Bleiben wir also bei Handfeuerwaffen und der frühen Neuzeit.
Hier muß ich der Doktorarbeit einen Vorwurf machen: Der Vergleich in dieser Arbeit ist immer der zwischen Pfeilen und einem Pistolengeschoss, einer typischen Pistolenmunition, 9x19mm Parabellum, Vollmantel.
Eine solche Patrone erbringt aus einer modernen Polymerpistole eine Energie von ungefähr 500 Joule E0. Auf die Distanz von der wir sprechen hat das Geschoss noch eine Energie von ungefähr 400 Joule.
Eine frühe Muskete oder Arkebuse (Luntenschloß) hat demgegenüber eine Geschossenergie von 4000 Joule, also 10 mal so viel.
Noch darüber hinaus verkennt diese Doktorarbeit, dass ein Vollmantelgeschoss und eine Bleikugel (weich, splittert usw) sich im Ziel sehr verschieden verhalten.
Und noch darüber hinaus verkennt diese Doktorarbeit, dass eine Pistolenkugel gerade eben keine temporäre Wundhöhle verursacht! Eine Pistolenkugel hat aufgrund ihrer geringeren Geschwindigkeit und ihrer geringeren Energie genau wie ein Pfeil nur eine permanente Wundhöhle.
Daher erscheint die Pistolenkugel im Vergleich zum Pfeil eben nicht so viel schlimmer zu sein in der Verletzungsleistung.
Aber: die frühneuzeitlichen Feuerwaffen hatten 10 mal so viel Geschossenergie wie eine moderne Pistolenkugel. Das Kaliber war nicht 9mm sondern 30mm. Und die frühen Musketen verursachten permanente und temporäre Wundhöhlen, im Gegensatz zu Pfeilen und Pistolen, die nur permenante Wundhöhlen verursachen.
Und beschließend noch ein entscheidendes Argument:
Bereits ein Kettenhemd mit Gambeson wehrt sehr zuverlässig fast alle Pfeile ab. Demgegenüber haben frühe Musketen eine extrem viel größere Durchschlagskraft gegen Rüstungen.
Ich denke Du vereinfachst etwas. Musketen und Arkebusen sind nicht das Gleiche.
Die Arkebusen (zu deutsch Hakenbüchsen) konnten die verbesserten Panzer des 16. Jahrhunderts nicht, bzw. nicht zuverlässig durchschlagen, deshalb wurde die Muskete eingeführt, die ein größeres Kaliber und ein viel längeren Lauf aufwies (hat Ilhuicamina bereits angedeutet). 30 mm ist dabei das obere Ende des Kaliberspektrums und ist schon fast ein Doppelhaken, also das was später Wallbüchse genannt wurde und für den Feldgebrauch zu schwer war.
Diese Entwicklung kann man gut verfolgen und belegen, da z.B. in den gut dokumentierten Tercios, die Anzahl der Hakenbüchsen ab einen Punkt schnell abnahm und die der Musketen zunahm. Die Hakenbüchse koexistierte lange Zeit mit Langbogen und Armbrust, als sich jedoch die Muskete als Hauptwaffe durchsetzte, wurden beiden kaum noch genutzt.
Ich würde zudem gerne wissen, wo das mit den 4000 Joule Mündungsenergie herkommt. Die Zahl habe ich auch irgendwo gelesen, und nehme mal an, dass sie aus Tests mit Nachbildungen und heutigen Schwarzpulver herkommt. Die Mündungsenergie sagt aber nur bedingt etwas zum Effekt aus.
Die Bewegungsenergie setzt sich bekanntlich aus der Masse des Geschosses und dessen Geschwindigkeit zusammen. Bei heutigen industriellen Pulvern und Geschossen die mit Drall durch gezogene Läufe mit geringen Toleranzen mit hohen Geschwindigkeiten verschossen werden, wird diese Energie über eine weite Strecke beibehalten.
Früher ging jedoch ein Großteil der Energie durch hohes Spiel im Lauf (ballistischer Wind) und durch die ungünstige Form der Geschosse verloren. Die Geschosse hatten geringe Geschwindigkeiten auch im Vergleich zu moderner Pistolenmunition. 9 x 19 mm hat eine Mündungsgeschwindigkeit im überschallbereich, was m.W. keine traditionelle Schwarzpulverwaffe aufweist und auch die .45 ACP nicht hatte. Die Reichweite wird aber eher durch eine hohe Geschwindigkeit als durch eine große Mündungsenergie garantiert.
In meiner Heimatstadt wurde ein Kind durch eine 9 mm Pistolenkugel getötet die aus einer Schiessanlage in über Tausend Meter entfernung abgefeuert wurde. Solche Unfälle sind in Ländern, wo man aus Spaß in die Luft ballert, ziemlich häufig und gehen oft tödlich aus. Im 19 Jahrhundert war es dagegen noch üblich, neben den Verwundeten die Soldaten zu zählen, die Prellungen erhalten hatten, von Geschossen die den größten Teil der Energie verloren hatten. Auf über 500 Metern gab das noch einen ordentlichen Klatscher, nicht unbedingt jedoch eine Wunde.
Die Geschossenergie hat auch nicht unbedingt direkt mit der Durchschlagkraft zu tun: Einen Nagel aus Stahl kriegt man mit deutlich weniger Energie durch ein Brett als eine Bleikugel.
Dazu kam die unterschiedliche Qualität des Pulvers (die Bestandteile tendierten dazu sich zu trennen) und die Tatsache dass die Schützen dieses oft selbst und unterschiedlich dosierten. Ich wäre also vorsichtig mit der Behauptung, dass "
die frühneuzeitlichen Feuerwaffen hatten 10 mal so viel Geschossenergie wie eine moderne Pistolenkugel." Das stimmt höchstens an der Gewehrmündung und auch dann nicht immer.
Ich weiss übrigens auch nicht, wo Du die Meinung her hast, eine 9 mm Parabellum würde keinen Temporären Wundkanal produzieren. Der mag zwar nicht so groß sein wie bei anderen modernen Kalibern er ist aber auf jeden Fall vorhanden:
http://intrencik.com/357sig_files/Handgun_gel_comparison.jpg