Das klingt, als seien alle Polizisten, Lehrer und Juristen Altnazis gewesen, was nicht der Fall war.
Das Problem war festzustellen, wer bis 1945 Nazi gewesen ist. Das mögen formell all diejnigen gewesen sein, die Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Nebenorganisationen gewesen ist. Bei dieser Definition würde allerdings auch z. B. Oskar Schindler (
Oskar Schindler – Wikipedia - bekannt aus der Verfilmung Schindlers Liste) herunterfallen. Die Gründe der NSDAP oder einer ihrer Organisation beizutreten, mögen vielfältig gewesen sein. Dazu zählen Opportunismus oder einfacher Pragmatismus ebenso wie auch grundsätzliche Zustimmung zum System. El Q. hat oben erwähnt, dass 1940 der Nationalsozialismus hohe Zustimmungswerte hatte. Der Historiker Götz Aly hat sogar das Dritte Reich als Gefälligkeitsdiktatur bezeichnet. Es gab wohl durchaus einiges, dass damals in der Bevölkerung positiv gesehen wurde: die Besetzung des Rheinlandes, der Anschluß Österreichs, die Annexion des Sudetenlandes waren auch Ziele der Weimarer Republik gewesen. Noch 1930/31 konnte eine Zollunion zwischen dem Deutschen Reich und Österreich aufgrund alliierten Einspruchs nicht realisiert werden (s.
Deutsch-österreichische Zollunion – Wikipedia ) Desgleichen gab es im Dritten Reich eine verbesserte wirtschaftliche Situation und die Beschäftigungslage verbesserte sich. Ob dies aufgrund oder nur während des Nazidiktatur geschah, ist eine andere Frage. Viele werden sich an die Probleme der Weimarer Republik mit Hyperinflatiion und Massenarbeitslosigkeit erinnert haben. Zudem hatte das Reich eine stabile Regierung, während in der Weimarer Republik die Regierungen ständig abgelöst worden sind. Insofern mag das NS-Regime als ein effizientes System insbesondere im Vergleich zur Republik gesehen worden sein.
Die Kehrseite der Medaille war aber die Diskriminierung der Deutschen jüdischen Glaubens, die politische Unterdrückung der Andersdenkenden, die erzwungene Selbstauflösung der Parteien, die Zerschlagung der Gewerkschaften sowie eine fast vollständige Gleichschaltung des Staates und der Gesellschaft.
Willy Cohn – Wikipedia , Historiker, deuscher Patriot und Jude aus Breslau, hat die Zwiespältigkeit in seinen Tagebüchern festgehalten. Zum einen seine persönliche Situation, die im Laufe der Jahre immer problematischer wurde, aber er hat auch die aus seiner Sicht positiven Leistungen des Hitler-Regimes gesehen (s.
ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl. ). Und trotz allem war er loyal und patriotisch gegenüber seinem Vaterland Deutschland. (Willy Cohn, seine Frau und seine Töchter wurden 1941 von Breslau nach Litauen deportiert und dort nach Ankunft erschossen - seine jüngste Tochter war gerade 3 Jahre alt). Da mag auch der ein oder andere patriotisch gesonne Bürger loyal zur Regierung gestanden haben, weil diese nun das neue Deutschland darstellte.
Da mag es durchaus viele Leute gegeben haben, die zum Regime grundsätzlich positiv standen, und der Partei und ihrer Nebenorganisationen beigetreten sind. Aber auch Nicht-Parteimitglieder mögen auch diese Ansicht vertreten haben. Ob man die Diskriminierung und Verfolgung der Juden, aber auch anderer gesellschaftlicher Gruppen gutgeheißen hat, ist eine andere Frage.
Die Entrechtung, Diskriminierung der Juden war auch ein Prozeß, der immer weiter eskalierte. Ich meine, dass ich in einem Bericht über Viktor Klemperer gelesen habe, dass er in seinen Tagebüchern häufig festgehalten hat, wie sich seine Situation über die Jahre hinweg so verschlechtert hat, dass er meinte, es ginge nicht mehr schlechter. Über die Jahre hinweg mußte er diese Aussage mehrfach wiederholen.
Speziell die antijüdischen Maßnahmen betrafen aber nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung, da mag die Mehrheitsgesellschaft einfach darüber hinweggesehen haben, weil sie davon nicht betroffen war.
Wie weit der Rückhalt des Regimes bei der Bevölkerung im Laufe des Krieges abbröckelte, wäre ein separates Thema wert.
Also kurzum: Nazis im Sinne von Anhänger des NS-Regimes dürften die meisten Deutschen irgendwann während des Dritten Reiches gewesen sein, ob die meisten Deutschen aber auch die Verbrechen der Nazis billigten, ziehe ich aber in Zweifel.
In Artikel 176 der Weimarer Reichsverfassung ist festgelegt, das die Beamten und Soldaten der Wehrmacht einen Eid auf diese Verfassung zu leisten haben.
Wie sah es damit aus? Die Verfassung wurde von den Nazis ja praktisch außer Kraft gesetzt. Waren die Beamten und Soldaten hier nicht verpflichtet?
Der Eid wurde im Dezember 1933 geändert und dann nochmals im darauffolgenden Jahr:
Führereid – Wikipedia
In der geänderten Eidesformel von Dezember 1933 taucht der Begriff der Verfassung nicht mehr auf:
„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich meinem Volk und Vaterland allzeit treu und redlich dienen und als tapferer und gehorsamer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“
Und in der abermals geänderten Eidesformel von 1934 werden die Soldaten auf Adolf Hitler persönlich vereidigt:
„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes,
Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“
Bei Beamten sah die Eidesformel ähnlich aus, also auch mit Vereidigung auf Hitler persönlich.
Und hier noch im Vergleich der Text des Gelöbnisses der Bundeswehr:
„
Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“
Falls ich mich an meinen Wehrdienst richtig erinnere, wurde uns damals erklärt, dass der Begriff "Recht und Freiheit des deutschen Volkes" für das Grundgesetz steht, also die de-facto-Verfassung.