Ave Zusammen,
eine Menge Einlassungen sind übers Wochenende zusammen gekommen, auf die ich hier summarisch antworten möchte:
@Cherusker:
Cherusker schrieb:
...Pontes longi ist kein Ruhmesblatt der Römer, sondern eine Katastrophe.
...... Das Tacitus höchstwahrscheinlich die Flüsse verwechselt hat, kann man nicht als Unglaubwürdigkeit dieser detailierten Schalchtbeschreibung werten. ......An der Tacitus Beschreibung kann man kritisieren, daß er wieder die üblichen Beschreibung des stundenlangen Mordens des Feindes beschreibt, obwohl das nicht der Fall gewesen sein kann, ....Die römische "Propaganda" sollte man schon berücksichtigen.....
Wie du selbst konstatierst, ist Tacitus eben fehlerbehaftet. Dass muss man einfach feststellen, und du hast es ja auch getan. Die Folge ist aber, man kann nicht nur, sondern man MUSS die Schlachtbeschreibung, mindestens bezüglich der Details, erstmal als fehlerhaft annehmen. Das Gegenteil wäre nur durch eine erfolgreiche Ausgrabung zu belegen. Denn Tacitus verfügte über keine unmittelbaren Informationen, er war nie vor Ort, und auch Plinius d.Ä. nicht.
Zum Thema Pass bei Coppenbrügge:
Cherusker schrieb:
..Die aus heutiger Sicht mögliche Variante muß nicht unbedingt die richtige Lösung sein.
Ein Beispiel aus der Gegend:
Im Jahre 1259 kam es zu Streitigkeiten zwischen den Hamelnern und dem Bischof von Minden. ...... Aus heutiger Sicht würde man sagen, die Mindener ziehen flußaufwärts und die Hamelner flußabwärts, .... Die Hamelner zogen ostwärts bis kurz vor die Deisterpforte bei Sedemünder. Und die Mindener kamen durch das sumpfige Deister-Sünteltal auf der beschriebenen Abkürzung des Helweges und lagerten zwischen Hamelspringe und Bad Münder..... und jeder heutige Betrachter fragt sich, warum sie nicht den kürzesten Weg nach Minden und umgekehrt gewählt haben.
...... Daher sind Schlußfolgerungen, wie die Heere am besten gezogen sind, nur mit Vorsicht zu genießen.
..... ...
Durchaus interessante Beschreibung. Erstens hast du natürlich recht, was auf den ersten Blick naheliegend erscheint (Weserweg), muss nicht immer richtig sein. So ist die Wanderung entlang der Flussläufe zwar meist die kürzeste und bequemste, da die geringsten Steigungen bewältigt werden müssen, aber natürlich für Freund und Feind auch der offensichtlichste Anmarschweg. Im Falle Rinteln, die Standardbehauptung für Idistaviso, liegt schon eine interessante Tatsache vor. Denn dass Flussbett der Weser ist da ziemlich weitläufig, der Fluss hat schön häufig seine Lage gewechselt, es ist in Flussnähe Morast anzunehmen. Die Schlachtsituation ist da äusserst unangenehm, man ist zwischen Fluss und Morast auf der einen Seite und Bergen auf der anderen Seite ziemlich schmal eingeklemmt. Dem gingen nicht nur die Hamelner aus dem Weg, sicher war auch der Stratege Germanicus nicht so blöd, sich dort auf einen Kampf aufzwingen zulassen.
tac.ann.II schrieb:
Sic accensos et proelium poscentis in campum, cui Idistaviso nomen, deducunt….
…als sie dermassen aufgeregt waren und die Schlacht forderten, wurden sie in eine Ebene, die sich Idistaviso nannte, hinabgeführt….
Es ist die Gegend Ith-a-viso, zwischen Ith im Westen und Leine im Osten.
Naja, und die Ebene hast du direkt unter deiner Nase, wenn du am Coppenbrügger „Pass“ stehst. Wahrlich, ich sage Euch, wenn ihr einen Germanicushorizont sucht, so suchet ihn dort.....
@Cato:
Cato schrieb:
.... Auch traten die meisten Funde erst in den Folgejahren auf, ebenso wie die Knochengruben. Sämtliche folgenden Funde und Befunde wurden als Bestätigung der genannten Theorie betrachtet und das ist zweifellos eine deduktive Arbeitsmethode. ...
Da ist schon was dran. Nur ist das immer so, auch bei eurer PLH, kein Experiment ohne Theorie. Die Befunde zuzuordnen bedarf schon einer gewissen Vorstellung im Hinterstübchen. Stell die vor, die christlichen Eiferer und Bücherverbrenner des Mittelalters wären noch gründlicher gewesen und wir wüssten heute gar nichts über die fragliche Zeit, wir wüssten in der Tat dann auch nicht viel mit den Funden in Kalkriese anzufangen.
Cato schrieb:
.... Jedoch würde im Fall der Varusschlacht das Auffinden der Reste eines Tumulus mit Knochenfragmenten, die sich in den betreffenden Zeitraum datieren lassen, als positives Beispiel sehen lassen. ...
Yep, und genau die tumuli wurden ja gefunden. Das von den tumuli die Erdhäufchen inzwischen in der Plaggenwirtschaft dort aufgegangen sind und nur die Gruben blieben, ist nun wirklich kein unerklärbares Wunder.
Cato schrieb:
.... Ebenso könnten Hinweise auf die dort beteiligten Legionen in Verbindung mit historiographischen Angaben zu positiven Schlüssen führen. Nach Popper hätten diese Schlüsse nur solange bestand, wie die historiographischen Quellen als wahr angesehen werden. ...
Nein. Dazu sagt das Popperschema nicht viel. Das Popperschema besagt, dass du deiner eigenen Theorie selbst die Fallstricke aufzeigen musst und sie zu Fall zubringen versuchst.
Positive Beweisketten, ich kann dir gerne eine dafür zurecht legen dass es die Schlacht am Angrivarierwall war, lassen sich regelmässig für alles halbwegs passendes beibringen. Und wenn man alles beweisen kann, dann beweist man gar nichts. Das ist die Essenz des Poppers.
Cato schrieb:
.... Betrachten wir einmal den Wall von Kalkriese. Als Rasensodenwall ist er römischer Bauart. Er verfügt über Spitzgräben römischer Bauart. ....
Obwohl hier die Richtung stimmt, du versuchst nämlich einen Beleg für C1 gegen Kalkriese ins Feld zuführen, hat deine Gangart zwei Schwachpunkte: Erstens startest du mit einer unwahren Voraussetzung, denn Rasensodenwälle sind in sämtlichen Kulturen vorhanden, jedes Kind bringt die zustande. Dito der zweite Satz, auch ein Graben ist nicht wirklich eine Erfindung der Römer. Zudem kenne ich auch einige Zeichnungen der Kalkrieser, da braucht es schon verdammt viel Phantasie einen originär römischen Spitzgraben zu sehen.
Zudem kannte Arminius zweifelsfrei diese absolut simplen Techniken, er könnte also den auch selbst angelegt haben. Du glaubst allerdings nicht dass es Drainagegräben sind, du hälts es für Spitzgräben (und kommst jetzt mit einem von der PLH herrürenden deduktiven Schluss).
Es gibt für diese Gräben auf der Bergseite aber auch noch einen total simplen Grund: Wenn du einen Wall aufschüttest, nimmst du schlauerweise die Erde, die direkt vor deinen Füssen ist. Dadurch entsteht ein Graben, den man dann wiederum schlauerweise auch gleich als Annäherungshindernis nimmt. Zwei Fliegen mit einer Klappe, soweit, so gut. Wenn du nun aber an einem Berghang einen Wall baust, stehst du vor einer ganz anderen Situation: Erstens brauchts du Drainagen, jetzt kannst du den Graben genau dafür nutzen, und zweitens: Du sparst ungeheuer viel Kraftaufwand, wenn du das Erdmaterial bergabwärts schaufelts statt bergauf zu schaufeln, dann geht’s viel schneller mit dem Bau. Auf der Talseite brauchts du auch nicht unbedingt einen Graben, da der bewaldete Berg schon Hindernis genug ist.
Mein Vorhersage daher: Wenn man das Wallsystem erst einigermassen vollständig ausgebuddelt hat, wird man sowohl talseitige (Norden) als auch bergseitige (Süden) Gräben finden, jeweils so, wie man es im betreffenden Wallabschnitt gerade benötigte. In der Mehrzahl wird man aber bergseitige Gräben finden müssen, weil das aufgrund der Topologie einfach günstiger für die Erbaurer (Arminiuskoalition) war.
Und nun kommt der zweite Schwachpunkt, diesmal ein echter Popper: Selbst wenn es Dir gelänge einen römischen Spitzgraben zweifelsfrei nachzuweisen, dann hättest du damit nicht die PLH bewiesen, sondern ggf. Kalkriese als Varusschlacht entwertet.
Das (ggf.) schreibe ich dabei, weil es mehr als nur eines Spitzgrabens bedarf, du müstest schon ein komplettes Lager, wie in der Caecinaschlacht beschrieben, nachweisen. Denn erst das würde die Sache rund machen.
Cato schrieb:
...Historiographisch werden in Bezug auf die Varusschlacht wiederholt römische Wälle erwähnt, nicht jedoch germanische. ...
Siehe oben.
Cato schrieb:
...Theorie Kalkriese: .......
Theorie pontis longi:....Nun bleibt es jedem selbst überlassen zu entscheiden, welche .... die wenigsten Zusatzannahmen benötigt...
Nun dito wieder Popper: Du führst zwei positive Beweisketten an, ich schreibe dir gerne noch eine für den Angrivarierwall oder Idistaviso an dieser Stelle, und beliebig viele andere.
Entscheidend ist das Ausschliessungsprinzip nach Popper, die erst die Wissenschaftlichkeit ausmacht: man muss eine These nach der anderen aufgrund von Auschliessungskriterien zu Fall bringen. Und diese (prinzipiell machbaren i.a. experimentellen) Ausschliessungskriterien fehlen der PLH bislang: Ich habe C1 und C2 angebracht, du versuchst hier lobenswerter Weise (!) tatsächlich C1 zu kicken, aber wo sind die Ausschliessungskiterien für die PLH ?
@Schroth:
Schroth schrieb:
..... Ist es nicht moeglich, dass sie uns einen Berg von Luegen aufgeschrieben haben, ...... Und schwere Niederlagen hatten sie, und daran kann doch niemand zweifeln. Oder ? Ich bin ueberzeugt, haetten die Germanen, unsere Vorfahren schreiben koennen, waere mit Sicherheit eine ganz andere Geschichte berichtet worden. ....
Klar, das damals weniger Kriegspropaganda getrieben wurde als heute, halte ich auch für ehr naiv. Jeder schreibt sich seine Schlachten schön. Aber alle Schlachten (der hier fraglichen Zeit und Raumes), mit der einzigen Ausnahme der Varusschlacht, waren keine Vernichtungsschlachten, beide Parteien kamen jeweils mit „einem blauen Auge“ davon.
Schroth schrieb:
..... In diesem Buch greifen die Germanen die Roemer im Lager an wo Varus mit den Germanen zusammen kam. War das so unmoeglich ? ....
Nur Florus berichtet dass, und der ist ziemlich sicher der Unsicherste. Naja, also nur eine Theorie „unter ferner liefen....“.
Schroth schrieb:
....Ich bekam zur Antwort: Das sie das nicht behaupten koennen, und es auch nicht tun. ....
Eine Poppersche Antwort, indeed. Streng wissenschaftliche Antworten sind leider oft auch totlangweilige Antworten.
@elQuijote:
ElQuijote schrieb:
...... Es gibt mindestens drei Hypothesen:
Hypothese I: bei Kalkriese wurde die Varussschlacht geschlagen.
Hypothese II: bei Kalkriese fand die Schlacht an den pontes longi statt.
Hypothese III: die Schlachtfelder überlagern sich. ...
und noch mehr. In dem Zusammenhang muss man aber auch noch erwähnen: Ausweislich des Tacitus, war Germanicus am Schlachtort, hat dort gearbeitet (tumuli) UND es gab sogar ein Scharmützel mit Germanen dort. Das Auffinden von ein paar Germanicusfunden wäre also nichts Unerwartetes (!), im Gegenteil, es ist ehr verblüffend, das ausser den tumuli noch nicht viel des Germanicushorizonts gefunden wurde.
Beste Grüsse, Trajan.