Mein Chef von der Theatergruppe warnt mich vor meinem Diss-Thema!
Hallo Leute. Ich komme mit meinem Dissertationsvorhaben gut voran. Im Moment bin ich dabei, mich bis spätestens 20. Januar 2008 um ein Stipendium der Uni Bielefeld zu bewerben. Eigentlich habe ich mein Ziel klar vor Augen gehabt, da verursachte mein Chef vom Theater, ein sehr geistreicher Germanist und Schauspieler der Uni Mannheim, bei mir Verwirrung. Er riet mir von meinem Promotionsthema, so wie ich es jetzt plane, ab. Begründung: Die Quellenlage zu meinem Thema sei zu „schmal“, „einseitig“ und das Thema in der Historikerzunft verpönt.
Mal kurz die Beschreibung meines Diss-Themas: In meiner Promo sollen die Arbeitsbegriffe bei den deutschen Unterschichten im 18. Jahrhundert untersucht werden anhand der Konflikte zwischen den Unter- und Oberschichten. Hierbei sollen auch die Wahrnehmungen der jeweiligen Schicht durch die Gegenseite untersucht werden. Einen Beitrag zur Forschung soll diese Diss deshalb sein, weil es bis heute keine Untersuchung auf diesem Gebiet gibt, die sich mit der Frage beschäftigt hätte, wie denn die Unterschichten die Arbeit wahrgenommen haben und ob sie mehrere Arbeitsbegriffe hatten, darunter auch negative. Bislang werden immer nur die von den Oberschichten geführten Diskurse zur Arbeit dargestellt, und daneben vielleicht kurz mal die Unterschichtenwahrnehmung beleuchtet erwähnt. Aber selbst bei diesen Untersuchungen wird ein positiver Arbeitsbegriff wie im heutigen Sinne meistens vorausgesetzt.
Meine Hypothese ist, dass im 18. Jahrhundert die Arbeit bei vielen Unterschichten keineswegs positiv und ontologisch aufgefasst wurde (Arbeit als zweckbestimmte, zielgerichtete Tätigkeit), sondern der Arbeitsbegriff negativ konnotiert war ähnlich wie in der Antike (Arbeit als entfremdende, zwanghafte Tätigkeit wie Lohn- oder Fronarbeit im Gegensatz zu selbstbestimmter Tätigkeit). Könnte man diese Hypothese bestätigen, so hätte man einen historischen Beleg gegen die moderne Arbeits- und Leistungsideologie („Menschen haben schon immer gearbeitet.“).
Zur Vorgeschichte: Nach einem Betreuer für mein Vorhaben suchte ich fast 1,5 Jahre lang. Zuerst bewarb ich mich bei einem Geschichtsprofessor in Berlin. Dieser sagte mir, die Quellenlage für mein Thema sei mangelhaft und ich müsste, wenn ich dieses Thema untersuchen wollte, andere Schichten in Betracht ziehen wie das Handwerk oder die Hausarbeit, die sich durchaus mit (Lohn-)Arbeit identifizierten. Mitte dieses Jahres war ich dann noch einmal bei demselben Professor, und diesmal meinte er, er würde dieses Thema nicht betreuen. Stattdessen solle ich es bei zwei anderen Professoren versuchen, einen in Bielefeld und einen in Bochum. Sollte es bei diesen beiden nicht klappen, würde er mich nehmen; allerdings müsste ich dann ein anderes Thema wählen.
Ich hatte Glück. In Bielefeld unterbreitete ich dem mir dort vorgeschlagenen Geschichtsprofessor mein Themenvorschlag und noch ein weiteres. Er meinte dann, ich solle ruhig das Thema über die Arbeitsbegriffe in der Frühen Neuzeit bei den Unterschichten nehmen.
Ich sagte ihm dann das, was mir bereits der Professor in Berlin sagte, nämlich dass doch die Quellenlage für mein Thema sehr dürftig sei. Er meinte, das sei aber eigentlich bei jedem historischen Thema der Fall. Überall in der Geschichte gäbe es zu wenig Quellen.
Nun ja, nach einem weiteren Strategiegespräch vor einer Woche zum Thema Stipendium fing ich gestern an, das Expose für mein Stipendium zu schreiben. Mein Doktorvater schlug mir bei unserem letzten Gespräch vor, ich solle mich an der Uni Bielefeld einer Soziologen-Gruppe, einem sogenannten SFB-Projekt der DFG, anschließen. Diese Soziologen-Gruppe sei völlig neu und beschäftige sich mit dem Begriff der „Diversität“.
Da ich in dieser Soziologen-Gruppe eine Chance sah, in den Universitätsbetrieb reinzukommen, habe ich eingewilligt. Mein Doktorvater gab mir eine Beschreibung dieser Gruppe und ihres Projektes mit. Es schien alles so perfekt.
Dann aber war ich gestern bei meiner Theatergruppe, die ich immer dienstags habe. Ich war der einzige dort, also sprach ich ein wenig mit meinem Chef. Wir kamen dann auf mein Promotionsthema und ich erzählte ihm von meinen Fortschritten und zeigte ihm das Projekt.
In der darauffolgenden Belehrung warnte er mich vor einem Fehlschlag mit meiner Dissertation, so wie ich sie jetzt plane. Er selbst ist kein Historiker und hat auch keine Geschichte studiert, aber er meinte zu mir in etwa das, was der Professor in Berlin zu mir sagte: Die Quellenlage für mein Thema sei mangelhaft und – und das hörte ich zum ersten Mal – „einseitig“ und das Thema verpönt. Auf keinen Fall, so sagte er, solle ich mich auf die Unterschichten beschränken. Dies drohe zu einer einseitigen Angelegenheit zu werden, die stark marxistisch riechen könne. Er meinte, ich könne mit diesem Thema subjektiv oder objektiv in die Nähe des DDR-Historikers Kuczinsky geraten, der bei den Historikern heute nicht verbreitet, dafür aber verpönt sei und müde belächelt werde wie einst Norbert Elias in der Politologie und Soziologie. Kuczinsky, so mein Theater-Chef, habe ähnlich der Schule der Annales damals die Unterschichten in der Frühen Neuzeit erforscht und eine siebenbändige Quellenedition zur ihrer damaligen Lage herausgebracht. Kuczinsky, so mein Theater-Chef weiter, sei aber in der heutigen Historikerzunft trotzdem kaum gelesen worden. Er werde aber von den Historikern als marxistischer Althistoriker „belächelt“.
Und ich drohe, so mein Theater-Chef, mit meinem Thema und meiner Fixierung auf die Unterschichten auf dieselbe Schiene zu geraten. Außerdem müsste ich, wenn ich etwas mit dem Soziologen-Projekt 'Diversität' etwas zu tun haben wolle, das Thema schon so ausrichten, dass ich die Arbeitsbegriffe auch bei den Oberschichten untersuche und die Kommunikationsprozesse und Entstehungsweisen dieser Arbeitsbegriffe bei Ober- und Unterschichen.
Ich entgegnete ihm daraufhin, dass mir das bislang keiner der Professoren, bei denen ich mich beworben habe, erzählt habe. Sowohl mein jetziger Betreuer als auch der Geschichtsprofessor in Berlin wissen von meinem Diss-Thema.
Des weiteren sagte ich, dass mein Thema ja nicht marxistisch „vorgefertigt“ wäre. Ich habe lediglich eine Hypothese, die ich anhand der Quellenlage überprüfen würde. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es keinen negativen Arbeitsbegriff bei den Unterschichte im 18. Jahrhundert gab, so werde ich auch das so scheiben.
Letztendlich wies ich ihn aber auch noch auf die Forschungslücke hin. Es existiert bislang keine einschlägige Untersuchung zu diesem Thema. Stattdessen bleibt die Geschichte der Arbeit auf die Oberschichten und Intellektuellen beschränkt.
Er meinte daraufhin, dass ich – und das sei seiner Ansicht nach sehr wahrscheinlich – auch objektiv nach Auswertung neuzeitlicher Quellen der Unterschichen des 18. Jahrhunderts zu der Ansicht gelangen würde, dass es bei den Unterschichten einen speziellen, negativen Arbeitsbegriff wie bei Marx gegeben habe. Er untermauerte diese Behauptung damit, dass der Kuczynski massig Quellen in seiner siebenbändigen Quellenedition zu den Unterschichten der Frühen Neuzeit habe.
Ich fragte ihn daraufhin, ob Kuczynski denn auch Quellen über die Arbeitsbegriffe bei den Unterschichten in der Frühen Neuzeit genannt habe. Das wusste er nicht. Er meinte, ich solle mal in diese siebenbändige Ausgabe vom Kuczynski reinschauen und lesen, wie man es heute nicht machen sollte mit seiner Promotion.
Ich wusste jetzt nicht ganz, ob sich Kuczynski mit meinem Thema schon befasst hatte. Mein Theater-Chef konnte mir das jedenfalls auch nicht sagen. Jedoch wusste ich nicht ganz, was Kuczynski, von dem unklar ist, ob er sich mit dem Thema Arbeit befasst hat und den ich wahrscheinlich gar nicht in meiner Diss aufgreifen werde, mit meiner Diss zu tun haben sollte und warum ich durch verpönte Erinnerungen an ihn in marxistisches Fahrwasser geraten sollte.
Mein Theater-Chef meinte weiterhin zu mir, dass mein Betreuer und der Professor in Berlin mein Diss-Thema zwar kennen und mein Doktorvater mir auch grünes Licht gegeben hätte. Jedoch würden sich viele Professoren einen Dreck um ihre Doktoranden scheren und sie einfach, ohne sich mit dem Thema näher auszukennen oder zu befassen, ihren Doktoranden einfach schutzlos ins offene Messer laufen lassen. Außerdem sei es sehr wahrscheinlich, dass beide Professoren Kuczynski nicht gelesen hätten und sich daher mit dem Thema, über das ich promovieren will, nicht sonderlich auskennen würden.
Nach diesem Gespräch war ich erst einmal bedient. Mir gehen jetzt viele Fragen durch den Kopf. Z.B. warum der Geschichtsprofessor in Berlin mich an einen seiner eigenen damaligen Doktoranden nach Bielefeld, der jetzt mein Doktorvater ist, verwiesen hat mit den Worten, der Professor in Bielefeld sei besser für mein Thema geeignet.
Weiterhin frage ich mich, ob denn überhaupt jede historische Forschung über die Unterschichen verpönt ist.
Dass die Quellenlage zu meinem Thema dürftig ist, weiss ich seit einem Jahr. Der Professor in Berlin weiss es und mein jetziger Betreuer weiss es. Ich habe meinem Betreuer mein Diss-Thema ausführlich mündlich und schriftlich geschildert und mein Betreuer hat mir dennoch grünes Licht gegeben. Warum? Weil er keine Ahnung von meinem Thema hat? Weil ihn meine Promotion nicht interessiert? Weil er Kuczynski nicht gelesen hat?
Also ich weiss jetzt nicht mehr, wie ich mit meiner Bewerbung um das Stipendium weiter verfahren soll. Ich wollte ohnehin das Thema in Richtung 'Diversität' lenken, aber weiterhin bei den Unterschichten bleiben. Darum geht es ja auch in der Diss, und das weiss auch mein Betreuer.
Hallo Leute. Ich komme mit meinem Dissertationsvorhaben gut voran. Im Moment bin ich dabei, mich bis spätestens 20. Januar 2008 um ein Stipendium der Uni Bielefeld zu bewerben. Eigentlich habe ich mein Ziel klar vor Augen gehabt, da verursachte mein Chef vom Theater, ein sehr geistreicher Germanist und Schauspieler der Uni Mannheim, bei mir Verwirrung. Er riet mir von meinem Promotionsthema, so wie ich es jetzt plane, ab. Begründung: Die Quellenlage zu meinem Thema sei zu „schmal“, „einseitig“ und das Thema in der Historikerzunft verpönt.
Mal kurz die Beschreibung meines Diss-Themas: In meiner Promo sollen die Arbeitsbegriffe bei den deutschen Unterschichten im 18. Jahrhundert untersucht werden anhand der Konflikte zwischen den Unter- und Oberschichten. Hierbei sollen auch die Wahrnehmungen der jeweiligen Schicht durch die Gegenseite untersucht werden. Einen Beitrag zur Forschung soll diese Diss deshalb sein, weil es bis heute keine Untersuchung auf diesem Gebiet gibt, die sich mit der Frage beschäftigt hätte, wie denn die Unterschichten die Arbeit wahrgenommen haben und ob sie mehrere Arbeitsbegriffe hatten, darunter auch negative. Bislang werden immer nur die von den Oberschichten geführten Diskurse zur Arbeit dargestellt, und daneben vielleicht kurz mal die Unterschichtenwahrnehmung beleuchtet erwähnt. Aber selbst bei diesen Untersuchungen wird ein positiver Arbeitsbegriff wie im heutigen Sinne meistens vorausgesetzt.
Meine Hypothese ist, dass im 18. Jahrhundert die Arbeit bei vielen Unterschichten keineswegs positiv und ontologisch aufgefasst wurde (Arbeit als zweckbestimmte, zielgerichtete Tätigkeit), sondern der Arbeitsbegriff negativ konnotiert war ähnlich wie in der Antike (Arbeit als entfremdende, zwanghafte Tätigkeit wie Lohn- oder Fronarbeit im Gegensatz zu selbstbestimmter Tätigkeit). Könnte man diese Hypothese bestätigen, so hätte man einen historischen Beleg gegen die moderne Arbeits- und Leistungsideologie („Menschen haben schon immer gearbeitet.“).
Zur Vorgeschichte: Nach einem Betreuer für mein Vorhaben suchte ich fast 1,5 Jahre lang. Zuerst bewarb ich mich bei einem Geschichtsprofessor in Berlin. Dieser sagte mir, die Quellenlage für mein Thema sei mangelhaft und ich müsste, wenn ich dieses Thema untersuchen wollte, andere Schichten in Betracht ziehen wie das Handwerk oder die Hausarbeit, die sich durchaus mit (Lohn-)Arbeit identifizierten. Mitte dieses Jahres war ich dann noch einmal bei demselben Professor, und diesmal meinte er, er würde dieses Thema nicht betreuen. Stattdessen solle ich es bei zwei anderen Professoren versuchen, einen in Bielefeld und einen in Bochum. Sollte es bei diesen beiden nicht klappen, würde er mich nehmen; allerdings müsste ich dann ein anderes Thema wählen.
Ich hatte Glück. In Bielefeld unterbreitete ich dem mir dort vorgeschlagenen Geschichtsprofessor mein Themenvorschlag und noch ein weiteres. Er meinte dann, ich solle ruhig das Thema über die Arbeitsbegriffe in der Frühen Neuzeit bei den Unterschichten nehmen.
Ich sagte ihm dann das, was mir bereits der Professor in Berlin sagte, nämlich dass doch die Quellenlage für mein Thema sehr dürftig sei. Er meinte, das sei aber eigentlich bei jedem historischen Thema der Fall. Überall in der Geschichte gäbe es zu wenig Quellen.
Nun ja, nach einem weiteren Strategiegespräch vor einer Woche zum Thema Stipendium fing ich gestern an, das Expose für mein Stipendium zu schreiben. Mein Doktorvater schlug mir bei unserem letzten Gespräch vor, ich solle mich an der Uni Bielefeld einer Soziologen-Gruppe, einem sogenannten SFB-Projekt der DFG, anschließen. Diese Soziologen-Gruppe sei völlig neu und beschäftige sich mit dem Begriff der „Diversität“.
Da ich in dieser Soziologen-Gruppe eine Chance sah, in den Universitätsbetrieb reinzukommen, habe ich eingewilligt. Mein Doktorvater gab mir eine Beschreibung dieser Gruppe und ihres Projektes mit. Es schien alles so perfekt.
Dann aber war ich gestern bei meiner Theatergruppe, die ich immer dienstags habe. Ich war der einzige dort, also sprach ich ein wenig mit meinem Chef. Wir kamen dann auf mein Promotionsthema und ich erzählte ihm von meinen Fortschritten und zeigte ihm das Projekt.
In der darauffolgenden Belehrung warnte er mich vor einem Fehlschlag mit meiner Dissertation, so wie ich sie jetzt plane. Er selbst ist kein Historiker und hat auch keine Geschichte studiert, aber er meinte zu mir in etwa das, was der Professor in Berlin zu mir sagte: Die Quellenlage für mein Thema sei mangelhaft und – und das hörte ich zum ersten Mal – „einseitig“ und das Thema verpönt. Auf keinen Fall, so sagte er, solle ich mich auf die Unterschichten beschränken. Dies drohe zu einer einseitigen Angelegenheit zu werden, die stark marxistisch riechen könne. Er meinte, ich könne mit diesem Thema subjektiv oder objektiv in die Nähe des DDR-Historikers Kuczinsky geraten, der bei den Historikern heute nicht verbreitet, dafür aber verpönt sei und müde belächelt werde wie einst Norbert Elias in der Politologie und Soziologie. Kuczinsky, so mein Theater-Chef, habe ähnlich der Schule der Annales damals die Unterschichten in der Frühen Neuzeit erforscht und eine siebenbändige Quellenedition zur ihrer damaligen Lage herausgebracht. Kuczinsky, so mein Theater-Chef weiter, sei aber in der heutigen Historikerzunft trotzdem kaum gelesen worden. Er werde aber von den Historikern als marxistischer Althistoriker „belächelt“.
Und ich drohe, so mein Theater-Chef, mit meinem Thema und meiner Fixierung auf die Unterschichten auf dieselbe Schiene zu geraten. Außerdem müsste ich, wenn ich etwas mit dem Soziologen-Projekt 'Diversität' etwas zu tun haben wolle, das Thema schon so ausrichten, dass ich die Arbeitsbegriffe auch bei den Oberschichten untersuche und die Kommunikationsprozesse und Entstehungsweisen dieser Arbeitsbegriffe bei Ober- und Unterschichen.
Ich entgegnete ihm daraufhin, dass mir das bislang keiner der Professoren, bei denen ich mich beworben habe, erzählt habe. Sowohl mein jetziger Betreuer als auch der Geschichtsprofessor in Berlin wissen von meinem Diss-Thema.
Des weiteren sagte ich, dass mein Thema ja nicht marxistisch „vorgefertigt“ wäre. Ich habe lediglich eine Hypothese, die ich anhand der Quellenlage überprüfen würde. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es keinen negativen Arbeitsbegriff bei den Unterschichte im 18. Jahrhundert gab, so werde ich auch das so scheiben.
Letztendlich wies ich ihn aber auch noch auf die Forschungslücke hin. Es existiert bislang keine einschlägige Untersuchung zu diesem Thema. Stattdessen bleibt die Geschichte der Arbeit auf die Oberschichten und Intellektuellen beschränkt.
Er meinte daraufhin, dass ich – und das sei seiner Ansicht nach sehr wahrscheinlich – auch objektiv nach Auswertung neuzeitlicher Quellen der Unterschichen des 18. Jahrhunderts zu der Ansicht gelangen würde, dass es bei den Unterschichten einen speziellen, negativen Arbeitsbegriff wie bei Marx gegeben habe. Er untermauerte diese Behauptung damit, dass der Kuczynski massig Quellen in seiner siebenbändigen Quellenedition zu den Unterschichten der Frühen Neuzeit habe.
Ich fragte ihn daraufhin, ob Kuczynski denn auch Quellen über die Arbeitsbegriffe bei den Unterschichten in der Frühen Neuzeit genannt habe. Das wusste er nicht. Er meinte, ich solle mal in diese siebenbändige Ausgabe vom Kuczynski reinschauen und lesen, wie man es heute nicht machen sollte mit seiner Promotion.
Ich wusste jetzt nicht ganz, ob sich Kuczynski mit meinem Thema schon befasst hatte. Mein Theater-Chef konnte mir das jedenfalls auch nicht sagen. Jedoch wusste ich nicht ganz, was Kuczynski, von dem unklar ist, ob er sich mit dem Thema Arbeit befasst hat und den ich wahrscheinlich gar nicht in meiner Diss aufgreifen werde, mit meiner Diss zu tun haben sollte und warum ich durch verpönte Erinnerungen an ihn in marxistisches Fahrwasser geraten sollte.
Mein Theater-Chef meinte weiterhin zu mir, dass mein Betreuer und der Professor in Berlin mein Diss-Thema zwar kennen und mein Doktorvater mir auch grünes Licht gegeben hätte. Jedoch würden sich viele Professoren einen Dreck um ihre Doktoranden scheren und sie einfach, ohne sich mit dem Thema näher auszukennen oder zu befassen, ihren Doktoranden einfach schutzlos ins offene Messer laufen lassen. Außerdem sei es sehr wahrscheinlich, dass beide Professoren Kuczynski nicht gelesen hätten und sich daher mit dem Thema, über das ich promovieren will, nicht sonderlich auskennen würden.
Nach diesem Gespräch war ich erst einmal bedient. Mir gehen jetzt viele Fragen durch den Kopf. Z.B. warum der Geschichtsprofessor in Berlin mich an einen seiner eigenen damaligen Doktoranden nach Bielefeld, der jetzt mein Doktorvater ist, verwiesen hat mit den Worten, der Professor in Bielefeld sei besser für mein Thema geeignet.
Weiterhin frage ich mich, ob denn überhaupt jede historische Forschung über die Unterschichen verpönt ist.
Dass die Quellenlage zu meinem Thema dürftig ist, weiss ich seit einem Jahr. Der Professor in Berlin weiss es und mein jetziger Betreuer weiss es. Ich habe meinem Betreuer mein Diss-Thema ausführlich mündlich und schriftlich geschildert und mein Betreuer hat mir dennoch grünes Licht gegeben. Warum? Weil er keine Ahnung von meinem Thema hat? Weil ihn meine Promotion nicht interessiert? Weil er Kuczynski nicht gelesen hat?
Also ich weiss jetzt nicht mehr, wie ich mit meiner Bewerbung um das Stipendium weiter verfahren soll. Ich wollte ohnehin das Thema in Richtung 'Diversität' lenken, aber weiterhin bei den Unterschichten bleiben. Darum geht es ja auch in der Diss, und das weiss auch mein Betreuer.