Von Attilas Reich und Erbe
@tejason
Warum sollte Heathers Ansatz zur "Fraktionierung" der Goten falsch sein? Wie anders sind die vielen unabhängig voneinander operierenden Einheiten an allen Ecken des Reiches zu erklären?…
Natürlich war die Loyalität der Germanen zu den Hunnen gekauft, genau davon ist ja oben die Rede. Der Preis war hervorragend!
Und die Person Attila sollte man nicht unterschätzen. Erst sein politisches Geschick hielt diese Koalition zusammen. Weder vorher noch nachher hatten die Römer abgesehen von ein paar kleineren Scharmützeln ernsthafte Probleme mit den Hunnen. Auf die von Attila aufgebaute Großmacht mussten sie allerdings reagieren.
Die angebliche Flucht der Terwingen vor den Hunnen passt zeitlich da auch nicht so recht hinein. Da erscheint Heathers Argumentation, dass die Hunnen 395 noch am Kaukasus saßen, recht überzeugend. Hier scheinen doch eher die wirtschaftlichen Verlockungen des römischen Reiches die Hauptrolle gespielt zu haben. ALs die Hunnen wirklich die Bühne betreten, stand Alarich bereits vor Rom.
Und die fehlende hunnische Grabkultur in Ungarn ist schon auffällig. In Verbindung mit den überlieferten Namen spricht sie schon für eine "Gotisierung" der Hunnen. Ein schönes Beispiel für die Gemengelage der Zeit ist auch die Herrschaft Odoakers, der Sohn Edikons, der sich überhaupt nicht zuordnen lässt, ob man seine Armee nun skirisch, thüringisch, herulisch oder auch hunnisch nennen möchte.
Schließlich war es eben Theoderich, der versuchte, Attilas Reich fortzuführen, unter anderer Führung, aber mit durchaus ähnlichen Mitteln.
1. Ich bestreite nicht die starke Fraktionierung der Goten. Sein Ansatz diese Fraktionierung bis weit vor Einfall der Hunnen zurück zu projizieren halte ich aber für zu gewagt in dem Ausmaß, in dem er dies besonders im Kontext mit den Amalern praktiziert. Dass ich Heather i.d.r. schätze muss ich wohl nicht erst betonen?
2. Schon vor Attila beherrschten die Hunnen andere Völker in Osteuropa und brachten weitere in Bewegung. Und das ohne eine zentral greifbare Herrschergestalt. Es „funktionierte also auch ohne“, wenn ich das mal so knapp feststellen darf!
3. Dass Attila den Kumulisationspunkt der Hunnen verkörpert kann niemand abstreiten. Er hat aus den vorherigen Bindungen ein Reich geschaffen, vor dem Rom und alle anderen Völker erzitterten. Gerade die Balkankriege gegen Ostrom, von Heather mit interessanten Schlussfolgerungen auf eine spektakuläre Auseinandersetzung im Jahre 447 zusammenreduziert, zeigen einen Höhepunkt der Machtentfaltung. Im Gegensatz zu allen anderen Völkern seit Jahrhunderten war er in der Lage sowohl einen „Blitzkrieg“ zu führen, als auch befestigte Städte relativ rasch einzunehmen!
4. Stellt denn Heather die Flucht der Terwingen/Westgoten im Vorfeld der Schlacht von Adrianopel 378 in Abrede? Er betont (gut nachvollziehbar), dass die Hunnen den Schwerpunkt ihres Lebensraumes noch weit im Osten hatten. Er schildert jene Angriffe, welche die Terwingen in Bewegung brachten als Raubzüge der Hunnen. Den („West-„)Goten wird’s egal gewesen sein ob die Hunnen ungemütlich nahe an ihren Grenzen plünderten, oder ob sie das Land selbst besiedeln wollten. Sie verließen ihre Heimat und waren dabei nicht alleine. Neben gotischen Gruppen stießen in jener Zeit über die römischen Grenzen etwa auch Taifalen, Alanen und andere Sarmaten vor. Bei Adrianopel beteiligte sich (auch laut Heather) zumindest eine kleine Gruppierung von Hunnen auf Seiten der Goten! Die Goten kamen mit Mann und Maus ins Reich, wobei die Gruppe von Alaviv und Fritigern sogar die Erlaubnis Kaiser Valens dazu erhalten hatte. Gänzlich in Abrede stellt Heather dagegen die in deutschen Abhandlungen vorkommende „Drei Völker Koalition“ unter Alatheus und Saphrax, bestehend aus Ostgoten, Alanen und Hunnen aus der "Konkursmasse" des Ermanarich-Reiches.
Alatheus - Wikipedia, the free encyclopedia
Die Terwingen kamen bereits in Bewegung, kaum dass hunnische Raubzüge sie berührt hatten. Das ist nur durch die Vorgeschichte eines längeren, römisch-terwingischen Krieges nach dem Usurpator Procopius verständlich, welche diese Goten stark geschwächt hatte. Der hierbei noch erfolgreiche gotische Oberführer (Iudex) Athanarich hatte bei dieser neuen Bedrohung schmählich versagt und seine Rivalen Fritigern und Alaviv boten mit ihrem Anhang eine Alternative als christianisierte Verbündete Roms auf den scheinbar sicheren Boden des Imperiums übersiedeln zu können. Die Hunnen brauchten also nicht einmal nachhaltig vor den „Türen der Terwingen“ zu stehen, sie waren sowieso bereits zermürbt genug, als ihre Ordnung nun zusammenbrach. Athanarich hatte als Iudex keineswegs nur Terwingen und Goten vorgestanden, sondern auch Taifalen, sowie sarmatischen und dakischen Gruppen (die vorher offensichtlich unter gotischer Vorherrschaft gestanden hatten!). Diese Bande zerbrachen nun. Jene Terwingen, die weiterhin dem Athanarich folgten zogen sich mit ihm in die Berge zurück, wo sie vorher tributpflichtige Sarmaten angriffen! Die Römer hatten also die Vorherschaft der Goten in jenem Bereich schon tief erschüttert gehabt als plötzlich hunnische Plünderer und ostrogothische Flüchtlinge in ihrem Rücken auftauchten und ihr Land von den mehrjährigen Kriegszügen Kaiser Valens bereits nachhaltig ausgelaugt worden war.
5. Mag sein dass Alarich vor Rom stand, als die Hunnen begannen in/beim heutigen Ungarn zu siedeln. Trotzdem haben sie die Grundlage dafür geschaffen, dass sich die Westgoten nun unter Alarich im Römischen Reich formieren konnten! Um eine gefährliche Militärmacht zu fliehen kann es den Opfern doch egal sein, was die Gefürchteten anschließend mit dem Land machen: Ob sie es unter den Pflug nehmen (die Hunnen gewiss nicht!), oder ob sie ihr Vieh zum Weiden über verödete Felder und Dörfer treiben sollten…
6. Zur Grabkultur hatte ich bereits geschrieben. Ach in früheren Zeiten (schon bei den Skyten Jahrhunderte vor der Zeitenwende) pflegten Steppenkrieger sich teils mit prestigeträchtigen Dingen aus Fertigung anderer Völker begraben zu lassen. Die von dir erwähnte "Gotisierung" der Hunnen erschwert jede ethnische Deutungen "pro/contra Hunnen" zum Glücksspiel. Auch Heather beteiligt sich daran nicht. Er schreibt sogar von "verkleideten" Hunnen in den Gräbern.
7. Die Herrschaft des Odoaker lässt sich nicht mit den Hunnen in Verbindung bringen. Sein Vater wurde wohl durch die Hunnen zum König der Skiren. Die Skiren waren mächtig geworden, verspielten ihre Stellung aber im Kampf mit amalischen Goten und flohen ins Reich, wo der Königssohn Odoaker römischer Offizier wurde. [Immer waren es die Unterlegenen der Auseinandersetzungen im „Barbaricum“, welche als Foederaten unter die Fittiche des Imperiums flohen! Dieser Mechanismus ist während der ganzen „Völkerwanderungszeit“ zu beobachten.] Als er „Romulus Augustulus“ stürzte, führte er nicht „seine Armee“, sondern eine Koalition der unzufriedenen und unterprivilegierten „Leiharbeiter“ in der römischen Armee, die aus verschiedensten Völkern formiert war und er wurde letztlich auch von „nationalrömischen“ Truppen (wenn es sowas überhaupt geben konnte) sowie dem römischen Senat (ein archaisierender Zug) schließlich anerkannt.
8. Theoderich führte keinesfalls das „Reich des Attila“ irgendwie fort. Attila beherrschte ein Großreich nördlich der Donau und damit außerhalb des Imperiums. Theoderich „sammelte“ die Goten an der Donau unter seiner Führung und errichtete eine Herrschaft in engster Anlehnung an Ostrom, wobei er sich als Foederatenführer sah, ohne jede Ambition über Reichsgebiet auszugreifen. Attila hatte sich beschränkt darauf außerhalb des Reiches zu herrschen und lediglich Schläge gegen das Reich ohne Absicht der „Landnahme“ zu führen. Dazu übernahm Theoderich die römische Verwaltung und herrschte im offiziellen Auftrag der Kaiser in Konstantinopel. Also eher das Gegenteil von jenem, was Attila jemals tat!
to be continued... jedenfalls eine interessante Diskussion, ty Stilicho