Naja, die Idee der dialektischen Geschichtsphilosophie geht bei Marx stehts über die Vor-Endstufe Kapitalismus hin zur Aufhebung desselbigen im Rahmen des Umsturzes, der Revolution durch die Proletarier, die im sich radikalisierenden Endstadium des Kapitalismus die Vorherrschaft erringen.
Natürlich. Aber hieran wäre doch die Frage zu stellen: Wenn Marx mit der dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung davon ausging, dass politische Umstürze und Revolutionen nur das Nachvollziehen der ökonomischen und gesellschaftlichen Wandlungen darstellt (also bildlich gesprochen nichts anderes sei, als das Wiedereinpendeln eines aus den Fugen geratenen Gleichgewichts und eines Kollaps gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Stabilität), müsste doch der logische Schluss eigentlich sein, dass diejenigen, die die politische Revolution an Ende machten tatsächlich nicht Subjekt, sondern Objekt des historischen Prozesses seien und zwar eines Prozesses, der ihnen von anderen Akteuren aufgenötigt wird und gegen den sie sich selbst wenn sie das wollten, letztendlich gar nicht wehren könnten.
Marx selbst hat die Problematik mit der dialektischen Geschichtsauffassung und ihren Determinismen ja im Bezug auf das Proletariat erkannt und versucht mit der Kategorie des "Lunpenproletariats" das Ausbleiben der Revolution und das Ausbleiben des Handels des "Proletariats" als Klasse zu erklären und damit dann auf "Bewusstsein/Klassenbewusstsein" als bedeutende Bedingung für den weiteren Gang der Entwicklung abgestellt.
Damit brach er aber aus dem System der Annahmen seiner eigenen materialistischen Geschichtsauffassung aus.
Wenn politische Revolutionen, wie die Theorie annimmt, notwendige Folge sozialer und wirtschaftlicher Umbrüche und Verschiebungen wäre, müsste Bewusstsein, eine völlig untergeordnete Rolle sein und/oder mehr oder weniger automatisch entstehen.
In dem Moment, in dem er das mit der Kategorie des "Lumpenproletariats" stark macht, fängt er an innerhalb des eigenen materialistischen Theoriesystems auf einmal idealistisch zu argumentieren und das geht eigentlich nicht mehr zusammen, weil es inkonsequent ist.
Hier kommt es meine ich, auf die bevorzugte Interpretation an.
Den Anwurf, Marx habe das "Proletariat" auf eine welthistorische Mission, im Kontext einer aus religiösen Kontexten entlehnten oder an sie angelehnten Heilserzählung geschicht, bzw. es darin eignebaut, kann man ihm machen, wenn man auf idealistischen Versatzstücke seiner Theorie abzielt.
Das ist sicherlich plausibel.
Was dann nicht mehr plausibel wäre, wäre der andere an Marx herangetragene Anwurf des überdeterminierten Theoriegebäudes und der überdeterministischen Weltsicht, denn wenn fehlendes Klassenbewusstsein, den Gang der Geschichte aufhalten kann und Klassenbewusstsein keine automatische Folge der gesellschaftlichen Entwicklung ist, kann es keine determinierte Zukunftsentwicklung geben. Es wäre ja dann möglich, dass die Bewusstseinsbildung aus welchen Gründen auch immer dauerhaft ausbleibt.
Andersherum, kann man natürlich auf den dialektisch-materialistischen, den überdeterminerenden Marx mit seiner starren Geschichtsphilosophie abstellen, aber diesem Argumentationsstrang, kann man wiederrum die kreuzzugsähnliche, welthistorische Mission des Proletariats nicht wirklich gut unterstellen, weil der einfach nur eine Abfolge quasimechanischer Gesetze beschreibt, in dem sowas wie individueller menschlicher Wille gar keinen Platz hat und noch weniger lässt dieser Argumentationsstrang, dass Aushebeln des Systems durch unvorhergesehenes Handeln zu.
Im Rahmen dieses Agrumentationsstrangs wiederrum wäre es vollkommen gleichgültig, ob das Proletariat auf irgendeine welthistorische Mission geht, ob es ein Klassenbewusstsein entwicklet oder nicht und dementsprechend könnte auch kein journalistischer Scharfmacher eine Revolution herbeischreiben.
Wenn ich das anspreche passiert das weniger in der Absicht Marx vor Marx zu schützen, als im Umgang mit Marxens eigenen Widersprüchen.
Man kann aus Marx, die theoretische Basis für eine überdeterminierte Geschichtsphilosophie (materialistische Lesart) ableiten oder die einer heilsgeschichtlichen Mission des Proletariats (idealistische Lesart).
Was man aus Marx mMn nicht sauber ableiten kann, weil man dann 1:1 Marxens eigene Widersprüche übernehmen müsste, ist eine Kombination beider Annahmen.
Nun kenne ich die realsozialistische Geschichtssrecheibung gut genug, um zu wissen, dass sich diverse Autoren nicht entblödet haben um auf Versatzstücke der unterschiedlichen sich gegenseitig ausschließenden Argumentationsmuster beider Stränge gleichzeitig abzustellen um die Richtigkeit einer daraus abgeleiteten dogmatischen Geschichtsschreibung zu "belegen" und dass die realsozialistische Geschichtssreibung dazu tendierte die idealistischen Aspekte von Marxens Interpretation stärker zu machen, was insofern logisch ist, als dass sich mit dem Postulat abstrakter, quasiemechanischer materialistischer Geschichtsentwicklung schon rein konzeptionell keine besonders sinnvolle, Staatsideologie aufbauen und schon gar keine Propaganda machen lässt.
Diese Konzeption, lässt sich ja mehr oder weniger in der Annahme zusammenfassen, dass historische Prozesse sich vollziehen und jeder menschliche Versuch etwas daran zu ändern, zum Scheitern verurteilt sei. Damit mobilisiert man keine Anhänger.
Ich für meinen Teil meine demgegenüber, dass man Marx aber eigentlich mehr entsprechend dem materialistischen Argumentationsstrang lesen müsste, weil der für die Genese seiner Theorie wesentlich bedeutender ist. Ohne materialistische Geschichtsauffasung kein System der sich auf einen Endpunkt hin zuentwickelnden Geschichte.