Hattische Sprache

Die politische Überlegenheit führt selbst dann nicht zwingend zur Sprachübernahme, wenn aktive Sprachpolitik betrieben wird. Sprache kann dann auch zum Code für politischen Widerstand werden.
Die Sprachwissenschaft unterscheidet zwischen Substraten, Superstraten und Adstraten, die machen ein wenig die verschiedenen Szenarien der Sprachübernahme deutlich:

Superstrat: die Sprache des siegreichen oder zugewanderten Volkes setzt sich nicht durch oder wird durch die des besiegten oder einheimischen Volkes verdrängt. Nur einzelne Elemente der Sprache des militärisch überlegenen Volkes gehen in die Sprache des besiegten Volkes ein (Wörter, Redewendungen, seltener grammatikalische Eigenheiten). Bsp.: die Länder der frühen germanischen Königreiche (Goten aller Himmelsrichtungen, Franken, Sueben, Langobarden etc.) bleiben bei ihren lateinischen Dialekten, die vermutlich auch von den germanischen Herrschern gesprochen wurden.

Substrat: Die Sprache des siegreichen oder zugewanderten Volkes setzt sich durch gegenüber den Sprachen der eroberten oder einheimischen Völker: etwas das Lateinische, dass sich im ganzen westlichen Mittelmeerraum durchsetzt. Nun sind es einzelne Elemente der unterlegenen Völker die sich erhalten. Ortsnamen und Gewässernamen sind z.B. sehr "haltbar".

Adstrat: verschiedensprachige Gruppen leben eng beieinander - das ist häufig so in Grenzbereichen, Grenzen sind vor dem Aufkommen der Nationalstaaten eher durchlässig - und beeinflussen ihre Sprachen gegenseitig.
 
Lieber Quijote,

natürlich reicht die politische Überlegenheit allein nicht aus. Es müssen andere Faktoren noch dazu kommen.:grübel:
 
beorna schrieb:
Das kann so nicht richtig sein. Man bedenke z.B. die Eroberung Kleinasiens durch die Türken. Diese waren weder zahlenmäßig, noch kulturell überlegen. Das heißt es muß noch mindestens eine weitere Möglichkeit bestehen, unter der eine Bevölkerung die Sprache der Eroberer annimmt. Außer du hättest politische Überlegenheit u.ä. in Punkt 2 mit eingeschlossen.

Das wäre immerhin ein bedenkenswerters Beispiel. Ich vermute allerdings, daß die Türkisierung eine Folge der Islamisierung Kleinasiens war, übrigens ein sehr langwieriger Prozeß, der sich über achthundert Jahre hinzog.
 
hyokkose schrieb:
Kriege, Epidemien und Naturkatastrophen führen zu zahlenmäßiger Schwächung.

Oder auch Moralische oder Witschaftliche schwächung...



hyokkose schrieb:
An den Beispielen China in der Mandschuzeit und Ungarn in der Zeit der osmanischen bzw. österreichischen Herrschaft.
Da sehen wir nur das es nicht passierte, nicht dass es nicht geschehen kann !
Ganz bestimmt gibt es auch Gegenbeispiele.
 
tamas schrieb:
Oder auch Moralische oder Witschaftliche schwächung...

Und das führt zum Verlernen der Sprache?



Da sehen wir nur das es nicht passierte, nicht dass es nicht geschehen kann !
Ganz bestimmt gibt es auch Gegenbeispiele.

Bis jetzt haben wir noch keines gesehen.

"Bestimmt gibt es Gegenbeispiele, nur wissen wir keines" ist kein Argument, damit läßt sich nichts widerlegen.
 
Um die These von den Hethitern als "Urbevölkerung" (bzw. einer hattischen Einwanderung) auszumalen, müssen wir folgende Fragen klären:

1. Kann denn jemand zuverlässig sagen, wann das Hattische ausgestorben ist? Oder hat es sich möglicherweise (in einzelnen Gegenden) im Volk noch Jahrhunderte gehalten?

2. Sind die meisten alten Ortsnamen hethitischen oder hattischen Ursprungs?

3. Warum verwendeten die Hethiter Hattisch als Kultsprache? Ein Überbleibsel der kurzen, hattischen Vormachtstellung oder war sie eben die alte Kultsprache der anatolischen Fürsten?
 
hyokkose schrieb:
Und das führt zum Verlernen der Sprache?

Schleisse ich nicht aus. Indianer, Aborigines ...

hyokkose schrieb:
Bis jetzt haben wir noch keines gesehen.

"Bestimmt gibt es Gegenbeispiele, nur wissen wir keines" ist kein Argument, damit läßt sich nichts widerlegen.

"Die machtpolitische Stärke als solche kann es ja nicht sein, wie wir gesehen haben."- behauptest du, und ich sehe nur:
Die machtpolitische Stärke als solche muss nicht unbedingt dazu führen.

Aber ob man das auch gleich ausschliessen kann ??
Sind z.b. Russisch "Muttersprachige" Steppenvölker nicht ein Gegenbeispiel ?
 
tamas schrieb:
Schleisse ich nicht aus. Indianer, Aborigines ...

In diesen Fällen dürfte "moralische Schwächung" bedeuten, die eigenen Werte, die eigene Kultur nicht mehr hochzuachten.
Wird aber die eigene Kultur als minderwertig angesehen, deckt sich das genau mit meiner Voraussetzung von der "kulturellen Überlegenheit".

tamas schrieb:
Aber ob man das auch gleich ausschliessen kann ??

Als notwendige Bedingung: Ja. Zumindest bis ein Gegenbeispiel auf dem Tisch liegt.

Sind z.b. Russisch "Muttersprachige" Steppenvölker nicht ein Gegenbeispiel ?

Inwiefern?
 
Pope schrieb:
1. Kann denn jemand zuverlässig sagen, wann das Hattische ausgestorben ist? Oder hat es sich möglicherweise (in einzelnen Gegenden) im Volk noch Jahrhunderte gehalten?

Nach dem, was ich im Kopf habe, soll das Hattische schon relativ früh, um 1600 v. Chr., nur noch ausschließlich als Kultsprache nachweisbar sein. Ich will versuchen, mich noch etwas schlauer zu machen.

Wie lange es noch von analphabetischen Bevölkerungsteilen gesprochen wurde, läßt sich natürlich nicht sagen.

Pope schrieb:
2. Sind die meisten alten Ortsnamen hethitischen oder hattischen Ursprungs?

Statistische Untersuchungen dazu sind mir nicht bekannt; ein paar Zitate zur altkleinasiatischen Toponymie möchte ich trotzdem hier einfügen (den Verzicht auf die diakritischen Zeichen möge man mir nachsehen):

Gamkrelidze/Ivanov schrieb:
The oldest names of rivers and lakes in Asia Minor can be analyzed on the basis of the ancient Anatolian languages, with some exhibiting forms that go back to Proto-Anatolian and are no longer attested in the historical languages Hittite, Luwian, and Palaic. For instance, in the Anittas inscription of the eighteenth century B. C. we find a river name Hulana-, a river in Anatolia. It can be etymologized as ancient Anatolian *Hulna- 'wave' and compared to PIE [=Proto-Indoeuropäisch] *Hwl-no- 'wave'. [Anm. Hyokkose: Vgl. deutsch "Welle"]
[...]
Also very archaic in structure, with components probably going back to the Proto-Anatolian period, are hydronyms which are compounds with a second element -hapa- (cf. Hitt. hapa- river): OHitt. ha-ra-as-ha-pa-as 'Eagle River', with conicides with the central European toponym Arlape [...] par-ma-as-ha(-pa-as), name of a deified river in the city of the same name; su-ra-an-ha-pa-as (fith a first element *suran-, unattested in the historical Anatolian dialects).
[...]
Numerous hydronyms of Asia Minor, attested in the historical Anatolian languages and going back to Proto-Anatolian, can be compared to the Indo-European derivational type of hydronyms in *-nth-. A particularly revealing example is Marassanta-, the Halys River of antiquity [...]

Another hydronym of Proto-Anatolian origin and having wide Indo-European connections is Alda, a river in Asia Minor [...]

In addition to river names, a number of ancient toponyms in central Asia Minor also point to ancient settlement of that region by Anatolian Indo-Europeans.

Thomas V. Gamkrelidze und Vjaceslav V. Ivanov, Indo-European and the Indo-Europeans, Berlin/New York 1995, Bd. I, S. 759/760


3. Warum verwendeten die Hethiter Hattisch als Kultsprache? Ein Überbleibsel der kurzen, hattischen Vormachtstellung oder war sie eben die alte Kultsprache der anatolischen Fürsten?

Um einmal eine ketzerische Vermutung zu äußern: Möglicherweise handelte es sich um die Sprache einer zahlenmäßig relativ dünnen Herrenschicht.
Das erklärt a) das kulturelle Prestige, das diese Sprache hatte (die "Sprache der Götter") und das auch nach der politischen Überlegenheit der Hethiter diese dazu brachte, die Sprache im Kult weiterzubenutzen.
Und das würde b) das relativ rasche und vollständige Verschwinden der Sprache als Alltagssprache - trotz ihrer kulturellen Funktion - erklären.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
hyokkose schrieb:
In diesen Fällen dürfte "moralische Schwächung" bedeuten, die eigenen Werte, die eigene Kultur nicht mehr hochzuachten.
Wird aber die eigene Kultur als minderwertig angesehen, deckt sich das genau mit meiner Voraussetzung von der "kulturellen Überlegenheit".

Abertausende besoffene Aborigines und Indianer in den vorstädten halten die eigene Werte nicht mehr hoch, weil diese Wertesystem verdrängt wurde, politisch. Nicht wegen kulturelle Überlegenheit, sondern aus Ignoranz.



In wiefern Russischsprechende ex-SU.völkchen ein Gegenbeispiel sind?
Da ist doch genau das passiert, was in Ungarn oder in China in der Mandschuzeit nicht .
 
tamas schrieb:
Abertausende besoffene Aborigines und Indianer in den vorstädten halten die eigene Werte nicht mehr hoch, weil diese Wertesystem verdrängt wurde, politisch.

Entscheidend ist, daß eben das Wertesystem verdrängt wird, und das ist dann ein kulturelles Kriterium.




tamas schrieb:
In wiefern Russischsprechende ex-SU.völkchen ein Gegenbeispiel sind?
Da ist doch genau das passiert, was in Ungarn oder in China in der Mandschuzeit nicht .

Und nun lautet die entscheidende Frage: Warum?

Vielleicht nennst Du mal eines der Völkchen als Beispiel, dann sehen wir weiter.
 
hyokkose schrieb:
Entscheidend ist, daß eben das Wertesystem verdrängt wird, und das ist dann ein kulturelles Kriterium.

Ich zähle jetzt mal nicht alles auf, was bislang genannt wurde. Dabei waren u.a. Ignoranz, moralische Schwächung, machtpolitische Stärke...

Ich finde ihr spaltet das Haar etwas zu genau. Wenn wir nämlich einfach (sprachlich gesehen) von den "Opfern" ausgehen, dann ist die Sache doch ziemlich einfach: je stärker das soziale Gefüge durcheinandergebracht wurde, umso größer wurde die Abhängigkeit und umso schneller vollzog sich der sprachliche Wandel.

Ob die "Opfer"-Gesellschaft dabei an Alkohol, Tabak, Missionierung, Technisierung, Urbanisierung oder sonstwas zerbrochen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Das Grundphänomen ist die Auflösung der Gesellschaft, die eben die Ablösung einer Kultur (wovon Sprache ein Teil ist) durch eine andere mit sich bringt.
 
hyokkose schrieb:
Wobei Hattuša nicht mehr dem "Gebiet um Çatal Hüyük" zuzurechnen ist. Auch von den landschaftlichen Gegebenheiten ist bzw. war das in frühgeschichtlicher Zeit eine ganz andere Region.

In wieweit unterscheidet sich die Konya-Ebene heute landschaftlich vom restlichen anatolischen Hochland? Damals war sie ja noch äußerst fruchtbar und gehörte mit dem anatolischem Mittelmeerraum zur Verlängerung des fruchtbaren Halbmondes. Kann man dies für den Rest des Hochlandes ausschließen?
Auf S.220 in Lucca und Franzesco Cavelli-Sforza: Verschieden und doch gleich ist eine Karte der Verbreitung des Ackerbaus in Europa abgebildet. Die Landwirtschaft um Catal Hüyük und eines großen Teiles des restlichen Hochlandes wird als älter als die des restlichen Kleinasiens, einschließlich des Mittelmeerraumes um Mersin und Hacilar, eingeschätzt. Natürlich kann man daraus keine Schlüße ziehen, allerdings hat es mich gewundert, da die Gebiete vielleicht kulturell doch nicht so unterschiedlich waren. Oder ist dir hier etwas anderes bekannt?
 
hyokkose schrieb:
Nach dem, was ich im Kopf habe, soll das Hattische schon relativ früh, um 1600 v. Chr., nur noch ausschließlich als Kultsprache nachweisbar sein. Ich will versuchen, mich noch etwas schlauer zu machen.
Ich habe gelesen, dass die Hattische Sprache bereits beim Aufkommen der ersten Keilschrifttafeln ausgestorben war bzw. nur noch zu kultischen Zwecken gebraucht wurde.


hyokkose schrieb:
Um mal eine ketzerische Vermutung zu äußern: Möglicherweise handelte es sich um die Sprache einer zahlenmäßig relativ dünnen Herrenschicht.
Das erklärt a) das kulturelle Prestige, das diese Sprache hatte (die "Sprache der Götter") und das auch nach der politischen Überlegenheit der Hethiter diese dazu brachte, die Sprache im Kult weiterzubenutzen.
Und das würde b) das relativ rasche und vollständige Verschwinden der Sprache als Alltagssprache - trotz ihrer kulturellen Funktion - erklären.
Für so ketzerisch halte ich diese Theorie überhaupt nicht, sondern hatte ich mir auch schon überlegt. Allerdings stellt sich dann doch die Frage nach dem Namen von Hattuscha, wie du weiter oben schon geschrieben hast. Eine mögliche Erklärung wäre natürlich, dass sie die Stadt bei der Übernahme umbenannt haben. Auch möglich wäre, dass die Stadt, welche später als Kanesch oder Alaca erst Ende des 3. Jahrtausends dauerhaft besiedelt wurde, von den neuen Herren des Landes als Hauptstadt errichtet worden ist.
Dann stellt sich aber auch noch die Frage, woher die Hattier kamen. Die Ähnlichkeit mit dem Hurritischen könnte ja darauf hindeuten, dass es ein kaukasische Sprache war. Möglich wäre natürlich, dass die verwandschaftliche Zuordnung durch eine Veränderung der Kultsprache erschwert wird.
 
Witege schrieb:
In wieweit unterscheidet sich die Konya-Ebene heute landschaftlich vom restlichen anatolischen Hochland? Damals war sie ja noch äußerst fruchtbar und gehörte mit dem anatolischem Mittelmeerraum zur Verlängerung des fruchtbaren Halbmondes. Kann man dies für den Rest des Hochlandes ausschließen?

Mir ging es nicht um den "Rest", sondern speziell um das nördliche Zentralanatolien innerhalb des Kızılırmak-Bogens. Das ist keine Ebene (von ein paar Flußebenen abgesehen, sondern überwiegend eine gebirgige Region, die noch bis in die frühe Eisenzeit bewaldet war. Das unterscheidet sie sehr von der Konya-Ebene.
 
hyokkose schrieb:
Mir ging es nicht um den "Rest", sondern speziell um das nördliche Zentralanatolien innerhalb des Kızılırmak-Bogens. Das ist keine Ebene (von ein paar Flußebenen abgesehen, sondern überwiegend eine gebirgige Region, die noch bis in die frühe Eisenzeit bewaldet war. Das unterscheidet sie sehr von der Konya-Ebene.

Du hast recht. Das ursprüngliche Gebiet der Hattier, wessen natürliche Vegetation sogar dem Kaukassus ähnlicher ist, unterscheidet sich doch deutlich mehr von der anatolischen Hochebene als ich gedacht habe.
 
Pope schrieb:
Ob die "Opfer"-Gesellschaft dabei an Alkohol, Tabak, Missionierung, Technisierung, Urbanisierung oder sonstwas zerbrochen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Das Grundphänomen ist die Auflösung der Gesellschaft, die eben die Ablösung einer Kultur (wovon Sprache ein Teil ist) durch eine andere mit sich bringt.

Und bei der Haarspalterei ging es darum, ob diese "andere" auch gleich Übergeordnet sein muss,und nicht um Tabak oder Technik.
 
hyokkose schrieb:
Um einmal eine ketzerische Vermutung zu äußern: Möglicherweise handelte es sich um die Sprache einer zahlenmäßig relativ dünnen Herrenschicht.
Das erklärt a) das kulturelle Prestige, das diese Sprache hatte (die "Sprache der Götter") und das auch nach der politischen Überlegenheit der Hethiter diese dazu brachte, die Sprache im Kult weiterzubenutzen.
Und das würde b) das relativ rasche und vollständige Verschwinden der Sprache als Alltagssprache - trotz ihrer kulturellen Funktion - erklären.

Das finde ich auch am plausibelsten. Darum erwähnte ich, das die Lösung evtl. im Emesu zu suchen . Nach allem, was ich untersucht habe, vermute ich, dass "Hattili" ein Zweig von Emesu ist. Dazu wäre natürlich eine revision von Subartu nötig, ich weiss, aber ich vermute die Wahrheit doch da.
 
Hyokkose schrieb:
a) Die Einwanderer sind den Ureinwohnern zahlenmäßig überlegen.
b) Die Einwanderer sind den Ureinwohnern kulturell überlegen. (Das schließt technische und wirtschaftliche Überlegenheit ein, bitte in diesem Zusammenhang nicht als Wertung verstehen!)

Eigentlich ist die Sache damit doch ganz simpel: Warum hat sich also das Hethitische durchgesetzt? Weil die Hethiter kulturell überlegen waren. Woher weiss ich das? Weil sich ihre Sprache durchgesetzt hat! :yes:

(von einer möglichen Bevölkerungsmehrheit oder einer Be- und Entvölkerungspolitik der Einwanderer natürlich mal abgesehen)
 
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