Die Fürsten lebten im Luxus, die Bauern mussten darben!

Mir ging es auch nicht darum, ob der Zugang zur Kunst grundsätzlich möglich war, sondern WER es sich überhaupt leisten konnte, wenn z.B. die salzsteuer allein schon so hoch war, dass Menschen verhungerten.
Welches "Leisten" meinst Du?

Kunst ist auch etwas breit gefächertes. Ich denke da z.B. an religiöse Volkskunst. (Sehe ich immer mal auf BR in "Kunst und Krempel".) Der Bauer ging natürlich nicht in die Oper in der Großstadt oder das war zumindest eine Ausnahme. Der Bauer ging überhaupt nur selten aus seinem üblichen Wirkungskreis raus. Was tolles war es, wenn er mal zum Lehnseid gehen durfte, den er z.B. als Untertan im Markgräfler Land (bei mir in der Ecke) dem badischen Markgraf in Müllheim leistete. Bei solchen Gelegenheiten ging es natürlich hoch her. Diese Feste hatten ihre eigene Kultur.
 
Ich muss mal für den armen alten Nietzsche in die Bresche springen, sorry :eek:fftopic:

Ja, Nietzsche hat auch gesagt, "wenn du zum Weibe gehst, nimm die Peitsche mit". :motz:

Man hat ja allen und allem gegenüber so seine Vorurteile. Warum auch nicht gegenüber Philosophen? Kant war ein verknöcherter Pedant, Hegel ein wüster Trinker, Schopenhauer ein Griesgram, ja und Nietzsche ein Frauenfeind und Faschist. Wer so über ihn denkt, plappert nur nach, was er vom Hörensagen kennt. Was dem Laien zu Nietzsche als erstes einfällt, ist der Spruch: „Wenn zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht.“ Dieses Zitat ist, wenn auch wörtlich anders lautend, zwar belegt, es kommt in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ vor.
Aber: was die wenigsten wissen, ist, dass dieser Satz ironisch gemeint ist und eine Kritik darstellt an dem repressiven Geschlechterverhältnis seiner Zeit.

Philosophie- Blog: Nietzsche, die Peitsche und das Weib - Ein philosophisches Missverstndnis
 
Aber es stimmt schon, dass Opern für ein breiteres Publikum gedacht waren. Wenn man sich alte Opernhäuser mal genauer ansieht, dann weiß man, dass unten im Parkett eben die "unteren Schichten" saßen - oder manchmal sogar standen, wenn ich mich nicht irre - während die Höherrangigen ihre Logen im oberen Stockwerk hatten.
Friedrich II. saß zum Beispiel direkt bei der Bühne, wenn ich mich richtig entsinne und im Parkett. Es gab immer wieder andere Formen. Klar lagen die Fürstenlogen und derlei wie in Ludwigsburg oder in Bayreuth gegenüber der Bühne in exponierter und signifikanter Lage, aber auch, dass das Parkett vom Hochadel und den Führenden ihrer Zeit und auch mit Stühlen eingenommen wurde, kam vor.
 
Welches "Leisten" meinst Du?
Ich frage mich ganz einfach, Wer sich den Eintritt leisten konnte. In die unteren Ränge setzten sich dann halt die Bänker, Geschäftsleute, Ärzte, Professoren, Gelehrten usw. eben das gehobene Bürgertum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Bauer, Pächter, Dienstbote, eine Waschfrau, ein Schuster, eine einfache Marktfrau etc.pp sich die Karten leisten konnte, ausser es gab den sogenannten "Tag der offenen Tür".

Erzählt mir bitte nicht, dass alle, alle in die Oper gingen oder Ausstellungen besuchen konnten, wenn sich viele die Schuhe an den Füssen kaum leisten konnten.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
So, und jetzt verstoße ich mal bewusst gegen die Regeln. Meine Modkollegen mögen mich bitte bei Bedarf züchtigen.

Wer von den Leuten, die heutzutage in bestimmten Vierteln leben, sei es in Deutschland oder in einem anderen Land, kann sich Karten für ein Philharmoniekonzert leisten, ohne dafür in einem anderen Bereich des täglichen Lebens Abstriche hinnehmen zu müssen. Das ist ein Grundsatzproblem, das Du hier zu diskutieren beginnst. Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch zieht es sich schon, dass es arme Menschen und reiche Menschen gibt. So what? Man kann gern versuchen, diese Kluft in irgend einer Weise zu überwinden bzw. den Wohlstand für alle zu heben. Engagiere Dich doch bei Attac oder sonst was, aber hör endlich auf, Mitglieder der frühneuzeitlichen Oberschicht als Monster hinzustellen.

"Ich wäre erstickt, wenn ich dieses nicht gesagt hätte." Die gute alte Liselotte, auch so eine gewissenlose Aristokratin.
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Ich frage mich ganz einfach, Wer sich den Eintritt leisten konnte. In die unteren Ränge setzten sich dann halt die Bänker, Geschäftsleute, Ärzte, Professoren, Gelehrten usw. eben das gehobene Bürgertum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Bauer, Pächter, Dienstbote etc.pp sich die Karten leisten konnte, ausser es gab den sogenannten "Tag der offenen Tür".

2.
Erzählt mir bitte nicht, dass alle, alle in die Oper gingen oder Ausstellungen besuchen konnten, wenn sich viele die Schuhe an den Füssen kaum leisten konnten.
1.
Zu den Bauern hatte ich schon was gesagt.

Zu den Dienstboten würde ich mal nachschlagen. Die hatten sicherlich eher das Problem des Mangels an Zeit schlichtweg. Freizeit hatten die allermeisten Dienstboten am ehesten wenn die Herrschaft verreist war und sie nicht mitnahm oder Sonntags, wenn die Herrschaft zur Kirche oder dergleichen außer Haus war.

2.
Was zu den Ausstellung könnte ich auch noch schreiben, aber das überlasse ich mal anderen. Ist ein umfangreiches Thema...
 
Zu den Dienstboten würde ich mal nachschlagen. Die hatten sicherlich eher das Problem des Mangels an Zeit schlichtweg. Freizeit hatten die allermeisten Dienstboten am ehesten wenn die Herrschaft verreist war und sie nicht mitnahm oder Sonntags, wenn die Herrschaft zur Kirche oder dergleichen außer Haus war.


Hach, wie konnten die Herrschaften nur mit ihrem Gewissen leben, wenn die Dienstboten so viel arbeiten mussten. :rolleyes:
 
Ist sowas von OT, aber auch nicht....

Als die Industriealisierung begann, so in den 1830er Jahren, da hatte zB Krupp ein Riesenproblem zu einem Arbeiterstamm zu kommen.
Die Fluktuation war riesig.
Ich müsste es nachlesen, aber ich glaub um die 40% pro Jahr.

Die Leute haben das regelmäßige tägliche Arbeiten nicht ausgehalten!
Hat die Menschheit auch nie vorher gemacht.

Es könnte sein, dass so ein "darbender Bauer" des 18. Jahrhunderts uns Jetztmenschen in unserer täglichen Sklavenarbeit zutiefst bedauern würde.:weinen:

Wenn man so Klischees näher betrachtet sieht manches ganz anders aus.
 
Dann mach ich mal ein bisschen O.T. (aber auch nicht) ;) weiter - einiges in dieser Diskussion würde wohl hierher

http://www.geschichtsforum.de/f72/der-wert-von-kultur-3255/index17.html

ganz gut passen.

Was mich im Zusammenhang mit einigen Beiträgen hier interessiert, wäre die Frage, ob Kunst und Kultur in der Vergangenheit wirklich nur den Wohlhabenden vorbehalten war. Ich würde sagen, nicht in jedem Fall.

Angenehm überrascht war ich jedenfalls, im Cover einer Musik-CD Folgendes zu lesen:

"Die englischen Town-Hall-Orgeln erfüllten um die Jahrhundertwende eine zentrale kulturelle Funktion. Der Großteil der britischen Bevölkerung konnte sich damals den kostspieligen Besuch von Konzert- oder Theateraufführungen in den mit professionellen Sinfonieorchestern ausgestatteten Konzerthäusern der Metropolen nicht leisten. Die Volksmassen strömten stattdessen in die Town Halls, um dort das gängige Repertoire von Haydn bis Wagner in effektvollen Arrangements auf der Orgel zu hören."

("Die Town Hall Organ - 1919/29 - zu Dunedin, Neuseeland, Chronik, Instrument" von "Norma's Beauty The Fantastic Sound of a Town Hall Organ" - Musik CD)

Überrascht war ich schon. Denn da mir ein Anrecht in der Philharmonie zu teuer ist, gehe ich schon seit längerer Zeit gelegentlich zu Orgelkonzerten. Anfangs durchaus aus pragmatischen Gründen, weil ich da eben zu einem erschwinglichen Eintritt gute Musik hören kann. Inzwischen bin ich zu einer Liebhaberin dieser Musik geworden: nichts geht mir über das Spiel eines guten Organisten in einer Kirche mit guter Akustik.
 
Wer ist denn tatsächlich in die Oper gegangen oder in Ausstellungen? Das Bürgertum und der Adel. Für das gemeine Volk, das gemäss Einkommen&Steuern die höchste Last zu tragen hatte, gab es die billigen Vergnügungen.


was ist denn das "gemeine Volk" und "billige Vergnügungen" ?

Lukretia hat das ja schon angesprochen, das Problem ist so alt wie die Welt.
Das sogenannte "gemeine Volk" das Heute durchaus die Möglichkeit hätte in die Oper zu gehen - tut dies nicht, weil es sie nicht interessiert, sie lesen nichts, obwohl Bibliotheken für jeden frei zugänglich sind, sie gehen nicht ins Theater usw.
Sie lassen sich von "billigen Vergnügungen" aus der Klotze und der B. Zeitung berieseln.
Ist das ein Fortschritt ?

ich lebe von Bafög und leiste mir trotzdem Oper, Theater und Ausstellungen.


Aus dem sogenannten gemeinen Volk stammen fast alles Künstler, auch damals. Fast alle großen Künstler Personen unter Louis XIV stammen aus einfachsten Verhältnissen oder aus bereits existierenden Künstlerfamilien.

Man denke nur an Lully, geboren als Sohn eines Müllers, seine ersten Berufe Küchenjunge und Dollmetscher (was merkwürdige Rückschlüsse auf die angebliche nichtvorhandene Bildung der Bevölkerung aufwirft)

der alte Mansart, war eines von vielen Kindern eines Zimmermanns.

Colbert der Sohn eines Tuchhändlers usw.

ich kenne kaum einen Künstler der von Adel gewesen wäre.

viele Komponisten stammen aus ganz einfachen Verhältnissen, andere Künstler wie Moliere oder Le Brun entstammen Händler oder Künstlerfamilien.
Die Künstler entstammen aus allen Schichten der Gesellschaft, genau wie Heute und das wird auch immer so bleiben.

Letztlich ist einzig ihr Talent von Bedeutung. Wäre es so, dass diese Ausbildung nur von reichen Familien bezahlt werden könnte, dann gäbe es 90 % der Kunst die man Heute noch bewundert einfach nicht.

Ohne Zweifel war er auch nötig einen Mäzen oder Gönner zu haben, aber das ist ebenfalls Heute nicht anders.


Zur Zeit wird die Arbeitsweise der Kunstakademie in Paris zur Zeit Louis XIII und Louis XIV wissenschaftlich erforscht - und man kam jetzt schon zu atemberaubenden Ergebnissen, die jegliche Klischeevorstellungen von den alten Akademien in den Staub traten:
Denn das damalige Akademieleben, unterschied sich kaum von dem heutigen Alltag an einer Kunstakademie.
Es war eine Plattform, an die jeder aufgenommen werden konnte, der über das nötige Talent verfügte (Aufnahmeprüfung).
Wenn dies geschah, wurde er automatisch finanziell unterstützt, denn der Staat hatte ein großes Interesse daran gute Künstler heranzuziehen.
Es wurde diskutiert und über künstlerische Positionen gestritten.
Ein Unterschied zu Heute, für jeden Studenten waren 2 Stunden tägliches Aktzeichnen Pflicht.
Außerdem wurden theoretischen Schriften studiert, das besuchen von Vorlesungen und eventuelle Bildungsreisen waren ebenfalls Bestandteil des Studiums.

Das gleiche gab es dann unter Louis XIV auch für Musik und Tanz.



Wenn also 90 % der Menschen im Schlamm nach Essen gewühlt haben, woher kommen dann all die Maler, Bildhauer, Poeten und Schriftsteller, Philosophen, Komponisten und Musiker, Dekorateure, Modeschöpfer Friseure, Goldschmiede usw.

Ich denke hier wird eine Epoche völlig falsch eingeschätzt.


Was die Steuern betrifft, so bist Du schlecht informiert.
Unter Louis XIV war das wichtigste Bestreben, die Steuern für die ärmeren Bevölkerungsschichten so niedrig wie möglich zu halten.
Sowie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Entmachtung des Adels.

Kriege haben dieses Vorhaben immer wieder unterbrochen, das streite ich nicht ab - aber eben die Kriege sind es gewesen, die jeden Staat haben ausbluten lassen, niemals die Hofhaltung und die Förderung von Kultur!

Frankreich wurde durch den Export seiner Kunst reich.

Zum Ende des 18. Jahrhunderts war der frz. Staat in der Tat nicht mehr auf der Höhe der Zeit, die enormen Schulden lagen eben auch hier nicht an der Hofhaltung, sondern an dem äußert kostspieligen Krieg in Amerika.
Denn Amerika bezahlte nun mal seine Kriegsschulden nicht.


Was die Sitzverteilung der Opernhäuser betrifft wurde ja schon einiges gesagt.
In der normalen Oper gab es natürlich unterschiede wer wo seine Plätze hatte.

Das Parkett war damals noch nicht "bestuhlt", d.h. da gab es nur Stehplätze, eben für normale Bevölkerung und die Karten waren deshalb für jeden erschwinglich.
Soldaten hatten sogar freien Eintritt.
Anders in den Hofopern, da war das Parkett natürlich für den Hof entsprechend bestuhlt.
Aber in den öffentlichen Opernhäusern ging es sowieso hoch her, da gingen während der Vorstellung die Bauchladen und Salamiverkäufer durch die Reihen.
In den Logen wurde gespielt und gespeist (und auch diverse andere Dinge auf die ich nicht näher eingehe)

Es gab auch Theater, die ausschließlich vom Volk genutzt wurden.
Man denke nur mal an das Freihaustheater in Wien, wo die Trias

Der Stein der Weisen - die Zauberflöte - der Spiegel von Arkadien

gegeben wurde. (alle Geschichten basieren auf der Märchensammlung Dschinnistan von C.M. Wieland)
Das war Musiktheater ausschließlich fürs Volk.
Und ähnliche Einrichtungen gab es auch schon im 17. jahrhundert in allen großen Städten, Moliere schrieb seine Komödien zuerst nicht für den erlauchten Kreis um den König.


Die Opernhäuser waren auch keinesfalls einheitlich gebaut worden.
Je nach Vorliebe des Bauherrn gab es, wie Brissotin schon schrieb, Fürstenlogen, oder eben nicht.
Manche Theater hatten ein ansteigendes Parkett, andere wieder nicht.


Die Ränge, bzw. Logen konnte man mieten und waren den Leuten mit Geld vorbehalten, in Venedig waren Logen sogar vererbbar und somit auch eine Art von Statussymbol.

Außerdem ist musikgeschichtlich belegt, wie der Geschmack der Bevölkerung das Wesen der Oper mit der Zeit veränderte.
Die ersten Opern von Peri, die allein einem adligen Kreis vorbehalten waren, sind völlig anders in ihrer Gestalt, als die späteren populären Werke von Monteverdi, Rossi, Cavalli oder Cesti.
Und das lag ausschließlich an den Erwartungen des Publikums, die eben mehr Arien, mehr Musik haben wollten.
Im Grunde ist die Da Capo Arie eine Erfindung des gemeinen Volks.


In London gab es öffentliche Konzerte in Vauxhall Gardens, da wurde in einem Pavillon gespielt, während die Bevölkerung Londons in dem Park promenierte.
In Pais wurde das „Concert Spirituel“ gegründet, wo man italienische Concerti und frz. Grands Motets spielte, später auch Symphonien.

Das Kulturleben des 17. und 18. Jahrhunderts war keinesfalls einem elitären Kreis vorbehalten – davon hätte kein Künstler leben können.



Das ein Bauer aus der Provence nicht nach Paris fährt um eine Oper anzusehen, ist klar, der wird nicht mal wissen, was eine Oper ist.
Aber ich warne davor den Rand einer Gesellschaft als Indikator für eine ganze Epoche heranzuziehen.
Denn dann sieht unsere Zeit ebenfalls nicht viel besser aus.


Edit:

ich will keinesfalls den Eindruck erwecken, dass damals alles besser war - das ist Blödsinn.
Mir geht es nur darum, eine Epoche nicht an falschen Klischees abzustrafen, sondern sich objektiv mit der Sache zu befassen.
Ganz objektiv kann ich natürlich auch nicht sein, wer kann das schon.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu "Fürsten im Luxus, Bauern darben

Sorry, ich hatte mich abgemeldet, aber eines kann und will ich nicht auf mir sitzen lassen, nämlich so liebe Antworten, wie ich hätte nicht recherchiert, und natürlich kam Jedermann in den Genuss von Kunst und Opern.

Ich habe und kenne nämlich eine Aufstellung über eine Diskussion aus dem Jahre 1849, ob 3 Taler, 7 Silbergroschen, die ein Arbeiter erhielt eine ausreichende Bezahlung waren, um sein Leben und Auskommen zu sichern. Arbeitgeber fanden damals jedenfalls, das wäre mehr als genug ...
Dem gegegenüber gestellt waren die Kosten.
Historisches Zentrum Wuppertal

Sorry, irgendwie klappt es mit dem Link nicht. Also hier ein Auszug der Seite:

SOZIALGESCHICHTE
LEBENHALTUNGSKOSTEN - PREISE - LÖHNE
Im Februar 1849 berichtete das Elberfelder Kreisblatt von einer Debatte in einem der politischen Klubs in Elberfeld über die Lebenshaltungskosten einer Wuppertaler Arbeiterfamilie. Einer der Redner hatte die Behauptung aufgestellt, dass der Wochenlohn von 3 Tlr. 7 Sgr. wie er seinerzeit von mehreren bedeutenden Unternehmen Elberfelds gezahlt wurde, einen sehr guten Verdienst für einen Arbeiter darstelle. Dem wurde die nebenstehende Berechnung "der notdürftigsten Gegenstände, welche eine Haushaltung von fünf Personen zukommen", entgegengehalten.
In jener Berechnung folgen dann die Angaben über benötigtes Schuhwerk und Bekleidung. Jedem Familienmitglied wurden pro Jahr zwei Paar Schuhe und zwei Hemden zugestanden, darüber hinaus noch für die gesamte Familie zwei Bettlaken und vier Handtücher pro Jahr, was auf die einzelne Woche umgerechnet ungefähr 12 Sgr. 2 Pfg. gekostet haben soll. Zusammen mit den oben angeführten Kosten ergibt das eine Summe von 4 Tlr. 4 Sgr., die zur Deckung des wöchentlichen Bedarfs notwendig erschien. Dieser Betrag war bestimmt zu niedrig angesetzt. Vergessen wurden bei der Berechnung u. a. die Ausgaben für Jacken, Kleider, Hosen, Strohsäcke und andere Einrichtungsgegenstände, für Bier, Schnaps und Tabak sowie für ärztliche Behandlung. 4 Tlr. 4 Sgr. stellten mithin das Minimum an Lebenshaltungskosten dar. Ein Verdienst von 3Tlr. 7 Sgr. liegt aber um über 20% unter diesem Minimum, und dieser Betrag wurde als guter Wochenlohn bezeichnet. Wie konnte dann eine Arbeiterfamilie mit normalem Wochenlohn überleben, zumal wenn bei Wirtschaftskrisen die Löhne sanken, oder wenn nach Missernten die Preise für die Lebensmittel anstiegen? Die einzige Möglichkeit bestand darin, dass Frau und Kinder mitarbeiteten, um das Familieneinkommen zu verbessern - vorausgesetzt, dass sie Arbeit fanden.
Setzt man die heutige durchschnittliche Wochenarbeitszeit unter Berücksichtigung von Urlaubs- und Feiertagen mit 35 Stunden und die Wochenarbeitszeit Mitte des vergangenen Jahrhunderts mit 80 Stunden an, so ergibt sich, dass ein Arbeitnehmer heute ca. 9 1/2 Stunden, ein Arbeiter um 1849 aber 49 Stunden arbeiten musste, um eine Familie eine Woche lang ernähren zu können.
Schwarzbrot und Kartoffeln bildeten die Grundlage der Ernährung des größten Teils der Wuppertaler Bevölkerung in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Umso schwerer muss es einen Arbeiterhaushalt getroffen haben, wenn gerade die Preise für Kartoffeln und Brot stiegen. Neben naturbedingten Preisschwankungen lässt sich noch ein anderes Phänomen beobachten. Da die Böden im bergischen Industriegebiet relativ schlecht sind, konnte schon im 18. Jahrhundert die heimische Landwirtschaft die Ernährung der Wuppertaler Bevölkerung nicht mehr sicherstellen, und je höher die Einwohnerzahl der Wupperstädte stieg, umso größere Mengen mussten aus immer weiter entfernteren Gegenden importiert werden. Durch die hohen Transportkosten auf den schlechten Straßen und Wegen erhöhten sich nicht nur die Preise fortlaufend, auch reagierte der Wuppertaler Markt auf jede Änderung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage in den Nachbarländern.
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich bis 1775 die Lebenshaltungskosten um mehr als 60% erhöht, seit Anfang des Jahrhunderts hatten sie sich mindestens verdoppelt. Schon in der Epoche vor der Industriellen Revolution sind also im Wuppertal gewaltige Preissteigerungen zu verzeichnen, die nicht auf niedrige Ernteerträge, sondern auf Strukturveränderungen im hiesigen Gewerbegebiet zurückzuführen sind. So hoch wie hier waren die Preise nirgends im ganzen Herzogtum Berg und weit darüber hinaus.
Die Löhne betreffend sind nur wenige Daten überliefert; ihnen zufolge müssen aber nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne im Wuppertal relativ hoch gewesen sein. Ein Wuppertaler Bleicherknecht verdiente ungefähr ein Fünftel mehr als ein Vertreter des gleichen Gewerbes im Raum Bielefeld. Das hohe Lohnniveau im Wuppertal ändert aber nichts an der Tatsache, dass hier wie überall in Mitteleuropa die Reallöhne im 18. Jahrhundert sanken, besonders in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.
Die Preise aber sollten noch weiter steigen. Das hohe Preisniveau zwischen 1789 und 1818 hat seine Gründe nicht nur in den gelegentlichen Missernten und anschließenden Teuerungswellen (1794/95 und 1816/17), sondern auch in der politischen Lage (Koalitionskriege gegen Frankreich, Napoleonische Kriege, Befreiungskriege). Besonders gravierend aber war der Umstand, dass der linke Niederrhein, die Kornkammer des Bergischen Landes, von Frankreich besetzt wurde und die Ausfuhr von Getreide durch hohe Zölle sehr erschwert wurde.
Ihre traurigen Höhepunkte erreichte die dreißigjährige Krise in den Jahren 1795 und 1817 mit Roggenpreisen, die im Jahresdurchschnitt über 19 Rtlr. pro Malter lagen. Auf dem Höhepunkt der Teuerungswelle von 1817 hätte ein Arbeiter 47 Stunden arbeiten müssen, nur um den Brotbedarf seiner Familie decken zu können. Für die benötigten 14 kg Kartoffeln hätte er weitere 32 Stunden arbeiten müssen, d. h. der gesamte Lohn für eine 80-Stundenwoche musste allein für den Erwerb der beiden Grundnahrungsmittel aufgewendet werden.
Nach 1819 entspannte sich die Lage zusehends. Nach den Rekordernten von 1823 und 1824 sank der Roggenpreis sogar unter das Niveau von 1777, und der Kartoffelpreis fiel auf ein Achtel desjenigen vom Juni 1817. Zum ersten Mal seit fast fünfzig Jahren konnte sich der größte Teil der Menschen satt essen. Aber trotz niedrigster Preise musste in Elberfeld immer noch ein Zehntel der Bevölkerung von der öffentlichen Armenpflege unterstützt werden.
Diese niedrigen Preise stellten während des ganzen Zeitraums bis 1850 die Ausnahme dar. Schon Ende der zwanziger Jahre lagen die Preise für die Grundnahrungsmittel auf dem normal hohen Niveau, und bis zur Mitte des Jahrhunderts zeigten sie eine steigende Tendenz.
Anders als im Zeitraum 1775 bis 1817, in dem trotz gewaltiger Preissteigerungen keine Lohnerhöhung zu verzeichnen war, müssen die Löhne mit dem Wirtschaftsaufschwung nach 1819 erstmals beträchtlich angezogen haben. Aber in den dreißiger und vierziger Jahren scheinen die Löhne wieder gefallen zu sein und erreichten ihren Tiefpunkt auf dem Höhepunkt der Krise von 1843 - 48. Nach dem Ende dieser Krise zahlten 1849 einige Wuppertaler Unternehmen den guten Lohn von 3 Tlr. 7 Sgr., wie eingangs erwähnt wurde. Die Errungenschaften der Industriellen Revolution waren an der Masse der Bevölkerung vorbeigegangen und hatten ihnen nur Not und Entbehrungen gebracht.


Und dann kommt ihr und wollt mir erzählen, dass jeder Zugang zu Kunst und Oper hatte, und dass Personal und Arbeiter ja nur einen Mangel an Zeit gehabt hätten.

Sorry, aber auf dieser Stufe kann und will ich nicht weiter diskutieren ...

Gehabt Euch wohl, Caro
 
Sorry, aber auf dieser Stufe kann und will ich nicht weiter diskutieren ...
Ich fand bis jetzt fast alle Aussagen von den Beteiligten hier im Thread im sozusagen Vergleich in einem extrem hohen Niveau für dieses Internetforum.:fs: Das will ich jetzt noch zu solch lästigen Themen, die ja grundsätzlich OT sind, nicht ungesagt lassen.

Soleil Royals Aussagen haben, soweit ich das einschätzen kann, durchweg Hand und Fuß. Ich bemühe mich mit halbwegs oder ganz aktueller Literatur zu argumentieren. Also ich sehe da nicht mal Angriffe auf die Formen der Höflichkeit.
 
Ich fand bis jetzt fast alle Aussagen von den Beteiligten hier im Thread im sozusagen Vergleich in einem extrem hohen Niveau für dieses Internetforum.:fs: Das will ich jetzt noch zu solch lästigen Themen, die ja grundsätzlich OT sind, nicht ungesagt lassen.

Soleil Royals Aussagen haben, soweit ich das einschätzen kann, durchweg Hand und Fuß. Ich bemühe mich mit halbwegs oder ganz aktueller Literatur zu argumentieren. Also ich sehe da nicht mal Angriffe auf die Formen der Höflichkeit.
Sorry, aber ich hatte mich tatsächlich nicht ganz ernstgenommen gefühlt. Gerade eben sprach mir eine Kollegin aus der Seele, die meinte, sie wäre nicht blond, weder innerlich noch äusserlich. So fühlte ich mich zuletzt auch. *schnief*

Aber um zum Thema zurückzukommen:
Tatsächlich konnte sich nicht jeder den Eintritt in die Oper leisten, ebenso wenig wie ein Porträt eines bekannten Künstlers. Selbst Mitglieder der Gentry (sozusagen Mittelschicht) hatten selten Porträts der Familie, zumindest nicht von bekannten Künstlern. Allerdings gehörte Malerei zu den Fähigkeiten, die eine gehobene Dame gerne erlernte, wenngleich Frauen der Zugang zur Akademie der Künste lange verwehrt blieb.

Zu den Eintrittskosten ein Auszug aus einer Arbeitsdatei zum alten Opernhaus am Hagenmarkt:
Der Eintritt in die Oper kostete 1690 12 Mariengroschen, nach italienischem Vorbild kam dazu ein Entgelt für den Platz:
Für einen Sitz im Parkett in den ersten vier Reihen zahlte man zusätzlich sechs Mariengroschen, für die beste Loge im
ersten Rang fünf Reichstaler. Ein Preisnachlass bei verkürztem Besuch der Oper wurde nicht gewährt (Eisinger, 1990, S.31).

Hierbei entsprechen 48 Mariengroschen einem gemünzten
Taler, 36 Mariengroschen der Einheitswährung" Reichstaler, an dessen Silbergehalt die entsprechenden Landestaler umgerechnet wurden (www.pierre-marteau.com).
Zum Vergleich: Für 4 Taler und 7 Groschen konnte man 1662 in Neustadt am Rübenberge eine Kuh erstehen (www.bothfeld-hat-alles.de).

http://216.239.59.132/search?q=cache:N6T8RSTQb-wJ:www-public.tu-bs.de:8080/~y0021278/musik/opernhaus.pdf+Opernhaus+hagenmarkt&hl=de&ct=clnk&cd=3&gl=de
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber um zum Thema zurückzukommen:
Tatsächlich konnte sich nicht jeder den Eintritt in die Oper leisten, ebenso wenig wie ein Porträt eines bekannten Künstlers. Selbst Mitglieder der Gentry (sozusagen Mittelschicht) hatten selten Porträts der Familie, zumindest nicht von bekannten Künstlern. Allerdings gehörte Malerei zu den Fähigkeiten, die eine gehobene Dame gerne erlernte, wenngleich Frauen der Zugang zur Akademie der Künste lange verwehrt blieb.
Da gibt es scheinbar Parrallelen zu Deutschland. Natürlich waren sozusagen die Superstars von damals teuer. Ich erinner mich an den Grafen Lehndorff, der mit den Prinzen zu Pesne ging und zu anderen großen Malern, während er sich selbst aber nur bei eher unbekannteren Künstlern sozusagen aus der 2. Reihe der damaligen Garde malen lassen konnte. Über viele solcher Künstler kennen wir dann auch nur ganz grob die Lebensdaten, wenn überhaupt.

Eine Ausweichmöglichkeit für die Gentry, um dennoch zu hervorragender Kunst zu kommen, war ja die Grand Tour, wobei man sich von großen Italienern malen lassen konnte, die angeblich billiger waren als die bedeutenden englischen Maler. Aber ich hatte auch mal gelesen, dass das auch damals als ein Aspekt des Italienaufenthalts eher als ein Gerücht galt.:scheinheilig:

PS: @ Caro1
Wenn man Dich nicht ernst nehmen würde, würde man wahrscheinlich auf Deine Beiträge nicht antworten. :)
Primärquellen, wie eben von Dir angeführt sind immer sinnvoll. Das ist doch einleuchtend.

Warum soll es allerdings nicht beides gegeben haben? Exklusivität und Freiräume? Das ist doch möglich.
 
Zu den Eintrittskosten ein Auszug aus einer Arbeitsdatei zum alten Opernhaus am Hagenmarkt:
Der Eintritt in die Oper kostete 1690 12 Mariengroschen, nach italienischem Vorbild kam dazu ein Entgelt für den Platz:
Für einen Sitz im Parkett in den ersten vier Reihen zahlte man zusätzlich sechs Mariengroschen, für die beste Loge im
ersten Rang fünf Reichstaler. Ein Preisnachlass bei verkürztem Besuch der Oper wurde nicht gewährt (Eisinger, 1990, S.31).

Hierbei entsprechen 48 Mariengroschen einem gemünzten
Taler, 36 Mariengroschen der Einheitswährung" Reichstaler, an dessen Silbergehalt die entsprechenden Landestaler umgerechnet wurden (www.pierre-marteau.com).
Zum Vergleich: Für 4 Taler und 7 Groschen konnte man 1662 in Neustadt am Rübenberge eine Kuh erstehen (www.bothfeld-hat-alles.de).

Ich verstehe das ganze nach wie vor nicht. Für eine Karte in Bayreuth zum Ring der Nibelungen kannst Du doch auch einen Kleinwagen kaufen.

Meine Frau gönnt sich die Oper oder ein Musical auch nur 1-2 mal im Jahr.
und nimmt einen Musik-Banausen wie Repo gleich gar nicht mit.

Wo liegt da das Problem?
Wenn ich ins Theater gehe, und vorher die Handlung nicht kenne, habe ich doch keine Chance was zu verstehen.
Was in der Oper Faktor 10 erhöht ebenso ist.

Wie gesagt, ich kann die Höhe des Lebensstandards doch nicht an den Preisen von Theater oder Oper festmachen.

Wie schrieb Heinrich Zille unter eine Karikatur zum Thema : Teuerung
"Nu lasst se noch den Schnaps verteiern, dann können wir ganz verhungern"
Soll heißen: Alles eine Frage des individuellen Bedarfs


NS: Es gibt derzeit 2 Sichtweisen auf die Errungenschaften der industriellen Revolution, die einen gehen von einem insgesamt steigenden Einkommen der Industriearbeiter aus, die anderen von einem eher sinkenden. Werden wir hier wohl kaum zu einem Ergebnis kommen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Repo
Es ging mir um das Argument, dass praktisch jeder in die Oper gehen und an Kunst und Kultur partizipieren konnte, und wir sind ja im Thread zu "Fürsten im Luxus und Bauern darben".

Die Bemerkung, jeder hätte in die Oper gehen können, ist für mich blanker Hohn, wenn man bedenkt, dass hundertausende nicht wussten, wie die Familie ernähren. Da ging es nicht um die Frage, setzen wir uns in die Loge, oder können wir uns nur Parkett leisten, oder gehen wir in die alternative Oper statt nach Bayreuth.
Kinder starben in den Londoner und Pariser Strassen, viele sogar an Alkoholvergiftung, weil legaler und illegaler Fusel meist billiger war als Nahrung. Und wieviele davon liefen selbst im Winter barfuss und wickelten sich Lumpen um die Füsse, weil das Geld für Schuhe nicht reichte?

Der breiten Masse der Bevölkerung stellte sich gewiss auch nicht die Frage ob man sich Porzellan aus China oder Meissen liefern lässt, oder doch auf dem Markt um die Ecke kauft. Beim Gros der Bevölkerung war es ein halbes Drama wenn ein Teller, oder die Suppenschüssel zerbrochen wurde, weil man nicht wusste, von welchem Geld neue kaufen.

Ich kann nunmal nicht nachvollziehen, wie man die jahrhundertelang schwierigen Lebensumstände für das Gros der Bevölkerung romantisieren kann. Hunger entbehrt jeder Romantik.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kann nunmal nicht nachvollziehen, wie man die jahrhundertlang schwierigen Lebensumstände für das Gros der Bevölkerung romantisieren kann. Hunger entbehrt jeder Romantik.
Romantisieren tut doch niemand. Irre ich da?

Aber man tat, z.B. in der Darstellung von Adeligen, die Almosen gaben, wie es uns Pierre Alexandre Wille in seinem Bild von 1777 vorführt: AllPosters.de ? Der größte Poster- und Print-Shop der Welt!

Dass es Bettler gab und Hungerkatastrophen bestreitet, soweit ich das ermessen kann, auch niemand. Das Thema "Bauern" und "Darben" in der Kombination allerdings müsste näher betrachtet werden. Wen bezeichnen wir denn als Bauern? Den Vollbauer, der eine große Hofstelle hatte? Diese machten natürlich den kleinsten Teil der ländlichen Bevölkerung aus. Den Kleinbauern? Deren Zahl nahm in Regionen von Erbteilung zu, wo diese zu Viertel-, Achtel-, Sechzehntel der eigentlichen Größe der ursprünlichen Hofstellen kamen. Natürlich schuf das Bevölkerungswachstum auf dem Land Probleme, dass in Katen die Ärmeren wohnten, welche neben einem von Bauern wiederum gepachteten Land nicht viel hatten und neben der Bestellung desselben auf einen Zusatzerwerb angewiesen waren. Dann gab es natürlich wiederum jene, welche nicht einmal dies hatten und als Tagelöhner oder Bettler über das Land zogen und die wiederum für das, von mir schon mal erwähnte, Landgewerbe das Arbeitskräftepotenzial bildeten.

Wieviel Prozent machten nun im HRR die Personen der unteren Bevölkerungsschicht aus, welche keinem Gewerbe nachgingen? Kann man sie mit dem Allgemeinbegriff des "Bauern" überhaupt noch vermengen? Verbesserte sich nicht gar das Los der Bauern, indem die Forderungen des Adels in den Gebieten der Grundherrschaft mehr und mehr auf Grundrenten reduziert wurden, was auf Frankreich und den Westen des HRRs zuträfe. Entsprechend dem Rückgang der direkten Einflussnahme des örtlichen Adels, jener der Landesherren nahm im Zeitalter des Absolutismus ja eher zu, vermarkteten die Bauern ihre Produkte zusehends eher selbst. Die Frondienste gingen in diesen Gegenden zurück und es kam eher in Ausnahmefällen zu Konflikten zwischen Adeligen und Bauern, wo sich die Adeligen ihrer alten Rechte an Holz oder Arbeitsleistungen der Bauern wiederum entsannen.
Ganz anders verhielt es sich freilich auf den Gebieten der, vereinfacht gesagt, ostelbischen Gutsherrschaft, wo die Bauern noch ihre Arbeitskraft vollständig in den Dienst der Grundherren stellen mussten. Nun fragt es sich wiederum, ob nun ein Grundherr, der seinen Besitz selbst steuerte (wie in der Mark z.B.), da er damit ein tätiger Mann war, besser anzusehen ist, als der Grundherr, der von den Pachterträgen, Geldzahlungen in Grundrenten oder dergl. seiner Bauern lebte?
 
Ich denke, bei dem Vergleich ging es nicht nur um die Bauern. Zumindest sind die kleinen Bauern (im Gegensatz zu Großgrundbesitzern) gute Stellvertreter für den "kleinen Mann" im allgemeinen. Die wirtschaftlichen und allgemeinen Lebensverhältnisse trafen alle gleichermassen, die nicht auf sogenanntem "großen Fuss" leben konnten.
Wenn du 4-5 kinder hast und einen Beruf, der kaum die Familie ernährt, macht es keinen (oder kaum einen) Unterschied Wer oder Was du bist.
Alltag im 18. Jahrhundert | Hintergrund | radioWissen | BR
 
Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch zieht es sich schon, dass es arme Menschen und reiche Menschen gibt. So what? Man kann gern versuchen, diese Kluft in irgend einer Weise zu überwinden bzw. den Wohlstand für alle zu heben.
Eine Aussage, die - auch und vor allem in der Adventszeit - auf breite Zustimmung rechnen kann (von der katholischen Soziallehre, mir und anderen).

Ferner unterstütze ich alle Bemühungen, ein Thema wie dieses nicht ausufern zu lassen und von Pauschalisierung und falschen Klischees wegzukommen! Was die sozialgeschichtlichen Fakten betrifft, greife ich mal mal folgende einfache Passage aus der Diskussion heraus:

Wenn also 90 % der Menschen im Schlamm nach Essen gewühlt haben, woher kommen dann all die Maler, Bildhauer, Poeten und Schriftsteller, Philosophen, Komponisten und Musiker, Dekorateure, Modeschöpfer, Friseure, Goldschmiede usw.
Rein rechnerisch kommt das mE schon hin; Bei einer Bevölkerungszahl Frankreichs von gerundet 20 Millionen (um 1700) hätte es Platz für etwa 2 Millionen Angehörige der oben genannte Handwerks- und freien Berufe gehebt. Ich glaube allerdings eher, dass man so viele davon nicht zusammen bekommt.

Schwieriger wird es hier:
[1] Unter Louis XIV war das wichtigste Bestreben, die Steuern für die ärmeren Bevölkerungsschichten so niedrig wie möglich zu halten. Kriege haben dieses Vorhaben immer wieder unterbrochen...
[2] ...aber eben die Kriege sind es gewesen, die jeden Staat haben ausbluten lassen, niemals die Hofhaltung und die Förderung von Kultur!
[3] Frankreich wurde durch den Export seiner Kunst reich.
Ich gehe mal anders herum vor:

Zu [3]: Auf welche Daten (Quellen) wird hier Bezug genommen?

Zu [2]: Die Grundaussage scheint mir plausibel. Gleichwohl wäre es interessant, einmal Zahlen(-schätzungen) zu nennen.

Zu [1] Der Zusammenhang wird vielleicht noch etwas deutlicher, wenn man klarstellt, dass Louis XIV die sein Vorhaben unterbrechenden Kriege in aller Regel selbst angezettelt hat - ein anderes Thema freilich.

Was das Vorhaben selbst betrifft - auch dazu müssten Daten her! Gewiß lässt sich einiges Positive sagen - zumal über die Wirtschaftspolitik von Colbert bzw. über seine Absichten -, aber es zählt eigentlich nur das, was "hinten raus kam". Dazu fürs erste zwei allgemeine Darstellungen:

a) Zur sozialen Situation Frankreichs am Ende des 17. Jahrhundert (von Robert Mandrou, Staatraison und Vernunft 1649-1715 [= Propyläen Geschichte Europas, Band 3, 1975]):

  • Der dunkle Punkt ... ist die Unterjochung des kleinen Volkes, das schwerer zu bändigen war als die materiell Sichergestellten. Trotz der Entwicklung des Gendarmerie- und des städtischen Polizeiwesens ... riefen die neuerlichen Steuererhebungen Colberts wahre Wellen der Volkswut hervor. ... Größere Wirren gab es 1675 durch die Einführung der Stempelsteuer: neuer Abgaben für gestempeltes und verkauftes Papier, mit dem man amtliche Geschäfte tätigte. Dagegen richteten sich die Unruhen in Bordeaux und Pau. Schlimmere Formen nahmen sie in der Bretagne an, zumal in Rennes, wo der berühmte BauernKodex - Code paysan - veröffentlicht wurde, der beträchtliche Erleichterungen durch die Grundherren forderte. Doch auf diesem Gebiet erreichte man in der Monarchie. Gegen den "gemeinen Pöbel" gab es nichts anderes als Gewalt und brutale Unterdrückung. (S. 42 f.)
  • Schon lange vor dem Krieg gegen die Niederlande (1672-1678) und der damit verbundenen Schwächung der französischen Seemacht zwang das Defizit im Staatshaushalt [ei, woher kam es?] Colbert - zum Schaden des Manufaktorwesens und der handelsbegünstigenden Wirtschaftspolitik - zu Sparsamkeit und zu zahlreichen finanziellen Zuwendungen. Die Senkung der Steuer - Taille -, die außer Adeligen und Geistlichen im wesentlichen alle Teile des Volkes entrichten mußten, wurde zwischen 1670 und 1680 wieder rückgängig gemacht. ... Kurz vor seinem Tode sah er [Colbert] sich genötigt, auf sämtliche traditionellen Hilfsmittel - Schaffung neuer Ämter, Erhöhung der Taille, Münzverschlechterung - zur Speisung des königlichen Schatzes zurückzugreifen. Die Wirtschaftspolitik, die seinen Namen trägt, beschränkte sich schließlich auf ein Minimum dessen, was sie zu sein beanspruchte. (S. 47)
b) Zur Entwicklung Frankreichs unter dem Merkantilismus (von Eberhard Weis, Frankreich von 1661 bis 1789 [in: Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 4 [1968]):

  • Während der gesamten Regierungszeit Ludwigs XIV. flackerten in den verschiedensten Provinzen immer wieder Volkserhebungen auf. Hatten sie sich zunächst gegen mehr unbeliebte Maßnahmen des Fuskus und gegen bestimmte Steuereintreiber gerichtet, so nahmen sie seit den siebziger Jahren den Charakter von Hungerrevolten an. ... Die im ganzen fallende Tendenz der Preise wurde durch mehrere regionale und nationale Teuerungskrisen katastrophalen Ausmaßes unterbrochen, besonders im Hungerwinter von 1709, als nach einer sehr schlechten Ernte der lange Frost den Getreidetransport auf den Flüssen und die Arbeit der Mühlen unmöglich machte und Scharen von ausgehungerten Pariser Frauen nach Versailles zogen. ... Die Sterblichkeit wurde ungeheuer, und die Zahl der Bettler erreichte 2 Millionen. (S. 192)
  • Nach dem Tode Colberts breitete sich das Elend auf dem Lande immer mehr aus. Es wurde vielen unmöglich, neben den grundherrschaftlichen Abgaben noch die "taille", die "capitation", den "dixième" zu zahlen. Es fehlte an allem, nicht zuletzt an Saatgetreide. Dieses betrug wegen der geringen Produktivität der Landwirtschaft etwa ein Fünftel der Ernte. Arme Gegenden entvölkerten sich mehr und mehr als Folge des Wegzugs, aber auch durch Hunger und Seuchen. (S. 194)
Ich denke, dass die Verständigung über Grundtatsachen möglich sein sollte; anschließend könnte man ja Hypothesen über die Verteilung der Staatsausgaben bilden und diese Verteilung meinetwegen auch bewerten, so wie das Caro1 und Brissotin bereits angefangen haben.
 
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