Die Rolle der Akademiker bei der NS- Machtübernahme

Historyben

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Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg war ein Land im Umbruch. Die Weimarer Republik aus der Niederlage geboren, stand vor enormen Herausforderungen:


lähmende Reparationszahlungen, politische Instabilität und eine tiefe Wirtschaftskrise. Dieses schwierige Umfeld schuf auch ein ernstes Problem für die gebildete Jugend.


Die Universitäten waren überfüllt und produzierten mehr Absolventen, als die angeschlagene Wirtschaft aufnehmen konnte. Jahr für Jahr drängten Tausende hoch qualifizierter junger Männer und eine wachsende Zahl von Frauen auf einen Arbeitsmarkt, der ihnen nichts zu bieten hatte. Dies führte zu einer großen Gruppe frustrierter und desillusionierter Akademiker Eine Art verlorener Generation, die das Gefühl hatte, dass ihre Ausbildung und ihr Potenzial von einem System, das sie als gescheitert empfanden, verschwendet wurden.


Dieses akademische Proletariat war in bestimmten Bereichen besonders groß. Der Juristenstand zum Beispiel war massiv überfüllt. Junge Juristen, die jahrelang komplexe Gesetzestexte studiert hatten, fanden sich ohne Klienten oder Positionen in der Justiz wieder.


Die Situation war für Lehrer ebenso schlimm. Schulen hatten wenig Geld für Neueinstellungen, so dass Tausende angehender Pädagogen arbeitslos blieben. Dasselbe Muster wiederholte sich bei Ärzten und vielleicht am akutesten bei Geisteswissenschaftlern, Historikern, Philosophen und Sprachwissenschaftlern. Sie alle standen vor einer ungewissen Zukunft.


Diese Akademiker besaßen großes Wissen, sahen aber keinen klaren Weg zu einer stabilen Karriere, was zu weit verbreiteter Unzufriedenheit und einer verzweifelten Suche nach Alternativen führte. Der Überschuss an Intellektuellen war nicht nur ein wirtschaftliches Problem. Er war ein soziales und politisches Pulverfass.


Die jungen Absolventen waren keine ungebildeten Arbeiter. Es waren die besten und klügsten der Nation voller Ehrgeiz, aber auf Schritt und Tritt blockiert. Sie sahen das demokratische System der Weimarer Republik nicht als Quelle der Freiheit, sondern als Quelle ihres persönlichen Elends und ihrer beruflichen Stagnation.


Dieses Gefühl der Hoffnungslosigket machte sie anfällig für radikale politische Bewegungen, die drastische Veränderungen und die Wiederherstellung des Nationalstolzes versprachen. Sie sehnten sich nach Ordnung, Sinn und am wichtigsten nach einer Chance, endlich die Karrieren aufzubauen, für die sie so hart gearbeitet hatten. Die Zahlen, obwohl nicht präzise erhoben, zeichnen ein klares Bild der Krise.


Es wird geschätzt, dass Anfang der Dreißigerjahre etwa 60.000 Hochschulabsolventen arbeitslos waren. Allein in Berlin war etwa die Hälfte der Absolventen von 1931 ein Jahr später immer noch arbeitslos. Für junge Juristen war die Situation katastrophal. Einige Quellen deuten darauf hin, dass es für jede verfügbare Stelle Dutzende, wenn nicht hunderte von Bewerbern gab.


Dies schuf eine Generation von Akademikern, die reif für die Ausbeutung waren. Sie warteten auf einen Retter, jemanden, der die Blockade durchbrechen und ihnen eine Zukunft bieten konnte. Adolf Hitler und die NSDAP verstanden diese Verzweiflung perfekt und bereiteten sich darauf vor, ihnen ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen konnten.


Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen, gingen sie schnell daran, das Problem der akademischen Arbeitslosigkeit zu lösen, jedoch zu ihren eigenen brutalen Bedingungen. Ihr erster Schritt war eine massive politische Säuberung. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, im April 1933 verabschiedet, war ein Schlüsselinstrument.


Es drängte jüdische, politisch unerwünschte und demokratische Beamte aus ihren Ämtern. Dieser rücksichtslose Vorgang schuf enorme Anzahl an freien Stellen in Schulen, Gerichten und in Regierungsämtern. Plötzlich waren Tausende von Stellen offen, die darauf warteten, besetzt zu werden.


Für die vielen jungen arbeitslosen Akademiker, die in den Startlöchern gestanden hatten, war dies eine goldene Gelegenheit. Das Regime bot nicht nur Arbeitsplätze an. Es bot einen neuen Sinn verpackt in eine mächtige und verführerische Ideologie.


Die nationalsozialistische Weltanschauung benötigte eine intellektuelle Rechtfertigung. Sie brauchte Akademiker, die ihr einen Anschein wissenschaftlicher Legitimität und historischer Zwangsläufigkeit verliehen Jungen ehrgeizigen Gelehrten wurde daher nicht nur ein Gehalts Scheck gegeben. Sie wurden eingeladen, Pioniere einer neuen Ära zu werden.


Ihnen wurde gesagt, ihre Arbeit sei unerlässlich für den Aufbau des 1000-jährigen Reiches. Dieser Appell Teil eines großen, nationalen Projekts zu sein, war unglaublich wirkungsvoll für eine Generation, die sich nutzlos und verloren gefühlt hatte. Die Nationalsozialisten boten ihnen die Chance, wichtig zu sein, zu dem beizutragen, was sie als Deutschlands Wiedergeburt sahen.


Diese Strategie war ein kalkulierter Schachzug, um die intellektuelle Elite zu gewinnen. Die Nationalsozialisten wussten, dass die Kontrolle des Staates mehr erforderte als nur SA Männer. Sie brauchte Verwaltungsbeamte, Juristen, Lehrer und Ärzte, die dem neuen Regime treu waren. Indem sie sofortige Karriereperspektiven boten, erkauften sie sich die Loyalität eines entscheidenden Teils der Gesellschaft.


Diese jungen Akademiker, von denen viele bereits nationalistisch und antidemokratisch dachten, nahmen das neue System bereitwillig an. Sie sahen die Nationalsozialisten nicht als Tyrann, sondern als ihre Retter, die einzigen, die die Stabilität und Karrierewege bieten konnten, die ihnen die chaotische Weimarer Republik verwehrt hatte. Das Ergebnis war eine rasche Nazifizierung der akademischen und beruflichen Welt.


Die Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen wie der SA der SS oder dem nationalsozialistischen Lehrerbund, wurde zum schnellen Weg zur Beförderung. Ein junger Jurist, der zuvor Schwierigkeiten hatte, überhaupt Arbeit zu finden, konnte plötzlich zum Richter oder Staatsanwalt ernannt werden, vorausgesetzt er bewies seine Loyalität zur Partei. Ein Historiker, der seine Forschung an die nationalsozialistischen Rassentheorien anpasste, konnte eine prestigeträchtige Professur erhalten.


Die Botschaft war klar. ideologische Konformität würde mit beruflichem Erfolg belohnt. Für viele war die Wahl zwischen anhaltender Arbeitslosigkeit und einer vielversprechenden Karriere innerhalb des nationalsozialistischen Systems, eine leichte Entscheidung. Ideologisch konforme Juristen und Richter waren unerlässlich, um dem nationalsozialistischen Terror einen Anschein von Legalität zu verleihen. Junge opportunistische Juristen halfen bei der Ausarbeitung und Umsetzung diskriminierender Gesetze wie der Nürnberger Rassengesetze von 1935.


Diese Gesetze entzogen jüdischen Bürgern ihre Rechte schufen die Grundlage für ihre Verfolgung und spätere Ermordung. Personen wie der Präsident des berüchtigten Volksgerichtshofs, Freisler, wurden für ihren Fanatismus berüchtigt. Abertausende weniger bekannte Juristen machten erfolgreiche Karrieren, indem sie politische Gegner verfolgten, die staatliche Enteignung jüdischen Eigentums legitimierten und sicherstellten, dass das Justizsystem dem willen des Führers und nicht der Sache der Gerechtigkeit diente.


Im medizinischen Bereich fand eine ähnliche und entsetzliche Transformation statt. Ärzte, die durch den hipokratischen Eid geschworen hatten, keinen Schaden zuzufügen, wurden zu Schlüsselfiguren in der Rassenpolitik des Regimes. Viele Ärzte und Genetiker beteiligten sich eifrig am so genannten Euthanasie Programm Codename Aktion T4, wo sie für die Ermordung zehntausender behinderter Kinder und Erwachsener verantwortlich waren. Sie führten schreckliche medizinische Experimente an Konzentrationslagerhäftlingen durch und behandelten Menschen als bloße Objekte für ihre Forschung.


Für viele dieser Ärzte wie den berüchtigten Josef Mengele in Auschwitz bot das nationalsozialistische System beispiellose Forschungsmöglichkeiten ohne ethische Einschränkungen, die es ihnen ermöglichen, ihre Karrieren auf dem Leid unzähliger Opfer voranzutreiben. Auch Historiker und andere Geisteswissenschaftler spielten ihre Rolle. Sie hatten die Aufgabe, die deutsche Geschichte neu zu schreiben, um sie der nationalsozialistischen Ideologie anzupassen.


Sie produzierten Werke, die die Überlegenheit der arischen Rasse beweisen sollten, Deutschlands Recht auf die Eroberung von Lebensraum in Osteuropa rechtfertigten und eine historische Hintergrund entwerfen sollten, der unweigerlich in Adolf Hitler als Retter aus der münden sollte. Professoren an renommierten Universitäten richteten ihre Forschung neu aus, um dem Staat zu dienen und stellten sicher, dass die Studenten mit einer nationalistischen und rassistischen Weltanschauung indoktriniert wurden. Diese Hofhistoriker wurden mit Beförderungen, Finanzmitteln und öffentlichem Ruhm belohnt und wurden zu intellektuellen Säulen eines auf Lügen aufgebauten Regimes.


Auch Lehrer standen an vorderster Front der Indoktrination. Der nationalsozialistische Lehrerbund stellte sicher, dass nur ideologisch zuverlässige Pädagogen im Klassenzimmer zugelassen waren. Junge, zuvor arbeitslose Lehrer fanden stabile Arbeitsplätze, aber zu einem Preis.


Ihre Aufgabe war es, die Köpfe der nächsten Generation im Geiste des Nationalsozialismus zu formen. Sie lehrten Rassenkunde verherrlichten den Krieg und förderten blinden Gehorsam gegenüber dem Führer. Indem das Regime das Bildungssystem von der Grundschule bis zur Universität kontrollierte, stellte es sicher, dass seine Ideologie weitergegeben wurde. Eine loyale Bevölkerung wurde so geschaffen, mit dem Ziel die Macht für die absehbare Zukunft zu sichern.
 
Mir ist diese Erzählung zu glatt.

Es ist richtig, dass Akademiker vom NS durchaus profitierten. Insbesondere gilt das für Historiker, Archäologen, Volkskundler, Germanisten.... Geistes- und Kulturwissenschaftler. Und für Wissenschaftler, die vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums profitierten. Aber niemand wird plötzlich rechts, weil er arbeitslos ist.
Ich will nicht behaupten, dass Akademiker intelligenter seien als die übrige Bevölkerung, aber damals galt mehr als heute, dass ein Abitur und somit eine akademische Ausbildung zwar auch etwas mit dem elterlichen Geldbeutel zu tun hatte, aber eben auch mit dem schulischen Erfolg.

Hier sind jetzt keine Zahlen über die weimarer Republik, sondern ein Graph von 1950 bis 2018, an dem man sehen kann, wie viele Schüler in Prozent das Abitur machten, das sind mittlerweile schwankend um die 50 %, in einem Jahr mal mehr, in einem anderen mal weniger, 1950 waren es unter 5 %.
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Bildquelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Im Gegensatz zu heute war natürlich damals dann ziemlich vorgezeichnet, dass man nach dem Abitur auf die Universität ging, da das Abitur dafür vorgesehen war, auf die Universität vorzubereiten. Entsprechend der Zahlen, wie vele Schüler das Abitur machten, kann man auch sehen, wie hoch in etwa der Akademikeranteil an der Gesellschaft gewesen ist: bei stabilen Abiturzahlen dürfte er (ohne Berüclsichtigung der Lebenserwartung, die bei Akdemikern aufgrund günstigerer Arbeits- und Lebensbedingungen im Durchschnitt höher ist), in etwas gleich gewesen sein. Von den 6 Millionen Arbeitslosen machten die Akademiker gerade mal 1,2 % aus. Also nicht 1,2 % der Deutschen waren arbeitslose Akademiker, sondern 1,2 % der Arbeitslosen waren Akademiker.
Das mag für Akademiker damals eine neue Erfahrung gewesen sein, weil Akademiker herkömmlich eigentlich nicht arbeitslos wurden.
 
Mir ist diese Erzählung zu glatt.

[...]
Ich will nicht behaupten, dass Akademiker intelligenter seien als die übrige Bevölkerung, aber damals galt mehr als heute, dass ein Abitur und somit eine akademische Ausbildung zwar auch etwas mit dem elterlichen Geldbeutel zu tun hatte, aber eben auch mit dem schulischen Erfolg.

Was ich damit sagen will:

Zwischen

Die jungen Absolventen waren keine ungebildeten Arbeiter. Es waren die besten und klügsten der Nation voller Ehrgeiz, aber auf Schritt und Tritt blockiert. Sie sahen das demokratische System der Weimarer Republik nicht als Quelle der Freiheit, sondern als Quelle ihres persönlichen Elends und ihrer beruflichen Stagnation.
und
Dies schuf eine Generation von Akademikern, die reif für die Ausbeutung waren. Sie warteten auf einen Retter, jemanden, der die Blockade durchbrechen und ihnen eine Zukunft bieten konnte. Adolf Hitler und die NSDAP verstanden diese Verzweiflung perfekt und bereiteten sich darauf vor, ihnen ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen konnten.
sehe ich eine erhebliche Diskrepanz, ohne dass ich den Fakten an sich widerspreche. S.o.
 
Trotzdem bleibt die Frage wie die Nazis überhaupt die Macht übernehmen konnten. Das Wissen um die Schaltstellen der Macht, die Schlüsselstellungen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Industrie, der Bildung, des Militärs, des Gesundheits- und Sozialwesens (um nur eige zu nennen) war nur bei wenigen vorhanden. Deshalb stelle ich die These auf, dass ohne das Spezialwissen einiger Akademiker, die Machtübernahme und der Aufbau des NS-Staates nicht möglich gewesen wäre.
 
Bei all der Aufarbeitung des Natinalsozialismus ist mir dieser Aspekt immer zu wenig beleuchtet worden, weshalb ich jetzt die Diskussion mit meinem Beitrag einmal anregen wollte.
 
Trotzdem bleibt die Frage wie die Nazis überhaupt die Macht übernehmen konnten. Das Wissen um die Schaltstellen der Macht, die Schlüsselstellungen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Industrie, der Bildung, des Militärs, des Gesundheits- und Sozialwesens (um nur eige zu nennen) war nur bei wenigen vorhanden. Deshalb stelle ich die These auf, dass ohne das Spezialwissen einiger Akademiker, die Machtübernahme und der Aufbau des NS-Staates nicht möglich gewesen wäre.
Das halte ich für eine steile These, die auch deinem Ursprungsbeitrag widerspricht.
 
Die NSDAP war die erste deutsche Volkspartei, keine Partei einer einzelnen Klasse oder Gesellschaftsgruppe. Das machte sie extrem attraktiv für Bildungsaufsteiger. Sie sprach damit ein deutsches Grundbedürfnis an. Nicht mehr bürgerliche Elite, sondern Masse, nicht mehr Herkunft, sondern Leistung. Das "Deutschtum" egalisierte und grenzte gleichzeitig aus. Soziale Gerechtigkeit mit äußerst fragwürdigen Methoden - aber attraktiv.

Ich würde generell sagen, dass der erste Weltkrieg ein großes Problem war. Viele junge Leute hatten in der Tat keine Väter. Die Partei oder der jeweilige "Führer" (Hindenburg, Hitler u.a.) fungierte als Ersatz. Man kann das anhand einiger Nazi-Biographien sehr gut nachvollziehen, Hunger, Wohnungsnot und echtes Elend als Dauererfahrung spielten ebenfalls eine große Rolle. 21 Kabinette in 14 Jahren, eine Weltwirtschaftskrise UND Reparationen. Das löste zwangsläufig ein tiefes Trauma aus. Die Knebelung einer Demokratie durch andere Demokratien war eine Initialzündung um das System von Weimar propagandistisch als Fremddiktat hinzustellen und ominöse Finanzakteure für alles verantwortlich zu machen.

Man muss bedenken, dass die NSDAP erst ab 1930 wirklich eine Rolle spielte. Der Aufstieg war dann allerdings kometenhaft. Die Demokratie war aber angeschlagen lange Zeit bevor Hitler ein wirklich wichtiger Politiker war. Die Akademiker sind nur ein Aspekt. Denn in praktisch allen Gesellschaftsschichten fand die NSDAP Anhänger. Ich würde diesen Aspekt nicht überschätzen. Andere Gruppen wie z.B. die Bauernschaft war genauso wichtig.

Mich würde interessieren, ob Akademiker damals überhaupt in der Arbeitslosenstatistik berücksichtigt wurden. Arbeitslosigkeit ist nämlich auch ein Grund zu studieren und man darf auch ja nicht meinen, dass jede Tätigkeit, die man danach bekam, wirklich ausreichte, um den Alltag zu bewältigen. Um 1900 waren bestenfalls die oberen 30% der Bevölkerung bürgerlich. Aus dem Rückblick der Generation kann man den Sozialneid auf besser gestellte Schichten nachvollziehen, wenn man bedenkt, dass ein gutes Elternhaus und familiäre Verbindungen gerade damals einen viel besseren Start ermöglichten. Eine neue Partei versprach völlig neue Möglichkeiten. Interessant ist Deine Frage deshalb, weil die Rückkehr zum alten Obrigkeitsstaat gerade nicht angestrebt wurde. Man wolltes etwas Moderneres, Zeitgemäßes. Der Einstieg in eine "Bewegung" und die Aufgabe der eigenen Freiheit kann dann ein Vorteil sein, wenn man dafür soziale Freiheiten erlangt, jemand ist oder karriere machen kann. Eigentlich hat die NSDAP eine Gesellschaft traditionsgebundener Honoratioren abgeschafft und durch parteiorientierter Funktionäre ersetzt. Ob das wirklich ein Segen für das Bildungswesen war, ist eine andere Frage.

@El Quijote Die Abiturientenquote ist wenig aussagekräftig. Erstens weil Frauen früher kaum studierten, zweitens, weil meines wissens nach noch nicht einmal alle Lehrer studieren mussten und drittens, weil die unteren Schichten sehr viel mehr Kinder hatten als heute (im Vergleich zur Mittel- oder Oberschicht). Viertens waren Gymnasien früher Eliteschulen. Im Jahr 1914 machten etwa 60.000 Personen ihr Abitur in Preußen, heutzutage sind es zwischen 300000-400000 (Zahlen bitte nachprüfen). Fünftens würde ich trotzdem nicht davon ausgehen, dass jeder, der ein Abitur oder ein abgeschlossenes Studium hatte von vornherein materiell gutgestellt war.
Auch um 1900 litten viele Akademiker unter prekären finanziellen Verhältnissen. Zwar genossen sie eine höhere Bildung und gesellschaftliche Anerkennung, doch die Einkommenssituation vieler war oft angespannt. Es gab eine Kluft zwischen dem Idealbild des gebildeten Akademikers und der Realität seiner finanziellen Lage.

Obwohl Akademiker eine höhere Bildung genossen, waren die Arbeitsmarktchancen nicht immer vielversprechend. Viele Akademiker, insbesondere solche mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund, fanden keine gut bezahlten Stellen.
Die Gehälter von Akademikern waren oft gering, insbesondere in den ersten Berufsjahren. Einige Akademiker mussten sich mit schlecht bezahlten Stellen oder sogar mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten.
Trotz der finanziellen Schwierigkeiten genossen Akademiker ein gewisses Prestige und wurden in der Gesellschaft als gebildete Personen anerkannt. Die Lebensumstände von Akademikern waren im Vergleich zu den unteren Schichten oft besser, da sie Zugang zu Bildung und Kultur hatten. Allerdings konnten sie auch mit den wohlhabenderen Schichten nicht mithalten.
Für viele Akademiker war es schwierig, durch harte Arbeit und Bildung aus der Armut aufzusteigen, da die sozialen Strukturen oft starr waren und es wenig Möglichkeiten zur sozialen Mobilität gab.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was bedeutet in diesem Thread "NS-Machtübernahme"?
Ist hier die langfristige Entwicklung der NSDAP bis hin zur Übernahme der "Macht"/ "Ausschaltung der relevanten Gegner" (1933/34) gemeint oder die Entwicklung unmittelbar bei/nach der "Machtübernahme"?
 
Ich meine den Prozess der Gleichschaltung, das zog sich über Jahre hin. Es war ja keine Revolution, wo man das Parlament stürmt, das Telegrafenamt besetzt und die Kraftwerke unter seine Kontrolle bringt. Es war ein langwieriger Prozess, der Planung und Wissen erforderte. Wissen über das nur wenige verfügten.
 
@El Quijote Aber niemand wird plötzlich rechts, weil er arbeitslos ist.

Armut radikalisiert. Die Frage ist, wie sich diese Radikalisierung realisiert. Hat der Mensch keinen Besitz, tendiert er nach links, hat er Besitz, tendiert er nach rechts. Besitz war damals aber keine Garantie gegen Armut. Wer Hauseigentum, einen Handwerksbetrieb oder einen Bauernhof hatte, konnte mit sozialistischen oder marxistischen Programmen im Allgemeinen nicht viel anfangen. Man kann das sehr gut an dem fehlenden Erfolg Kurt Eisners nachvollziehen. Er verstand die Landbevölkerung nicht und die verstand ihn nicht. Für eine Mittelschicht, die seit 1870/71 überwiegend kaisertreu war, wäre eine Hinwendung zum Sozialismus auch aus ideologischer Sicht kaum in Frage gekommen. dazu haftete den Sozialisten viel zu sehr der Geruch der Reichsfeinde an.
 
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Trotzdem bleibt die Frage wie die Nazis überhaupt die Macht übernehmen konnten. Das Wissen um die Schaltstellen der Macht, die Schlüsselstellungen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Industrie, der Bildung, des Militärs, des Gesundheits- und Sozialwesens (um nur eige zu nennen) war nur bei wenigen vorhanden. Deshalb stelle ich die These auf, dass ohne das Spezialwissen einiger Akademiker, die Machtübernahme und der Aufbau des NS-Staates nicht möglich gewesen wäre.
Es ist richtig, dass in der Weimarer Zeit die Universitäten sich sehr schnell zu einem politisch ziemlich rechtsgerichteten Pflaster entwickelten und auch, dass sich eine Menge junger Akademiker dem Regime andienten und davon profitierten.
Aber die waren in meinen Augen nicht wirklich bedeutend für die Machtübernahme der Nazis, an der späteren Politik der Nazis mögen sie einen entsprechenden unterstützenden Anteil gehabt haben.

Du sprichst hier von Spezialwissen/Herrschftaftswissen, dass für die Machtübernahme und den Aufbau des NS-Staates notwendig war. Aber gerade über dieses verfügten junge arbeitslose Akademiker, die nach der universitären Ausbildung keine Stelle erhalten hatten nicht.
Die hatten zwar das theoretische Wissen ihrer Ausbildung, aber das Spezialwissen um den staatlichen Apparat zu steuern und umzubauen, das hatten vor allem diejenigen Akademiker, die schon altgedient seit Jahrzehnten in ihren Positionen etabliert waren, die Netzwerke hatten und Abläufe aus dem FF kannten.
Das war dann vor allem, die alte aus dem Kaiserreich übernommene Bürokratie, die zum Teil mit der Republik ohnehin fremdelte, weil sie aus einem anderen System als die Weimarer Republik kam und in diesem sozialisiert worden war.

Für den Prozess der Übernahme des Staatsapparates spielten diese Leute eine Rolle, nicht die jungen Akademiker ohne Stellung.
 
Auch mir ist die These zu glatt, dass die jungen Akademiker in der NSDAP eine Heimat und soziale wie politische Identifikation fanden und damit die "Machtergreifung" erst ermöglichten.

Mit der Machtergreifung hatte die akademische Elite wie der akademische Nachwuchs nichts zu tun. Mit der Zeit danach sehr wohl!

Die Machtergreifung ist letztlich die Aushändigung der Exekutive an einen vom Reichspräsidenten ernannten Reichskanzler. Hier greift dann das Zusammenspiel eines willfährigen und "mitmachenwollenden" Polizei- und Beamtenapparates mit der Gewalttätigkeit einer Recht und Gesetz missachtenden Partei.

Die Unterstützung Hitlers erfolgte aber durch die konservativen und revanchistischen Eliten der Weimarer Republik, einschließlich einer rechtskonservativen Presse. Die Machtergreifung war eher ein In-den-Sattel-Setzen.

Die Bücher verbrennenden Studenten waren Teil einer propagandistischen Folklore, mit der Machtergreifung hatten sie nichts zu tun.

Anders sieht es dann aus mit der akademischen Elite der Universitäten, der Aberkennung der Ehrendoktorwürde Thomas Manns z.B.
Oder die Selbstverwaltungen der Ärzteschaft. Aber das waren Leute, die schon an den Schalthebeln saßen und jetzt eine Gleichschaltung mit Ausschluss Andersdenkender aktiv verfolgten.
 
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Ich meine den Prozess der Gleichschaltung, das zog sich über Jahre hin. Es war ja keine Revolution, wo man das Parlament stürmt, das Telegrafenamt besetzt und die Kraftwerke unter seine Kontrolle bringt. Es war ein langwieriger Prozess, der Planung und Wissen erforderte. Wissen über das nur wenige verfügten.
Das sehe ich nicht ganz so. Die Maßnahmen nach "Machtergreifung" waren natürlich schon "vorbereitet", aber entscheidender sind hier die Aktivitäten von Göring gegen Preußen und die Ausschaltung der dortigen Regierung. Auch wenn die NSDAP nur wenige Ministerposten hatte, so nahm sie sich doch den entscheidenden Posten!
 
@Pardela_cenicienta Vorsicht. Das Bildungsbürgertum war gerade in Preußen ein wesentlicher Treiber der Nationalsaatsbildung. Die Linie von 1813 bis 1933 wurde damals durchaus gezogen. Antisemitismus und Bücherverbrennungen konnte man mit Berufung auf Geschehnisse der napoleonischen Ära und des Vormärz begründen. Speziell die evangelischen Theologen darf man in ihrer Bedeutung nicht unterschätzen. Das hat 1933 schon eine Rolle gespielt. Die deutsche Nationalideologie hatte nicht zuletzt im Denken der protestantischen Humanisten, der staatstragenden Haltung der evangelischen Kirche seine Wurzeln. Das nationale Denken war in bürgerlichen Köpfen durch die Tradition vorgeschrieben, in anderen Schichten war das nicht so. Die Akademiker stellten eine geistige Macht dar. Man darf sie nicht überschätzen, aber auch nicht unterschätzen.
 
Mich würde interessieren, ob Akademiker damals überhaupt in der Arbeitslosenstatistik berücksichtigt wurden. Arbeitslosigkeit ist nämlich auch ein Grund zu studieren und man darf auch ja nicht meinen, dass jede Tätigkeit, die man danach bekam, wirklich ausreichte, um den Alltag zu bewältigen. Um 1900 waren bestenfalls die oberen 30% der Bevölkerung bürgerlich. Aus dem Rückblick der Generation kann man den Sozialneid auf besser gestellte Schichten nachvollziehen, wenn man bedenkt, dass ein gutes Elternhaus und familiäre Verbindungen gerade damals einen viel besseren Start ermöglichten. Eine neue Partei versprach völlig neue Möglichkeiten. Interessant ist Deine Frage deshalb, weil die Rückkehr zum alten Obrigkeitsstaat gerade nicht angestrebt wurde. Man wolltes etwas Moderneres, Zeitgemäßes. Der Einstieg in eine "Bewegung" und die Aufgabe der eigenen Freiheit kann dann ein Vorteil sein, wenn man dafür soziale Freiheiten erlangt, jemand ist oder karriere machen kann. Eigentlich hat die NSDAP eine Gesellschaft traditionsgebundener Honoratioren abgeschafft und durch parteiorientierter Funktionäre ersetzt. Ob das wirklich ein Segen für das Bildungswesen war, ist eine andere Frage.
Du darfst die Situation nicht mit heute gleichsetzen.
Vor dem 1. Weltkrieg war bereits ein bestandenes Abitur mehr oder weniger die Garantie in einen gut bezahlten Beruf zu kommen, wenn man sich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten anpasste. Ein bestandenes Studium um so mehr.


Im Besonderen, was den öffentlichen Dienst und damit verwandte Tätigkeitsfelder angeht, muss dabei aber die Tragweite der Einschnitte durch den 1. Weltkrieg verstanden werden:

- Wegen der Kriegsfolgekosten, also der anleihebedingten Inlandsverschuldung, der Reparationslasten, der Witwen- und Waisenversorgung etc. etc. musste natürlich im Staatshaushalt gespart werden, wo es ging.

Zeitgleich mussten in der Weimarer Republik im Staatsdienst irgendwie untergebracht werden:

- Ehemalige Kolonialbeamte und Funktionsträger, die durch den Verlust von Deutschlands Kolonien kein Tätigkeitsfeld mehr hatten.
- Angehörige von Verwaltung, Polizeidienst etc. aus den mit dem Versailler Vertrag abgetretenen Territorien (also Elsass-Lothringen, mehr oder weniger ganz Posen, halb Westpreußen und Ostoberschlesien), die man nicht so ohne weiteres vor die Tür setzen konnte.
- Ehemalige Militärangehörige mit Studienabschluss, die nach der Reduzierung der Reichswehr auf 100.000 Mann nicht in der Armee verbleiben konnten (dürfte vor allem Militäringenieure und Militärärzte betreffen).

Das heißt, dass sich da ziemlich abrupt einiges Tat, weil unvorgsehener Personalüberhang gleichzeitig mit Notwendigkeit Kosten zu reduzieren korrespondierte.


Gleichzeitig war ein Studium natürlich durchaus kostspielig, so dass es als Strategie Arbeitslosigkeit zu vermeiden wahrscheinlich eher nicht so viel taugte.
 
@Shinigami Was heißt gut bezahlt?

Wirf, was Schulabschlüsse angeht, im Link mal einen Blick auf die Statistik auf Seite 63:


1911 machten Schüler an "höheren Schulen"* und Gymnasien deutlich weniger als 10% (eher um die 6%) ihrer jeweiligen Jahrgänge aus und wenn wir mal davon ausgehen, dass längst nicht jeder, der ein Gymnasium oder eine adäquate "höhere Schule" besuchte den Abschluss auch schaffte, sind das nochmal weniger.
Gehen wir davon aus, dass da noch einige durchfielen, erreichten zu der Zeit vielleicht 5% der Jahrgänge das Abitur und nur ein Teil davon, besuchte dann anschließend noch erfolgreich eine Universität bis zum Abschluss.


Man kann sich an Hand dessen vergegenwärtigen, dass wenn nur 5% eines Jahrgangs ein Abitur oder einen noch höheren Abschluss hatte, das eben die 5% waren, in die entsprechenden Positionen in Wirtschaft, Staatsdienst und Armee einrückten und schon das war natürlich ein gewaltiges Anwachsen, wenn du dir die Zahl für 1891 im Vergleich anschaust, denn diejenigen, die noch im Kaiserreich ihre Karrieren machen konnten, dass waren ja nicht die die um 1914 mit der Schule fertig waren, sondern diejenigen, die das 10-20 Jahre früher absolviert hatten, als der Anteil nochmal geringer war.

Wenn nur 5% eines Jahrgangs Abitur oder höhere Abschlüsse haben, bleiben eben genügend herausgehobene Positionen, um diese Leute zu versorgen und sie mindestens irgendwo in dem einzubauen, was mehr heute vielleicht "mittlere Führungsebene" nennen würde. Bereichs/Abteilungsleiter in größeren Unternehmen, höhere Beamtenstellen in der öffentlichen Verwaltung, Offiziersstellen in der Armee usw.

1931 macht die Anzahl derjenigen, die ein Gymnasium oder eine ähnliche Schulform besucht haben, dann schon an die 10% aus, also hat sich das Potential in der Zeit verdoppelt, während gleichzeitig wegen der Kriegsfolgen und der wirtschaftlichen Schieflage überall rationiert und gespart werden musste, womit entsprechenden Stellen wegfielen, oder mit Personen besetzt werden mussten, die man wegen der Kriegsfolgen mit neuen Posten versorgen musste.











*mit "höheren Schulen" sind hier dem Gymnasium ähnliche Schulformen gemeint, keine Hochschulen im Sinne von Universitäten.
 
@Shinigami Schon im Mittelalter gab es an Universitäten pauperes. Das waren gar nicht so wenige. Nicht jeder, der promoviert hatte, bekam eine gute Pfründe. In den Artistenmfakultäten verdiente man nicht besonders gut. Bildung ist per se kein Garant für ein gutes Einkommen. Ich würde eher sagen, dass erfolgreiche Absolventen in den meisten Fällen in die Mittelschicht auffstiegen. Nach 1918 dürfte die doppelte Erfahrung, Herkunft aus dem unteren Bürgertum plus sozialer "Zurückstieg" durch äußere Rahmenbedingungen für viele prägend gewesen sein. Im Kaiserreich waren Karrieren vielfach durch Herkunftsschranken blockiert.
 
Die hier vertretenen Thesen zur Rolle der Akademiker im Nationalsozialismus scheinen mir diskutabel, aber ich sehe noch nicht die empirischen Unterfütterung. Seit dem Ersten Weltkrieg ging es ja vielen gesellschaftlichen Gruppen schlechter als in den letzten Jahren vor dem Krieg. Die Hyperinflation etwa traf die Rentiers (die zum Teil natürlich auch Akademiker waren). Und in der Weltwirtschaftskrise haben fast alle verloren.
Man müsste irgendwie quantitativ zeigen, dass Akademiker besonders betroffen waren. Dabei ist zu bedenken, dass ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung im Trend steigt, ich würde vermuten mindestens seit Beginn der Industriellen Revolution. Stieg beispielsweise der Anteil von Akademikern an den Arbeitslosen schneller als ihr Anteil an den Beschäftigten?

Heute würde man sich bei solchen Fragen das Soziökonomische Panel oder den Mikrozensus anschauen, so was gab es damals aber noch nicht.
 
@Clemens64 Die Frage ist, ob sich jemand überhaupt arbeitslos meldete. Ein Studium ist keine Arbeit im rechtlichen Sinn und berechtigt für sich genommen noch nicht zu einer Arbeitslosenversorgung. Auch heute wäre es gar nicht so einfach, all die selbständigen Forscher auf steuerlicher Vortragsbasis, all die Werkvertragsinhaber, Stipendiaten und Postdoktoranden im Kettenvertragsmodus statistisch zu erfassen. Bei den Bauern gab es ähnliche Probleme. Eine Sozialversorgung wie bei Arbeitern existierte dort nicht.
 
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