Konfession, Antisemitismus und NS

Es geht hier zwar um Ikonoklasmus und es ist nachvollziehbar, wenn man 500 Jahre nach der Reformation kräftig an Luthers Denkmal rüttelt (insbesondere wenn man einen katholischen Hintergrund hat), aber einige Beiträge gehen hier meinem Empfinden nach zu weit. Sie sind auch ungerecht gegenüber den vielen evangelischen Cristen, die unter Gefahr für Freiheit und Leben Widerstand geleistet haben.

Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus
 
ja selbst die Wikipedia wurde anscheinend nicht gelesen
Martin Luther und die Juden – Wikipedia :
.
Beitrag der Antisemitismusforschung
Seit etwa 1990 wird die monokausale Deutung einer ursächlichen Beziehung zwischen Luthers Judentexten und dem Nationalsozialismus kaum noch vertreten. Luther wird wegen der theologischen Gründe seines Judenhasses nur selten als Antisemit eingestuft. Gleichwohl gelten seine judenfeindlichen Schriften als Mitursache des Antisemitismus, weil sie im Protestantismus antisemitisch gedeutet und benutzt wurden. Für Christhard Hoffmann (1994) spielte Luther „für die spezifisch deutsche Ausprägung der Judenfeindschaft […] eine entscheidende, weichenstellende Rolle“.[179] Laut Birgit Gregor (1999) übernahm Luther von Anfang an das kirchliche Streben, das Judentum durch vollständige Assimilierung aufzulösen. Auch seine scheinbar „judenfreundlichen“ Schriften seien von diesem Ziel bestimmt. Der bisher unzureichend erforschte „protestantische Antisemitismus“ sei keine direkte Kontinuität „von Luther zu Hitler“, sondern eine „konstruierte Kontinuität“: Seit Adolf Stöcker hätten bestimmte protestantische Interessengruppen Luther künstlich als prominenten Vorläufer für ihre eigenen antisemitischen Ziele benutzt und dazu lange vorhandene antijüdische Ressentiments und Stereotype in veränderter Zeitsituation bewusst mit darwinistischer und rassistischer Judenfeindschaft verschmolzen.[180]
Der heutige Konsens der Lutherforschung lautet: Luthers Grundthesen zum Judentum blieben konstant, waren theologisch, nicht rassistisch motiviert und deckten sich weitgehend mit dem vorgegebenen christlichen Antijudaismus.[181] (...)
...egal wie oft ich da den kompletten Artikel durchlese, ich finde nirgendwo die Behauptung oder gar den Nachweis,
Luthers Vorschläge lesen sich wie ein Programm für die Nazis.
 
Es waren Luthers Worte "Die Juden sind unser Unglück", die Jahrhunderte später als Motto auf der Titelseite von Julius Streichers Der Stürmer erschien. Ich weiß, meistens wird der Satz Heinrich von Treitschke, einem meist gelesenen Historiker seiner Zeit, zugeschrieben, aber der hat ihn nur von Luther abgeschrieben.
Ich halte das für Bullshit (lasse mich aber gern eines Besseren belehren). Leider wurde hier versäumt, anzugeben, in welcher Schrift Luthers dieser Satz stehen soll.

Das Treitschke-Zitat ist hier zu finden:
https://www.gehove.de/antisem/texte/treitschke_1.pdf

Es lautet im Zusammenhang:
"Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würde, ertönt es heute wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!"​

Johannes Wallmann, sagte in "Die Rezeption von Luthers Schriften über die Juden von der Reformation bis zum Ende des 19. Jahrhunderts", Lutherische Vierteljahresschrift, 1987 – Zitat:

"Die Behauptung, dass Luthers antijüdische Äußerungen in den Jahrhunderten nach der Reformation von großem und anhaltendem Einfluss waren und dass es eine Kontinuität zwischen dem protestantischen Antijudaismus und dem modernen rassistisch orientierten Antisemitismus gibt, ist in der Literatur derzeit weit verbreitet; seit dem Zweiten Weltkrieg ist sie verständlicherweise zur vorherrschenden Meinung geworden."
Eine Schriftenreihe mit dem Titel "Lutherische Vierteljahresschrift" gibt es nicht, vermutlich hast Du Wallmanns Artikel gar nicht gelesen.

Dieser letzte Satz gilt besonders für @Sepiola, der
... immer wieder darauf hinweist, dass es darauf ankommt, den Forschungsstand zur Kenntnis zu nehmen. Du verwechselst immer wieder "verbreitete Meinung" mit wissenschaftlichem Forschungsstand. Zu den auch heute noch 'verbreiteten/vorherrschenden Meinungen' (man könnte auch sagen: populären Irrtümern) gehört z. B. die Ansicht, die Gelehrten des europäischen Mittelalters hätten die Scheibenform der Erde verfochten. Mit dem Forschungsstand hat diese irrige Ansicht nichts zu tun.

Wallmann zitiert in seiner Literaturschau u. a. den "Stürmer", selbstverständlich hält er weder den "Stürmer" noch sonst den Großteil der von ihm zitierten Literatur für Forschungsbeiträge zur Luther-Rezeption.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich Dich noch einmal auffordern, zu diesem Teil meines Beitrags Stellung zu nehmen:

Und nun möchte ich von Dir gern wissen, welche "bestimmten Forscher" Du im Auge hast und bitte um Angabe von Buchtiteln oder zumindest Fachartikeln, die sich auf wissenschaftlicher Ebene mit der Materie befassen (keine pseudowissenschaftlichen Postillen, die kenne ich selber zur Genüge).
 
Zuletzt bearbeitet:
@Dion

Sag mal, hast du den Artikel auf den du dich da berufst selbst nicht gelesen oder spekulierst du darauf, dass es alle anderen nicht getan haben und meinst uns mittels cherrypicking en bloc auf's Glatteis führen zu können?

Zu deiner Kenntnisnahme steht dort unter anderem im Abschnitt zur Forschungsgeschichte:

"Seit etwa 1990 wird die monokausale Deutung einer ursächlichen Beziehung zwischen Luthers Judentexten und dem Nationalsozialismus kaum noch vertreten. Luther wird wegen der theologischen Gründe seines Judenhasses nur selten als Antisemit eingestuft. [...] "

Steht so wörtlich und noch weit ausführlicher im Abschnitt "Beitrag der Antisemitismusforschung".

PS. Sehe gerade hiermit war @dekumatland schneller als ich.



Was du hier tust ist zu versuchen Dinge, die vor 40 Jahren in der Forschung mal als diskutabel galten, für den heutigen Forschungsstand und gleichsam für bewiesen auszugenben.
Das ist dann bestenfalls maximal unsauberes Vorgehen, mit dem du im Methodenseminar/Proseminar durchgefallen wärst.
Tatsache ist, dass es in der Forschung hierzu vor 30-40 Jahren einen Paradigmenwechsel gegeben hat, nach dem, dass was du hier vertrittst und als wissenschaftlichen Mainstream zu verkaufen versuchst, zu einer krassen Minderheitenposition geworden ist.
Derartiges ist bei der Rezeption der Forschungsgeschichte selbstverständlich zu berücksichtigen, wenn man sich auf diese berufen möchte und keinesfalls einfach als quantité négligable zu behandeln.

Weiterhin wäre, wenn man die Forschungsgechichte beleuchten will zu berücksichtigen, dass, wie auch aus dem Artikel hervorgeht, die These auf die du dich da berufst vor allem im angelsächsischen Raum sehr verbreitet war.

Wäre allerdings zu fragen, wie gut sich die dortigen Rezipienten tatsächlich darauf verstanden Luthers Orriginaltexte zu lesen und die Begrifflichkeiten so auszudeuten, wie das Rezipienten innerhalb des deutschen Kulturraums tun würden.
Da liegt nämlich für mich der Verdacht nahe, dass da auch sehr viel mit Übersetzungen und edierten Texten gearbeitet wurde, mit denen entsprechende Bedeutungsverschiebungen einhergehen können und das ganze aus einem vollkommen anderen kulturellen und geschichtlichen Hintergrund heraus.

Auch das wäre zu problematisieren.

Ansonsten ist die Forschungsgeschichte die Forschungsgeschichte und das Berufen darauf ersetzt nicht die inhaltliche Auseinandersetzung damit.
Thesen werden nicht dadurch überzeugend, dass sie vor Jahrzehnten irgendjemand mit einem bombastischen Titel vertreten haben mag, sondern dadurch, dass sie in sich vernünftig und logisch erscheinen und keine offenen inneren Widersprüche an den Tag legen.

Können wir dann also, falls du dich weiter über mögliche kausale Kontinuitäten Luther-Hitler unterhalten möchtest damit fortfahren die Diskussion auf die inhaltliche Ebene zu verlegen?

Da wäre dann unter anderem die Frage zu stellen: Wo ist die Verbindung zwischen Luthers (verhetzenden) theologischen Schriften und den pseudobiologischen Rassetheorien der Nazis?
 
Luthers Vorschläge lesen sich wie ein Programm für die Nazis. Es waren Luthers Worte "Die Juden sind unser Unglück", die Jahrhunderte später als Motto auf der Titelseite von Julius Streichers Der Stürmer erschien. Ich weiß, meistens wird der Satz Heinrich von Treitschke, einem meist gelesenen Historiker seiner Zeit, zugeschrieben, aber der hat ihn nur von Luther abgeschrieben.


So viel Chuzpe in einem Geschichtsforum hätte ich nicht erwartet.

Wenn die Giordano Bruno Stiftung behauptet, dass Treitschke es bloß von Luther abgeschrieben hat, muss es natürlich stimmen! In dem verlinkten Artikel wird mit keinem Wort darauf eingegangen, wo und wie Treitschke sich von Luther hat beeinflussen lassen.

Im Übrigen war auch Heinrich von Treitschkes Antisemitismus nicht unbedingt auf Endlösung ausgerichtet. Das Zitat hat Heinrich von Treitschke 1878 in seiner Schrift "Unsere Aussichten" veröffentlicht. Treitschkes Polemik richtete sich dagegen, dass die Juden oder zumindest ihre Mehrheit ihre kulturelle Eigenart bewahre, dass sie nicht zur Assimilation bereit seien und sich gegen das Deutschtum richteten. Die Lösung der Judenfrage sah Treitschke in der Assimilation der Juden, nicht in ihrer physischen Vernichtung. Er war aber der Ansicht, dass nur wenige Juden wie Mendelsohn-Bartholdy zur Assimilation fähig seien. Treitschke war sogar nicht einmal kategorisch gegen Judenehen und "Blutvermischungen", sah in ihnen ein Mittel der Assimilation. Der Rassenlehre wie sie Wilhelm Marr und Karl Eugen Dühring vertraten, lehnte Treitschke ab.

Treitschkes Satz: Die Juden sind unser Unglück wurde von Julius Streicher übernommen. Die Theorien von Rassenschande, von der Sünde wieder das Blut, von Parasiten und Volksschädlingen die Julius Streicher in seinem Hetzblatt veröffentlichte sind nicht unbedingt identisch mit denen Treitschke oder auch denen Luthers.
Für Treitschke war das "Judenproblem" ein kulturelles, für Luther ein theologisches, für Hitler oder Streicher ein biologisches. Wenn man denn nun unbedingt Traditionslinien konstruieren will und Luther und Treitschke zu Apologeten der NS-Rassenideologie erklären will, sollte man aber auch die Unterschiede nicht völlig ausblenden. Weder für Treitschke, noch für Luther war die Frage des Blutes entscheidend. Mit einer Konversion oder einer Assimilation konnten Juden sich davon befreien, eine Blutmischung sah Treitschke sogar als Mittel der Assimilation an- das war nach der NS-Ideologie ein Unding.
 
Ich würde zum Thema Luther und der Antisemitismus der Nazis vielleicht noch einmal einen anderen Diskussionsansatz anbieten wollen.

Die Vorstellung, dass die bei Luther vertretenen antijudaistischen Tendenzen beim Aufkommen des Nationalsozialismus und bei der Wegbereitung des Holocaust eine besondere, herausgehobene Rolle spielten, würde ja implizieren, dass eine derartige Judenfeindlichkeit im protestantischen Raum endemisch sein müsste und im katholischen Raum so nicht zu finden gewesen wäre.

Schauen wir uns das doch einfach mal an Hand der Beispiele an, wo solche Anschauungen manifest geworden sind:

Z.B. an Hand der "Ritualmordprozesse", die im Kaiserreich gegen Juden geführt wurden und der Gegenden in denen solche Beschuldigungen erhoben wurden:

Dazu schreibt Wikipedia unter anderem:

"Zudem folgten der überall publizierten Affäre im ganzen folgenden Jahrzehnt viele weitere Ritualmordbeschuldigungen, auch in weit entfernten und überwiegend protestantischen Regionen: so 1893 in Kempen und Posen, 1894 in Berent, Burgkunstadt, Rotthausen, Ulm, 1895 in Berlin, Köln, Mienken, 1896 in Berlin, Seckenburg, Żerków, 1898 in Bromberg, Chorzów, Issum, Langendorf, Schoppinitz, Skaisgirren, 1899 in Braunschweig, Breslau, Versmold, 1900 in Königshütte, Meseritz, Myslowitz, Übermatzhofen, Pudewitz, Rogasen, 1901 in Großschönau, Kleve, Oderberg, Rittel, Rosenberg, Schneidemühl, Strehlen, Uetersen, 1902 in Marienburg und Schlochau. Diese Fälle fanden meist nur lokale Beachtung. Doch zugleich wurden die von 1890 bis 1917 besonders häufigen Ritualmordbeschuldigungen im zaristischen Russland und in der Habsburger K.u.K.-Monarchie stets von der deutschen Presse aufgegriffen und öffentlich stark beachtet. "

Ritualmordlegende – Wikipedia

Schauen wir uns doch einfach mal an Hand einer entsprechenden Konfessionskarte an, welche Konfessionen in den jeweiligen Gegenden grob vorherrschend waren:

Religionen in Deutschland – Wikipedia

Religionen in Deutschland – Wikipedia

Da sind mit Kempen, Ulm, Königshütte (2x), Köln, Kleve und auch Xanten (wird als Paradebeispiel erwähnt), einige Ereignisse dabei, die in Regionen stattgefunden haben, die eigentlich mehrheitlich katholisch sind und in der Weimarer Zeit brav die Zentrumspartei gewählt haben.
Schaut man sich an, wo diese Prozesse en gros lokalisiert sind, sind das vor allem die Rheinprovinz, Westpreußen, Posen und Mittel- und Oberschlesien.
Alles um 1900 keine preußisch-protestantischen Vorzeigeprovinzen, sondern katholisch dominierte oder gemischtkonfessionelle Landstriche, die so sie nach 1918 bei Deutschland verblieben in Ihrer Mehrheit bis 1932/1933 für das Zentrum und nicht für die Nazis votierten.
Denen steht ein Schwerkunkt in der mehrheitlich protestantischen Region Berlin-Brandenburg gegenüber.
Mit anderen Worten die Angelegenheit ist, was die vorherrschende Konfession in der Umgebung angeht, recht gleichmäßig verteilt.

Offensichtlich fand sich die Bereitschaft zu solchen judenfeindlichen Anschauungen in ähnlichem Maße auch in den katholischen Millieus, denen man kaum nachsagen kann, dass sie von Luther maßgeblich beeinflusst wären.

Die starke Häufung dieses Phänomens auch in der nun nicht unbedingt besonders protestantischen K.u.K.-Monarchie spricht jetzt auch nicht unbedingt dafür, dass die Protestanten in Kaiserzeit und Weimarer Republik für den Antijudaismus/Antisemitismus im höheren Maße anfällig gewesen wären, als die Katholiken.

Vielleicht mag sich das in der Spätphase der Weimarer Republik sogar geändert haben. Wenn das aber der Fall sein sollte, hängt es mit tagesaktuellen Ereignissen zusammen und nicht damit, dass es radikalantijudaistische Traditionen innerhalb des Protestantismus seit Luther gab, denn die hätten in dieser Form ja kontinuierlich vorhanden sein müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das NSDAP-Blatt Der Stürmer vereinnahmte ab 1923 oft ausgewählte isolierte Zitate aus dem NT und von christlichen Autoren, darunter Luther, für seine antisemitische Hetze. 1928 stellte das Blatt Luthers späte Judentexte als „viel zu wenig bekannt“ dar.
Das hat @Dion nicht geschrieben, sondern (irgendwo) aus Wikipedia zitiert und verwendet in seinem umfangreichen und kämpferischen Beitrag dieses ausgewählte isolierte Zitat als Argument dafür, dass die Forschung (nicht komplett, aber zu einem beachtlichen Teil) eine kausale Kette von Luther zum Holocaust nachweisen würde. Bemerkenswerterweise ist das Subjekt dieses Satzes "Der Stürmer", nicht die Forschung - und die Methode (Vereinnahmung durch ausgewählte isolierte Zitate) ist die des "Stürmers"...

Wenn wir methodische Feinheiten einfach beiseite lassen und nur diesen zitierten Satz betrachten, dann sind das Neue Testament und christliche Autoren (darunter Luther) höchst verdächtig, weil das NSDAP-Blatt "Der Stürmer" sie vereinnahmt. Offenbar hat entweder "Der Stürmer" die Wahrheit gepachtet, oder die ganze "Argumentation" ist katastrophal unsinnig.
 
Ist das denn nicht offensichtlich der Judenhass?
Es gibt eben diesen einen wichtigen Unterschied: Luthers Wut richtete sich gegen die Entscheidung Jude zu bleiben. Er war enttäuscht, dass die Juden die Einladung zur Konversion nicht in Scharen annahmen. Auf die Gefahr hin, hier ungewolltes Blaming the Victim zu betreiben: bei Luther hatten die Juden die Wahl.
Bei den Nazis hatten sie die Wahl nicht. Alle Assimilation half nichts. Sie waren "der ewige Jude" und das war 1941-45 ein Todesurteil.
 
Es gibt eben diesen einen wichtigen Unterschied: Luthers Wut richtete sich gegen die Entscheidung Jude zu bleiben. Er war enttäuscht, dass die Juden die Einladung zur Konversion nicht in Scharen annahmen. Auf die Gefahr hin, hier ungewolltes Blaming the Victim zu betreiben: bei Luther hatten die Juden die Wahl.
Bei den Nazis hatten sie die Wahl nicht. Alle Assimilation half nichts. Sie waren "der ewige Jude" und das war 1941-45 ein Todesurteil.
Das ist ein wesentlicher Unterschied. Allerdings war eine religiöse Assimilation zu Zeiten Luthers sehr viel schwieriger zu machen als etwa ab ca. 1850.
Und das Damoklesschwert des Pogroms hing an dünner Schnur über den Häuptern der jüdischen Gemeinschaft.
Vor diesem Hintergrund ist der Wüterich Luther ein ähnlich gefährlicher Mann, wie später ein rassistischer Antisemit mit ebenfalls großer Jüngerschar.
Das Grundziel ist das gleiche, der ideologische Unterbau hat eine andere Grundkonstruktion.
.. Die interessante Diskussion um Luther wäre ein eigenes Thema wert. Von Luther zu Hitler? oder ähnlich.
 
Ist das denn nicht offensichtlich der Judenhass?

Das ist deswegen keine Verbindung zwischen Luther und Hitler, weil beide unter der Bezeichnung "Jude" etwas von einander vollkommen unterschiedliches verstanden.
Das kann man nicht einfach bei Seite wischen.

Luther hasste Menschen, die seiner Meinung nach in halstarriger Weise Lehren anhingen, die seiner Meinung nach Irrlehren waren.
Die Nazis hassten Menschen, weil sie ihrer Meinung nach die falschen Vorfahren hatten.

Und an dieser Stelle ist "Judenhass" dann einfach ein bisschen Dünn für eine Verbindung oder gar Kausalität.

Der Begriff als Dachkategorie mag vielleicht die Denke von beiden beschreiben, aber letzendlich hassten beide ganz unterschiedlich zusammengesetzte Personengruppen und das aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus und mit vollkommen anderen Konsequenzen.

Das ist ein wesentlicher Unterschied. Allerdings war eine religiöse Assimilation zu Zeiten Luthers sehr viel schwieriger zu machen als etwa ab ca. 1850.
Woran genau machst du das fest?

Vor diesem Hintergrund ist der Wüterich Luther ein ähnlich gefährlicher Mann

Wenn "ähnlich gefährlich" hier "ähnlich gefährlich wie Hitler" oder ähnlich gefährlich wie die Nazis bedeuten soll, ist das mal definitiv nicht der Fall.
Luther konnte seine Anhänger zu gemeingefährlichem Taten in begrenzter Weise aufrufen und zwar in dem Maße, in dem die entsprechenden Landesherren das zuließen und ihn oder seine Anhänger in ihren Reden gewähren ließen, bzw. den Vertrieb seiner Schriften zuließen.

Heißt Luther konnte hetzen und zwecks Herbeiführung von Gewalttaten an seine Anhänger in dem Maße appellieren, in dem die Obrigkeit das duldete. Befehlen konnte er nichts.

Die Nazis waren in ihrem Ein-Parteien-Staat die Obrigkeit oberhalb der es keine Instanz mehr gab, die da hätte einschreiten können.
Und sie hatten auch ganz andere Mittel ihre Kampagnen massenwirksam unter's Volk zu bringen und vor allem hatten sie die Möglichkeiten, was sie tun wollten selbst zu organisieren und ins Werk zu setzen.
Luther konnte lediglich schreien und mit der Feder wüten, mehr nicht.

Unabhängig davon, dass ihn das sicherlich noch immer zu einem gefährlichen Mann machen konnte, ist das schon ein sehr deutlicher Unterschied.
 
Ach ne. Wurden da wirklich unterschiedliche Ethnien ins Visier genommen?
Wer schreibt hier irgendwas von Ethnien?
Und welche Ethnie hat Luther "ins Visier genommen"?

In dem Moment in dem Luther ehemalige Juden, die sich nun zum Christentum bekennen in Ruhe lässt, die Nazis aber nicht, richten sie ihre verbrecherischen Absichten auf verschieden zusammengesetzte Personengruppen, dass sollte wohl unstrittig sein?
Diese beiden Gruppen mögen Schnittmengen miteinander haben, aber sie sind durchaus nicht identisch miteinander.
Und das sind keine Abweichungen im Marginalbereich.
Wenn man sich statistisch anschaut, wer bei den Nazis auf Grund seiner Vorfahren als Jude, Halbjude, Vierteljude etc. galt, ohne sich selbst zum jüdischen Glauben zu bekennen, wird man feststellen müssen, dass die Abweichungen zwischen den Personengruppen, die Luther oder Hitler als Juden eingestuft hätten, ganz erheblich sind.

Du argumentierst damit, beide würden sich durch Judenhass auszeichnen und sich damit gegen die gleiche Gruppe richten.
Ich sage das ist nicht der Fall.

In dem Moment in dem beide eine vollkommen andere Definition davon haben, was denn unter dem Begriff "Jude" überhaupt zu verstehen sei und das ist nunmal der Fall, ist das keine Gemeinsamkeit.

Man könnte allenfalls sagen, es wäre ihnen gemein, dass sie Personen hassten, die sie als Juden bezeichneten.

Das ist aber offensichtlich keine Gemeinsamkeit die irgendeine tiefere oder gar kausale Verbindung zwischen beiden schafft.
 
Es geht hier zwar um Ikonoklasmus und es ist nachvollziehbar, wenn man 500 Jahre nach der Reformation kräftig an Luthers Denkmal rüttelt (insbesondere wenn man einen katholischen Hintergrund hat), aber einige Beiträge gehen hier meinem Empfinden nach zu weit. Sie sind auch ungerecht gegenüber den vielen evangelischen Cristen, die unter Gefahr für Freiheit und Leben Widerstand geleistet haben.

Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus
Ich habe mir die Liste angesehen und per Stichproben nachgeschaut, was da tatsächliche geleistet wurde. Ergebnis: Sie waren Einzelkämpfer und meist Mitglieder der Bekennende Kirche, die zwar gegen die Nazis war, aber zu Judenverfolgung genauso geschwiegen hatte wie alle evangelischen Landeskirchen. Lediglich Dietrich Bonhoeffer war hier eine Ausnahme, der tatsächlich etwas gegen Judenverfolgung gesagt und getan hatte. Aber das habe ich bereits in meinem nichts Beitrag #842 vermerkt.

...egal wie oft ich da den kompletten Artikel durchlese, ich finde nirgendwo die Behauptung oder gar den Nachweis,
Es geht um diese Behauptung von mir: Luthers Vorschläge lesen sich wie ein Programm für die Nazis.

Dann schauen wir, was hat Luther geschrieben, und was davon haben die Nazis auch gesagt bzw. umgesetzt:

– Luther schrieb, man solle Juden ihre Synagogen niederbrennen – Nazis haben das getan.
– Luther schrieb, man solle ihre Häuser zu zerstören und sie wie Zigeuner in Ställen und Scheunen wohnen lassen – Nazis haben das getan.
– Luther schrieb, man solle ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegnehmen – Nazis haben das getan.
– Luther schrieb, man solle ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe verbieten – Nazis haben das getan.
– Luther schrieb, man solle ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht entziehen – Nazis haben das getan.
– Luther schrieb, man solle ihnen das „Wuchern“ (Geldgeschäft) verbieten, all ihr Bargeld und ihren Schmuck einziehen und verwahren – Nazis haben das getan.
– Luther schrieb, man solle den jungen kräftigen Juden Werkzeuge für körperliche Arbeit geben und sie ihr Brot verdienen zu lassen – Nazis haben das getan.

Ich finde es schon erstaunlich, dass ich das alles hier explizit schreiben muss, schließlich ist das Allgemeinwissen.

Ich halte das für Bullshit (lasse mich aber gern eines Besseren belehren). Leider wurde hier versäumt, anzugeben, in welcher Schrift Luthers dieser Satz stehen soll.
Es steht in Luthers Schrift “Von den Juden und ihren Lügen“ – ich zitieren den ganzen Satz:

„Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind.“

Es ist leicht zu erkennen, dass Treitschke den Satz nur verkürzt und damit griffiger gemacht hat – Zitat: "Die Juden sind unser Unglück".

Eine Schriftenreihe mit dem Titel "Lutherische Vierteljahresschrift" gibt es nicht, vermutlich hast Du Wallmanns Artikel gar nicht gelesen.
Sorry, ich habe den zitierten Abschnitt aus dem Englischen per deepl übersetzt und dabei den Titel der Zeitschrift mitübersetzt. Der Literaturhinweis muss also richtig heißen: Johannes Wallmann, ‘The Reception of Luther’s Writings on the Jews from the Reformation to the End of the 19th Century’, Lutheran Quarterly Jahr: 1987, Band: 1, Heft: 1, Seiten: 72-97

Du verwechselst immer wieder "verbreitete Meinung" mit wissenschaftlichem Forschungsstand.
Ich will jetzt nicht alles heraussuchen, aber schon der Hinweis Wallmanns – er war Professor für Kirchengeschichte –, dass seit dem Zweiten Weltkrieg in der Literatur etwas verständlicherweise zur vorherrschenden Meinung geworden sei, bestätigt doch meine Aussage, dass auch Forscher vom Zeitgeist nicht unabhängig sind. Und das hast du bestritten und Beispiele gebracht, die damit nichts zu tun haben.

Wenn die Giordano Bruno Stiftung behauptet, dass Treitschke es bloß von Luther abgeschrieben hat, muss es natürlich stimmen! In dem verlinkten Artikel wird mit keinem Wort darauf eingegangen, wo und wie Treitschke sich von Luther hat beeinflussen lassen.
Siehe bitte dazu meine diesbezügliche Antwort an Sepiola.

Auf die restlichen Punkte werde ich morgen eingehen.
 
@Dion Wenn für dich der Protestantismus die Wurzel allen Judenhasses darstellt, frage ich mich, wie erklärst du dir Hitlers Judenhass, der sich im katholischen Österreich und Bayern, wo die NSDAP gegründet wurde, entwickelt hat und nicht in Berlin, Hamburg oder Wittenberg?
 
Der Protestantismus ist natürlich nicht die "Wurzel alles Judenhasses". Aber er gehört zum Wurzelwerk.
Dann müsste man der fairnesshalber aber auch darlegen, welche eher katholischen Wurzelwerke Hitler zu seinem Judenhass inspiriert haben. Denn Luthers Schriften dürften auf ihn in München, Wien und Braunau nicht den größten Einfluss ausgeübt haben.
 
Es ist leicht zu erkennen, dass Treitschke den Satz nur verkürzt und damit griffiger gemacht hat

Es ist leicht zu erkennen, dass Du den verlinkten Aufsatz Treitschkes und den Kontext des Zitats überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hast. Der Satz, wie Treitschke ihn formuliert, steht mit Luther in keinem Zusammenhang.

Sorry, ich habe den zitierten Abschnitt aus dem Englischen per deepl übersetzt
Das war mir schon klar. Du hast aber offensichtlich weder die englische Fassung (die ohne Wissen des Verfassers veröffentlicht wurde) noch die später veröffentlichte deutsche Fassung gelesen.

Ich will jetzt nicht alles heraussuchen, aber schon der Hinweis Wallmanns – er war Professor für Kirchengeschichte –, dass seit dem Zweiten Weltkrieg in der Literatur etwas verständlicherweise zur vorherrschenden Meinung geworden sei
... hat nichts mit dem Forschungsstand zu tun. "Literatur" (dazu gehört vor 1945 auch der "Stürmer") ist nicht identisch mit "Forschung".

Und darum geht es hier. @dekumatland hat Dich darauf aufmerksam gemacht, dass Deine Behauptungen im Widerspruch zur Forschung stehen, das hast Du mit dem üblichen Blabla vom Tisch gewischt, "die Forschung" würde ja sowieso nur liefern, was der Zeitgeist von ihr erwartet. Im O-Ton:

...das sieht die Forschung nicht so wie du, was du ruhig zur Kenntnis nehmen könntest
Diese Forschung findet nicht im luftleeren Raum statt, also sagt sie das, was die Luft um sie herum von ihr erwartet:


Und das hast du bestritten und Beispiele gebracht, die damit nichts zu tun haben.
Das Beispiel mit der Evolutionstheorie stammt von Dir, nicht mir. Ich habe mir lediglich erlaubt, nachzufragen, ob Du zu diesem, von Dir gewählten Nebenthema ausnahmsweise etwas Substanzielles zu liefern in der Lage bist. Nachdem auch hier auf zweimalige Nachfrage nichts gekommen ist, können wir das gern abhaken.

Dass Forscher Kinder ihrer Zeit sind, ist mir bewusst, das habe ich nie bestritten. Umso wichtiger ist es, zu unterscheiden, welcher Teil der Literatur wissenschaftlichen Maßstäben entspricht. Deine diskreditierenden Pauschalurteile über "die Forschung" sind lediglich der Ausdruck Deines Unwillens, Dich auch nur ansatzweise mit der Forschung zu beschäftigen.
 
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