Hexenjagden gab es nicht nur in der frühen Neuzeit …

Zumindest anfangs, @El Quijote, ging es korrekt zu: Einmal gefoltert -> nicht gestanden -> Freispruch.
Später wurde das geändert. Und auch wenn es “nur” 3/5 der Angeklagten zur Todesstrafe verurteilt wurden, kann man jetzt nicht mehr behaupten, die Todesstrafe war eine Ausnahme gewesen.
 
Und auch wenn es “nur” 3/5 der Angeklagten zur Todesstrafe verurteilt wurden, kann man jetzt nicht mehr behaupten, die Todesstrafe war eine Ausnahme gewesen.
Das ist richtig, aber nicht der Kern dessen, was ich beanstandete. Sepiola sprach von Schätzungen, die Levack angestrengt hat. Wir wissen nicht, wie fundiert diese Schätzungen sind. Das kann Sepiola vielleicht aufklären.
Aber so lange wir nicht wissen, wie fundiert die Schätzungen sind, sollten wir mit Schlussfolgerungen verhalten sein. Du hast die Schätzungen Levacks, von denen Sepiola uns berichtet hat, zu Tatsachen erklärt.
Wenn Levack in 20 Archiven die Akten der Hexenprozesse durchgearbeitet hat und auf dieser Basis ein statistische Bild erlangt hat, dass er hochgerechnet hat, dann ist die Schätzung auf einem gewissen Erfahrungshorizont fundiert. Wenn Levack aber nur ein oder zwei Archive durchgesehen hat und auf dieser Basis eine Schätzung vornimmt, dann ist die Schätzung weit schlechter fundiert und wenn er auf Basis historiographischer Quellen gearbeitet hätte, dann wäre die Schätzung wertlos.
Macht es das verständlicher?
 
Die klerikale Perspektive und Deutung, überwiegend lateinisch verfasst, verwendete klassische Gelehrsamkeit in ihrer nun negativen Umdeutung der Begriffe aus heidnischer Religion: haegtesse, helrune etc wurde lateinisch umgedeutet in striga, parca, venefica, herbaria etc -- aber damit waren noch lange keine auf dem Besen reitenden Bibi Blocksberg Hexen gemeint!
Natürlich nicht – aber ein paar Jahrhunderte später schon – hier eine Illustration der Waldenserinnen aus dem Jahr 1451, also 30 Jahre vor dem ersten Erscheinen des Hexenhammers:

Champion_des_dames_Vaudoises.JPG


Der Dominikaner Heinrich Kramer hat also in seinem Hexenhammer nur aufgeschrieben - und ein wenig dramatisiert -, was damals geglaubt wurde.
 
Könnte es sein, dass dieses höhere Gut der sogenannte soziale Frieden ist? Oder konkret gefragt: Es müssen nur genügend Leute Bestrafung für vermeintliche Hexen fordern und schon wirft man die Rechtsgrundsätze über Bord?
Am Ende funktioniert jede Rechtsordnung nur so lange, wie sie sich auch durchsetzen lässt, und wohlbemerkt, wir reden hier von Zeiten, als so etwas, wie ein Gewaltmonopol noch in weiter Ferne lag.

Schau dir an, wie es in der Weimarer Republik ausgesehen hat. Da hatte ein Staat, der wesentlich besser organisiert war und dem wesentlich mehr Mittel zu Gebote standen, über weite Strecken der 15 Jahre des bestehens alle Hände voll damit zu tun, sich gegen den Umsturz von Verfassung und Rechtsordnung durch extremistische Gruppen zu erwehren und ist letztendlich daran gescheitert.

Eine Ordnung funktioniert nur so lange, wie die Zahl derer, die fundamental dagegen arbeitet so überschaubar ist, dass die Ordnungsmacht in der Lage ist damit fertig zu werden. Und Krisenzeiten haben es einmal an sich, dass Menschen die um ihre Existenz fürchten leicht in Panik zu versetzen sind und aus diesem Zustand heraus versuchen aus dem System auszubrechen.
Gleichzeitig haben solche Zeiten an sich, dass die Ordnungsmacht naturgemäß empfindlich schwach ist, weil ihre Legitimität dabei ist in die Binsen zu gehen.

Wir haben gesehen, dass die Kirche im frühen Mittelalter an die Existenz der Hexen nicht glaubte, dass sie aber später diese Meinung änderte und sich durch päpstlichen Bullen an die Spitze der Bewegung setzte, die Hexenverfolgung forderte. Die Gründe dafür dürften gewesen sein:
Wir reden von einer Bulle und bei der scheint so ´nicht so ganz klar, wie genau das eigentlich zustande gekommen ist.

Selbst wenn wir mal Fragen zum Entstehungskontext ausblenden, übergehst du den Umstand, dass sich Päpste und auch Konzilien immer mal wieder widersprochen und versucht haben vorher vorherrschende Meinungen anzufechten und zu verwerfen.

Du kannst also nicht auf eine Bulle verweisen, die zeitlich durchaus ein gutes Stück von der Hochzeit der Hexenverfolgung weg liegt und daraus begründen, die Kirche an sich wäre Vorkämpferin dieser Idee gewesen.
Mag sein, dass es mal einen Papst gab, der dieser Idee nahestand, damit ist dann allerdings nicht belegt, dass es die Nachfolger genau so hielten.

1. Die Verschlechterung des Klimas verursachte Ernteausfälle, die Hungersnöte zur Folge hatten. Dafür musste jemand verantwortlich sein: Entweder Gott, die Menschen selbst, weil sie nicht fromm genug waren – oder eben Hexen, die im Auftrag des Teufels agierten.
Also erstmal waren Hungersnöte bedingt durch Ernteausfälle, bis ins ausgehende 18. oder sogar 19. Jahrhundert hinein eine Grundkonstante der europäischen Geschichte.

Dann übersiehst du den durch die Pest bedingten Bevölkerungsrückgang im 14. Jahrhundert. In der Folge brauchte es einige Zeit, bis sich die Bevölkerung davon wieder erholte.
Die Folge der Bevölkerungsverluste war zunächst Neuverteilung von Land unter den Überlebenden und im Zusammenhang damit Aufgabe wirtschaftlicher Randlagen, was zur Folge hatte, dass es den Menschen erstmal relativ gesehen recht gut ging. Außerdem wurde mit dem Bevölkerungsrückgang menschliche Arbeitskraft seltener, damit wertvoller und teurer.

Das Ende der mittelalterlichen Warmzeit spielt bei den Krisenphänomenen im ausgehenden Mittelalter sicherlich eine gewisse Rolle, aber du übertreibst sie hier sehr stark.
Andre wesentliche Faktoren war die allmähliche Erhohlung der Bevölkerungszahl, damit wieder zunehmende Verknappung von qualitativ guten Böden und gleichzeitig auch erhöhrung des Angebots von Arbeitskraft, damit Verfall der Löhne/Einkommen bei den unterbäuerlichen und unterbürgerlichen Schichten, außerdem Versuche der Grundherren, Fürsten, etc. Vergünstigungen, die während der Zeit des Bevölkerungsrückgangs gewährt worden waren um den Rest der Bevölkerung bei der Stange zu halten zurück zu nehmen und die Maße der geschuldeten Abgabenlasten, Frondienste etc. wieder zum eigenen Nutzen zu verschieben.
Gesellschaftlich/Ökonomisch kommt auch hinzu, dass sich die feudalistischen Strukturen zunehmend auflösten und sich Entwicklungen in Richtung einer mehr kapitalistischen Wirtschaftsweise bahnbrachen, die Auswirkungen auf das Leben der einfachen Bevölkerung hatte, unter anderem Verusche der Grundherren sich bäuerliches Land mehr und mehr anzueignen und es eigenen Güterkomplexen anzuschließen "Bauernlegen", was sich oft unter dubiosen Umständen und Mitteln vollzog usw. usw.

Das alles trug erheblich zur Krisenzeit des ausgehenden Mittelalters und der Rennaissance bei und es hatte offensichtlich nichts, mit Hexen oder Teufeln oder sonst etwas zu tun.
Das waren zum Teil einfach demographische und ökonomische und sozioökonomische Entwicklungen, die sich da vollzogen und genau so ist das auch betrachtet worden.

Als in der Reformationszeit, erst die Ritterschaft, später die Bauern sich erhoben, waren deren Feindbild nicht Teufel, Hexen oder die Kirche, sondern in erster Linie die Fürsten (aus Sicht der Ritter und auch der Städte), die anfingen ihre Territorialstaaten auszubauen und den Kleinadel und die kleineren Städte unterzubuttern und aus Sicht der Bauern die Grundherren die immer mehr Frondienste verlangten, auf Grund der demographischen Entwicklung und des steigenden Angebots an Arbeitskraft, diese immer billiger ankaufen konnte, was ihre Profite steigerte, die Herausbildung von Großgrundbesitz eröglichte und dazu führte, dass die kleineren Bauernstellen unter Druck gerieten, während sich die Lebensverhältnisse von auf Lohnbasis beschäftigten Landarbeitern oder Tagelöhnern stetig verschlechterten.

Das musste in the long run natürlich zu einem erheblichen Vertrauensverlust in das etablierte System führen. Nicht der Umstand, dass die Kirche kein besseres Wetter/Klima herbeibeten konnte, das konnte sie auch in früheren Zeiten nicht.


2. Der Aufstieg des Protestantismus hat u.a. Papstum bzw. die gesamte katholische Kirche in Frage gestellt und damit eine Verunsicherung in der Bevölkerung bewirkt, so dass die Kirche um ihre Vormachtstellung bzw. um ihren Rückhalt in der Bevölkerung fürchten musste.
Du verwechselst Ursache und Wirkung.
Die Reformation führte nicht Verunsicherung in der Bevölkerung herbei, was die Akzeptanz der katholischen Kirche und ihrer Lehren betrifft, sondern sie war Produkt dieses Vertrauensverlusts.

Luther war im Hinblick auf einen großen Teil seiner Kritik, an der katholischen Kirche und ihren Irrwegen (aus seiner Sicht) nicht sooooo weit von Positionen entfernt, die Jan Hus knapp 100 Jahre vorher formuliert und vorgebracht hatte.
Vieles von dem, was er so beanstandete und behauptete, war jetzt nichts bahnbrechend neues.

Neu waren im wesentlichen 2 Dinge:

1. Im Gegensatz zum Beginn des 15. Jahrhunderts hatten wie oben geschildert Entwicklungen eingesetzt, (und zwar sehr menschliche Entwicklungen, die nur bedingt etwas mit Klimaphänomenen zu tun hatten) die zu einer Verschlechterung der Lebenssituation eines Großteils der Bevölkerung führte, was eine Legitimitätskriese des gesamten Systems (nicht nur der Kirchen) nach sich zog und die Bereitschaft erhöhen musste, mit diesen Verhältnissen zu brechen.

2. Mittlerweile war der Buchdruck vorhanden, der es ermöglichte Ausbruch aus dem bisherigen System im größeren Stil zu organisieren und Alternativen popuär zu machen.

Wäre die Legitimitätskrise der katholischen Kirche und des Systems überhaupt nicht längst vorhanden gewesen, die Reformation lutherischer Prägung hätte sich wahrscheinlich nicht durchgesetzt, sondern wäre, wie die Waldenser, Katharer, oder die Hussiten wahrscheinlich ein lokales auf den mitteldeutschen Raum beschränktes Phänomen mit einer wahrscheinlich eher kurzen Konjunktur geblieben.
 
Und auch wenn es “nur” 3/5 der Angeklagten zur Todesstrafe verurteilt wurden, kann man jetzt nicht mehr behaupten, die Todesstrafe war eine Ausnahme gewesen.
Die Betonung liegt auf "wenn".
Dazu bräuchte man aber erstmal wirklich belastbare Zahlen zur Gesamtzahl der Prozesse und so lange da erstmal nur Schätzungen vorliegen, bei denen die zu Grunde liegende Methode nicht geklärt ist, gibt es da eigentlich auch erstmal nichts zu diskutieren.
 
Natürlich nicht – aber ein paar Jahrhunderte später schon – hier eine Illustration der Waldenserinnen aus dem Jahr 1451
...das ist mehr als ein halbes Jahrtausend nach der Capitulatio de partibus Saxoniae... Du kannst es ausrechnen: wie viele Jahrhunderte sind von 783 bis 1451 verstrichen?
 
Habe gerade ein wenig im Buch “Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert” von Carlo Ginzberg gelesen, allerdings nur in einer englischen Übersetzung auf ProQuest. Darauf hat mich dieser sehr gute Wikipedia-Artikel gebracht. Das wollte ich den Interessierten in diesem Faden nicht vorenthalten.
 
Am Ende funktioniert jede Rechtsordnung nur so lange, wie sie sich auch durchsetzen lässt, und wohlbemerkt, wir reden hier von Zeiten, als so etwas, wie ein Gewaltmonopol noch in weiter Ferne lag.
Auch in jener Zeit gab es Gewaltmonopol: Einmal die pastorale Macht der Kirche(n), die sich um geistige Dinge kümmerte, und die weltliche Macht, die sich um strafbare Dinge kümmerte. Das Problem bei den angeblichen “Hexen” war, dass die Kirche behauptete, sie täten strafbare Dinge im Auftrag des Teufels – Stichwort: Schadenszauber. Und das mit dem Teufel sagte nur die lateinische Kirche, nicht die griechisch- bzw. russisch-orthodoxe Kirche und auch nicht der Islam.

Dass diese Aussage in Europa nur im HRR (vor allem) nördlich der Alpen und auf den britischen Inseln Wirkung zeigte, steht auf einem anderen Blatt - möglicherweise waren diese Gebiete stärker von dem Klimawandel betroffen als südlicher gelegene. Oder die Verfolgung war schlicht besser, gründlicher: Deutsche werden nicht umsonst, als jene apostrophiert, die alles besser machen; und diese sagen umgekehrt über die südlichen Länder, da herrsche laissez-faire.

Nördliches Italien ist wie Deutschland (Langobarden- also Germanenerbe?), und siehe da, dort fand auch Hexenverfolgung statt, wenn auch weniger intensiv. Das im Unterschied zu Mittel- und Süditalien, wo die Hexenverfolgung kaum eine Rolle spielte.

..das ist mehr als ein halbes Jahrtausend nach der Capitulatio de partibus Saxoniae...
Nein, die Bulle Vox in Rama ist aus dem Jahr 1233.

In dem Jahrhundert änderte sich auf dem Gebiet einiges, und das nicht zuletzt dank eines Thomas von Aquin, “der die Existenz eines straff organisierten „Dämonenstaates“ mit vielen verführten menschlichen Anhängern ersann, was im Vergleich zur Vorstellung zauberkundiger „Einzelkämpfer“ einen wesentlichen „Qualitätssprung“ darstellte.” (Wikipedia)
 
Im Schwabenspiegel gibt es ein Vorwort. Bernd Kannowski schreibt dazu in "Schwabenspiegel-Forschung im Donaugebiet" - Zitat:

Darin greift der Autor [des Schwabenspiegels] den göttlichen Auftrag aus dem Buch Genesis auf, der Mensch solle sich die Erde unterwerfen und über die Tiere herrschen. Aneignung und Beherrschung der Tierwelt durch den Menschen ist nichts anderes als die Erfüllung genau dieses Auftrags.
Dann enthält der Schwabenspiegel also nichts zu Tierprozessen?
Dabei unterscheidet Dinzelbacher bei den Tierprozessen zwei unterschiedliche Ausformungen: zum einen das weltliche Verfahren gegen ein Tier quasi als Straftäter (Tötung eines Menschen) mit dem Ergebnis seiner Hinrichtung und zum anderen die gegen Tiere (Insekten als Schädlinge) angestrengten geistlichen Tierprozesses, die mit der Exkommunikation der Schädlinge endeten. Die dabei zu beobachtende „Vermenschlichung“ des Tieres, dass wie ein vernunftbegabter Mensch angesprochen wird, wie ein Mensch in der Verantwortung gesehen wird und daher auch wie ein Mensch bestraft wird.
[...]
Allerdings beschäftigen Peter Dinzelbacher die folgenden, bereits in der ersten Auflage aufgeworfenen Fragen, noch weiter: Zum einen ist dies die Frage, warum in den Quellen der Antike und des Frühmittelalters Tiere nicht als Angeklagte in Strafprozessen nachweisbar sind, sondern vielmehr die Sachhaftung des Tierbesitzers die entscheidende Rolle spielt, während von den Quellen des 13. Jahrhunderts an, die Praxis der Tierprozesse belegbar wird. Zum anderen geht Peter Dinzelbacher eingehend der zweiten Frage nach, wie die geistige Elite des Mittelalters – namentlich Theologen und Juristen – daran glauben konnten, dass es möglich sei, eine Kommunikation zwischen Mensch und Tier zu etablieren, in der das Tier gleichsam wie ein Mensch religiöse, strafprozess- und strafrechtliche Sachverhalte und Erwägungen in einem offiziellen Prozess verstehen können würde. Diesbezüglich weist er hier ergänzend darauf hin, dass dies auch die Vorstellung/Erwartung voraussetzt, dass Tiere „vernünftigen“ Argumenten zugänglich seien und dass sie im Fall der Prozesse gegen Schadinsekten auch in der Lage seien, entsprechenden der von menschlichen Interessen diktierten Entscheidungen geistlicher Gerichte zu agieren. [/I]
Leider führt uns das nicht weiter. Es beantwortet nicht die Fragen, die hier von verschiedenen Foristen aufgeworfen wurden. Was waren das für Prozesse? Auf welcher Grundlage wurden sie geführt, in welchem Rahmen? Waren es offiziöse Veranstaltungen? Hat ein fanatischer Richter das Recht missbraucht?
Damit dürfte klar sein, dass diejenigen hier, die z.B. für eine Tatsache hielten, “dass nur ein geringer Teil der Prozesse mit der Todesstrafe endete”, auf dem Holzweg waren.
Nein. Bitte zitiere endlich sorgfältig, oder diese ganze Diskussion hat keinen Sinn! Meine Aussage, dass nur ein geringer Teil der Prozesse mit der Todesstrafe endete, bezog sich auf die Inquisition! Und es kam zu dieser ganzen zeitverschwenderischen Diskussion nur, weil Du andauernd Inquisition und Hexenprozesse durcheinanderwirbelst!
Könnte es sein, dass dieses höhere Gut der sogenannte soziale Frieden ist? Oder konkret gefragt: Es müssen nur genügend Leute Bestrafung für vermeintliche Hexen fordern und schon wirft man die Rechtsgrundsätze über Bord?
Vermutlich.

Schau Dir das heutige Saudi-Arabien an. 73% der saudischen Schulabgänger beginnen ein Universitätsstudium, das Bildungsniveau ist sehr hoch, trotzdem glaubt man an Hexerei und Schadenszauber und vollstreckt auch hin und wieder Strafen an sogenannten Zauberern. Saudi-Arabien ist zugleich eine sehr repressive Gesellschaft, die Leute haben keine demokratischen oder zivilgesellschaftlichen Ventile, um Unmut zu zeigen.
Wir haben gesehen, dass die Kirche im frühen Mittelalter an die Existenz der Hexen nicht glaubte, dass sie aber später diese Meinung änderte
Kann man so formulieren, ist aber sehr ungenau. Der Glaube an Zauberei war niemals unumstrittene Lehrmeinung der Kirche. Viele Kleriker zu allen Zeiten lehnten ihn ab.
und sich durch päpstlichen Bullen an die Spitze der Bewegung setzte, die Hexenverfolgung forderte.
Wenn Du schreibst: "[…] versuchte, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen", gehe ich vielleicht noch mit, aber diese Formulierung halte ich für falsch. Erstens passt der Zeitrahmen nicht; die Bulle 'Summis desiderantes affectibus' spielte ebenso wie der 'Hexenhammer' in der Praxis erst mal keine Rolle. Zweitens: Ob Du es wahrhaben willst oder nicht, die Kirche hinderte in der Praxis die Hexenverfolgungen eher, als sie zu unterstützen. Hätte die katholische Kirche als Organisation Grund gehabt, sich durch die Hexenverfolgungen Aufwind zu versprechen, hätte sie diese selbst und mit Nachdruck betrieben. Außerdem erklärt Deine Hypothese nicht, wie protestantische Gebiete zu Hotspots der Hexenverfolgungen werden konnten.
1. Die Verschlechterung des Klimas verursachte Ernteausfälle, die Hungersnöte zur Folge hatten.
Spielte wohl eine Rolle, aber ich sehe keinen Grund, sie zu überbewerten. Denn zwar stimmt es, dass Hexenverfolgungen meist im Kontext von Krisen (Kriege, Naturkatastrophen, Glaubensstreit) losbrachen, aber es war eben nicht so, dass jede Krise zu Hexenverfolgungen führte. Ganz im Gegenteil. Die Hexenverfolgungen blieben ein zeitlich und örtlich begrenztes Phänomen.
2. Der Aufstieg des Protestantismus hat u.a. Papstum bzw. die gesamte katholische Kirche in Frage gestellt und damit eine Verunsicherung in der Bevölkerung bewirkt, so dass die Kirche um ihre Vormachtstellung bzw. um ihren Rückhalt in der Bevölkerung fürchten musste.
Spielte wahrscheinlich eine Rolle, doch mit der oben genannten Einschränkung.

Es ist auch durchaus möglich, dass 'Summis desiderantes affectibus' allein die Meinung des achten Innozenz verkörperte, und der Stopfen ganz einfach nicht mehr auf die Flasche zu bekommen war.
Im Verhältnis. Da Hexenprozesse im Prinzip - anders als der Inquisitionsprozess - keine rechtsstaatlichen Prozesse waren (ich weiß, dass es weh tut, Inquisitionsprozesse als rechtsstaatlich zu bezeichnen, aber letztlich sind sie der Beginn unserer rechtsstaatlichen Prozessordnung) wundern mich die Schätzungen schon, dass "nur" 3/5 verurteilt wurden. Dass die Existenz des Teufels und damit mittelbar der Hexerei für gegeben gehalten wurde, ist das eine, dass man aber Leute der Hexerei/des Teufelsbundes bezichtigte um womöglich an deren Besitz zu kommen etwas ganz anderes.
Man müsste mal abklären, wie hoch die Verurteilungsquote bei "weltlichen" Straftaten war. Ich würde annehmen, dass sie nicht sehr viel geringer (oder höher) ausfiel. Die Gesamtumstände der Zeit (keine Kriminologie bzw. Forensik, soziale und finanzielle Hürden, Parteiprozess) dürften dazu geführt haben, dass in der Hauptsache solche Leute vor Gericht gestellt wurden, deren Verurteilung nicht unwahrscheinlich schien.
Auch in jener Zeit gab es Gewaltmonopol: Einmal die pastorale Macht der Kirche(n), die sich um geistige Dinge kümmerte, und die weltliche Macht, die sich um strafbare Dinge kümmerte.
Nein, es gab kein Gewaltmonopol! Es gab eine Obrigkeit, die das Gewaltmonopol zu erlangen suchte, mehr nicht.

Das obrigkeitliche Gewaltmonopol begegnet uns erst im Absolutismus, manche Autoren sagen sogar, erst in dem Zeitpunkt, als auch das Duellwesen eingedämmt war. Im Mittelalter hatten weder der weltliche noch der geistliche Arm ein Gewaltmonopol. Wer das Gewaltmonopol hat, muss nicht Leuten, die sich seinem Machtanspruch widersetzen, mit den grausigsten Strafen drohen!
Dass diese Aussage in Europa nur im HRR (vor allem) nördlich der Alpen und auf den britischen Inseln Wirkung zeigte, steht auf einem anderen Blatt - möglicherweise waren diese Gebiete stärker von dem Klimawandel betroffen als südlicher gelegene. Oder die Verfolgung war schlicht besser, gründlicher: Deutsche werden nicht umsonst, als jene apostrophiert, die alles besser machen; und diese sagen umgekehrt über die südlichen Länder, da herrsche laissez-faire.
Von regional unterschiedlichen Auswirkungen der Kleinen Eiszeit ist mir nichts bekannt, aber Hexenverfolgungen spielten auch in Skandinavien eine Rolle. Angesichts der regional unterschiedlichen Verteilung dürfte es ein vielversprechenderer Ansatz sein, kulturelle als religiöse Impulsgeber zu vermuten (z.B. germanische Mythen und Riten).

Die "Effizienz" der Verwaltung dürfte jedenfalls keine große Rolle spielen. Im Gegenteil, die Hexenverfolgungen dürften im Alten Reich gerade deshalb gewütet haben, weil es keine starke Zentralgewalt gab.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht klärt uns Sepiola ja noch darüber auf, auf welcher Basis diese Schätzungen von Levack gemacht wurden, damit wir einen Anhaltspunkt haben, wie fundiert diese sein können.

Das statistische Material, das Levack präsentiert, sieht so aus:

  • Freiburg (1607-1683) 162 / 53 = 33%
  • Genf (1637-1662) 318 / 68 = 21%
  • Neuchâtel (1568-1677) 341 / 214 = 63%
  • Kanton Waadt (1637-1630) 102 / 90 =90%
  • Luxemburg (1509-1687) 547 / 358 = 69%
  • Grafschaft Namur (1509-1646) 270 / 144= 54%
  • Insel Guernsey (1563-1634) 78 / 33 = 46%
  • Dépt. Nord/Frankreich (1542-1679) 187/ 90 = 48%
  • Finnland (1520-1699) 710 / 115 = 16%
  • Norwegen (1551-1760) 730 / 280 = 38%
  • Schottland (1563-1727) 402 / 216 = 54%
  • Grafschaft Essex/England (1560-1672) 291 / 74 = 24%
  • Ungarn (1520-1777) 932 / 449 = 48%
Die erste Zahl betrifft "Verurteilte, soweit bekannt" (falls hier kein Übersetzungsfehler vorliegt, wären also Freisprüche nicht erfasst!), die zweite Zahl die Hinrichtungen.

Wenn man den Durchschnitt der Prozentzahlen (nicht der hier erfassten Fälle) nimmt, landet man bei 46,5%, davon ausgehend schätzt Levack den tatsächlichen Durchschnitt dann aber höher.

Die Schätzung der Prozesse ist sehr grob. Für Deutschland wird die Himmler-Kartei herangezogen, das sind etwa 30.000 Prozesse, darauf wird Pi mal Daumen eine Dunkelziffer draufgeschlagen, so ergeben sich dann geschätzte 50.000 Prozesse. Die geschätzten Zahlen europaweit ergeben 109.000.


Die Zahl der Prozesse und die Prozentzahl der Hinrichtungen sind, wie man hier schon sieht, lokal sehr unterschiedlich.
Für Köln, die bevölkerungsreichste deutsche Stadt um 1500, nennen Irsigler/Lassotta folgende Zahlen:

"Zwischen 1500 und 1655 gab es hier 'nur' 73 Hexenprozesse. Davon endeten 24 mit der Verurteilung zum Tode, alle erst 1617 und in den folgenden Jahren, 11 mit der Übereignung der Delinquentin (oder des Delinquenten) an den Greven, 7 mit Ausweisung, 9 mit Aushauen und immerhin 22 mit der Freilassung."
 
Dass diese Aussage in Europa nur im HRR (vor allem) nördlich der Alpen und auf den britischen Inseln Wirkung zeigte, steht auf einem anderen Blatt - möglicherweise waren diese Gebiete stärker von dem Klimawandel betroffen als südlicher gelegene. Oder die Verfolgung war schlicht besser, gründlicher: Deutsche werden nicht umsonst, als jene apostrophiert, die alles besser machen; und diese sagen umgekehrt über die südlichen Länder, da herrsche laissez-faire.
...Ludovico Settembrini hätte seine Freude an diesem völkerpsychologischen Vortrag (die Quelle hierzu hat gerade ihren 100sten Geburtstag) :D :D:D

Nein, die Bulle Vox in Rama ist aus dem Jahr 1233.
...von 783 bis 1233 sind wie viele Jahrhunderte? Womöglich viereinhalb? Und warum bringst du zuvor ein Besenritt-Bildchen aus der Mitte des 15. Jhs ?

Dieser burschikos-hemdsärmeligen hau-ruck-"Argumentation" kann ich nichts informatives abgewinnen, halte sie auch nicht für diskussionsförderlich.
 
Spielte wohl eine Rolle, aber ich sehe keinen Grund, sie zu überbewerten. Denn zwar stimmt es, dass Hexenverfolgungen meist im Kontext von Krisen (Kriege, Naturkatastrophen, Glaubensstreit) losbrachen, aber es war eben nicht so, dass jede Krise zu Hexenverfolgungen führte.
Gäbe es einen Regelmechanismus Katastrophe/Krise-zack-Hexenverbrennungen dann war die große Manndränke Zweite Marcellusflut – Wikipedia keine Katastrophe, denn ihr folgten am nun neuen Küstenverlauf keine massenhaften Scheiterhaufen.
 
Damit dürfte klar sein, dass diejenigen hier, die z.B. für eine Tatsache hielten, “dass nur ein geringer Teil der Prozesse mit der Todesstrafe endete”, auf dem Holzweg waren.

Wer bitte sind "diejenigen hier"?

@Scorpio hat nichts dergleichen behauptet, @muck hat nichts dergleichen behauptet, ich habe nichts dergleichen behauptet.

Falls es jemanden geben sollte, der behauptet hat, dass nur ein geringer Teil der Hexenprozesse mit der Todesstrafe endete, dann nenne die Namen und zitiere die Beiträge.

Wer sagt, dass nur ein geringer Teil der Inquisitionsprozesse mit der Todesstrafe endete, ist hingegen keineswegs auf dem Holzweg.
Hierzu schreibt Levack u. a.:

"Zwar fällte das Genfer Gericht nur wenige Todesurteile über Hexen, und das Gericht in Salem verurteilte niemanden zum Tode, der ein Geständnis abgelegt hatte. Aber keines dieser Gerichte konnte sich mit der Milde der spanischen Inquisition im 17. Jahrhundert messen. Bei der umfangreichsten spanischen Hexenjagd, in die mehr als 1900 Menschen verwickelt wurden, wurden nur elf Personen zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt [...] Im Gegensatz zu den meisten weltlichen Gerichten, bei denen ein Geständnis in der Regel die Verurteilung und Hinrichtung zur Folge hatte, führte es in Spanien meist zur Versöhnung mit der Kirche. Genau dies war ursprünglich die Aufgabe der kirchlichen Gerichte, und in Spanien sorgte die Inquisition dafür, daß selbst in Fällen von Hexerei nur die verstockten Sünder leiden mußten."

"Die relative Milde der Strafen in iberischen und italienischen Hexenprozessen bestand vorwiegend darin, daß spanische, portugiesische und italienische Gerichte Hexen seltener zum Tode verurteilten. Diese Zurückhaltung erklärt sich aus den angewandten Prozeßverfahren, der Art und Weise, in der die Inquisitoren das Verbrechen interpretierten, und der sorgfältigen Kontrolle ihrer Arbeit durch übergeordnete Instanzen. [...] Insgesamt gab es viele Verurteilungen und Strafen, aber die Inquisition verhängte in der Tradition kirchlicher Gerichtsbarkeit meist keine Todesstrafen."
 
Man müsste mal abklären, wie hoch die Verurteilungsquote bei "weltlichen" Straftaten war.
Antwort anhand von Stichproben: Die Bandbreite scheint erheblich zu variieren, jedoch auch eine gewisse Korrelation zwischen Härte und Zugehörigkeit zum römischen Rechtskreis vorzuliegen.

Für das Königreich England:
Ultimately, it was a jury, not a judge, that issued a final verdict in English felony cases after 1215. This difference with Romano-canonical procedure is noteworthy, monumental even. But juries issued their verdicts with the aid of a factual record and, in the absence of a sufficient one, were inclined to acquit. While any interpretation of medieval English felony acquittal rates relies upon inferences, such inferences are grounded here in evidence of a keen interest in gathering facts swiftly, creating a record thereof, and allowing the impeachment of an accuser whose credibility was strained due to his or her deviation from earlier testimony.
[…]
England’s low conviction rate in felony cases suggests that jurors took seriously the burden of proof, opting for acquittals when sufficient doubt remained.
(Papp Kamali, Elizabeth, Finding Facts in Medieval English Law, Journal of Legal Analysis, 15. Jahrgang, Ausgabe 1-2023, Seite 158 ff.)

Zum Vergleich, Reichsitalien:
The resolution of criminal trials took many forms, from peace agreements, to absolutions, to public executions. Criminal trials at Reggio are characterized by a high overall conviction rate, which was approximately 90 percent in the period under examination; of these convictions, 48.5 percent were orderedin absentia. Overall, only a little more than five percent of cases saw the defendants absolved from charges. The other four and a half percent ended in a variety of ways: with orders from Milan to stop proceedings, with cases cancelled without surviving explanation, or withgratia granted by the Visconti.
(Vitiello, J. C., Resolutions: Conviction, Absolution, and Mitigation, Public Justice and the Criminal Trial in Late Medieval Italy: Reggio Emilia in the Visconti Age, Seite 147 ff.)

Man wird wohl sagen können, dass die hohe Verurteilungsquote in Hexenprozessen dem Trend der Zeit entsprach und nicht (oder nicht ausschließlich) Ausdruck von Fanatismus war, sondern auch von den strukturellen Schwächen der damaligen Rechtsprechung. Angesichts des genannten Zahlenverhältnisses mögen wegen Hexerei Angeklagte sogar eine höhere Aussicht gehabt haben, den Fängen der Justiz zu entkommen, als "normaler" Straftaten Beschuldigte.
 
Im Schwabenspiegel gibt es ein Vorwort. Bernd Kannowski schreibt dazu in "Schwabenspiegel-Forschung im Donaugebiet" - Zitat:

Darin greift der Autor [des Schwabenspiegels] den göttlichen Auftrag aus dem Buch Genesis auf, der Mensch solle sich die Erde unterwerfen und über die Tiere herrschen. Aneignung und Beherrschung der Tierwelt durch den Menschen ist nichts anderes als die Erfüllung genau dieses Auftrags.

Weil ich auf das Buch Peter Dinzelbachers Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess (Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Bd. XI). Zweite, wesentlich erweiterte Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, wbg, 2020, 384 Seiten. nicht zugreifen kann, hier eine Rezension des Buches in Journal on European History of Law, 2021 - mit einem Link kann ich leider nicht dienen - Zitat (Fettschreibung durch mich):

Dabei legt der Autor sein Werk methodisch umfassend breit an, indem er nicht nur verschiedene Disziplinen für die Untersuchung nutzbar macht, sondern auch indem er zum einen die ganze Bandbreite des mittelalterlichen Rechts (römisch-antikes Recht, germanisches Recht, kanonisches Recht, Stadtrechte, Sachsenspiegel usw.) heranzieht und daneben Urkunden, narrative Quellen und diskursive Texte, die die Rechtspraxis abbilden, sprechen lässt (S. 33), wobei der Autor die ganze Epoche des Mittelalters vom Früh- bis zum Spätmittelalter und das für ganz Europa abzubilden sucht.
[...]
Dabei unterscheidet Dinzelbacher bei den Tierprozessen zwei unterschiedliche Ausformungen: zum einen das weltliche Verfahren gegen ein Tier quasi als Straftäter (Tötung eines Menschen) mit dem Ergebnis seiner Hinrichtung und zum anderen die gegen Tiere (Insekten als Schädlinge) angestrengten geistlichen Tierprozesses, die mit der Exkommunikation der Schädlinge endeten. Die dabei zu beobachtende „Vermenschlichung“ des Tieres, dass wie ein vernunftbegabter Mensch angesprochen wird, wie ein Mensch in der Verantwortung gesehen wird und daher auch wie ein Mensch bestraft wird.
[...]
Allerdings beschäftigen Peter Dinzelbacher die folgenden, bereits in der ersten Auflage aufgeworfenen Fragen, noch weiter: Zum einen ist dies die Frage, warum in den Quellen der Antike und des Frühmittelalters Tiere nicht als Angeklagte in Strafprozessen nachweisbar sind, sondern vielmehr die Sachhaftung des Tierbesitzers die entscheidende Rolle spielt, während von den Quellen des 13. Jahrhunderts an, die Praxis der Tierprozesse belegbar wird. Zum anderen geht Peter Dinzelbacher eingehend der zweiten Frage nach, wie die geistige Elite des Mittelalters – namentlich Theologen und Juristen – daran glauben konnten, dass es möglich sei, eine Kommunikation zwischen Mensch und Tier zu etablieren, in der das Tier gleichsam wie ein Mensch religiöse, strafprozess- und strafrechtliche Sachverhalte und Erwägungen in einem offiziellen Prozess verstehen können würde. Diesbezüglich weist er hier ergänzend darauf hin, dass dies auch die Vorstellung/Erwartung voraussetzt, dass Tiere „vernünftigen“ Argumenten zugänglich seien und dass sie im Fall der Prozesse gegen Schadinsekten auch in der Lage seien, entsprechenden der von menschlichen Interessen diktierten Entscheidungen geistlicher Gerichte zu agieren.

Wir halten also fest: Im Schwabenspiegel steht nichts zu "Tierprozessen", auch indirekt nicht, auch nicht im Vorwort zu einer kommentierten Ausgabe.

Du kannst auf das Buch von Dinzelbacher nicht zugreifen? Liegt das daran, dass du es nicht besitzt, es auch nicht gelesen hast und auch nicht vorhast, es zu kaufen und zu lesen?

Ich habe es auch nicht gelesen- ist keine Schande, ich habe auch nicht vor, es mir zu kaufen. Ich halte auch Prozesse gegen Tiere nicht für ausgeschlossen. Aber mich würde ja interessieren, um was es in den Fällen eigentlich ging: Tötung von Wildtieren, Tötung von Haustieren, Maßnahmen gegen schädliche Tiere, dass Tiere gemeinsam mit Menschen am Galgen aufgehängt wurden- das bestreitet ja keiner, dass es solche Fälle gab.

Aber

Aber solange da nicht geklärt






Damit dürfte klar sein, dass diejenigen hier, die z.B. für eine Tatsache hielten, “dass nur ein geringer Teil der Prozesse mit der Todesstrafe endete”, auf dem Holzweg waren.
Und wieder grüßt das Murmeltier! Schon wieder schiebst du anderen Diskussionsteilnehmern ein Strohmann-Argument unter. Ein Fazit, das so aber gar keiner in der Diskussion getroffen hat.

Auf dem Holzweg wandelt in dieser Diskussion- wie vielen anderen- keiner so unbeirrt wie der User @Dion. Keiner, der ein totes Pferd so unbeirrt immer wieder zu Tode reitet, als hätte es 9 Leben wie eine schwarze Katze. Der steigt auch ums Verrecken nicht ab, und wäre der tote Gaul schon in Verwesung übergegangen.


Könnte es sein, dass dieses höhere Gut der sogenannte soziale Frieden ist? Oder konkret gefragt: Es müssen nur genügend Leute Bestrafung für vermeintliche Hexen fordern und schon wirft man die Rechtsgrundsätze über Bord?

Wieder ein Strohmann! Der "soziale Frieden war den freien Reichsstädten tatsächlich wichtig, die Stadträte waren keineswegs geneigt, obskuren Verleumdungen und Denunziationen nachzugeben. Das lässt sich auch aus Quellen belegen.

Das passt aber nicht zum Narrativ und das drehst du mal eben um und unterstellst, dass der "sogenannte soziale Frieden" überhaupt erst hergestellt war, wenn eine Stadt dem "gesunden Volksempfinden" nachgab und Hexen verfolgte. Eine äußerst perfide Methode, Aussagen zu verdrehen.
 
Zu den Zahlen: Behringer geht von etwa 50.000 Hinrichtungen aus, davon die Hälfte auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Die Zahl der Prozesse schätzt er zwei- bis dreimal so hoch.
(Behringer, Wolfgang: Hexen. Glaube - Verfolgung - Vermarktung, 6. Aufl. München 2015, S. 65 ff. Da das Buch zur Reihe Beck Wissen gehört, gibt es keine Belege.)​
Eben. Schon mit (Papst Gregor IX.) gab es die Gleichsetzung: Hexen = Ketzerinnen = Häretikerinnen. Zitat aus dem Link (Fettschreibung durch mich): Gregor IX. führte das Amt des Inquisitors als eines von den lokalen Bischofsgerichten unabhängigen Sonderbeauftragten ein und übertrug diese Aufgabe besonders eifrigen Männern wie dem in Deutschland tätigen Konrad von Marburg. Auf Konrads Berichte gestützt, warnte er im Jahr 1233 den römisch-deutschen König Heinrich (VII.) in seinem Brief Vox in Rama über eine angeblich in Deutschland wirkende Häresie von Luziferianern.

Luziferianer waren also Teufelsanbeter, was in Hexenprozessen als Abfall von Gott thematisiert wurde. Auch finden sich schon 1233 in der päpstlichen Bulle Vox in Rama all die Elemente wieder, die später in Hexenprozessen eine Rolle spielten - Beispiel: Osculum infame.

Das ist falsch. Bei dem von dir Geschilderten geht es um eine Sekte von Teufelsanbetern, da fehlen fast alle Elemente, die später bei den Hexenprozessen eine Rolle spielten. Das angebliche Delikt der Hexerei* setzte sich aus fünf Elementen zusammen:​
  • Schadenszauber
  • Teufelspakt
  • Teufelsbuhlschaft
  • Nachtflug
  • Hexensabbat**
Der Glaube an magische Praktiken war allgemein verbreitet, sowohl beim einfachen Volk, wie auch bei den Eliten, die ihrerseits zusätzlich über den Einfluss des Teufels debattierten. Aus dem Hochmittelalter sind vereinzelte Prozesse gegen Magier überliefert, wie auch Lynchmorde gegen Frauen, sie Schadenszauber betrieben haben sollen. Zwischen 1400 und 1450 wurden dann die verschiedenen Elemente zu der Vorstellung von einer Hexensekte, die der Christenheit schaden wollte, kombiniert. Erst danach konnte es zu Hexenprozessen kommen, die abgesehen von der ersten Welle, an der auch Inquisitoren beteiligt waren, in West- und Mitteleuropa fast ausschließlich von weltlichen Gerichten geführt wurden. Behringer spricht von der Zeit der legalen Hexenverfolgung in Europa von 1430 bis 1780, mit dem Höhepunkt von 1560 bis 1630. (a.a.O., S.35) Das ist ein Phänomen, das sich zeitlich und räumlich eingrenzen lässt, während der Glaube an Zauberei und Magie weltweit verbreitet war und vielfach heute noch ist.

*Der Begriff "hexerye" taucht erstmals 1419 bei einem Prozess in Luzern auf. (Behringer, a.a.O., S. 40)
** Die Vorstellung vom Hexensabbat war besonders verhängnisvoll, denn man fragte die Angeklagten, wen sie auf dem Hexensabbat gesehen hatten und so konnte sich ein einzelner Prozess schnell zu einer Welle ausbreiten.​

LG Frederuna
 
Wer sagt, dass nur ein geringer Teil der Inquisitionsprozesse mit der Todesstrafe endete, ist hingegen keineswegs auf dem Holzweg.
Hierzu schreibt Levack u. a.:

Da müssten wir auch noch differenzieren zwischen Inquisitionsprozessen und Prozessen der Inquisition.

Inquisitionsprozess ist ja eigentlich nur der Name für die Prozessform wie sie im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit sich entwickelt hat. Fast alle Kriminalprozesse, die zwischen dem 16. und dem frühen 19. Jahrhundert auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reichs geführt wurden, waren Inquisitionsprozesse. Charakteristisch für den Inquisitionsprozess war: 1. Das gesamte Verfahren ist verschriftlicht, 2. die Inquirenten fällen nicht das Urteil, sie sind Untersuchungsrichter, 3. Die Verteidigungsmöglichkeiten sind eingeschränkt: Verteidiger können keine eigenen Zeugen ernennen, eine Verteidigung ist nur in interpretatorischer Sicht möglich, erst wenn die General-Inquisition abgeschlossen ist, kann ein Verteidiger tätig werden, 4. Die Möglichkeiten der Anklage sind eingeschränkt. Nach der Carolina sind 2 Tatzeugen und nicht etwa Komplizen nötig, um einen Angeklagten zu überführen oder ein Geständnis. Eine Verurteilung nur auf Indizienbasis ist sehr schwierig, meist nicht ausreichend.



Die Kriminalprozesse gegen "meine" Banditen Anfang des 19. Jahrhunderts im Kurfürstentum Hessen, bzw. im Werradepartement des Königreichs Westphalen sind n den Findbüchern zu finden unter Acta Inquisitionis Specialis den XY betreffend. Da ließ sich beobachten, dass viele prominente Räuber es vorzogen, nach dem schwerfälligen Inquisitionsprozess als in einem Indizienprozess unter dem Code penal.

In Köln gab es ein Spezialgericht, gegen dessen Urteile keine Berufung oder Revision möglich war, dessen Urteile schnell vollstreckt wurden.

Der jüdische Bandit Abraham Picard ging sogar soweit, dass er einen Raub erfand, an dem er beteiligt sein wollte, um zu erreichen, dass er in Kurhessen und nicht in Köln abgeurteilt wurde.

Er starb schließlich in Marburg im Gefängnis ohne gestanden zu haben. Seinen Leichnam kaufte die jüdische Gemeinde frei.

Viele Banditen zogen es wie Picard vor, nach dem alten Recht, der immer wieder reformierten CCC abgeurteilt zu werden, da man sie so nur mit Geständnis verurteilen konnte.
 
Da will ich mich auch mal mit eiem Beitrag an „Hexenjagd“ beteiligen.
Hier die Hexe „Geta“ – eine echte Brockenhexe - mit einer ihrer Jagd-Tropäe.

Echte Brockenhexe-1.jpg
 
Nach Levack, 'The Witch-Hunt in Early Modern Europe' fanden vor der Spanischen Inquisition in der gesamten Zeit ihres Bestehens rund 150.000 Verfahren statt, von denen 2,7% mit der Todesstrafe endeten.
Bist Du sicher, dass Du das bei Levack gelesen hast? Und falls ja, kannst Du Dich noch an den Zusammenhang erinnern? Ich kann die Zahl nicht finden.
 
Das Kapitel hieß "Chronology and Geography of Witch Hunts", das Unterkapitel "The Mediterranean" oder so ähnlich. Mit der Seitenzahl kann ich nicht dienen, war eine .epub-Ausleihe. Wobei der Prozentsatz nicht im Buch auftaucht, nur Grundwert und Prozentwert.
 
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