornherein zum Scheitern verurteilt war). Soweit sind wir also einer Meinung. Ich sehe allerdings nicht, wieso zur Erklärung dieser "Fehleransammlung" noch ein angeblicher Offensiv-Kult oder ein Offensiv-Dogma nötig ist.

Das ist ein weiteres Missverständnis, als es wie oben gezeigt nicht um Befehlsausführung oder Kriegsauslösungskompetenz geht, und der "Cult of Offensive" auch nicht als alleiniger Aspekt des "Wie" in den Krieg gesehen wird.
Nein, auch das ist kein Missverständnis. In dieser Diskussion habe ich auf Beiträge anderer Diskussionsteilnehmer geantwortet, nicht auf Arbeiten von Historikern. Den Historikern habe ich lediglich vorgeworfen, bestimmte Aspekte ignoriert zu haben - eine Kritik, die ich aufrechterhalte.

MfG
 
Das ist richtig. Mit einer Ergänzung: das "nicht begründet" bezieht sich auf die spätere militärhistorische Analyse, nicht auf die zeitgenössische Perzeption der Akteure.

Ich denke man kann, so wie Du es dargelegt hast, davon ausgehen, dass sich die "zeitgenössische Perzeption der Akteure" nicht mit den Analysen deckt, die in einer späteren Rückschau erstellt wurden.
Zudem lässt sich feststellen, dass diese Wahrnehmung, die sich ja als falsch erwies, in den Jahren oder dem Jahrzehnt(?) vor dem Weltkrieg dominierend wurde.

Nachdem es mir plausibel erscheint, dass es in der Beschreibung der Abläufe so war wie dargestellt, bleibt mir die Frage:
Wie kam es zu dieser allgemeinen Verschiebung der Perzeption?

Grüße hatl

..natürlich wäre es einfach zu sagen: Eine Idee breitet sich deshalb aus weil sie es kann :D.
Aber erhellend ist dieser Ansatz, den ich für grundsätzlich richtig halte, auch nur sehr bedingt, weil er die speziellen Dynamiken nicht abbilden kann.
Aber vielleicht ist die Frage, warum sich die Vorstellungen der Wirksamkeit verschiedenen militärischen Handelns so verschob, auch garnicht zu klären.
Die Frage bleibt mir.
 
Am 28.7.1914 spitzte sich die Einflussnahme der deutschen Militärs bezüglich des Ablaufs der politischen Krise zu.

Wichtig ist dabei festzuhalten, dass das Militär bei der Entscheidung und Ausstellung des Blankoschecks, 05.07. und 06.07.14, nicht gefragt worden war. Es wurde sich lediglich nach der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte erkundigt.

Auch nachdem mehr oder weniger Klarheit über die Absichten Österreich-Ungarns herrschte, änderte sich beim deutschen Militär nichts. Es war klar, das die Krise nicht so schnell vorüber gehen würde. In der Marine wurde dies und das diskutiert und beim Heer herrschte Routinebetrieb. Erster Streitpunkt war die Flotte die sich auf der Nordlandreise befand.

Das Heer war lange Zeit in der Krise regelrecht passiv. Es waren die Russen, die zuerst und frühzeitig mobilisierten; Bluff hin oder her.
 
Die Frage bleibt mir.

Es ist sicher auch teilweise das Vermächtnis, das sich u. a. durch die Eroberungskriege seit Ludwig XIV., FdG und Napoleon mit dem "Kult der Offensive" verbindet. Dieses kann man hervorragend bei Jomini (The Art of War) erkennen.

Weitere Aspekte sind, wie J. Snyder (Civil-Military Relations and the Cult of the Offensive 1914 and 1984, in: Brown et al (Eds.). Offensive, Defensive, and War 2004, S. 119 ff, argumentiert, der hohe Grad an Intransparenz zwischen der Politik und dem Militär.

Diesen Aspekt kann man als relevant ansehen für das DR, wie am Schlieffen-Moltke-Plan ausführlich gezeigt.

Dieses gilt auch für die Kommunikation in Russland. Auch in diesem Fall konnte nicht entsprechend den politischen Vorstellungen von Sazonow eine glaubwürdige Teil-Mobilmachung ausschließlich gegen Ö-U durchgeführt werden (vgl. J. Kusber: Die russischen Streitkräfte und der deutsche Aufmarsch beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Ehlert, Epkenhans und Groß: Der Schlieffenplan. 2006, S. 257ff)

Ähnliches gilt für die Planungen der Ö-U-Armee, wie Kronenbitter (Die militärische Planung der kuk Armee und der Schlieffenplan, in: Ehlert, Epkenhans und Groß: Der Schlieffenplan. 2006, S. 205ff), die weder dem Generalstab des DR vorlagen und auch von KW II nicht gekannt wurden.

Und auch dieser letzte Punkt ist ein gravierendes Problem, wie am Vorschlag von KW II gezeigt werden kann, der "Halt in Belgrad".

Auf diesen Punkt weist Otte hin (July Crisis. 2014), der dem Vorschlag von KW II das Potential zuspricht, eine der besten Chancen gewesen zu sein, den Krieg noch zu vereiteln. Der Vorschlag von KW II war nicht kompatibel mit der Aufmarschplanung der Ö-U gegen die Serben!

Die Planungen von Conrad sahen eine komplett andere Operationsplanung vor. Der "Halt in Belgrad" hätte eine "Nord-Süd"-Bewegung bzw. Aufmarschplanung erfordert, um realisierbar zu sein. Von Conrad war jedoch eine "seitliche" Bewegung nach Serbien hinein geplant, um die serbische Armee von ihren Rückzugsmögöllichkeiten abzuschneiden.

Auch in diesem Fall konnte, wie in den beiden ersten Fällen, die konkrete militärische Planung nicht den situativ eigentlich angemessenen Vorgaben der Politik folgen.

Ein weiterer hilfreicher Punkt, den Otte anspricht ist, dass die Verhaltensmuster zwischen Großmächten und kleinen Mächten um 1914 einem Veränderungsprozess unterworfen waren und die "gemeinsamen Spielregeln" der Großmächte nicht mehr klar definiert waren.

So weist er vermutlich zu Recht darauf hin, dass das "provokative" Verhalten (aus der Sicht der Logik des Status quos der Großmächte!) von Serbien gegenüber Ö-U, durch einen Talleyrand oder Metternich nicht akzeptiert worden wäre. Es wäre eine Verletzung der Spielregeln gewesen, die Politiker des "alten Europas" insgesamt nicht akzeptiert hätten.

In 1914 waren diese Spielregeln aus vielen Gründen, auch weil Ö-U sich bereits auf dem Status einer großen Regionalmacht bewegte, verändert und konnten nicht mehr als "Regulativ" für die Staaten dienen.

Auf die allgemeine, teils sozialdarwinistische, Stimmung, wie bei Tuchmann (Der stolze Turm) als Hintergrund für den Fatalismus (wie beispielsweise die Stimmung in Bezug auf Bethmann von Riezler in seinen Tagebüchern beschrieben wird) wude schon hingewiesen.

Es kommen zwei weitere Aspekt hinzu. Zum einen ist es die Frage der "Selbstattribuierung" des - vermeintlichen -National-Charakters, der für die Denkweise der Armee wichtig war. Für die Franzosen war es der "Elan", für die Deuschen der "Angriffsgeist" etc.. Und natürlich passend auch die Vorstellung, dass der zukünftige Gegener als feige, dumm und inkompetent hingestellt wird. Wie beispielsweise das britische Expeditions-Korps lediglich "verhaftet" wird, um deutlich zu machen, dass man eigentlich gegen diese Armee nicht kämpfen müste.

Zum anderen ist es noch die weitere sozialpsychologische Erklärung durch die ausgeprägte "Kultur des Maskulinen" vor 1914, teils passend zum "Nationalcharakter", der "aggressive" Denkmuster in den imperialistischen Großmächten begpnstigte.

Insgesamt sind es viele Aspekte, die erklären können, warum militärische Automatismen, teils gegen die Intention der Politiker, gegriffen haben und das Armageddon heraufbeschwörten. Vor dem die Militärs, wie beispielsweise Moltke regelrecht "Angst" hatte.

Und in diesem Bereich findet der gravierendste Widerspruch statt. Das individuelle Gewissen, das tendenzielle "Nein" sagt, steht hinter dem zurück, was als Ergebnis einer ernsthaften Analyse als zwangläufiger Imperativ durch Schlieffen, Moltke und dem Generalstab als "einzige Lösung" angenommen wurde. Die schnelle und konsequente Niederwerfung des Gegners in Schlachten ala "Leuthen". Und das war der "Kult der Offensive". Auch als - objektiv irrationale - mentale Haltung, die in der damaligen Zeit aber als durchaus "realistisch" angesehen wurde.

OT: Und wer schon mal in einem Unternehmen gearbeitet hat oder noch arbeitet, das eine technologisch anspruchsvolle Innovationsstrategie als "Mission" definiert hat, der versteht vielleicht, wie stark der "Korps-Geist" als kollektiver Prozess eine "Gleichschaltung" in den Sichtweisen der Mitarbeiter erzeugt. Diesem Prozess unterlagen auch die Generalstäbe in der damaligen Zeit.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke,
jetzt brauch ich aber schon ein bisserl Zeit..
Ich nehme an, dass dieser Link Deine angebene Quelle darstellt:
http://www.stanford.edu/~jakim/index_files/Snyder.pdf

Es ist ein "Reader", der von denen herausgegeben wurde.

Offense, Defense, and War - Brown - Google Books

Der Beitrag von Jervis ist zudem sehr zu empfehlen, da in ihm zentrale Gedanken entwickelt werden, auf die viele Autoren zur "Sicherheitspolitik" oder zur Theorie von "Internationalen Beziehungen" (IR) zugreifen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist sicher auch teilweise das Vermächtnis, das sich u. a. durch die Eroberungskriege seit Ludwig XIV., FdG und Napoleon mit dem "Kult der Offensive" verbindet. Dieses kann man hervorragend bei Jomini (The Art of War) erkennen.
Da das Beispiel Napoleon gefallen ist. Seine Feldzüge waren immer dann erfolgreich, wenn er es verstand, seine Gegner in Entscheidungsschlachten zum "Frieden" zu zwingen. Seine Strategie geriet dann zum Desaster, wenn die gegnerischen Truppen einer Feldschlacht auswichen oder es ihnen gelang, sich nach einer Niederlage geordnet zurückzuziehen. Gänzlich versagt hat diese Strategie, wenn es wie in Rußland 1812 keine Entscheidungsschlacht gab. Wenn sich ein "Kult der Offensive" aus dieser Zeit speiste, dann bezog er sich nur auf bestimmte Ereignisse und bestimmte Strategien wie die Rückzugsstrategie der Russen, die schon 1807 entwickelt wurde, wurden vernachlässigt.

Wenn es aber noch Anfang des 20. Jahrhunderts diesen hist. aufgebauten "Kult" gegeben hat, dann impliziert dies wohl, dass der Erfolg einer militärischen Opperation in einer relativ kurzen Aktion gesucht wurde, was wieder impliziert, dass mit einem monatelangen ... jahrelangen Stellungskrieg nicht gerechnet wurde, woraus wieder resultiert, dass mögliche techn. Mittel zum Führen einer Defensive gar nicht kalkuliert wurden/werden mussten?

Grüße
excideuil
 
[0] Das habe ich nicht behauptet.
Holla!

Das ist jetzt interessant!

Ich wollte gar nicht behaupten, dass Du das behaupten wolltest. Beim Lesen des Beitrags, auf den ich hier gerade antworte, habe ich dann aber doch so einen gewissen Stich des Misstrauens gespürt.

Du versuchst hier, ein paar "kleine semantische Korrekturen" vorzunehmen, die unsere gesamte Diskussion auf den Kopf stellen würden!

Sehr auffällig ist Dein Bemühen, Deine Aussagen immer wieder mit der Formulierung "im Juli 1914" zu garnieren. Bei 14 von Dir aufgelisteten Punkten taucht diese Formulierung siebenmal auf! Etwa im folgenden Sinne:

Für den Zweifrontenkrieg gab es im Juli 1914 keinen Plan "B"
Was soll das denn auf einmal? Diese Eingrenzung auf den Zeitraum „im Juli 1914“ taucht hier in unserer Diskussion zum ersten Mal auf. Gab es im Juni oder im August einen „Plan B“? Bisher haben die Diskutanten Deiner „Offensiv-Kult-Fraktion“ die ganze Zeit den GESAMTEN SCHLIEFFEN-MOLTKE-PLAN als Beleg für den Offensiv-Kult angeführt. Warum auf einmal dieser exzessive Versuch der Eingrenzung auf den Zeitraum „im Juli 1914“?

Noch ein Beispiel gefällig? Hier:
Im Juli 1914 lagen auf deutscher Seite Offensivplanungen für den großen Westaufmarsch vor, die alternativlos einen brisanten Zeitplan diktierten.
Aha. Lagen die Planungen im Juni noch nicht und im August nicht mehr vor? Nochmal der Hinweis: Bisher wurde die These von der Existenz eines „Kults der Offensive“ immer mit dem GESAMTEN Schlieffen-Moltke-Plan begründet. Jetzt plötzlich kommst Du mit der These daher, dass sich das nur auf den Zeitraum „im Juli 1914“ und nur auf den Aufmarsch bezogen habe. Warum jetzt plötzlich die zeitliche Eingrenzung?

Was willst Du mit der plötzlichen Fixierung auf die Phase „im Juli 1914“ eigentlich sagen? Vielleicht sowas Banales wie "im Juli 1914, als die Deutschen entschieden hatten, dass sie im August 1914 den Zwei-Fronten-Krieg führen wollten, da hatten sie Einvernehmen über den Plan A zur Führung des Zwei-Fronten-Kriegs hergestellt"?

Oder willst Du auf sowas Weltbewegendes hinweisen wie auf die Tatsache, dass ein Heerführer, der seinen Truppen den Aufmarsch befiehlt, ihnen auch gleich eine Alternative an die Hand geben sollte? So etwa im Sinne von: „Marschiert am Montag los. Ob Ihr zur Ostfront oder zur Westfront geht, überlasse ich Euch...“? Geht es noch lächerlicher?

Der zweite Punkt, an dem ich Dir nach der Lektüre Deines Beitrags "semantische Spitzfindigkeit" unterstelle ist folgender: In Deiner Antwort auf 14 von Dir ausgewählten Aussagen verwendest Du fünf Mal den Begriff "Offensiv-Doktrin". Einmal in besonders entlarvendem Zusammenhang, weil Du es mit der oben schon kritisierten tendenziösen Verwendung von "im Juli 1914" verknüpfst:

Den Widerspruch behauptest Du, insbesondere zu Clausewitzschen Begrifflichkeiten und theoretischen Konzepten. Das mag ja sein, dass Postulat hat aber nichts mit der Relevanz der im Juli 1914 herangereiften und tatsächlich vorhandenen Offensivdoktrin für den Großen Westaufmarsch zu tun.
Die Offensivdoktrin ist erst „im Juli 1914" herangereift und bezog sich auf den großen Westaufmarsch? Warum redest Du dann die ganze Zeit von "Doktrin"? Hier besteht ein Widerspruch offenbar nicht allein zu Clausewitz´schen Begrifflichkeiten.

Mein Rat: Mach Dich erstmal mit den Begrifflichkeiten vertraut, ehe Du mich über „Clausewitzsche Begrifflichkeiten und Konzepte“ zu belehren versuchst. Bevor man in dieser exzessiven Weise das Wort „Doktrin“ verwendet, sollte man sich mindestens mal ansatzweise über seine Bedeutung informieren. Hilfestellung:
Doktrin ? Wikipedia .
Und wenn man über Militär reden will, wäre es nicht zu viel verlangt, auch an der folgenden Stelle mal nachzuschauen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Milit%C3%A4rdoktrin

Okay, ich räume ein, dass man selbst diese Wiki-Links nur verstehen kann, wenn man den Unterschied zwischen Strategie und Taktik begriffen hat - oder zumindest den Willen zum Verständnis des Unterschieds aufbringt :tuete:

Vielleicht hat ja allzu sorgloser Umgang mit Begrifflichkeiten wie „Kult“ und „Offensive“ und „Doktrin“ dazu beigetragen, dass diese Diskussion sich in dieser Weise entwickelt hat.

Noch ein dritter Punkt, den ich bei oberflächlicher Betrachtung semantisch-spitzfindig-manipulativ fand:
...die von Dir so umschriebene Defensive an der Ostfront ist hier nicht das Problem der zeitkritischen Brisanz für die Politik...
Willst Du mit der Formulierung „von Dir so umschriebene Defensive“ andeuten, dass die Defensive an der Ostfront gar keine Defensive war? Dafür würde ich dann gern Belege sehen. Müssen nicht wieder Dutzende sein, hauptsache diesmal sachgerechte.

Fazit: Wenn jemand all die semantischen Spitzfindigkeiten schluckt, dann kann man ihm auch leicht vorgaukeln, dass alle Ereignisse vor oder nach dem Zeitraum „im Juli 1914“ für die postulierte Existenz des „Kults der Offensive“ irrelevant sind. Aber auch nur dann.

Nachsatz außerhalb der Semantik-Debatte:
Im Juli 1914 lagen auf deutscher Seite Offensivplanungen für den großen Westaufmarsch vor, die alternativlos einen brisanten Zeitplan diktierten. Dieser wurde auch zum Handlungsrahmen der Politik.
Das stimmt. Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass die Politik zu dem Zeitpunkt überhaupt noch Handlungsspielräume gesehen hat oder Handlungsspielräume haben wollte. Für mich sieht es eher so aus, als wäre die Grundsatzentscheidung der Politk zur Auslösung des Ersten Weltkriegs schon vor dem Truppenaufmarsch gefällt worden.

MfG
 
Als provokante Frage gestellt: Ist überhaupt jemals jemand in einen Krieg eingetreten ohne die Absicht das gegnerische Land, zumindest zum Teil durch Besetzen zur Aufgabe zu zwingen? Ist daher nicht immer die Offensive (denn in der Defensive besetzt man bekanntlich Nichts) zu irgendeinem Zeitpunkt des Krieges geboten? Handelt es sich beim "Kult der Offensive" wie er hier benannt wird nicht somit zu einer militärischen Zwangsläufigkeit, die sich in jedem Krieg ergibt?

Anmerkung: Natürlich steht seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts die Theorie der Entscheidung aus der Luft im Raum, einen Beweis für diese These gab es aber in keinem Krieg zwischen zwei Staaten.
 
@ Mælonn:
So wie ich es verstanden habe, ist die zeitliche Eingrenzung von Silesia deshalb erfolgt, weil es frueher tatsæchlich noch einen (auch offensiven) Alternativplan gab, den grossen Aufmarsch "Ost" - aber der ist ja 1913 bekanntlich ad acta gelegt worden.
Die Handlungsablæufe wæren somit die gleichen gewesen, wenn das Attentat ein paar Monate frueher stattgefunden hætte.
(Interessantes Gedankenspiel: Auch im dicksten Winter?)

Gruss, muheijo
 
Noch einmal etwas zum 28.07.1914

Am 28.07.erfolgte bekanntermaßen die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Es war klar, die russische Mobilmachung war ja schon längst im Gange, zunächst verdeckt, dann offen, das Russland für Serbien eintreten würde, auch wenn sich die zivile Spitze der Reichsleitung sich darüber noch nicht vollends sicher war. Aber ab diesem Zeitpunkt erlangte aber das Militär immer mehr die Initiative, letzten Endes aber nicht die Kontrolle über den Prozess.

Falkenhayn wollte die sofortige Auslösung des Krieges, fand Moltke aber nicht auf seiner Seite. Der zivilen Reichsleitung gelang es diese Forderung des Kriegsmnisters abzublocken. Die Argumente der Militärs gewannen aber an Gewicht, ist ja auch angesichts des Geschehens keine großes Wunder. Am 29.07. ließe Moltke Bethmann eine Denkschrift zukommen, in er möglichst bald Klarheit verlangte. Auch das kann nicht als etwas Unmögliches betrachtet werden.

Unterdessen wurde sich bei anderen Großmächten gerüstet und es wurde auch deutlich, das Großbritannien nicht neutral bleiben würde. Frankreich sowieso nicht. Es blieb aufgrund der Implikationen des Schlieffenplans aus Sicht des deutschen Militärs keine andere Alternative als tätig zu werden, denn der Schlieffenplan basierte auf einen exakt festgelegten Zeitplan und setzte enorme Geschwindigkeit voraus. Vor allem musste und sollte Lüttich habdstreichartig sehr schnell genommen werden und aus dieser Perspektive war sehr schnelle Handeln angesagt.

Aber die Russen waren ja ebenfalls überaus offensiv.
 
Der Kult der englischsprachigen Literatur

et, Germany went to war in August 1914. Why? And how? This ‘leap into the dark,’ as Chancellor von Bethmann Hollweg called it, was anything but a carefully orchestrated ‘bid for world power’ (Fritz Fischer), and more the result of a combination of fear and anxiety for the future on the part of a small coterie of senior officials who made the decision for war. For years, they had seen Bismarck’s Pax Germanica dissolve before their very eyes. Ever shriller nationalist appeals on the part of pressure groups had filled in the gap created by Wilhelm II’s inability to rule. Foreign and military security policies had disintegrated, being replaced by individual service operations plans. The near total lack of civilian control had by default given greater weight to military considerations. The accompanying doctrines concerning a ‘short war’ and a ‘cult of the offensive’ had filled that void. Technical determinism had paralyzed what sober strategic planning still existed. It is little wonder that Count Leopold Berchtold, the Austro-Hungarian foreign minister, at the height of the July Crisis had cried out in despair: ‘Who rules in Berlin? Moltke or Bethmann?’

Perhaps most tragically, General von Moltke decided to jettison the ‘inter-war’ peace that had existed since 1871 out of despair about the present, fear about an uncertain future, and belief in the ‘topos of inevitable war.’ While he feared what he called a ‘horrible war,’ one that could set European civilization back for decades, the chief of the General Staff never- theless had pressed for war. A short, cleansing thunderstorm might lead not only to German territorial aggrandizement but perhaps even to national rejuvenation. As he put it to the German foreign secretary, Gottlieb von Jagow, in the spring of 1914, ‘there was no alternative but to fight a preventive [sic] war so as to beat the enemy while we could still emerge fairly well from the struggle.’

Thus, while apprehensive about the course and nature of the coming war, Moltke nevertheless pushed to start it at what he considered to be the most propitious moment. In 1914 a classic General Staff tour de force, one beset from the start with countless ‘ifs’ and based on enemy mistakes, tore apart the ‘fog of peace.’
The political scientist Ned Lebow has suggested that the July Crisis of 1914 was a classic case of the causal relationship between cognitive impairment, miscalculation, and war. In a well-researched chapter using the July Crisis as a case study, Lebow suggests that the ‘cognitive distortions’ of German political leaders, briefly discussed above, were the root cause of the great folly of war in 1914. They led, first and foremost, to the adoption of an unrealistic strategy (the so-called ‘calculated risk’) based on erroneous assumptions of how the other great powers would react to the Austro-Hungarian attempt to subjugate Serbia. As the crisis unfolded, these same ‘cognitive distortions’ prevented kaiser and chancellor, foreign secretary and chief of the General Staff, from realizing the grave extent of their miscalculations. And when all their rosy illusions were shattered at the end of July, the ‘men of 1914’ at Berlin suffered a ‘dramatic loss of self-confidence,’ which resulted in erratic and irresponsible behavior, and finally in war. If there is a lesson to be learned, surely it is that the outcome of such brinkmanship crises is the ability of governments to learn from the results of past behaviors and to modify subsequent behavior and policies. Crisis strategies, once discovered to be erroneous, demand constant and immediate reassessment. Severe time constraints leave no other choice. To maximize the probability of success, policy modifications must consist of a rapid and ongoing learning process. That, unfortunately, was not the case with Germany in July 1914."
Herwig, in: The Fog of Peace and War Planning.


Ich habe es ja schon mehrfach benannt; leider ohne jeden Erfolg.

Ich frage noch einmal nach. ist es wirklich notwendig ellenlange Textpassagen auf englisch zu zitieren? Wenn ja, ist es zuviel verlangt eine deutsche Zusammenfassung zu schreiben, damit auch andere user, die nicht so gut englisch können, es verstehen und mitdiskutieren können.
Wir sind doch ein deutschsprachiges Forum oder?
 
...Gänzlich versagt hat diese Strategie, wenn es wie in Rußland 1812 keine Entscheidungsschlacht gab. Wenn sich ein "Kult der Offensive" aus dieser Zeit speiste, dann bezog er sich nur auf bestimmte Ereignisse und bestimmte Strategien wie die Rückzugsstrategie der Russen, die schon 1807 entwickelt wurde, wurden vernachlässigt.
Ich glaube nicht, dass das vernachlæssigt wurde, vielmehr wurde es in die Ueberlegungen einbezogen:
Man wird zu dem Schluss gekommen sein, dass man eben a) noch schneller sein muss als Napoleon und b) die Logistik verbessern muss.
An beidem wurde gearbeitet - die Tatsache dass der gr. Aufmarsch "Ost" schlussendlich unter den Tisch fiel, hat u.a. daraus resultiert*, dass man beides nicht in dem Masse verwirklichen konnte, wie es -scheinbar- im Westen møglich war.

*wenn ich den entspr. Thread noch richtig zugespitzt habe

Wenn es aber noch Anfang des 20. Jahrhunderts diesen hist. aufgebauten "Kult" gegeben hat, dann impliziert dies wohl, dass der Erfolg einer militärischen Opperation in einer relativ kurzen Aktion gesucht wurde, was wieder impliziert, dass mit einem monatelangen ... jahrelangen Stellungskrieg nicht gerechnet wurde, woraus wieder resultiert, dass mögliche techn. Mittel zum Führen einer Defensive gar nicht kalkuliert wurden/werden mussten?

Darauf wollte ich ja auch schon hinaus. Fuer mich ist der Mangel an entspr. Anweisungen, Ausbildung und Ausruestung zumindest ein Indiz.

Der Grabenkrieg war nachdem was bislang hier geæussert wurde anscheinend ein "learning by doing".

Mælonns Intension von Defensive bezieht sich møglichweise gar nicht auf den Grabenkrieg (als die Krønung der Defensive), sondern auf eine Defensive in der Bewegung, aber das møge er selbst præzisieren.

Gruss, muheijo
 
@ Mælonn:
So wie ich es verstanden habe, ist die zeitliche Eingrenzung von Silesia deshalb erfolgt, weil es frueher tatsæchlich noch einen (auch offensiven) Alternativplan gab, den grossen Aufmarsch "Ost" - aber der ist ja 1913 bekanntlich ad acta gelegt worden.
Die Handlungsablæufe wæren somit die gleichen gewesen, wenn das Attentat ein paar Monate frueher stattgefunden hætte.
(Interessantes Gedankenspiel: Auch im dicksten Winter?)

Gruss, muheijo
Ich deute das eher so, dass bei Betrachtung aller Kriegsschauplätze und des ganzen Kriegsverlaufs weder die These von einer Offensivdoktrin oder gar einem Offensivkult noch die Behauptung der Alternativlosigkeit der Planung aufrecht erhalten werden kann. Deshalb wird jetzt versucht, die Diskussion so umzudeuten, als wäre das immer nur für den Juli 1914 behauptet worden. Und weil durch diese Umdeutung die Grundlage für die These vom Offensivkult erbärmlich dünn wird, wird gleichzeitig versucht, durch die ausgiebige Verwendung des Begriffs "Doktrin" durch die Hintertür doch wieder eine allgemeine Gültigkeit anzudeuten.

Dass man sich gegen den Aufmarsch Ost entschieden hatte, wiederlegt ebenfalls die These von der Alternativlosigkeit.

Die Frage nach dem Winterkrieg ist tatsächlich interessant. Möglicherweise wäre ein Kriegsbeginn im Winter sogar ein weiteres Argument für den Offensivkrieg nach Schlieffenplan gewesen. Der Winter hätte zwar das Vorgehen im Westen erschwert und verzögert, andererseits wären die Behinderungen für die russischen Truppen im Osten vermutlich noch weit größer gewesen, sodass sich dort der Aufbau einer zweiten Front verzögert hätte. Wer weiß?

MfG
 
Als provokante Frage gestellt: Ist überhaupt jemals jemand in einen Krieg eingetreten ohne die Absicht das gegnerische Land, zumindest zum Teil durch Besetzen zur Aufgabe zu zwingen? Ist daher nicht immer die Offensive (denn in der Defensive besetzt man bekanntlich Nichts) zu irgendeinem Zeitpunkt des Krieges geboten? Handelt es sich beim "Kult der Offensive" wie er hier benannt wird nicht somit zu einer militärischen Zwangsläufigkeit, die sich in jedem Krieg ergibt?

Anmerkung: Natürlich steht seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts die Theorie der Entscheidung aus der Luft im Raum, einen Beweis für diese These gab es aber in keinem Krieg zwischen zwei Staaten.

Wie die Liste der Zitate in einem der Beiträge von @Silesia belegt, gab es schon weitere Anhaltspunkte, auf die die Befürworter ihre These vom Kult der Offensive stützten. Meiner Ansicht geht das aber auf Fehldeutungen zurück, die aus oberflächlicher Betrachtung der Fakten beruhen.

Fakt ist, dass das Deutsche Heer einer taktischen Doktrin folgte, die das Element der Operationen stark betonte. Hierbei geht es um das Zusammenspiel von verschiedenen Arten der Gefechtsführung wie Angriff, Verteidigung, Rückzug, Gegenangriff. Augenfällig ist, dass sowas "im Stehen" nicht möglich ist. Von zentraler Bedeutung war also das Element der Bewegung in dieser Art der Kriegführung. Ihre Beweglichkeit sollte es den Truppen ermöglichen, die Initiative zu behalten und - auch im Angriff - Gefechte zu führen, ohne sich direkt der übermächtigen Verteidigung stellen zu müssen. Deshalb wirkt diese Art der Kriegführung sehr "offensiv" - selbst dann wenn sie in der Defensive angewandt wird.

Das wurde ja auch hier in der Diskussion als Beleg dafür angeführt, dass die Militärs ausschließlich offensiv "gedacht" hätten. Dabei wird übersehen, dass diese vermeintlich Angriffswut letztlich die eigenen Truppen schonen soll. Die Alternative zu dieser beweglichen Kriegführung war nämlich der Stellungskrieg, den man eigentlich nicht führen wollte, weil klar war, dass er zu einem Massaker ausarten würde.

Beim Bewegungskrieg geht es mehr darum, gegnerische Verbände zu zerschlagen als Feinde umzubringen. Im Stellungskrieg war das anders. Falkenhayn sprach bezüglich Verdun von einer "Blutmühle", in der sich der Gegner ausbluten sollte.

MfG
 
Wieder der 28.Juli 1914

Anzumerken ist auch noch, das am 27.Juli Russland auch die Militärbezirke Kaukasus, Turkestan, Omsk und Irkutsk in der sogenannten Kriegsvorbereitungsperidoe einbezog. In Frankreich faßte man den Entschluß den größeren Teil seiner nordafrikanischen Kolonialtruppen nach Hause zu holen.
 
Wichtig ist dabei festzuhalten, dass das Militär bei der Entscheidung und Ausstellung des Blankoschecks, 05.07. und 06.07.14, nicht gefragt worden war.
Möglicherweise bestand in Berlin zu dem Zeitpunkt schon eine "Präferenz" dafür, den erwogenen Präventivkrieg zum Aufbrechen der "Umzingelung" loszutreten. Der Zeitpunkt war dafür "günstig". So wie die Dinge lagen, konnte sich Deutschland sicher sein, dass der einzige verbliebene Verbündete – Österreich-Ungarn – mit vollem Einsatz mitkämpfen würde. Ob das nochmal eintreten würde, ehe sich 2017 der vermutete Zeitfenster für den Präventivkrieg schloss, war ja nicht abzusehen.

MfG
 
Offensivkrieg nach Schlieffenplan
wobei dieser offensive Plan interessanterweise einen gehörigen Respekt vor den französischen Defensivstellungen (eiserner Riegel) aufweist und zu seiner (zunächst hypothetischen) Durchführung selber immense Defensivbereiche (Festungen Metz, Diedenhofen, KW II & Straßburg und besonders Mainz/Selztalstellung) benötigt.
...dass man sich später dann am eisernen Riegel festbiss (Verdun), will irgendwie nicht ins Befolgen dieses Plans hineinpassen.
 
1916 sollte die französische Armee gemäß den Intentionen des deutschen Generalstabchefs Falkenhayn bei Verdun verbluten. Verdun sollte als "Blutmühle" dienen.
 
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