Wahrer Kommunismus im 20ten Jahrhundert

Was kann man denn mit dem Titel Held der Arbeit anfangen - abgesehen davon dass er spießig ist? Warum soll ich mehr arbeiten als mein fauler Kollege, wenn wir am Ende dasselbe dabei herausbekommen (die Entfremdung von der Arbeit, ein Problem, welches von marxistischen Theoretikern für den Kapitalismus beschrieben wird, bleibt nämlich bestehen)? Was will ich mit dem Blechteil auf der Brust? Werde ich damit zum Vorbild oder zum Streber?
Wie schafft man, dass die Leute bereit sind, auch ohne materiellen Anreiz auf nachhaltige Weise ihr Ganzes zu geben? Wie schafft man Identifikation mit dem Betrieb? (Stichwort Entfremdung) Wie schafft man ein Bewusstsein dafür, dass das Individuum (in den asiatischen Diktaturen hat man ja quasi versucht, das Individuum abzuschaffen) davon profitiert, wenn das Kollektiv profitiert? Das sind doch Probleme die ein sozialistisches oder ein kommunistisches Wirtschaftssystem zu lösen hätten, um dem Problem der Mangelwirtschaft entgegenzutreten.

Schwierig, schwierig, dabei nicht philosophisch oder tagespolitisch zu werden. Die Anreizprobleme haben im Grunde alle Wirtschaftssysteme, die über reine Substistenz hinausgehen und ich möchte sogar behaupten, dass schon die echten Selbstversorger im Falle einer persönlichen Notlage auf die Hilfe der Nachbarn zählen konnten, wenn sie sie nicht aus Faulheit überbeanspruchten.
Auch der Kapitalismus reinster Ausprägung entlohnt ja nicht nur die persönliche Arbeitsleistung des Einzelnen, sondern der monetäre Gegenwert für geleistete Arbeit ermittelt sich aus einer Vielzahl von Faktoren wie Marktwert, Macht, Prestige und Beziehungen.

Die kommunistische Idee, jedem Mitglied einer Gesellschaft die Teilhabe an allen gemeinsam erwirtschafteten Gütern zu erlauben, ist doch grundsätzlich gerecht. Es ist eben nur die Frage, wie man die soziale Kontrolle, die die Systemausnutzer in kleinen Gemeinschaften automatisch diszipliniert, auf große anonyme Systeme überträgt.
Auf dieses Problem hat aber weder der Kommunismus noch der Kapitalismus eine praxistaugliche Antwort gefunden.
 
Der Marxismus ist eine Ideologie des 19. Jahrhunderts.

Entstanden in einer bestimmten Zeit, heute sind die Ausgangslage ganz anders. Marx ging ja davon aus das die gesellschaftlichen Umstände für alle Ewigkeit so bleiben werden wie es seiner Zeit war.

Ging Marx davon aus? Eigentlich ja gerade nicht (DiaMat/HistoMat). Was natürlich wahr ist, und das wird man Marx kaum vorwerfen können, das ist, dass die Entwicklung der Klassengesellschaft, wie er sie in seiner Zeit schon angelegt sah - Marx lebte ja in einer Zeit in der es schon eine Klassengesellschaft gab, aber die alten Stände auch noch Bestand hatten - sich völlig anders vollzog, als dies für ihn in seiner historischen Situation vorhersehbar war. Arbeiter können heute ihre Bedürfnisse decken, weit über die Grundbedürfnisse hinaus, ein Proletariat, wie es Marx und Engels in England vorfanden, gibt es in weiten Teilen der Welt, vor allem in Europa einfach nicht. Dafür ist das Bildungsbürgertum heute mit Selbstausbeutung beschäftigt, ein Zustand, den Marx kaum voraussehen konnte. Arbeitslose Akademiker? Das war zu seiner Zeit beinahe unvorstellbar, mit Ausnahme vielleicht von Berufsverboten. Die Einführung einer sozialen Marktwirtschaft hat eben dazu geführt, dass es heute keine Klassengesellschaft mehr gibt, diese stattdessen von z.T. sehr ausdifferenzierten Milieus abgelöst worden ist.
 
elQuichte,, zu post 78, es ist nicht nur ein Problem sozialistischer/Kommunistischer Wirtschaftsweise.
Ich nenne nur die Begriffe "corporal identity" bzw " "Firmenfamilie". Ein großes Problem des modernen Managments. "Mitarbeiter des Monats" ist da wenig hilfreich.

Normalerweise wird es über ein Prämiensystem versucht, in dem ein Teil des Firmengewinns an Mitarbeiter verteilt wird. Auch der Held der Arbeit erhielt ja eine Geldprämie und andere Vergünstigungen.

Die Wiedergabe eines Teils der Ideologie diente nur zur Erinnerung und zum Vergleich des theoretischen Sozialismus/Kommunismus mit dem "realexistierenden", der ja in Wahrheit ein "Staatskapitalismus " war.
 
Die Diskussion zeigt, dass es vor allem um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit geht. Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit, Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben sowie an den wirtschaftlichen Erträgen. Die Lösung dieser Problematik betrifft jede Gesellschaft. Dass der Kommunismus die Lösung wäre, darf angesichts der historischen Umsetzungen bezweifelt werden.

Und man muss sich doch fragen, ob es extremistisch ist, wenn jeder nach seinen Bedürfnissen erhält und nach seinem Können (nachhaltig betrachtet) leistet.
...
Was man kritisieren kann ist, dass Anreizsysteme fehlen bzw. die Etablierung von Anreizsystemen, die nicht zur Akkumulation von Reichtümern führen würden, wiederum eine unproduktive Bürokratie aufblähen würden.

Richtig. Es stellt sich die Frage, wer im Kommunismus den Müll fahren möchte, wer in der schäbigen Mietwohnung wohnen möchte und wer in der Villa am Meer (der Parteibonze?). Wer darf den Rolls Royce fahren und wer fährt Dacia oder fahren dann alle Dacia?
 
Es ist nicht nur ein Problem sozialistischer/Kommunistischer Wirtschaftsweise.
Ich nenne nur die Begriffe "corporal identity" bzw " "Firmenfamilie". Ein großes Problem des modernen Managments. "Mitarbeiter des Monats" ist da wenig hilfreich.

Die Identität des Korporals werde wir wohl nicht klären können. Corporate Identity ist etwas anderes. ;)
Wenn ich recht informiert bin, dann bezeichnet der Begriff der Firmenfamilie nicht das Kollektiv der Mitarbeiter, sondern eher Mutter- und Tochterfirmen und fusionierte Unternehmen.

Das Problem der Entfremdung von der Arbeit seit dem Beginn der Industrialisierung ist nicht nur von Marx erkannt und behandelt worden, sondern auch von seinen Adepten thematisiert worden. Nichtsdestotrotz haben sie es nicht geschafft dieser Entfremdung Heer zu werden bzw. im sozialistischen Wirtschaftsleben der für die kapitalistische Wirtschaftsweise erkannten Entfremdung entgegenzutreten.

Normalerweise wird es über ein Prämiensystem versucht, in dem ein Teil des Firmengewinns an Mitarbeiter verteilt wird. Auch der Held der Arbeit erhielt ja eine Geldprämie und andere Vergünstigungen.

Erhielt er das? Ich meine nicht. Und wenn: Damit wären wir wieder bei der individuellen Thesaurierung, was wiederum dem Wirtschaftsmodell entgegensteht. Abgesehen davon, dass es aufgrund von Mangelwirtschaft Probleme mit der Bedarfsdeckung gab. (Thema Schlangenbildung)

Die Wiedergabe eines Teils der Ideologie diente nur zur Erinnerung und zum Vergleich des theoretischen Sozialismus/Kommunismus mit dem "realexistierenden", der ja in Wahrheit ein "Staatskapitalismus " war.
Was du wiedergeben hast, das waren verkürzt die Vorstellungen Marx' für die Voraussetzung zu einer sozialistischen Revolution, mit der Frage, ob es jemals Sozialismus oder gar Kommunismus gab oder nicht, hat das wenig zu tun. Es handelt sich dabei gerade heute mehr um eine von postkommunistischen Kommunisten vertretene Ideologie warum der Kommunismus in der Sowjetunion gescheitert ist: Lenin hat nicht auf Marx gehört. Letztendlich also um einen Master Narrative. Aber das führt uns hier nicht weiter.

Die Diskussion zeigt, dass es vor allem um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit geht. Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit, Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben sowie an den wirtschaftlichen Erträgen. Die Lösung dieser Problematik betrifft jede Gesellschaft. Dass der Kommunismus die Lösung wäre, darf angesichts der historischen Umsetzungen bezweifelt werden.



Richtig. Es stellt sich die Frage, wer im Kommunismus den Müll fahren möchte, wer in der schäbigen Mietwohnung wohnen möchte und wer in der Villa am Meer (der Parteibonze?). Wer darf den Rolls Royce fahren und wer fährt Dacia oder fahren dann alle Dacia?

Dazu haben wir einen interessanten älteren Thread: http://www.geschichtsforum.de/f72/freiheits-gerechtigkeits-paradoxon-11623/
 
Ging Marx davon aus? Eigentlich ja gerade nicht (DiaMat/HistoMat). Was natürlich wahr ist, und das wird man Marx kaum vorwerfen können, das ist, dass die Entwicklung der Klassengesellschaft, wie er sie in seiner Zeit schon angelegt sah - Marx lebte ja in einer Zeit in der es schon eine Klassengesellschaft gab, aber die alten Stände auch noch Bestand hatten - sich völlig anders vollzog, als dies für ihn in seiner historischen Situation vorhersehbar war. Arbeiter können heute ihre Bedürfnisse decken, weit über die Grundbedürfnisse hinaus, ein Proletariat, wie es Marx und Engels in England vorfanden, gibt es in weiten Teilen der Welt, vor allem in Europa einfach nicht. Dafür ist das Bildungsbürgertum heute mit Selbstausbeutung beschäftigt, ein Zustand, den Marx kaum voraussehen konnte. Arbeitslose Akademiker? Das war zu seiner Zeit beinahe unvorstellbar, mit Ausnahme vielleicht von Berufsverboten. Die Einführung einer sozialen Marktwirtschaft hat eben dazu geführt, dass es heute keine Klassengesellschaft mehr gibt, diese stattdessen von z.T. sehr ausdifferenzierten Milieus abgelöst worden ist.


Im Grunde ja, er ging davon aus das auch am Ende der Geschichte, der Einführung des Kommunismus die Masse der Bevölkerung in Fabriken arbeiten würde. Das die Bedürfnisse der Bevölkerung gleich bleiben würden, was nicht passiert ist.

Was man im Grunde schon damals durch die Produktivitätssteigerung erahnen konnte.
 
Was man im Grunde schon damals durch die Produktivitätssteigerung erahnen konnte.

Hätte man das? Du musst bedenken: Marx und Engels hatten wirklich noch Proletarier vor Augen. Leute, die verelendet waren und nichts besaßen außer ihrer körperlichen Arbeitskraft. Erst nach und nach entstanden Sozialsysteme. Die Erfahrung war eine andere, nämlich Landflucht und Verelendung in den Städten, wie es sie nie zuvor gegeben hatte.
 
Hätte man das? Du musst bedenken: Marx und Engels hatten wirklich noch Proletarier vor Augen. Leute, die verelendet waren und nichts besaßen außer ihrer körperlichen Arbeitskraft. Erst nach und nach entstanden Sozialsysteme. Die Erfahrung war eine andere, nämlich Landflucht und Verelendung in den Städten, wie es sie nie zuvor gegeben hatte.

Marx war Wirtschaftswissenschaftler also ja, vor allem da er ja mehrmals Prognosen für die Zukunft trifft, was man nie so leichtfertig tun sollte.

Naja ob das Leben als Knecht oder Magd auf einem Hof besser war, sei mal dahingestellt. Ich würde nicht davon ausgehen. Man muss auch sehen das Arbeiter Familien gründen konnten, während Knechte und Mägde nicht heiraten durften. Das führt ja auch zur Bevölkerungsexplosion.
 
Knecht und Magd waren in ein ständisches System eingebunden. Sie gehörten damit zum Sozialsystem der Familie oder des Ganzes Hauses. Sie mögen in relativer Unfreiheit gelebt haben, aber eben nicht im Elend. Erst ganz allmählich reagierten Unternehmer (diese meist aufgrund christlicher Einstellungen) und konfessionelle Verbände auf die neue Situation und die Staaten kamen ihrer ~Fürsorgepflicht~ so ziemlich als letztes nach.
Bei der Begrifflichkeit ergibt sich schon ein Problem: Das Bewusstsein einer Fürsorgepflicht oder die Bildung einer Solidargemeinschaft auf einer größeren Ebene als auf einer persönlichen musste sich erst einmal bilden, weil die Problematik völlig neu war.
Und mit welchen Wirtschaftsdaten hätten Marx und Engels (und andere Nationalökonomen) operieren sollen? :fs:
 
Knecht und Magd waren in ein ständisches System eingebunden. Sie gehörten damit zum Sozialsystem der Familie oder des Ganzes Hauses.

Dieses Sozialsystem brach bei Hungernöten auch zusammen. Nebenbei liefen einige Sicherungssysteme weiter, der Taufpate war eine wichtige Absicherung der Kinder bei Tod der Eltern.

Und mit welchen Wirtschaftsdaten hätten Marx und Engels (und andere Nationalökonomen) operieren sollen? :fs:

Produktivitätssteigerungen zwar war das Wachstum im 19. Jahrhundert 2 % aber immerhin.
 
Und gab es auch einen Anstieg der Reallöhne für Manufaktur/Fabrikarbeiter?

Grundsätzlich müssen irgendwann mal die Reallöhne steigen oder man wird das Zeug welches man produziert nicht los.

Ich habe dies in Wikipedia gefunden, aber nicht ganz sicher wie seriös es ist.

Builders%27_real_day_wages%2C_1209-2004.png



Based on/Basierend auf "Gregory Clark (2005): The Condition of the Working Class in England, 1209–2004. Journal of Political Economy, 2005, Vol. 113, No. 6."
 
In Japan funktioniert das aber sehr gut mit der Identifizierung zur Firma.

Ich weiß gerade nicht wo ich das gelesen habe werde ich gleich nachschauen.

In Japan ist die Firma wie eine Familie. Man kann nicht gekündigt werden. Bekommt Prämien usw. dafür wird erwartet immer zur stelle zu sein usw.

Also das kann doch durchaus funktionieren aber wieso gerade das in Japan so ausgeprägt ist weiß ich nicht
 
In Japan funktioniert das aber sehr gut mit der Identifizierung zur Firma.

Ich weiß gerade nicht wo ich das gelesen habe werde ich gleich nachschauen.

In Japan ist die Firma wie eine Familie. Man kann nicht gekündigt werden. Bekommt Prämien usw. dafür wird erwartet immer zur stelle zu sein usw.

Also das kann doch durchaus funktionieren aber wieso gerade das in Japan so ausgeprägt ist weiß ich nicht

Das gilt freilich nur für die Fixangestellten die immer weniger werden und mehr oder weniger die Bildungselite des Landes ausmachen.

Ganz zu schweigen das viele Firmen in Japan ehemaligen Samuraifamilien gehören. :winke:
 
Der tot von so vielen ist auch nicht wirklich sehr Sinnvoll.

Egal in welche Richtung man gehen möchte irgendwas funktioniert nicht.
Und wenn man dann noch bedenkt das die SU 290.100.023 Einwohner laut Wiki hatte, wie soll man das überhaupt umsetzen.

Dies ist unmöglich, weil man es doch nie jedem wirklich recht machen kann.

Aber die Idee des "light" Kommunismus scheint mir doch leichter praktizierbar.

Vielleicht so in etwa wie in Jugoslawien? Da waren doch schon leicht Liberale Züge
 
:))
El Quichote:
Natürlich hast Du Recht, das man versucht , mit "Corporate Identity" das Heer der Entfremdeten klein zu halten ;-)

Aber mit Firmenfamilie sind hier die "Opelianer", "die beim Daimler arbeiten " und andere gemeint. Es gabs/gibts ja nicht nur in Japan, das schon der Großvater in der Firma gearbeitet hat,in der der Enkel eine Lehrstelle bekommt. Das ist zwar seltener geworden, gibts aber noch.

Das Problem beim "Lightkommunismus" und ähnlichem, was immer wieder Auftritt und voran diese Systeme scheitern ist auch schon vor Marx bekannt.

"Allmendeproblem" sei hier das Stichwort
 
Wie schafft man, dass die Leute bereit sind, auch ohne materiellen Anreiz auf nachhaltige Weise ihr Ganzes zu geben?

Lief neulich ein Film auf Phoenix über die Fischerei in der DDR. Das erfolgreichste Schiff der Flotte (ich meine im Durchschnitt 20% mehr) wurde von einer Frau geführt.

Sie besaß den Anreiz, den Ehrgeiz möglichst gut (d.h. im Vergleich besser) zu sein, weil sie als ungleich, weniger wert angesehen wurde.
 
Das ist interessant, aber als individualpsychologisches Moment wohl eher nicht auf die Gesamtwirtschaft übertragbar. Für diese spezielle Frau war offenbar ihre Rolle als Frau in einer männerdominierten Gesellschaft (oder so wie sie ihre Rolle als Frau in einer als männnerdominiert wahrgenommenen Gesellschaft wahrnahm) - eine Form der Ablehnungserfahrung - ein Ansporn, eine Motivation, es den Männern mal zu zeigen. Eine andere Frau mit einem anderen Charakter wäre durch die Situation oder die Wahrnehmung dieser Situation vielleicht eher demotiviert worden.
 
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