Zum
bewaffneten Handelsschiff im Ersten WK habe ich
hier einen speziellen Strang eröffnet.
Zur Listen-Problematik:
Nach dem Lusitania-Zwischenfall erschien 1915 eine Ausgabe der Zeitschrift für Völkerrecht (Bd. IX [1915/16]) in der 21 deutsche Völkerrechtslehrer zur Versenkung der Lusitania Stellung nahmen. Allesamt hielten diese - mit zum Teil unterschiedlichen Argumenten – im Ergebnis für völkerrechtmäßig.
Die meisten Völkerrechtslehrer stützten ihre Argumentation auf die Eintragung der Lusitania in der „navy list“. Sie sei dort gemäß Artikel 6 des
VII. Haager Abkommens über die Umwandlung von Kauffahrteischiffe in Kriegsschiffe als Hilfskreuzer (umgewandeltes Handelsschiff) eingetragen gewesen. Aus dieser Eintragung ergebe sich die Kriegsschiffseigenschaft der Lusitania. Auf die Richtigkeit dieser Eintragung hätte der deutsche U-Boot-Kapitän Schwieger vertrauen dürfen. Deshalb sei die warnungslose Versenkung der Lusitania völkerrechtlich nicht zu beanstanden.
Diese Argumentation setzt voraus, dass a) die Lusitania überhaupt in der Liste der Kriegsschiffe als Kriegsschiff eingetragen war und b) dass sich aus einer solchen Eintragung die Kriegsschiffeigenschaft ergibt. Beide Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor:
Die Lusitania stand in der „navy list“ in der Abteilung „Royal Naval Reserve Merchant Vessel“ (Fleischmann, „Einleitung zum Lusitania-Fall“, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. IX, 1916, S. 135 ff., 139). Sie war demnach nicht als umgewandeltes Handelsschiff (Hilfskreuzer) sondern nur als potentiell umwandelbares Handelsschiff (potentieller Hilfskreuzer) gelistet. Dieser kleine aber bedeutsame Unterschied war in Deutschland durchaus bekannt. In dem im Juni 1914 von „Nauticus“ herausgegebenen Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen (XVI. Jg.) wird die Lusitania in der dortigen „Liste der Kriegsschiffe der größeren Seemächte“ zutreffend als „Schnelldampfer“ geführt, „die sich zum Hilfskreuzerdienst eignen“ (Nauticus [Hrsg.], a.a.O., S. 562).
Ferner ist zu beachten, dass Artikel 6 des Umwandlungsabkommens im Ersten WK keine direkte Anwendung finden konnte und sich im Krieg auch kein Gewohnheitsrecht hinsichtlich der Listung umgewandelter Handelsschiffe entsprechend Art. 6 herausbildete:
- Das Umwandlungsabkommen enthielt in Art. 7 eine sog. „Allbeteiligungsklausel“, derzufolge seine Bestimmungen „nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung (finden) und nur dann, wenn die Kriegführenden sämtlich Vertragsparteien sind.“ Von den zur Zeit des Lusitania-Zwischenfalls am Krieg beteiligten Staaten hatten jedoch die Türkei, Serbien und Montenegro das Abkommen nicht ratifiziert. Es war somit nicht direkt anwendbar.
- Auch eine indirekte Anwendung des Art. 6 in Form des Völkergewohnheitsrechtes scheidet aus. Bei der Listung umgewandelter Handelsschiffe handelte es sich um eine Erfindung der 2. Haager Friedenskonferenz (1907). Im Ersten WK wurde die Listung aus Gründen des Geheimnisschutzes von keiner Großmacht praktiziert. Mangels Gewohnheit konnte die Listung umgewandelter Handelsschiffe somit nicht zu einem Gewohnheitsrecht erstarken.
Schließlich spricht weiter gegen die Listentheorie, dass die Listung nach Artikel 6 des Umwandlungsabkommens ausweislich ihrer Entstehungsgeschichte nur den Zweck haben sollte, offensichtliche Missbrauchs-Fälle mehrfacher (!) Umwandlungen und Rückverwandlungen bekämpfen zu können. Bei der Lusitania lag ein solcher Fall gar nicht vor.
Übrigens in den in den USA veröffentlichten warnenden Zeitungsannoncen wurde nicht vor einer Reise auf dem Kriegsschiff Lusitania gewarnt sondern vor der Durchfahrt des von Deutschland verhängten Sperrgebiets.