Könnte es sein, dass dieses höhere Gut der sogenannte soziale Frieden ist? Oder konkret gefragt: Es müssen nur genügend Leute Bestrafung für vermeintliche Hexen fordern und schon wirft man die Rechtsgrundsätze über Bord?
Am Ende funktioniert jede Rechtsordnung nur so lange, wie sie sich auch durchsetzen lässt, und wohlbemerkt, wir reden hier von Zeiten, als so etwas, wie ein Gewaltmonopol noch in weiter Ferne lag.
Schau dir an, wie es in der Weimarer Republik ausgesehen hat. Da hatte ein Staat, der wesentlich besser organisiert war und dem wesentlich mehr Mittel zu Gebote standen, über weite Strecken der 15 Jahre des bestehens alle Hände voll damit zu tun, sich gegen den Umsturz von Verfassung und Rechtsordnung durch extremistische Gruppen zu erwehren und ist letztendlich daran gescheitert.
Eine Ordnung funktioniert nur so lange, wie die Zahl derer, die fundamental dagegen arbeitet so überschaubar ist, dass die Ordnungsmacht in der Lage ist damit fertig zu werden. Und Krisenzeiten haben es einmal an sich, dass Menschen die um ihre Existenz fürchten leicht in Panik zu versetzen sind und aus diesem Zustand heraus versuchen aus dem System auszubrechen.
Gleichzeitig haben solche Zeiten an sich, dass die Ordnungsmacht naturgemäß empfindlich schwach ist, weil ihre Legitimität dabei ist in die Binsen zu gehen.
Wir haben gesehen, dass die Kirche im frühen Mittelalter an die Existenz der Hexen nicht glaubte, dass sie aber später diese Meinung änderte und sich durch päpstlichen Bullen an die Spitze der Bewegung setzte, die Hexenverfolgung forderte. Die Gründe dafür dürften gewesen sein:
Wir reden von einer Bulle und bei der scheint so ´nicht so ganz klar, wie genau das eigentlich zustande gekommen ist.
Selbst wenn wir mal Fragen zum Entstehungskontext ausblenden, übergehst du den Umstand, dass sich Päpste und auch Konzilien immer mal wieder widersprochen und versucht haben vorher vorherrschende Meinungen anzufechten und zu verwerfen.
Du kannst also nicht auf eine Bulle verweisen, die zeitlich durchaus ein gutes Stück von der Hochzeit der Hexenverfolgung weg liegt und daraus begründen, die Kirche an sich wäre Vorkämpferin dieser Idee gewesen.
Mag sein, dass es mal einen Papst gab, der dieser Idee nahestand, damit ist dann allerdings nicht belegt, dass es die Nachfolger genau so hielten.
1. Die Verschlechterung des Klimas verursachte Ernteausfälle, die Hungersnöte zur Folge hatten. Dafür musste jemand verantwortlich sein: Entweder Gott, die Menschen selbst, weil sie nicht fromm genug waren – oder eben Hexen, die im Auftrag des Teufels agierten.
Also erstmal waren Hungersnöte bedingt durch Ernteausfälle, bis ins ausgehende 18. oder sogar 19. Jahrhundert hinein eine Grundkonstante der europäischen Geschichte.
Dann übersiehst du den durch die Pest bedingten Bevölkerungsrückgang im 14. Jahrhundert. In der Folge brauchte es einige Zeit, bis sich die Bevölkerung davon wieder erholte.
Die Folge der Bevölkerungsverluste war zunächst Neuverteilung von Land unter den Überlebenden und im Zusammenhang damit Aufgabe wirtschaftlicher Randlagen, was zur Folge hatte, dass es den Menschen erstmal relativ gesehen recht gut ging. Außerdem wurde mit dem Bevölkerungsrückgang menschliche Arbeitskraft seltener, damit wertvoller und teurer.
Das Ende der mittelalterlichen Warmzeit spielt bei den Krisenphänomenen im ausgehenden Mittelalter sicherlich eine gewisse Rolle, aber du übertreibst sie hier sehr stark.
Andre wesentliche Faktoren war die allmähliche Erhohlung der Bevölkerungszahl, damit wieder zunehmende Verknappung von qualitativ guten Böden und gleichzeitig auch erhöhrung des Angebots von Arbeitskraft, damit Verfall der Löhne/Einkommen bei den unterbäuerlichen und unterbürgerlichen Schichten, außerdem Versuche der Grundherren, Fürsten, etc. Vergünstigungen, die während der Zeit des Bevölkerungsrückgangs gewährt worden waren um den Rest der Bevölkerung bei der Stange zu halten zurück zu nehmen und die Maße der geschuldeten Abgabenlasten, Frondienste etc. wieder zum eigenen Nutzen zu verschieben.
Gesellschaftlich/Ökonomisch kommt auch hinzu, dass sich die feudalistischen Strukturen zunehmend auflösten und sich Entwicklungen in Richtung einer mehr kapitalistischen Wirtschaftsweise bahnbrachen, die Auswirkungen auf das Leben der einfachen Bevölkerung hatte, unter anderem Verusche der Grundherren sich bäuerliches Land mehr und mehr anzueignen und es eigenen Güterkomplexen anzuschließen "Bauernlegen", was sich oft unter dubiosen Umständen und Mitteln vollzog usw. usw.
Das alles trug erheblich zur Krisenzeit des ausgehenden Mittelalters und der Rennaissance bei und es hatte offensichtlich nichts, mit Hexen oder Teufeln oder sonst etwas zu tun.
Das waren zum Teil einfach demographische und ökonomische und sozioökonomische Entwicklungen, die sich da vollzogen und genau so ist das auch betrachtet worden.
Als in der Reformationszeit, erst die Ritterschaft, später die Bauern sich erhoben, waren deren Feindbild nicht Teufel, Hexen oder die Kirche, sondern in erster Linie die Fürsten (aus Sicht der Ritter und auch der Städte), die anfingen ihre Territorialstaaten auszubauen und den Kleinadel und die kleineren Städte unterzubuttern und aus Sicht der Bauern die Grundherren die immer mehr Frondienste verlangten, auf Grund der demographischen Entwicklung und des steigenden Angebots an Arbeitskraft, diese immer billiger ankaufen konnte, was ihre Profite steigerte, die Herausbildung von Großgrundbesitz eröglichte und dazu führte, dass die kleineren Bauernstellen unter Druck gerieten, während sich die Lebensverhältnisse von auf Lohnbasis beschäftigten Landarbeitern oder Tagelöhnern stetig verschlechterten.
Das musste in the long run natürlich zu einem erheblichen Vertrauensverlust in das etablierte System führen. Nicht der Umstand, dass die Kirche kein besseres Wetter/Klima herbeibeten konnte, das konnte sie auch in früheren Zeiten nicht.
2. Der Aufstieg des Protestantismus hat u.a. Papstum bzw. die gesamte katholische Kirche in Frage gestellt und damit eine Verunsicherung in der Bevölkerung bewirkt, so dass die Kirche um ihre Vormachtstellung bzw. um ihren Rückhalt in der Bevölkerung fürchten musste.
Du verwechselst Ursache und Wirkung.
Die Reformation führte nicht Verunsicherung in der Bevölkerung herbei, was die Akzeptanz der katholischen Kirche und ihrer Lehren betrifft, sondern sie war Produkt dieses Vertrauensverlusts.
Luther war im Hinblick auf einen großen Teil seiner Kritik, an der katholischen Kirche und ihren Irrwegen (aus seiner Sicht) nicht sooooo weit von Positionen entfernt, die Jan Hus knapp 100 Jahre vorher formuliert und vorgebracht hatte.
Vieles von dem, was er so beanstandete und behauptete, war jetzt nichts bahnbrechend neues.
Neu waren im wesentlichen 2 Dinge:
1. Im Gegensatz zum Beginn des 15. Jahrhunderts hatten wie oben geschildert Entwicklungen eingesetzt, (und zwar sehr menschliche Entwicklungen, die nur bedingt etwas mit Klimaphänomenen zu tun hatten) die zu einer Verschlechterung der Lebenssituation eines Großteils der Bevölkerung führte, was eine Legitimitätskriese des gesamten Systems (nicht nur der Kirchen) nach sich zog und die Bereitschaft erhöhen musste, mit diesen Verhältnissen zu brechen.
2. Mittlerweile war der Buchdruck vorhanden, der es ermöglichte Ausbruch aus dem bisherigen System im größeren Stil zu organisieren und Alternativen popuär zu machen.
Wäre die Legitimitätskrise der katholischen Kirche und des Systems überhaupt nicht längst vorhanden gewesen, die Reformation lutherischer Prägung hätte sich wahrscheinlich nicht durchgesetzt, sondern wäre, wie die Waldenser, Katharer, oder die Hussiten wahrscheinlich ein lokales auf den mitteldeutschen Raum beschränktes Phänomen mit einer wahrscheinlich eher kurzen Konjunktur geblieben.