(muss aus techischen Gründen in zwei Teile aufgeteilt werden)
Entscheidend war, das die Militärkonvention einen defensiven Charakter hatte. Wenn Russland alleine gegen Österreich-Ungarn wegen der andauerenden Balkanstreitigkeiten marschiert wäre, wäre Frankreich also zu nichts verpflichtet gewesen...
Manchmal habe ich den Eindruck, ich lese politisch unkorrekte Autoren. Aber den "Neitzel" habt Ihr mir doch selbst empfohlen? Darf man den zitieren? "Kriegsausbruch. Deutschlands Weg in die Katastrophe 1900-1914" (2002), S. 150:
"Der französische Generalstabschef Joffre erhielt damit (dem Dienstpflichtgesetz, H.) endlich die Kapazitäten, die er zur Verwirklichung seines offensiven "Plans XVII" benötigte. Dieser trat nach zwei Jahren Vorbereitung im Februar 1914 in Kraft und setzte ganz auf den Primat der Offensive. Seit August 1911 hatten die Generalstäbe in Paris und St. Petersburg an einer gemeinsamen Kriegsstrategie gearbeitet, die im September 1913 ihre endgültige Form erhielt und die bislang defensiv ausgerichtete Zweierallianz, analog zum deutsch-österreichischen Zweibund, in ein Offensivbündnis umwandelte."
So konnte das Zarenreich beispielsweise bequem in Persien "zur Sache" gehen. Auch in China legte man sich keine große Hemmungen auf.
Es geht um die Phase ab 1907. Hier wären ein paar Einzelheiten erwünscht.
(1)Woran GB interessiert war, war primär der Erhalt seines Empire. (2)Dazu musste insbesondere die russische Bedrohung von Indien genommen werden. (3)GB befand sich wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast, auch gegenüber D, und musste sich was einfallen lassen. (4)Es war also am Zusammenprall der Interessen Ds und Rs auf dem Balkan interessiert. (5)Was nicht notwendigerweise Krieg bedeuten musste, aber sehr wohl konnte.
Das scheint, aus meiner Sicht, der bisher wichtigste Punkt in Deinen Ausführungen zu sein, weil es für mich persönlich Deine restlichen Ausführungen endlich erklärt.
Eine ausgesprochen gewagte These, wie ich meine, für die sicherlich auch Literatur, Quellen bzw. Dokumente vorhanden sind, um ein wenig Deiner eigenen Forderung nachzukommen, oder gehört diese These in den Bereich Deiner Interpretation?
Punkt Interpretation: Ich habe 5 Sätze geschrieben (sieher Nummerierung oben). Jedem kann man prinzipiell etwas entgegnen. Silesia zweifelt beispielsweise an Nr. 3, darauf gehe ich unten noch mal ein. Eingangs der Diskussion habe ich schon die These vertreten, dass die Großmächte D, GB und R daran interessiert waren, sich gegenseitig auszuspielen. Das ist bei der damaligen Politik auch absolut logisch. Finde ich zumindest. Daraus ergibt sich beispielsweise Satz 4 automatisch.
Punkt Literatur: Ich habe schon oben gesagt, ich zweifle an der politischen Korrektheit meiner Quellen. Da ich nicht gern in die rechtskonservartive Ecke gedrängt werden möchte, bin ich gern bereit, das hier nicht weiter zu vertiefen, schlagen werde ich mich für diese Thesen jedenfalls nicht. Silesia erwähnt öfter "die deutsche Kriegsschuldliteratur der 1920er." Was ich habe, ist durchaus neueren Datums. Ich habe Silesia PMs geschickt, und ihn um eine Einschätzung gebeten. Leider hat er (noch) nicht geantwortet.
Weiterhin möchte ich betonen, dass auch die Buchautoren interpretieren.
Ich sehe nicht, wie und vor allem warum das Deutsche Reich einen Krieg zwischen Japan und Russland hätte herbeiführen wollen. Zum einen ist das Risiko der Aufdeckung groß und würde mehr schaden als eventuell gewonnen werden könnte. Zum anderen waren viele Gegensätze zwischen den Großmächten klar und brauchten kaum der Mitwirkung der Reichsregierung. ... Daher kann ich kein herbeiführen erkennen, wohl aber ein "wir hätten nichts dagegen und wollen daraus Vorteile holen".
A) meinem Verständnis nach belegt Silesia das Mitwirken am "Herbeiführen" im Eingang des Threads
B) ist der von Dir befürchtete Schaden ja auch tatsächlich eingetreten. Die deutsche Politik hat damals nicht sehr klug gehandelt, darüber besteht hier wohl weitestgehende Einigkeit.
Und einmal ganz allgemein: Die poltische, diplomatische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschichte des Kaiserreichs ist wirklich hervorragend erforscht, so das hier kaum Raum für Interpretationen ist.
Meiner Einschätzung nach ist gerade in einem Diskussionsforum Raum für Interpretationen. Elektronisch gespeicherte Diskussionsbeiträge kann man zwar nicht wirklich verbrennen, man kann aber unangenehme Intoleranz durchblicken lassen.
Ach das ist aber Schade (dass für Interpretationen nach Turgot "kaum Raum" ist, H.), denn micht hätte doch dringend interessiert, wie der Krieg oder Kriegsbeginn verlaufen wäre, wenn z.B. die Detachierte Division...
Interpretationen historischer Sachverhalte und "what if" sind zwei paar Stiefel. "What if" haben wir auch schon anderweitig gespielt. In einem passenden neuen Thread zum Ersten Weltkrieg kannst Du bestimmt entsprechende Überlegungen anstoßen.
Belege bitte. (für meine Behauptung, effektive Unterstützung für R durch D war 1905 nicht drin, H.)
Es ist doch bekannt, dass Deutschland sich darauf beschränkt hat, mittels eigener Handelsschiffe die russische Flotte mit Brennstoff zu versorgen. Die deutsche Flotte war für eine Auseinandersetzung im Pazifik sicher nicht verwendbar, sagst Du unten doch selbst. Der Gedanke an den Einsatz deutscher Bodentruppen in der Mandschurei hat etwas Absurdes. Was Deutschland hätte sonst noch tun können, weiß ich auch nicht.
Diese Tatsachen waren natürlich auch den Briten bekannt. Das Deutsche Reich wollte mit Hilfe der Flotte seinm Anspruch auf Weltmacht nachdrücklich geltend machen.Zum Status einer Weltmach gehörten im Zeitalter des Imperialismus u.a.Kolonien und über das größte Kolonialreich gebot Großbritannien.
Stimmt.
Nach Lage der Dingen konnte dieser deutsche Anspruch nur zu Lasten der anderen Weltmächte, hier eben Großbritannien, gehen. Großbritannien war aber eben nicht bereit so ohne weiteres das Feld zu räumen. Lesen wir hierzu einmal Auszüge aus Bülows Reichtstagrede vom 06.12.1897:
"Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde übeließ, dem anderen das Meer und sich selbst den Himmel reservierte, wo die reine Doktrin thron, diese Zeiten sind vorüber." (1)
Das ist doch eine sehr deutliche Aussage.
Und nicht zu vergessen, die deutsche Schlachtschifflotte wurde von Tirpitz so konzipiert, das sie die Entscheidungsschlacht gegen die Royal Navy in der Deutschen Bucht schlagen konnte und sollte. Der Aktionsradius reichte auch nicht wesentlich weiter.
Ja, klar. Das lief zwar so, aber hat es unbedingt so laufen müssen? Ausführlicher unten zu Silesia.
Die Frage ist falsch gestellt. Sie muss lauten, sollte sich Großbritannien als Weltmacht von dem Newcomer Deutschland so herausfordern lassen? Die Antwort kennst du. Und im Zeitalter des Imperialismus hatte eben Land A höchstens das theoretische Recht so viele Kriegsschiffe zu bauen wie Land B. Und wenn land B das nicht gefällt, wird die Flotte von Land A auch schon mal versenkt, so lange sie nicht fertig und somit keine Bedrohung darstellt. Auswärtige Politik hat damals ganz anders funktioniert als heute. Auswärtige Politik war u.a. auch knallharte Machtpolitik.
Und eben diese Art der Politik führt direkt in den Ersten Weltkrieg. Wenn man sich fragt, wie der hätte vermieden werden können, muss man sich Alternativen zu den eingeschlagenen Wegen vorstellen. Und sich beispielsweise fragen, ob ein "vernünftiger deutscher Imperialismus" denkbar gewesen wäre. Und ob die anderen großen Mächte nicht vielleicht besser daran getan hätten, Deutschland zu ihnen aufrücken zu lassen.
"GB hätte sich ..." Das GB gibt es nicht.
Bereits der Hinweis ist aufgrund der Regierungswechsel problematisch. 1906/1909 fuhr man eine Politik zugunsten der Sozialausgaben, bis man in der Öffentlichkeit realisierte, in Rückstand zu geraten.
Generell differenzierst Du zuviel. Natürlich gab (und gibt) es
das GB. Außerhalb irgendwelcher revolutionärer Randfiguren gilt die Staatsräson für die gesamte politische Klasse. Nur die Gewichtungen können sich natürlich verschieben.
Es gab britischerseits zwei koloniale/imperialistische Interessenausgleiche sowie ein anti-russisches Bündnis mit Japan. Wenn man in Deutschland die These vertrat, sie seien gegen das Deutsche Reich gerichtet, ist dies dem Umstand geschuldet, dass man deutscherseits nun nicht mehr wie zu Bismarcks Zeiten von Friktionen zwischen den anderen Mächten leben und damit für die Durchsetzung eigener Interessen spielen konnte.
Die deutsche Kriegsschuldliteratur der 1920er hat sich dann intensiv und erfolglos damit beschäftigt, den Briten 1904/1907 antideutsche Bündnisse zu unterstellen.
Diese Interessenausgleiche zogen militärische Kooperationen nach sich. Das ist belegbar, und ich hatte angenommen, das wäre allgemeiner Stand der Kenntnis. In der Folge wirkten die Interessenausgleiche gegen Deutschland, und waren zumindest von Fraktionen innerhalb der britischen Politik auch so angelegt bzw. verwendet.
Eine Korrektur: dass die deutsche Flottenrüstung gegen Großbritannien gerichtet war, daran herrschte in Großbritannien seit dem ersten Flottengesetz 1898 nicht der leiseste Zweifel, auch wenn die "Nordsee" zunächst nicht einmal im Fokus stand (das ist eher eine Entwicklung nach 1904). In den DFBP-Akten sind übrigens haufenweise Analysen zu finden, die sich mit der Stützpunktfrage und der britischen Gegenpolitik gegen deutsche Optionen auf solche (Kanal-Westafrika-Kap-Ostafrika) zu finden.
Das ist falsch (ich sagte: der Schlachtflottenbau konnte GB nie wirklich gefährden.), weil der Ausgang nicht nur vom deutsch-britischen Rüstungswettlauf abhängt, sondern auch von der weiteren politischen Großwetterlage. 1914 im Zuge der letzten britisch-russischen Gespräche herrschte Aufregung über die russischen Rüstungsprogramme auf britischer Seite, und die Perspektive eines dt.-russischen Bündnisses. 1912 waren jedenfalls die Verhältnisse noch so eng gewesen, dass man sich - einmaliger Vorgang! - quasi aus dem Mittelmeer flottenseitig zurückzog. Der kürzeste Seeweg nach Indien war damit der französischen Flotte überlassen, ein ungeheuerlicher Vorgang für die britische Politik. Das zeigt bereits, wie diese Nordsee-Flottenrüstung Großbritannien regelrecht an die Seite Frankreichs quetschte.
Aber er war lästig. Das Wettrüsten verschlang Geldmittel und zwang die Briten den Großteil ihrer Flotte in den Nordsee zu konzentrieren. Und außerdem - nicht zu unterschätzen - der verbissene Versuch die brit. Flotte zu überflügeln machte ja die Intention der Deutschen, irgendwie am brit. Thron zu sägen, überaus deutlich.
Deutschland wollte um die Weltmachtrolle rivalisieren, soviel ist klar. Dass man dazu eine große Flotte brauchte, stellte man sich eben vor. Dass man damit Großbritannien herausforderte, hätte man sich denken können. Dass sich Großbritannien aber wirklich herausfordern ließ, war Großbritanniens Entscheidung. Ich habe ja selbst schon "what if" gespielt und behauptet, eine effektive Herausforderung Großbritanniens wäre nur durch ein deutsch-russisches Bündnis, auch flottenbauseitig, möglich gewesen. Das stand aber nie wirklich zur Debatte, gerade nach 1905 nicht mehr und 1914 gleich zweimal nicht, und das hätte britischerseits bekannt sein müssen. Entsprechende "Aufregungen" würde ich also entweder als Mega-Phobie oder als Intrige einschätzen.
Soweit ich weiß, gab es nie deutsche Pläne, "am britischen Thron zu sägen" (vorbehaltlich irgendwelcher rein militärischer Planspiele, die mir nicht bekannt sind). Die deutsche Flotte sollte also Großbritannien nicht gefährden, wenigstens nicht Großbritanniens Existenz, höchstens Großbritanniens maritimen Führungsanspruch. Die deutsche Flotte konnte Großbritannien auch nicht gefährden, weil deutscherseits die nötigen Baukapazitäten nicht vorhanden war und nach den Entwicklungen um 1910 auch nicht zu erwarten war, dass sie geschaffen würden. Diese Überlegungen hätten in GB bekannt sein und in die politischen Überlegungen mit einfließen können.
Die weitestgehende Räumung des Mittelmeeres durch die britische Flotte geschah m.e. nicht unter dem Zwang einer Bedrohung, sondern weil infolge der fortgeschrittenen Bündnissituation mit F Großbritannien sich schlicht diese Möglichkeit der Kräftekonzentration eröffnete.
(2. Teil folgt)