In obigen Beiträgen klang eine Art von Begriffsverschiebung heraus: Von Saltus als Viehweide bzw. kaiserliche Domäne zu Domäne (verstanden als staatlicher (Industrie-)Betrieb. Damit würde der Inhalt des Wortes über die bekannten Belegstellen m. E. unzulässig erweitert.
Der verwaltungstechnische Begriff Saltus stellte zunächst ein römisches Flächnmaß dar. Im Anschluß an die Neueroberung von Gebieten nahmen die Römer offenbar relativ schnell eine planmäßige Vermessung und grundbuchliche Erfassung gemäß eines standardisierten geodätischen Rasters vor (Details u.a. bei Max Weber im 1. Abschnitt, siehe meinen Link im vorherige Beitrag). Die größte dabei verwendete Flächeneinheit war der saltus, dessen (im Prinzip standardisierte) Größe aber offenbar über die Jahrhunderte mehrfach revidiert wurde, und zwischen gut 2 und über 12,5 km² lag. Vgl. beispielsweise
imperium-romanum.com - Masse & Gewichte für verschiedene saltus-Grössen sowie weitere, kleinere Flächenmaße.
Das neuvermessene Land wurde dann u.a. wie folgt vergeben (schematischer Überblick, Quellen müsste ich noch raussuchen, kann in Details unvollständig/ fehlerhaft sein):
- "Rückverpachtung" an die gerade unterworfene, 'indigene' Bevölkerung: Wenn auch nur in Einzelfällen historisch dokumentiert, vermutlich ein gerngewählter Weg. Abgabentechnisch ermöglicht er die Integration der Neuunterworfenen in das römische Steuersystem, dass ja v.a. auf Grundabgaben basierte. Der Pachtzins trat dann an die Stelle von Tributzahlung. Auch politisch war eine solche Pacht vermutlich den Unterworfenen gegenüber besser zu legitimieren als Tributforderung ("Ihr habt zwar durch Euer Fehlverhalten Euer Recht an dem Land dauerhaft verwirkt, aber der Kaiser, in seiner Gnade, erlaubt Euch, das angestammte Land gegen Entgelt weiter zu nutzen"), v.a. dann, wenn die Römer durch Straßenbau, Trockenlegung etc. den Wert des Landes verbessert hatten. Nicht zuletzt beliess eine solche Rückverpachtung den Unterworfenen zunächst noch juristische Autonomie bei der Regelung ihrer internen Angelegenheiten.
- Vergabe an altgediente Legionnäre nach Ableistung von 20 Jahren Militärdienst (diese scheinen Eigentümer der Flächen geworden zu sein).
- Verpachtung an Privatleute, wobei der Staat den Eigentumstitel behielt, aber die Pachtdauer oft 100 Jahre oder länger betrug (Erbpacht).
- Vergabe auf Lebenzeit an Gefolgsleute (insbesondere aus Julio-claudischer Zeit belegt für Ägypten - hier haben wir also einen römischen Vorläufer des mittelalterlichen Lehenswesens!)
- Direkte Verwaltung & Bewirtschaftung durch den Staat, der typischerweise beamtete Verwalter auf Zeit einsetzte (die Übergänge zu den vorstehenden "Lehen" mogen fließend gewesen sein). Grundsätzlich konnten alle territorialen Einheiten als Eigentümer auftreten, d.h. es gab kaiserliche Krongüter genauso wie Güter der Provinzen und der civitate. In Rätien scheint es im frühen 1. Jahrhundert sogar "Armeegüter" gegeben haben, d.h. Zusammenfassung von militärischer / polizeilicher Macht und Grundbewirtschaftung in territorialen Einheiten unterhalb der civitate. Vgl. z.B. Filtzinger: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/volltexte/2002/526/pdf/Handbuch.pdf , S.11 zum Donaukastell Rißtissen und zum (späteren) vicus Emerkingen.
Relativ früh, spätestens in der 2. Hälfte des 1 Jhd., kam es zu einer Übertragung des ursprünglich vermessungstechnischen Begriffs des saltus auf die Staatsgüter.
The Roman world - Google Books gibt ab S. 553 eine Vielzahl von entsprechenden Beispielen. Die meisten dokumentierten Staatsgüter mit saltus-Bennenung beziehen sich auf durch Neros Verstaatlichungen übernommene, vormals private Ackerbaubetriebe insbesondere in
Africa, sowie kaiserliche "Vorzeigegüter" (z.B. in
Iberia gelegene Hoflieferanten für Olivenöl).
Für Deutschland durch Auffindung der römischen Gründungsinschrift belegt ist der Saltus Sumelocennensis. Hier wird allgemein angenommen, dass die Gründung direkt im Anschluss an die Vorverlegung der römischen Reichsgrenze zum Limes, entweder unter Vespasian (73/74 u.Z.) oder unter Domitian (83 u.Z.) erfolgte. Unklar ist, ob dieser saltus direkter Voläufer der Mitte des 2. Jahrhundert, also etwa einhundert Jahre nach Gründung des saltus, eingerichteten
civitas Sumelocennensis (Rottenburg / Neckar) ist, oder sich auf ein naheliegendes Landgut, etwa die villa rustica von Bondorf bezieht
Bondorf ? Wikipedia .
Filtzinger (s. obiger Link) schreibt in diesem Zusammenhang (S. 25 f.): "[FONT=TimesNewRoman,Bold]Bei der Neubildung der Provinzen war der erste Schritt für die Verwaltung die Einrichtung kaiserlicher Domänen (saltus)[/FONT][FONT=TimesNewRoman,Bold]
[FONT=TimesNewRoman,Bold]102[/FONT][/FONT][FONT=TimesNewRoman,Bold]. Grund und Boden war kaiserlicher Besitz und wurde an die Bewohner (coloni) verpachtet. Der Verwalter (procurator) war dem Provinzstatthalter unterstellt und zog den Pachtzins ein. (..) [/FONT][FONT=TimesNewRoman,Bold]Von der Zivilverwaltung ausgenommen waren die Militärterritorien, Gebiete um die Kastelle und Grenzgebiete am Limes. Sie unterstanden der Militärverwaltung. Zu jedem Legions- und Auxiliarlager gehörte eine städtische (canabae legionis) oder dörfliche Siedlung (vicus), [/FONT][FONT=TimesNewRoman,Bold]Lagerdörfer vici[/FONT][FONT=TimesNewRoman,Bold], die ebenfalls der Aufsicht des Militärs unterstanden. (..) Zu jedem Militärlager gehörte ein Territorium legionis, alae, cohortis mit Gutshöfen, die das Lager belieferten." [/FONT]
[FONT=TimesNewRoman,Bold]Wir finden ab spätestens der 2. Hälfte des 1. Jhd. in den Grenzgebieten also eine territorial definierte Einheit von militärischen, polizeilichen und (land-)wirtschaftlichen Funktionen, die entweder als saltus benannt ist, oder solche in Form von Gutshöfen beinhaltet.[/FONT]
Es steht zu vermuten, dass einige der in Deutschland aufgefundenen
villae rustica ursprünglich als saltus eingerrichtet wurden, in denen militärische und zivile Verwaltungsfunktionen sowie Versorgungsfunktionen für lokale Truppen miteinander verknüpft waren. Vgl. etwa
Römische Villa Haselburg ? Wikipedia :
"Die heute Haselburg genannte Anlage entstand – verglichen mit anderen Villen des
Dekumatlandes – erst verhältnismäßig spät in der Regierungszeit
Kaiser Hadrians (117–138 n. Chr.). Der Umstand erklärt sich durch Umstrukturierungen im Gebiet des Odenwaldes, insbesondere der Vorverlegung des römischen
Odenwaldlimes Wörth am Main –
Bad Wimpfen zur neuen Limeslinie
Miltenberg –
Lorch um 159 n. Chr. (..) Der ausgeprägte Wohnkomfort und die teilweise sehr ausgefeilte Planung (Maße des Hauptwohngebäudes, Wasserkanal, dreiseitige Portikus), legen nahe, dass große Teile von einem Architekten entworfen wurden. Gegenüber dem ausgeprägt luxuriösen Wohnkomfort, der in der damaligen Zeit nur einer kleinen Oberschicht vorbehalten war, erscheinen Gebäude, die einer wirtschaftlichen Funktion zuzuordnen sind, unterrepräsentiert. Das spiegelt sich vor allem in der Dimension der Gebäude wider. Das Badegebäude übertrifft zahlreiche Kastellbäder, die für eine ganze Truppe errichtet waren. (..) Daran wird deutlich, dass die Haselburg nicht autark als Wirtschaftsbetrieb existiert hat. Der große Empfangsraum im Hauptgebäude, die repräsentative Gestaltung des Heiligtums und des Hauptwohnkomplexes sowie wiederum die Größe des Bades legen nahe, dass hier gewisse
Verwaltungsfunktionen des ländlichen Raums ausgeübt wurden. Eine derartige Nutzung wird unterstützt durch den Bautyp des Hauptgebäudes, der auch Vorläufer in der
militärischen Architektur besitzt.
" (Heraushebung durch mich)
Die Institution des saltus wirft spannende Fragen auf, z.B. nach seiner Rolle bei der Entstehung des spätrömischen Patronatssystems und vielleicht sogar des frühmittelalterlichen Lehenswesens.
Ethymologisch könnte es übrigens möglich sein, dass sich erst aus saltus=Domäne über saltus=Staatsforst die Bedutung saltus=Wald(gebirge) entwickelt hat. So z.B. der "saltus Hacul" (ottonischer Reichsforst Hakel im Harz), der "saltus Leonis" (Forêt domaniale de Lyons
), oder saltus Novalis (heute
Kloster Sandoval, Schenkung des kastilischen König Alfons VII in 1142).
Zu letzterer sagt übrigens eine lokale website
History ""
Sandoval" as a word derives from latin "
SALTUS NOVALIS", meaning something like green prairie or large prairie, or also land with woods, meadows and farming." M.a.W.: Die dortige Geographie gibt scheinbar für die sonst allgemein übliche Gleichsetzung saltus=Waldgebirge ziemlich wenig her ..