Schlieffen-Plan und Marneschlacht

In diesem Thread fehlt m.E. nach noch die nicht ganz unwichtige Mission von Oberstleutnant Hentsch,...

Es ist schon erstaunlich, da fæhrt ein Oberstleutnant durch die Gegend, und versaubeutelt an einem Tag den ganzen 1.Weltkrieg...=)

Im Ernst, mir ist die gesamte Befehlsstruktur/Art der Kriegsfuehrung nicht ganz Geheuer:
Gab es kein selbstændiges Denken und Handeln der Armeegenerale? Umgekehrt aber auch keine eindeutigen -schriftlichen - Anweisungen von der OHL (wenn xy eintrifft, dann folgendes machen, wenn abc eintrifft, dann jenes machen)
Es sieht fast so aus, als seien die Generale zu einer Art "Logistikchef" verkommen, hilflos wenn der Aufmarschplan nicht exakt abgearbeitet werden kann...

Vielen Dank jedenfalls @Turgot, liest sich immer wieder spannend.

Gruss, muheijo
 
Die psychologischen Auswirkungen der operativen Niederlage der Marneschlacht, diese bedeutete ja nichts anderes als das Scheitern des Schlieffenplans, auf die militärische und politische Führung des Reichs jedenfalls können nicht unterschätzt werden.

Die Frage, ob bei einer anderen Entscheidung des Oberstleutnant Hentsch, ein kriegsentscheidener Erfolg gegen Frankreich möglich gewesen wäre, laße ich hier offen.

Zu berücksichtigen ist aber, das die Franzosen über die Vorteile eines leistungsfähigen Eisenbahnetzes im Hinterland verfügten. Bei den Deutschen waren die Entfernungen zu den Eisenbahnknotenpunken zu groß; vieles musste aufgrund fehlender Motorisierung mit Pgerd und Wagen herangekaart werden. Es fehlte für die Pferde schon in dieser frühen Phase des Krieges Hafer in ausreichenden Mengen. Für die schwerden deutsche Geschütze war nicht genügend Muniton vorhanden.

Andereseits stand Frankreich auch unter erheblichen Druck;das geht schon aus dem Befehl Joffres vom 04.September hervor.
 
Zuletzt bearbeitet:
SündenbocK Hentsch?

Abschließend gilt es m.E. nach festzuhalten, dass möglicherweise nachträglich der Oberstleutnant Hentsch zum Sündenbock gemacht werden sollte.

Denn m.E. nach muss jede Kritik zunächst bei Moltke ansetzen. Warum fuhr er nicht selbst an die Front? Er hat Hentsch ausgesucht.Moltke wußte um dessen Pessimus. Dann Moltkes Führungsstil gegenüber den Armeeoberkommandos der superlangen Leine und des Nichteinmischens.

Wie konnte in so einer entscheidenden Phase des Feldzuges keine Fernsprechverbindung zu den überaus wichtigen Flügelarmeen bestehen?

Und ganz wichtig ist m.E. nach auch, das die alles entscheidene Anregung zum Rückzug am 08. September abends über die Marne von Generaloberst von Bülow gekommen ist und nicht, wie das Reichsarchiv behauptet hat, von Oberstleutnant Hentsch.

Dann die vielen widersprüchlichen Angaben, von denen nicht die wenigsten erst nach Ende des Krieges getätigt worden sind. Also zu einem Zeitpunkt, wo zwei ganz wichtige Akteure, nämlich Hentsch und Moltke, bereits tot waren.

Auch sind keine Gesprächsnotizen von den Beteiligten während der Konferenzen gefertigt worden. Hentsch hatte aber kurz danach solche angefertigt und von den Sachverhalten, die bekannt worden, wurde diesen auch nicht widersprochen.
 
Der Mann wurde ja spæter zum Obersten beførdert, und das Pour-le-Merite hat er auch noch gekriegt. Das passt nicht ganz zusammen.

Was mich interessieren wuerde, ab wann lief denn die Wirklichkeit anders als die Planung ab? Wir haben die beruehmte "Luecke" zwischen der 1. und 2. Armee, wer hat die denn verbockt?
Nach den Planungen hætte es so etwas gar nicht geben duerfen.
Erstaunlich auch, dass es anscheinend keinerlei Reserven gab, fuer solche unvorhergesehenen Fælle.
Mir wird diese Kriegsfuehrung im 1.Weltkrieg immer suspekter.

Gruss, muheijo
 
Gemäß dem Befehl vom 04. September sollten die 1. und 2.Armee vor Paris verbleiben, um feindlich Unternhemungen entgegenzutreten. Wobei der 1.Armee insbesondere der Schutz der rechten Heeresflanke oblag.

Entgegen diesen Befehl hat der Befehlshaber der 1.Armee von Kluck aber beschlossen, die Verfolgung in südliche Richtung, also an Paris vorbei, des Feindes fortzusetzen. Die Armee setzte mit dem IV., III, und IX Armeekorps die Verfolgung fort. Zur Sicherung der Flanke verblieben nur das IV. Reservekorps und das II. Armeekorps.

Als die Armee am 05.September bereits unterwegs war, erreichte diese ein Funkspurch der Obersten Heeresleitung, aus dem hervorging, das nunmehr die 1. und 2. Armee gegen die Nordost- Ostfront abschwenken sollten. Hier ist der Ausgangspunkt. Der Generalstabschef der 1.Armee von Kuhl schreibt dazu:" Zwischen Oise und Marne konnten wir nicht verbleiben, wir konnten nur zurückmarschieren.....Offenbar war die Oberste Heeresleitung zu ähnlichen Bedenke gekommen, wie wir sie am 04. morgens in unserem Funkspruch ausgesprochen hatten. Der rechts Heeresflügel war zu schwach, um an Paris vorbeizumarschieren. Drohte hier eine besondere Gefahr? Von neuen Verschiebungen der französischen Truppen war uns nichts bekannt."

Dort drohte die Gefahr. Die Franzosen hatten die Schwäche des rechten Heeresflügels erkannt.

Davon einmal ganz abgesehen, war es doch ohnehin eine Frage der Zeit, bis wann die Franzosen den Schwachpunkt des rechten Flügels erkennen, denn der bewegte sich ja schließlich nicht in einem Vakuum und hing gewissermaßen in der Luft.

Hinzuzufügen ist auch noch, das die 3.Armee am 05.September ein Ruhetag einlegte, wodurch der Anschluß an die 2. und 4.Armee verloren ging, da diese Armeen kein Halt machten. Hier wäre Moltke gefordert gewesen.

Der Mann wurde ja spæter zum Obersten beførdert, und das Pour-le-Merite hat er auch noch gekriegt. Das passt nicht ganz zusammen.

Doch das ergibt durchaus Sinn. Denn es geht um die Nachkriegszeit, in der es darum ging, das Ansehen des Heeres insgesamt zu bewahren. Es ist leichter, einen "kleinen" Oberstleutnant die Schuld in die Schuhe zu schieben, als dem Chef des Generalstabes des Feldheeres. Das wäre geradezu fatal gewesen.
 
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Gemäß dem Befehl vom 04. September sollten die 1. und 2.Armee vor Paris verbleiben, um feindlich Unternhemungen entgegenzutreten. Wobei der 1.Armee insbesondere der Schutz der rechten Heeresflanke oblag....
Hinzuzufügen ist auch noch, das die 3.Armee am 05.September ein Ruhetag einlegte, wodurch der Anschluß an die 2. und 4.Armee verloren ging, da diese Armeen kein Halt machten. Hier wäre Moltke gefordert gewesen...

Genau genommen ist damit bereits eingeräumt, dass Moltke den Kulminationspunkt der Operation erreicht hatte und die Planung komplett gescheitert war. Ihr habt oben auch die BEF-Lücke zwischen 1. und 2. Armee angesprochen, zusätzlich die beginnende Umfassung der 1. Armee in ihrer äußersten rechten Flanke.

Wie nun sollten 1. und 2. Armee vor Paris stehenbleiben, wenn sich rechts davon eine Lücke von Paris bis zum Meer befindet? Der anschließende "Wettlauf zum Meer" belegt die Folgen eines solchen Handelns sehr plakativ.

Mit alldem hatte die Hentsch-Aktivität nichts zu tun. Dabei handelt es sich mE weitgehend um eine Nachkriegslegende, die von der Generalität im offiziellen Werk (Reichsarchiv) und in den diversen Memoiren dankend aufgegriffen wurde, während zum Rückzug von der Marne (auch wegen der nicht darstellbaren Versorgungslinien für eine größere Schlacht und der Entfernung von den Eisenbahn-Endpunkten) führungsseitig keine Alternative bestand.

In den folgenden Wochen schaufelte man alle eintreffenden Reserven an diesen rechten Flügel und "verlängerte" die Front zum Meer.

Wenn man Hentsch beurteilen will, und die Situation vom 5.-8.9.1914, muss zunächst eine klare Lagebeschreibung abgegeben werden, die insbesondere auch die realen Abläufe bei den Alliierten einbezieht (die sich laufend gegenüber der 1. und 2. Armee verstärkten).

P.S. Moltke hatte schon aus Luxemburg heraus eine problematische Verbindung zu den Armeen. Ein Abreisen der Mitte und des rechten Flügels halte ich für technisch in dieser Zeit unmöglich. Ganz abgesehen davon sollte man seine Aktivitäten nicht nur auf die eine Person beziehen, sondern auf den gesamten Stab, der ihn unterstützte.

Um das logistische Problem mal auf den Punkt zu bringen: an der Marne waren die rd. 300to pro Tag und Korps nicht mehr zu leisten (bei den erstaunlichen Mengen ist die Anzahl der Pferde zu berücksichtigen, die nicht aus dem Land ernährt wurden):

[Quelle: Petersen, The Schlieffen War Plan - What Impact did Logistics contribute to the Plan's failure?, 2008]
 

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Ich denke, dass die Darstellung schon so sehr ausführlich und lang geraten ist. Wenn eine noch eine ausführlichere Lagedarstellung einschließlich der 3., 4. und 5.Armee und die Neubildung der 7.Armee im Hinterland zuzüglich der Situation der Briten und Franzosen in der Darstellung mit berücksichtigt worden wäre, dann besteht m.E. die Gefahr, dass das zu einem Aufsatz ausufert und sich dann endgültig niemand mehr aufrafft, um das dann noch zu lesen. Das Echo ist ja schon so sehr gering ausgefallen. Ganz wichtig und entscheidend war doch und ist, die problematische Lage auf der rechten Heeresflanke, die letzten Endes auch der Anlass für die Entsendung von Hentsch gewesen war um Klarheit zu gewinnen. Die problematische Logistik übrigens habe ich auch erwähnt gehabt.

Die Mission von Hentsch wird quais in jedem seriösen Werk, Quellen habe ich oben ja schon einige genannt, zum Ersten Weltkrieg geschildert und sein Handeln, je nach Sicht des Historikers, entsprechend dargestellt. Die Folge der Mission war ja immerhin der Abbruch der Marneschlacht und damit der Rückzug auf der ganzen Front. Damit war der Bewegungskrieg sprich der Feldzug im Westen gelaufen. Die Entsendung von Hentsch war also durchaus bedeutsam. Was folgte war ein jahrelanger Stellungskrieg mit ungeheuren Opfern auf beiden Seiten.

Moltke war nun einmal der Generalstabschef des Heeres und war somit der Verantwortliche. Seine beiden wichtigsten Beraten Tappen und Dommes habe ich genannt. Ich bleibe bei meiner Kritik. Moltke hätte selbst fahren müssen, denn eine Entscheidung von solcher Tragweite, kann nicht von einem Nachrichtenoffizier gefällt werden. Die Ausrede, für den Kaiser verfügbar sein zu müssen, überzeugt nicht, zumal der Kaiser sich ja ohnehin aus dem operativen Geschäft herausgehalten hat.
 
silesia schrieb:
Mit alldem hatte die Hentsch-Aktivität nichts zu tun. Dabei handelt es sich mE weitgehend um eine Nachkriegslegende, die von der Generalität im offiziellen Werk (Reichsarchiv) und in den diversen Memoiren dankend aufgegriffen wurde, während zum Rückzug von der Marne (auch wegen der nicht darstellbaren Versorgungslinien für eine größere Schlacht und der Entfernung von den Eisenbahn-Endpunkten) führungsseitig keine Alternative bestand.


Ich habe ein paar Zitate zur Mission Hentsch rausgesucht:

Mai, Ende des Kaiserreichs, schreibt:

"Infolge welchselseite Durchbrucherfolge wurde die Schlachtordnung für die deutsche Seite so unübersichtlich, dass sich der höchstkommandierende Generaloberst von Bülow und der von der OHL detachierten am 09.September zum Rückzug entschlossen. Dieser Rückzugsbefehl war, indem er die deutsche Niederlage besiegelte, zweifellos der Wendepunkt des Krieges. Es war zweifellos bezeichnend für den Zustand der deutschen Führung, dass nicht Moltke selbst diese folgenreiche Entscheidung traf, sondern dass dies einem unzureichend instruierten jüngeren Offizier überlassen wurde.“

Michael Salewski , Erster Weltkrieg, schreibt:“ Hentsch teilte die düsteren Besorgenisse seines Chefs vollkommen- schon deswegen war seine Entsendung ein Fehler, und so kam es, wie es kommen mußte: Obwohl vor allem das AOK 1 glaubte die Lage nicht nur halten zu können, sondern die Marneschlacht zu deutschen Gunsten entscheiden zu können, und obwohl auch das AOK 2 optimistisch war – auf diese Armeen kam es ja ganz wesentlich an - , entschloß Hentsch sich im Auftrag Moltkes, die Front zurückzunehmen, und zwar wesentlich hinter Asine.“ Er schreibt weiter, dass das Heer kopfschüttelnd sich zurückzog. Noch bis vor Beginn des Zweiten Weltkrieges galt in der deutschen Öffentlichkeit die verlorene Marneschlacht als die casus prima des Kriegsverlustes überhaupt.

Auch Hew Strachan geht auf die Mission von Hentsch ein. So schreibt er, das Kluck meinte, er habe kurz vor dem Sieg über die 6.Armee gestanden. Erwähnen tut er allerdings nicht, was hätte geschehen können, wenn das BEF seine 1.Armee überflügelt worden wäre.

Kielmannsegg schreibt, das Moltke die Entwicklung auf dem rechten Flügel mit wachsender Sorge beobachtet hat. Es kam zur Mission Hentsch usw. usw. .
John Keegan widmet in seinem Werk zu Ersten Weltkrieg der Mission Hentsch sogar ein eigenes Kapitel.

Auch in der Enzyklopädie Erster Weltkrieg wird die Mission von Hentsch berücksichtigt. Die Herrschaften sind doch wohl nicht alle einer Legende auf dem Leim gegangen.
 
Dann bleibt die Frage, was wære passiert, wenn ein optimistischer Hentsch in den Hauptquartieren der Armeen aufgetaucht wære und den Rueckzug verhindert hætte.

Leider ist das Spekulation, oder gibt es zu mindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit ueber das weitere Geschehen?

Nach dem was ich gelesen habe, waren die Briten unter French doch eher vorsichtig agierend, und die franzøsische 9.Armee, also an einem ganz anderen Frontabschnitt, kurz vor dem Zusammenbruch.
Es gab quasi einen Wettlauf, wer zuerst nachgeben wuerde - die Deutschen wegen ihrem rechten Fluegel oder die Franzosen wegen ihrer Mitte.

Leider geht man in diesem Buch auf den paar zusammenfassenden Seiten ueberhaupt nicht auf die logistische Situation ein, silesia hat ja schon angedeutet, dass die Deutschen eigentlich schon am Ende ihrer Kræfte waren, was die Versorgungslage anbelangt.

Fakt scheint aber zu sein, dass die Franzosen einfach widerstandsfæhiger waren, die Generæle wie Joffre oder Gallieni anscheinend tatkræftiger, ruecksichtsloser wohl auch, wenn man sich die Tagesbefehle anschaut:"...Truppen, die nicht vorwærtskommen kønnen, muessen, koste es was es wolle, stehenbleiben und sich tøten lassen, ehe sie aufgeben..."

Bezeichnend laut meinem Buch ("Landschlachten der Weltgeschichte"/Richard Holmes) sei ein angeblicher Nervenzusammenbruch Moltkes, wæhrend Joffre sich weigerte, sich in seinem tæglichen 8-stuendigen Schlaf støren zu lassen.

Demnach war die Marneschlacht hauptsæchlich Nervensache, die Frankreich gewann.

Gruss, muheijo
 
muheijo schrieb:
Dann bleibt die Frage, was wære passiert, wenn ein optimistischer Hentsch in den Hauptquartieren der Armeen aufgetaucht wære und den Rueckzug verhindert hætte.

Das läßt sich nicht mit abschließender Sicherheit beantworten.
 
Die Herrschaften sind doch wohl nicht alle einer Legende auf dem Leim gegangen.[/FONT]

Das ist gut zugespitzt: genau so würde ich das sehen, inkl. Keegan.

Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Marne-Stellung unhaltbar war, und die weitere Umfassung unmöglich. Es gibt im Übrigen in der Militärhistorie zahlreiche Beispiele, wie aus Rückzug und Verzögerung die Sache "gedreht" wurde. Erstaunlicherweise war die Gegenoffensive beim "run to the sea" nicht denkbar, sondern erst nach der neuen Schwerpunktbildung in der 1. Flandernschlacht.

Das Szenario, bei dem an der Marne dem rechten deutschen Flügel die Initiative wieder zufällt (die ihm nach der apologetischen Literatur durch Hentsch "geraubt wurde), ist schon logistisch undenkbar.

Die Kräftezufuhr der Allierten zu deren linken Flügel im September 1914 ist dynamisch zu sehen, im direkten Vergleich zur deutschen Seite. Die Lagekarte des status quo am 9./10.9.1914 ist somit nur eine unvollständige Momentaufnahme. Wenn das bestritten wird, sollten wir inventarisieren, welche Kräfte dem linken alliierten Flügel vom 5. bis 30.9. tatsächlich zugeführt worden sind.
 
Es war zweifellos bezeichnend für den Zustand der deutschen Führung, dass nicht Moltke selbst diese folgenreiche Entscheidung traf, sondern dass dies einem unzureichend instruierten jüngeren Offizier überlassen wurde.“

Moltke war zweifellos überfordert und das auch schon vor dem Fiasko an der Marne. Er selbst wusste es und gab dadurch auch alles aus der Hand. Er stand im Schatten seines Onkels und fühlte sich dadurch geradezu erdrück. Ihm fehle dieses Gen, das Zockergen. Der alte Moltke, obwohl Mecklenburger, eher behebig und maulfaul, besaß es. Er sprach nicht viel über das, was er dachte, sondern handelte. Er übergang in seinen Planungen sogar seinen König und ließ diesen im Unklaren. Wie bei Königgrätz.
Man darf aber Moltke dem Jüngeren gegenüber nicht ungnädig sein. Was sich da im Sommer 1914 auftat, übertraf alles Dagewesene. Eine wirklich sinnvolle Kommunikation war kaum möglich. Brieftauben waren ein probates Mittel. Funkgeräte, die man heutzutage in eine Hand nehmen kann, stellten damals zwei Schränke dar. Es waren Millionenheere, die bewegt werden mussten. Es stellten sich Situationen auf, die Präzidenzfälle waren.
Ich denke, gerade dies lässt diesen wirklich ersten Weltkrieg auch die Zeitenwende darstellen. Das maschinelle Niederschlachten. Darauf war man nicht eingestellt. Es war wie ein Kometeneinschlag (den man selbst provoziert hatte). Eine Beschleunigung der Evolution, die sich Revolution nennte. Eine unreife Technik, die sich in ihrer Dynamik selbst überholte.
 
Rurik, Du sprichst da völlig richtig die wesentlichen Probleme des Generalstabes an. Schlieffens Idee war von "Marschgeschwindigkeiten" geprägt, die sich erstmal für Regimenter wie Millionenheere gleich rechnen lassen. Die logistischen Implikationen der dogamatisch angestrebten Vernichtungsschlacht sind nie überprüft worden.

1914 zeigte sich das dann, als Nachrichten von den Armeen zum GenSt 24 Stunden und mehr benötigten. Die Drahttelefone kamen nicht mehr hinterher, und der Funk wurde Anfang September am rechten deutschen Flügel durch den Sender Paris massiv gestört. Es funktionierten dagegen die Verbindungen zwischen Korps und Armee noch recht gut und schnell.
Sehr zu empfehlen ist die Leavenworth-Thesis von Larry D. Bruns, The German General Staff in World War One, 1983, Download hier:
http://www.dtic.mil/dtic/tr/fulltext/u2/a139483.pdf

Bei all dem war das Ergebnis an der Marne kein Kommunikations- und damit Führungsproblem, sondern ein Kräfte- und Flankenproblem. Es gab nur ein einziges Szenario, unter dem der rechte deutsche Flügel vor der Nase der Festungssphinx Paris einschwenken durfte: im Moment völliger Auflösung der frz. Armee, zur Liquidierung der sich im Knäuel auf Paris rettenden Heeresreste. Diese Situation mutmaßte Moltke aufgrund der Meldungen nach dem 24.8. als gegeben.

P.S. Telegramm von Foch an Joffre, 8.9.1914, Marne-Schlacht lief über 160 km Frontbreite: "Mein Zentrum gibt nach, mein rechter Flügel weicht. Lage ist exzellent. Ich greife an.":D
 
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Es gab nur ein einziges Szenario, unter dem der rechte deutsche Flügel vor der Nase der Festungssphinx Paris einschwenken durfte: im Moment völliger Auflösung der frz. Armee, zur Liquidierung der sich im Knäuel auf Paris rettenden Heeresreste. Diese Situation mutmaßte Moltke aufgrund der Meldungen nach dem 24.8. als gegeben.

Gab es echte Alternativen? Stehen bleiben und warten, bis die neu gebildete frz. 6. Armee bereit war, einzugreifen? (Wieviel wussten die Deutschen eigentlich davon?)
Gab es ueberhaupt genuegend Kræfte, um auf Paris oder um Paris westlich herum zu marschieren? Oder die Flanke weiter Richtung Meer auszudehnen (und damit gleichzeitig auszuduennen)?
Møglicherweise wære die erste Alternative, vor Paris vorerst stehen zu bleiben, die beste Løsung gewesen, und sich auf die Mitte zu konzentrieren, um dort den frz. Rueckzug zu provozieren. Aber hatte man dazu noch Reserven zur Hand?

Wie sah eigentlich die Versorgungslage, Logistik, Befehlsstruktur auf frz. Seite aus?

Gruss, muheijo
 
Das ist gut zugespitzt: genau so würde ich das sehen, inkl. Keegan.

Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Marne-Stellung unhaltbar war, und die weitere Umfassung unmöglich. Es gibt im Übrigen in der Militärhistorie zahlreiche Beispiele, wie aus Rückzug und Verzögerung die Sache "gedreht" wurde. Erstaunlicherweise war die Gegenoffensive beim "run to the sea" nicht denkbar, sondern erst nach der neuen Schwerpunktbildung in der 1. Flandernschlacht.

Das Szenario, bei dem an der Marne dem rechten deutschen Flügel die Initiative wieder zufällt (die ihm nach der apologetischen Literatur durch Hentsch "geraubt wurde), ist schon logistisch undenkbar.

Die Kräftezufuhr der Allierten zu deren linken Flügel im September 1914 ist dynamisch zu sehen, im direkten Vergleich zur deutschen Seite. Die Lagekarte des status quo am 9./10.9.1914 ist somit nur eine unvollständige Momentaufnahme. Wenn das bestritten wird, sollten wir inventarisieren, welche Kräfte dem linken alliierten Flügel vom 5. bis 30.9. tatsächlich zugeführt worden sind.

Dein Urteil über diese renommierten Historiker fällt ziemlich hart aus.

An der ganzen Front standen m.W. nach etwa 750.000 deutsche Soldaten 1.000.000 französischen und britischen Truppen gegenüber. Zu berücksichtigen ist die in der Neuaufstellung begriffene 7.Armee, die dem rechten Flügel sehr kurzfristig zugeführt werden sollte. Jetzt fehlten die beiden Armeekorps, die überflüssigerweise in den Osten verschoben wurden. Ich weiß jetzt nicht, wie viel Ersatz unterwegs war und wann dieser an der Front eintreffen sollte.

Das entscheidende Problem war m.E. nach, das die 1.Armee von Klucks südöstlich vor Paris eingebogen ist. Zugegeben, war eine Umgehung bzw. Einschließung von Paris wohl nicht mehr möglich gewesen. Dafür hätten die Mittel wohl nicht gereicht.

Dadurch gewannen die Franzosen erst einmal Manövrierraum und viel wichtiger, je näher Kluck kam, desto größer die Lücke zwischen 1. und 2.Armee und, was die Franzosen natürlich bemerkt haben, die große Chance für einen Flankenangriff. Diese Chance wurde ja auch genutzt.

Nur als die Marneschlacht abgebrochen wurde, war nicht erkennbar, das sich ein großer alliierter Erfolg abzeichnet. Bei der 1. und 2.Armee war die Lage erheblich günstiger, als angenommen. Als der Rückzug erfolgte, setzten weder Franzosen noch Briten nach. Sie waren halt auch am Ende ihrer Kräfte.

Schon deshalb muss es m.E. nach offen bleiben, wie die Schlacht ausgegangen wäre, wenn sie bis zum Ende durchgefochten worden wäre. Die Mission Hentsch kann man m.E. nach ein gewisse Bedeutung nicht absprechen.

Dass die Alliierten wesentlich kürze Nachschublinien hatte, schon aufgrund des leistungsfähigen Eisenbahnnetzes im Hinterland ist klar.


Ab 09. September nachmittags war die 1.Armee endlich mit dem Hauptquartier telefonisch verbunden, so das auch das die Kommunikationsmöglichkeiten erheblich verbessert waren.
 
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Dein Urteil über diese renommierten Historiker fällt ziemlich hart aus.
Ja, da wurde Jahrzehnte voneinander abgeschrieben.


Bei der 1. und 2.Armee war die Lage erheblich günstiger, als angenommen. Als der Rückzug erfolgte, setzten weder Franzosen noch Briten nach. Sie waren halt auch am Ende ihrer Kräfte....

Wo läßt sich die günstige Lage am rechten deutschen Flügel verbindlich nachlesen, mit aussagekräftigen Nachweisen?

Meine Skepsis beruht auf der - militärhistorisch inakzeptablen, teilweise gefälschten, teilweise nebulösen - Darstellung von Reichsarchiv IV (Der Weltkrieg 1914/18, Die Marne-Schlacht). Schau Dir mal die "Nachweisführung" im Text an. Völliger Quatsch ist die dazu beigefügte Kartenlage im Anhang, die jede Transparenz - das kann nur vorsätzlich verstanden werden - vermeidet und sogar auf absurde getrennte Einzeichnungen von alliierten und deutschen Aufstellungen zurückgreift. Inhaltlich ist das "Landser-Niveau", mit einem militärwissenschaftlichen Anstrich.


Herwigs Marne 1914 ist mal ein guter Anfang. Vielleicht erbarmt sich das MGFA mal 2014, nach 100 Jahren, eine Gesamtdarstellung zur Marne-Kampagne zu bringen, und dabei alle Seiten und Aspekte angemessen einzubeziehen. Der Meinungsstreit als solcher ist übrigens auch uralt:
http://www.jstor.org/pss/27607702
 
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Ich tue mich schwer mit deiner Einschätzung.

Jean Jaques Becker, französischer Historiker seines Zeichens, meint, das in den ersten Septembertagen 1914 Moltke und die OHL zu Recht davon ausgehen konnten, das die erste Phase des Krieges mit der Vernichtung der französischen Armee bald beendet sein würde. Nachzulesen ist das in dem Standardwerk zum Ersten Weltkrieg, die Enzyklopädie Erster Weltkrieg.

Am 08.September ist Maubeuge gefallen und dadurch wurde das 7.Reservekorps frei. Dieses Korps hätte die Lücke schließen können, bis Kluck Maunoury besiegt hätte. Des Weiteren waren aus Belgien doch zwei weitere Korps unterwegs. (1)

Als die Alliierten am 12.September ein Frontalangriff fuhren, scheiterten sie auf der ganzen Linie.

(1) Cuttwell, A History of the Great War, S.36
 
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Jean Jaques Becker, französischer Historiker seines Zeichens, meint, das in den ersten Septembertagen 1914 Moltke und die OHL zu Recht davon ausgehen konnten, das die erste Phase des Krieges mit der Vernichtung der französischen Armee bald beendet sein würde. Nachzulesen ist das in dem Standardwerk zum Ersten Weltkrieg, die Enzyklopädie Erster Weltkrieg....
Als die Alliierten am 12.September ein Frontalangriff fuhren, scheiterten sie auf der ganzen Linie.

Von Becker stammt vermutlich auch Dein Hinweis auf die "Erschöpfung" oben, Enzyklopädie S. 699. Er verkennt die Dynamik, nämlich die Verlagerung zum äußersten linken alliierten Flügel (bzw. rechten deutschen Flügel), auf den die erste Flandernschlacht zulief, und zu dem beide Seiten ihre Reserven schickten.

Beckers Literatur ist ebenfalls 40 Jahre alt, die Enzyklopädie berücksichtigt zB nicht Herwigs Marne 1914 aus 2009 und die inzwischen langjährige Marne/Schlieffenplan-Kontroverse (das Buch von Herwig ist auch eine Konsequenz aus dieser Diskussion).
 
Es ist schwierig eine Diskussion zu führen, wenn du praktisch fast die ganze Literatur mit Ausnahme von Herwig zum Thema in Bausch und Bogen verschlägst.
 
Es ist schwierig eine Diskussion zu führen, wenn du praktisch fast die ganze Literatur mit Ausnahme von Herwig zum Thema in Bausch und Bogen verschlägst.

Das habe ich nicht.:winke:

Das Problem ist mE, dass ein weiter Teil der Literatur zum WK I undifferenziert abgeschrieben hat, sich insbesondere bzgl. der deutschen Seite am tendenziösen Reichsarchiv orientierte.

Werke wie zB von Gardner: Trial by fire - command and the British Expeditionary Force in 1914 sind frei von diesem Mangel, sehr gute Detailstudien, und für die Diskussion beachtlich.
Trial by fire: command and the ... - Nikolas Gardner - Google Bücher

Es ist also keine Frage von Herwig, Tuchman und Co. DAS Werk über die Marne 1914 gibt es mE noch nicht.
 
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