Deine Interpretation wird weder durch die Textstelle, die Sachlage noch die Handhabung römischer signa gestützt.
Zum Text:
Tac. Ann. 1,42
primane et vicesima legiones, illa signis a Tiberio acceptis, tu tot proeliorum socia, tot praemiis aucta, egregiam duci vestro gratiam refertis?
Es werden gezielt zwei Legionen, die I. und die XX. angesprochen. Nicht die meuternden Truppen, weder an den Grenzen noch im rheinischen Kontext.
Diese erhielten die Feldzeichen von Tiberius, was ein Akt der Aushebung, nicht der Vereidigung ist. Damit kommen wir auch bereits in den Sachlagenbereich.
Die bereits vorher angeführte Tacitusstelle zeigt deutlich die Praxis, in der die Legionen auf einen neuen bzw. jedes Jahr aufs neue auf den alten Kaiser vereidigt wurden, nämlich durch das sacramentum:
Tac. Ann. 1,37
primam ac vicesimam legiones Caecina legatus in civitatem Vbiorum reduxit turpi agmine cum fisci de imperatore rapti inter signa interque aquilas veherentur. Germanicus superiorem ad exercitum profectus secundam et tertiam decumam et sextam decumam legiones nihil cunctatas sacramento adigit. quartadecumani paulum dubitaverant: pecunia et missio quamvis non flagitantibus oblata est.
Hier wird deutlich, dass die Feldzeichen nicht nur nicht in Frage gestellt wurden, sondern dass der ganze Anlaß zur Meuterei ja genau jenes sacramentum, jene Vereidigung ist, die jene Stelle einnimmt, die du gerne einer "Neuerverleihung" der Adler und signa geben würdest.
Die symbolische Bedeutung der Treue zum Kaiser haben im übrigen nicht die Adler sondern die imagines, die Abbilder der Kaiser und ihrer Angehörigen, welche die Legionen mit sich führten (eines welches mutmaßlich Tiberius zeigt hat sich sogar erhalten). Dementsprechend müßten die "Bilder" hier angesprochen werden, wie sie es denn dann auch in späteren Aufständen tun.
Hier ist aber von signa der Fall gewesen.
Man könnte nun noch auf den Hintergrund des Besitztes der Adler verweisen, die zwischen Existenz und Auflösung entscheiden.
Fakt ist aber, die Interpretation der Neuvereidigung und des Hinweises durch Germanicus darauf verbietet sich wegen
1. der Praxis der jährlichen Neuvereidigigung auf den Kaiser OHNE neue Feldzeichen
2. der Grundlage des verweigerten sacramentums als Ursache des Ganzen Aufstandes und somit eines klaren Hinweises auf den Vorgang der "Neuvereidigung".
3. der Annahme eines unbekannten und unüblichen Umganges mit den aquila.
4. der eindeutigen Ansprache bestimmter, meuternder Legionen
Übrigens ist es nicht allein "meine" Annahme, sondern sie stammt bereits aus der Feder Mommsens und wurde von Ritterling, dem Verfasser der Legionsgeschichten in der RE noch einmal untersucht. Erst der Neue Pauly nimmt die neuere, die Textstelle des Tacitus stark ignorierende Gründungszeit an.
Die m.E. berechtigte Kritik wäre die Germanicusrede per se in Frage zu stellen, wobei im allgemeinen die meisten Details im Aufstandskontext als zutreffend betrachtet werden.
Wenn wir also über Bekanntes sprechen, dann ist das oben genannte sämtlich "Altbekanntes".