Die Lusitania - ein Hilfskreuzer?

Hallo Gandolf,

vorab möchte ich einmal sagen, dass die von mir vertretene Auffassung natürlich eine persönliche Meinung darstellt. Die ganze Thematik ist sehr umstritten, und es gibt keine völkerrechtliche Lösung mangels Rechtsprechung (dieses wiederum mangels eines vorhandenen Gerichts) dazu. Also sind wir auf den publizierten Meinungsaustausch der Völkerrechtler der verschiedenen Länder beschränkt, und auch hier übersehe ich im wesentlichen die deutsche Seite, soweit nicht ausländische Autoren zitiert werden.

Im einzelnen:

Das Thema Bewaffnung hatte ich eingeführt, weil im Dissens zum Thema eine logische Kette von der Blockade-Kriegsführung über den U-Boot-Krieg bis hin zur Bewaffnung der Handelsschiffe führt. So ist jedenfalls die Auseinandersetzung in den beteiligten Ländern darüber geführt worden.
Die Aussage „new weapons, new rules“ stammt nicht von mir, sondern aus der britischen Begründung im Streit um die Bewaffnung der Handelsschiffe, die wiederum von deutscher Seite als Völkerrechtsbruch angesehen wurde. So unterschiedlich sind die Interpretationen der Regelungen von 1907. Auch eine non-belligrante Nation wie die USA hatte mehrere Monate 1914-1915 damit zu tun, dieses Thema abzugrenzen, bis (politisch motiviert?) eine Regel dafür gefunden wurde. Dass die Bewaffnung zuvor als tatsächlich als statusbildend angesehen wurde, steht jedenfalls fest, übrigens ohne dass die übrigen Kriterien in Art. 1 bis 4 und 6 dabei für die USA eine Rolle spielten. Dass dagegen von Seiten des Deutschen Reiches formal protestiert wurde, zeigt die verworrene Situation. Es ist also ziemlich gewagt, zu Beginn des WK I die Bewaffnung als allgemein akzeptiert und zulässig für ein Handelsschiff anzusehen, ohne Statusumwandlung. Die deutsche Position wurde übrigens in dem internationalen Disput u. a. von den südamerikanischen Ländern unterstützt.
Deutschland selbst hat allerdings (ebenfalls s. o.) in der praktischen Handhabung trotz der Proteste keine Bestrafung der Besatzung bewaffneter Handelsschiffe vorgenommen, sondern diese als Kriegsgefangene betrachtet, ohne dass hierbei Art. 1-4 und 6 eine Rolle spielten. Damit ist zusammenfassend der Status „Handelsschiff“ rein tatsächlich nicht abschließend im VII. Haager Abkommen definiert. Dies ist festzuhalten.

Zu den Kriterien des Abkommens:
Diese (Art. 1-4) blende ich keinesfalls aus. Zunächst einmal sind die Art. 1 bis 4 konstitutive Faktoren. Sie sind aber nicht abschließend bestimmt, wegen der Frage der Bewaffung. Es kommt auf die Registereintragung in diesem Fall nicht mehr an. Allerdings wäre nicht Nicht-Eintragung eine Regelverletzung, denn sie ist „unverzüglich“ vorzunehmen. Dazu tritt dann nach meiner Auffassung Artikel 6: deklaratorisch kann eine Nation jedes Handelsschiff umwandeln, nämlich durch Eintragung. Diese Wirkung ist wie folgt begründet:
a) es handelt sich ein öffentliches Register. Ich hatte beispielhaft den allgemein bekannten Fall des Handelsregisters gebracht, man könnte auch das Grundbuch oder das Schiffsregister zitieren. Natürlich ist das nicht auf Völkerrecht übertragbar, hier fehlen Regelungen über die Schutzwirkung. Also sind wir auf Auslegung angewiesen. Das von Dir zitierte Gewerberegister ist nicht einschlägig, weil es sich in der Anlage nicht um ein öffentliches Register handelt, die Auskunft ist Ermessenssache. Öffentliche Register gab und gibt es in allen Nationen, jeweils mit der identischen Schutzwirkung, nämlich Rechtsicherheit zu erzeugen. Dieses dürfte den Signaturstaaten also klar gewesen sein.
b) Falls Du dem nicht argumentativ folgen willst, stellt sich die Frage, welche Funktion denn überhaupt dann diesem Register zuzubilligen wäre. Sollte es eine überflüssige Zusatzbestimmung gewesen sein? Welcher Sinn soll dann den vorsorglichen Eintragungen der schnellen Großdampfer seitens der britischen Admiralität vor Kriegsausbruch beizumessen sein? Eine überflüssige Zeremonie? Was also ist dann der Sinn und Zweck?
c) Wieso kann man dann – nach zwischen den Nationen herrschender Auffassung – keine Delistung vornehmen? Das nach Art. 1-4 „ausgerüstete“ Schiff kann aus dem Register während der Kriegshandlungen nicht mehr gestrichen werden. Demnach verbleibt es ALLEIN aufgrund der Registereintragung im Status des Kriegsschiffes, wie ich meine, ein starker Beleg dafür, dass dem Register eindeutig deklaratorische Wirkung zugemessen wurde, auch wenn die Kriterien des Art. 1-4 später NICHT mehr vorliegen sollten.
d) Bereits die Diskussion der Bewaffnung zeigt, dass es Schiffe gab, die nicht gelistet sein brauchen (Art. 6) und die nicht die übrigen Kriterien zu erfüllen brauchen (Art. 1-4), aber dennoch als Kriegschiffe eingestuft werden. Danach ausschließlich an den Art. 1-4 festzuhalten, erscheint mit unmöglich.

Warum nun erzeugt das Register Rechtssicherheit? Speziell im Fall der U-Boote ist die Feststellung der übrigen Kriterien (Art. 1-4) im Seekrieg kaum möglich, wenn sie sich getaucht einem Schiff nähern. Sie wären gezwungen, jedes Schiff zunächst nach Prisenordnung aufgetaucht zu stoppen und den Status zu überprüfen. Das umgewidmete Schiff fährt dann schlicht davon. Das kann auch für schnell fahrende Handelsschiffe im Verhältnis zu langsameren Überwasser-Kriegsschiffen gelten. Umgekehrt ist es Sache der kriegführenden Nation – und das stellt überhaupt kein Problem dar – die U-Boote mit Schiffserkennungs-Registern auszurüsten, die sich auch auf die Listung bei Kriegsbeginn beziehen. Die Listung könnte sicherlich unvollständig sein bei zusätzlichen Deklarationen während des Krieges, mangels möglicher Delistung ist der umgekehrte Fehler bei der Einstufung nicht denkbar. Das stellt kein Problem dar, für aktuelle Fassungen ist bei Auslaufen der U-Boote zu sorgen, die Unvollständigkeit hat auch keine nachteiligen Folgen, da dass Schiff dann als Handelsschiff eingestuft wird und nach Prisenrecht zu stoppen wäre, anstelle der warnungslosen Versenkung. Aus dem WK II (leider nur) habe ich eine entsprechende Handelsschiffs-Liste als Ausrüstung für deutsche U-Boote. Und selbstverständlich sind die Listen während des Krieges aktualisierbar. Der Abbruch diplomatischer Beziehungen spricht dagegen nicht, da die Deklaration öffentlich erfolgt. Wenn der Austausch von Kriegsgefangenen möglich ist, soll der Austausch solcher Informationen abgeschnitten sein? Was ist mit den neutralen Nationen, die jede Kriegspartei für diesen Kontakt-Austausch benennt? Dass dem Deutschen Reich die Registereintragung bekannt war, sieht man anhand des diplomatischen Austausches mit den USA. Dort wird meines Wissens (schlage ich noch einmal nach) darauf exkulpierend Bezug genommen. Die Papierlösung mit deklaratorischer Wirkung öffnet auch keinesfalls der Willkür Tür und Tor, es liegt an dem betreffenden Staat, was er daraus macht. Schließlich muss er – außer im Fall von Art.1-4 – kein Schiff dort eintragen.

Ob schließlich bei der Versenkung der Lusitania Register eingesehen wurden, ist für die völkerrechtliche Beurteilung unerheblich. Ebenso, ob ein Register verfügbar war. Wäre es nach obiger Deutung ein Handelsschiff gewesen, läge allerdings ein Verstoß vor.

Bei der Qualität der Bewaffnung liegen wir, glaube ich, auf einer Linie. Ich hatte nur die US-Entwicklung als Beispiel für eine Konkretisierung des schwierigen Begriffs der „defensiven Bewaffnung“ angeführt. Ich halte es für eine Unmöglichkeit, hier klare Kriterien aufzustellen. Zumal die US-Abgrenzung manche Kreuzerbewaffnung im WK I in der Armierung noch übertrifft. Allerdings halte ich auch die „Drehung“ des Geschützes für unpraktikabel zur Abgrenzung, eine Drehung ist praktisch schnell vollzogen.

Viele Grüße
Thomas
 
vorab möchte ich einmal sagen, dass die von mir vertretene Auffassung natürlich eine persönliche Meinung darstellt. Die ganze Thematik ist sehr umstritten, und es gibt keine völkerrechtliche Lösung mangels Rechtsprechung (dieses wiederum mangels eines vorhandenen Gerichts) dazu. Also sind wir auf den publizierten Meinungsaustausch der Völkerrechtler der verschiedenen Länder beschränkt, und auch hier übersehe ich im wesentlichen die deutsche Seite, soweit nicht ausländische Autoren zitiert werden.
Meiner Meinung nach kann es bei völkerrechtsgeschichtlichen Diskussionen nicht allein um die bloße Wiedergabe des damals Publizierten gehen. Es geht bei solchen Diskussionen auch um die Frage, wie plausibel die damals vertretenen Meinungen waren.
silesia schrieb:
Das Thema Bewaffnung hatte ich eingeführt, weil im Dissens zum Thema eine logische Kette von der Blockade-Kriegsführung über den U-Boot-Krieg bis hin zur Bewaffnung der Handelsschiffe führt. So ist jedenfalls die Auseinandersetzung in den beteiligten Ländern darüber geführt worden.
Die Thematik der Bewaffnung der Handelsschiffe spielte eine Rolle bei folgenden Fragen:
a) War die Bewaffnung von Handelsschiffen völkerrechtskonform?
b) Wenn ja: War ein warnungsloser Angriff deutscher Kriegsschiffe auf feindliche (später auch neutrale) HANDELSSCHIFFE als Repressalie gerechtfertigt?

Die Thematik der Bewaffnung spielte keine Rolle bei der Einstufung eines Schiffs als Handelsschiff oder Kriegsschiff. Selbst das Deutsche Reich bewertete bewaffnete Handelsschiffe als HANDELSSCHIFFE und nicht als Kriegsschiffe. Es hielt die Bewaffnung dieser Schiffe für illegal und liess anfänglich gefangengenommene Kapitäne britischer Handelsschiffe, die einen Angriff auf deutsche U-Boote unternommen hatten, als Kriegsverbrecher verurteilen und hinrichten. Aufgrund der negativen Reaktion der internationalen Öffentlichkeit sah man von dieser Praxis später wieder ab (vgl. Wolff Heintschel von Heinegg, S. 367).
silesia schrieb:
Die Aussage „new weapons, new rules“ stammt nicht von mir, sondern aus der britischen Begründung im Streit um die Bewaffnung der Handelsschiffe, die wiederum von deutscher Seite als Völkerrechtsbruch angesehen wurde.
Meiner Meinung nach bringst Du da etwas durcheinander:

Die Briten beriefen sich nicht auf neues Recht sondern auf altes Gewohnheitsrecht, ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt. Ich lege an dieser Stelle mal wieder die Schallplatte auf, dass die Bewaffnung der Handelsschiffe sowie deren Widerstandsleistung gegen prisenrechtliche Massnahmen Widerstand entgegen zu setzen, im Zeitalter der Kaperei und Piraterie gewohnheitsrechtlich anerkannt war, mit der Pariser Seerechtsdeklaration (1856) allein die Kaperei verboten wurde und somit das Recht der Bewaffnung und Widerstandsleistung fortbestehen blieb. "Während des Krieges hatte das Vereinigte Königreich in offiziellen Stellungnahmen immer wieder betont, seine Handelsschiffe seien ausschließlich zu Verteidigungszwecken bewaffnet worden. Die Verteidigung gegen prisenrechtliche Maßnahmen des Gegners entspreche einem alten Gewohnheitsrechtssatz" (Wolff Heinegg von Heintschel, S. 366 Fn. 555). "Die britische Praxis der Bewaffnung von Handelsschiffen war nach der damaligen Rechtslage keineswegs völkerrechtswidrig, war doch die alte Regel erhalten geblieben, derzufolge gegnerische Handelsschiffe nicht verpflichtet sind, prisenrechtliche Maßnahmen einer Konfliktpartei widerstandslos zu dulden" (Wolff Heinegg von Heintschel, S. 367). Anm.: Hervorhebungen durch Gandolf.

Allerdings war es so, dass deutsche Völkerrechtslehrer versuchten mit der Neuheit der Ubootwaffe neue Seekriegsregeln zu konstruieren. Überzeugend ist diese Theorie nicht. Wie bereits gepostet hat der Sachverständige Dr. Kriege in seinem für den Deutschen Reichtstag erstellten Gutachten zur Völkerrechtmäßigkeit des deutschen Ubootkrieges diese Theorie als bedenklich bezeichnet und verworfen.
silesia schrieb:
So unterschiedlich sind die Interpretationen der Regelungen von 1907. Auch eine non-belligrante Nation wie die USA hatte mehrere Monate 1914-1915 damit zu tun, dieses Thema abzugrenzen, bis (politisch motiviert?) eine Regel dafür gefunden wurde. Dass die Bewaffnung zuvor als tatsächlich als statusbildend angesehen wurde, steht jedenfalls fest, übrigens ohne dass die übrigen Kriterien in Art. 1 bis 4 und 6 dabei für die USA eine Rolle spielten. Dass dagegen von Seiten des Deutschen Reiches formal protestiert wurde, zeigt die verworrene Situation. Es ist also ziemlich gewagt, zu Beginn des WK I die Bewaffnung als allgemein akzeptiert und zulässig für ein Handelsschiff anzusehen, ohne Statusumwandlung. Die deutsche Position wurde übrigens in dem internationalen Disput u. a. von den südamerikanischen Ländern unterstützt.
Deutschland selbst hat allerdings (ebenfalls s. o.) in der praktischen Handhabung trotz der Proteste keine Bestrafung der Besatzung bewaffneter Handelsschiffe vorgenommen, sondern diese als Kriegsgefangene betrachtet, ohne dass hierbei Art. 1-4 und 6 eine Rolle spielten. Damit ist zusammenfassend der Status „Handelsschiff“ rein tatsächlich nicht abschließend im VII. Haager Abkommen definiert. Dies ist festzuhalten.
Hier stimmt so einiges nicht. Ich schätze mal, dass Du die Debatte über die Bewaffnung der Handelsschiffe und über das angebliche deutsche Recht zur Repressalie nicht richtig verstanden hast (siehe oben).

Übrigens war es so, dass das Deutsche Reich zunächst sehr wohl die Kapitäne britischer Handelsschiffe, die einen Angriff auf deutsche Uboote unternommen hatten, als Kriegsverbrecher verurteilen und hinrichten liess. "Der bekannteste Fall betrifft den Kapitän des britischen Handelsschiffes Brussels, Charles Fryatt, der am 27. Juli 1916 durch ein Feldgericht des Marinekorps zum Tode verurteilt wurde, weil er versucht hatte, das deutsche U-Boot U 33 zu rammen" (Wolff Heinegg von Heintschel, S. 367 Fn. 560). Erst nachdem die internationel Reaktion auf die deutsche Praxis der Bestrafung verheerend negativ ausfiel, sah das Deutsche Reich von der Bestrafung ab (vgl. Wolff Heinegg von Heintschel, S. 367).
 
Upps. Nun habe ich bei meinem vorherigen Beitrag vergessen, meine Quelle genau anzugeben. Das will ich hiermit nachholen: Wolff Heintschel von Heinegg, Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg, 1995.

Zum Register kommt demnächst mehr!
 
Der Fall des Captain Charles Fryatt ist schon etwas komplizierter.

Er wurde am 28. März 1915 auf der Fahrt von Rotterdam nach Southampton mit seinem Schiff Brussels von U 33 angehalten, Der Kommandant forderte die Crew der Brussels – entsprechend den internationalen Cruiser Rules – auf, das Schiff zu verlassen. Fryatt drehte dann jedoch auf das U-Boot zu und versuchte es zu rammen.

Dabei handelte Fryatt entsprechend den Anweisungen, die Churchill für englische Handelsschiffkapitäne erlassen hatte. Churchill hat das selbst in seinem Werk The World Crisis, London 1923, in Band 1 auf den Seiten 725-726 beschrieben:
"The first British countermove made on my responsibility was to deter the Germans from surface attack.. The submerged U-boat had to rely increasingly on underwater attack and thus ran the greater risk of mistaking neutral for British ships and of drowning neutral crews and thus embroiling Germany with other Great Powers."

Er fährt dann fort, dass er den Kapitänen befahl " to immediately engage the enemy, either with their armament if they possess it, or by ramming if they do not. ANY MASTER WHO SURRENDERS HIS SHIP WILL BE PROSECUTED".
.
Diese Anordnungen Churchills waren der deutschen Seite bekannt geworden, als im Februar 1915 der britische Frachter Ben Cruachan aufgebracht und dabei eine Kopie von Churchills Anordnungen an die Käpitäne der Handelsschiff gefunden wurde.
Es war hier also der Fall eingetreten, dass ein Nicht-Kombattant ein entsprechend den „Cruiser Rules“ handelndes Kriegsschiff angriff, und zwar auf ausdrücklichen Befehl seiner Regierung. Die Kapitäne saßen also durch die Anordnung Churchill's gewissermaßen "between the devil and the deep blue sea."

Und Churchill’s Begründung für seine Anordnung ist keineswegs eine Berufung auf ein völkergewohnkeitsrechtliches Widerstandsrecht gegen Prisenmaßnahmen.
Auch nach der Erschießung Fryatt’s erfolgte das nicht, sondern die Briten verneinten die Absicht Fryatts, das U-Boot zu rammen. Er habe lediglich versucht, to “…save(d) his vessel ……….. by skillfully avoiding an attack.”
 
Hallo Gandolf,

Die Thematik der Bewaffnung spielte keine Rolle bei der Einstufung eines Schiffs als Handelsschiff oder Kriegsschiff. Selbst das Deutsche Reich bewertete bewaffnete Handelsschiffe als HANDELSSCHIFFE und nicht als Kriegsschiffe.

stimmt so nicht. Ich hatte oben dargelegt, dass die Frage der noch zulässigen Bewaffnung für ein Handelsschiff entscheidend ist. Jedenfalls macht sich eine anfangs neutrale Nation wie die USA darüber Kopfzerbrechen, sollten sie da einem Scheinproblem aufgesessen sei? Andere Position: Deutschland, wonach die Bewaffnung unzulässig sei.

Halten wir also einmal zu Beginn einfach nur die widerstreitenden Meinungen fest. Wie oben geschrieben, geht der danach herrschende (alliierte) Meinungsstand dahin, dass eine defensive Bewaffnung zulässig ist und den Charakter des Handelsschiffes nicht stört. Das Abgrenzungsproblem der "Defensivqualität" hatte ich ebenfalls beschrieben. Im übrigen müßtest Du mal erklären, warum Sohler (Kommandant von U 46 und Jurist, Quelle s.o.) zur Londoner Flottenkonferenz festhält, dass rd 25 Jahre später unverändert die Definition des Handelsschiffsbegriffes NICHT gelungen sei, ebenso wie im U-Boot-Protokoll von 1936, und zwar insbesondere an den unterschiedlichen Positionen zur Zulässigkeit der Bewaffnungen.

Und hier liegt die Schnittkante: Es gibt völkerrechtliche keinen Zwittter zwischen Kriegs- und Handelsschiff. Wird die "zulässige" Defensivbewaffnung (und wie das eine Nation interpretiert hat, habe ich oben beschrieben, Du kannst gerne auch anderen beliebigen Abgrenzungen folgen, ohne das Grundproblem zu verlassen) überschritten, verliert das Schiff im Seekrieg den schützenden Status des Handelsschiffes, Bsp. warnungslose Versenkung. Damit ist zugleich die Ausschließlichkeit der Art. 1 bis 4 widerlegt, s.o.

Ich hatte oben - und da würden mich Zuwiderhandlungen von U-Boot-Kommandanten im Einzelfall grundsätzlich nicht interessieren - die Ansicht der Reichsregierung angegeben:
"Deutschland hat die Status-Frage der Bewaffnung von Handelsschiffen bereits während des Krieges zwar bestritten, aber entgegenkommend behandelt, als es die Besatzung von mit Waffen Widerstand leistender Handelsschiffe nicht bestrafte, sondern als Kriegsgefangene behandelte (Befehl vom 22.6.1914, Reichsgesetzblatt 1914, S. 300)" Im Klartext: es hat entgegen der vertretenen Auffassung zur Bewaffnung die Besatzungen als Besatzungen eines Kriegsschiffes behandelt, etwas, was es nach Deiner These überhaupt nicht geben dürfte. Damit hat die Reichsregierung den Boden für die von Dir behauptete Ausschließlichkeit der Art. 1 bis 4 ebenfalls verlassen.

Abschließend:
Mit Deinem Beispiel Fryatt hast Du im übrigen, wie auch schon kwschaefer dargelegt hast, den "Problemfall" schlechthin hochgezogen, das denkbar ungeeignetste Beispiel für dieses Thema.
Übrigens war es so, dass das Deutsche Reich zunächst sehr wohl die Kapitäne britischer Handelsschiffe, die einen Angriff auf deutsche Uboote unternommen hatten, als Kriegsverbrecher verurteilen und hinrichten liess. "Der bekannteste Fall betrifft den Kapitän des britischen Handelsschiffes Brussels, Charles Fryatt, der am 27. Juli 1916 durch ein Feldgericht des Marinekorps zum Tode verurteilt wurde, weil er versucht hatte, das deutsche U-Boot U 33 zu rammen" (Wolff Heinegg von Heintschel, S. 367 Fn. 560). Erst nachdem die internationel Reaktion auf die deutsche Praxis der Bestrafung verheerend negativ ausfiel, sah das Deutsche Reich von der Bestrafung ab (vgl. Wolff Heinegg von Heintschel, S. 367).
In den Hamburger Rundbriefen gibt es einen Artikel von Langensiepen zu diesem Thema, den rudimentären früheren Quellenauswertungen des Gerichtsverfahrens (inkl .des Folgeprozesses in Leipzig 1919 und zu den (eigentlichen politischen) Hintergründen der Verurteilung von Fryatt aufgrund des kommenden uneingeschränkten U-Boot-Krieges.

Im übrigen hat dieser Fall nichts mit dem Thema Bewaffnung (insbesondere mit deren zulässigem Umfang), somit auch nichts mit der Frage der Abgrenzung von Handelsschiffen, sondern mit dem Thema "Widerstand" durch Rammen zu tun, führt also in unserem Problem nicht weiter.


Zum Schluss: "Zitat von mir" plus
Meiner Meinung nach kann es bei völkerrechtsgeschichtlichen Diskussionen nicht allein um die bloße Wiedergabe des damals Publizierten gehen. Es geht bei solchen Diskussionen auch um die Frage, wie plausibel die damals vertretenen Meinungen waren.
Stimme ich völlig überein, habe ich allerdings auch nicht anders behauptet.

Grüße
Thomas
 
Silesia schrieb:
stimmt so nicht. Ich hatte oben dargelegt, dass die Frage der noch zulässigen Bewaffnung für ein Handelsschiff entscheidend ist. Jedenfalls macht sich eine anfangs neutrale Nation wie die USA darüber Kopfzerbrechen, sollten sie da einem Scheinproblem aufgesessen sei?
Die USA haben das Umwandlungsabkommen nicht unterschrieben. Der in diesem Abkommen geregelte Kriegsschiffbegriff war für die USA nicht verbindlich. Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass die USA eigene Vorstellungen über den Kriegsschiffbegriff entwickelt haben, die vom Kriegsschiffbegriff des Umwandlungsabkommen abwichen (=> Bewaffnung als Voraussetzung eines Kriegsschiffes).

Im Lusitania-Fall kommt es auf etwaige amerikanische Sondervorstellungen zum Kriegsschiffbegriff nicht an. Bei der Lusitania handelte es sich um ein britisches Schiff; bei der U 20 um ein deutsches U-Boot. Sowohl GB als auch D hatten das VII. Haager Abkommen über die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe (1907) unterzeichnet und ratifiziert. Für beide Länder bestimmte sich die völkerrechtliche Statusfrage, ob es sich bei der Lusitania um ein Handelsschiff oder um ein Kriegsschiff handelte, somit allein nach dem Kriegsschiffbegriff dieses Abkommens. Entscheidend ist demnach die Integration des Handelsschiffs in die Flotte des Kriegsministers (Art. 1 bis 4). Auf die Bewaffnung des Schiffs kommt es nicht an.
silesia schrieb:
Im übrigen müßtest Du mal erklären, warum Sohler (Kommandant von U 46 und Jurist, Quelle s.o.) zur Londoner Flottenkonferenz festhält, dass rd 25 Jahre später unverändert die Definition des Handelsschiffsbegriffes NICHT gelungen sei, ebenso wie im U-Boot-Protokoll von 1936, und zwar insbesondere an den unterschiedlichen Positionen zur Zulässigkeit der Bewaffnungen.
Ich verstehe Deine Andeutungen nicht. Deshalb schlage ich vor, dass Du zunächst einmal darlegst, was sich hinter diesen verbirgt, inklusive konkreter Quellenangaben (bitte mit genauen Seitenangaben!). Und wenn ich erkennen kann, dass ein Streit, der sich 25 Jahre nach dem Lusitania-Fall ereignete, mit diesem etwas zu tun haben kann, werde ich auf Deine Darlegungen eingehen.
silesia schrieb:
Silesia:
(1) Es gibt völkerrechtliche keinen Zwittter zwischen Kriegs- und Handelsschiff.
(2) ... verliert das Schiff im Seekrieg den schützenden Status des Handelsschiffes, Bsp. warnungslose Versenkung.
(3) Damit ist zugleich die Ausschließlichkeit der Art. 1 bis 4 widerlegt, s.o.
Deine Aussage (1) könnte von mir stammen. Ein Schiff ist entweder ein Handelsschiff (Nicht-Kombattant) oder ein Kriegsschiff (Kombattant). Basta! Deiner Aussage (2) stimme ich mit der Maßgabe zu, dass die Einmischung des Nichtkombattanten (Handelsschiff) in das Kriegsgeschehen zum Verlust von dessen Schutzrechten führen kann, die sich aus dem Nichtkombattantenstatus ergeben. Hier stellt sich das Problem, wann eine solche Einmischung vorliegt: bei Bewaffnung generell?; auch bei defensiver Bewaffnung?; erst bei offensiver Bewaffnung?; erst bei einer Angriffshandlung?; auch bei der Angriffshandlung eines Repressalienopfers?

Deine These (3) verdient Widerspruch! Leider unterscheidest Du nicht zwischen den Voraussetzungen, die für einen bestimmten Status maßgebend sind (hier: die Voraussetzungen des Umwandlungsabkommens) und den Rechtsfolgen, die sich aus einem bestimmten Status ergeben (hier: verhaltensbedingter Verlust der Schutzrechte des Nichtkombattanten). Die Folge dieser geistigen Ungeordnetheit zeigt sich darin, dass Du von den Rechtsfolgen eines bestimmten Status (Schutzverlust des Nichtkombattanten) auf einen Statuswechsel schließen willst. Dabei hängt doch der Status vom Vorliegen seiner Voraussetzungen ab und nicht vom Eintritt der Rechtsfolgen, die durch ihn erst ermöglicht werden. Dass Du auf der Grundlage dieses groben Denkfehlers sogar eine Umwandlungsmöglichkeit außerhalb der Voraussetzungen des Umwandlungsabkommen erkennen willst und die ausschließliche Anwendung des Umwandlungsabkommens für widerlegt ansiehst, setzt diesem die Krone auf.
Silesia schrieb:
Mit Deinem Beispiel Fryatt hast Du im übrigen, wie auch schon kwschaefer dargelegt hast, den "Problemfall" schlechthin hochgezogen, das denkbar ungeeignetste Beispiel für dieses Thema.
Ganz im Gegenteil! Der Fryatt-Fall ist hervorragend für unseren Disput geeignet, den wir auch über die Frage führten, ob die Bewaffnung eines Handelsschiffs zum Status eines Kriegsschiffs führt.

Das deutsche Marinegericht verurteilte Fryatt – ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt - als Frankiteur zur See zum Tode. Es sah in ihm also einen Nichtkombattanten, der sich in das Kriegsgeschehen durch eine angebliche Angriffshandlung (Rammversuch) einmischte. Wäre das Marinegericht der Auffassung gewesen, dass sich aus der vollzogenen Angriffhandlung ein Statuswechsel vom Nichtkombattanten zum Kombattanten ergibt, hätte es Fryatt nicht verurteilen dürfen, da es Kombattanten bekanntlich erlaubt ist, die Streitkräfte des Feindes anzugreifen.

Was hat dieser Fall mit der Bewaffnung von Handelsschiffen zu tun? Die Problematik der Bewaffnung besteht darin, dass in ihr eine Vorbereitungshandlung gesehen werden kann, für die Anwendung von Gewalt gegenüber den Streitkräften des Feindes. Wenn aber, wie der Fryatt-Fall zeigt, noch nicht einmal die Gewaltanwendung selbst zu einem Statuswechsel führt, gilt dies erst recht für die Vorbereitung einer solchen Gewaltanwendung.
 
Zur Liste der Kriegsschiffe

Silesia schrieb:
Dazu tritt dann nach meiner Auffassung Artikel 6: deklaratorisch kann eine Nation jedes Handelsschiff umwandeln, nämlich durch Eintragung. Diese Wirkung ist wie folgt begründet:
a) es handelt sich ein öffentliches Register. (...)
b) ... welche Funktion denn überhaupt dann diesem Register zuzubilligen wäre.
Du versuchst Deine alte Behauptung, ein Handelsschiff könne sich allein durch die Eintragung zu einem Kriegsschiff umwandeln, dadurch zu belegen, dass unter a) die neue Behauptung aufstellst, bei dieser Liste würde es sich, um ein öffentliches Register handeln. Wie Du auf diese abwegige Idee kommst, offenbart sich unter b): Du hast die Vorstellung, dass es sich bei der Liste um ein öffentliches Register handelt und kannst Dir auch nichts anderes vorstellen. Messerscharf schließt Du nun darauf, dass es sich bei der Liste um ein öffentliches Register handeln muss, dessen Eintragungen ein Handelsschiff auch dann zu einem Kriegsschiff macht, wenn die Kriegsschiffsvoraussetzungen gar nicht vorliegen.

Ich erlaube mir mal, dieser sich im Kreis drehenden Sichtweise etwas Quellenarbeit entgegensetzen:

Der Wortlaut von Artikel 6 des Umwandlungsabkommens lässt die Eintragung in eine bloße „Liste“ genügen. Er fordert nicht die Eintragung in ein „öffentliches Register“. Zudem findet sich im Abkommen nicht nur keine Regel, wonach ein Handelsschiff durch bloße Listung in ein Kriegsschiff umgewandelt werden kann. Aus dem Wortlaut des Artikel 6 wird sogar deutlich, dass eine Listung ohne gleichzeitiges Vorliegen der Umwandlungsvoraussetzungen der Artikel 1 bis 4 rechtswidrig ist. In die Liste der Kriegsschiffe sollen nur die entsprechend Artikel 1 bis 4 umgewandelten Handelsschiffe eingetragen werden. Der Wortlaut des Umwandlungsabkommens streitet also gegen Deine Registertheorie.

Aus den Protokollen der II. Haager Konferenz erklärt sich, was sich die Unterzeichnerstaaten des Umwandlungsabkommens 1907 von der Listung versprochen haben. Hermann Willms berichtet hierüber in seinem 1912 erschienenen Buch „Die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe“. Die Unterzeichnerstaaten konnten sich auf der Konferenz nicht auf das Verbot der Umwandlung auf hoher See und auf das Verbot der Rückverwandlung einigen. Die Unterzeichnerstaaten waren sich aber darin einig, dass durch diesen Dissens nicht der Missbrauch wiederholter Um- und Rückverwandlungen gedeckt werden sollte. Um diesem Missbrauch vorzeugeben, wurde auf russischen Vorschlag die Listung der umgewandelten Handelsschiffe in das Abkommen aufgenommen (Willms, aaO., S. 42 und S. 88). Wenn nun ein Staat zunächst die Umwandlung eines Handelsschiffes bekannt geben würde und dann die Rückverwandlung und dann wieder die Umwandlung und dann wieder die Rückverwandlung, wäre der Missbrauch des Umwandlungsabkommens allen Staaten offenkundig. Dieser von den Unterzeichnerstaaten mit der Listung verfolgte Sinn und Zweck lässt die bloße Bekantmachung von Umwandlung und Rückverwandlung in einem verbreiteten amtlichen Bekanntmachungsblatt genügen. Es ist nicht erforderlich, dass zur Erreichung dieses Zwecks ein öffentliches Register geführt wird. Willms weist ausdrücklich darauf hin, dass die konkrete Ausgestaltung der Liste der Kriegsschiffe den Unterzeichnerstaaten überlassen wurde (Willms, aaO., S. 42). Auch aus den historischen Motiven der Unterzeichnerstaaten ergeben sich keine Anhaltspunkte für Deine Registertheorie.

Allerdings ist Deine Registertheorie mit dem Sinn und Zweck des Umwandlungsabkommens nicht vereinbar. Die Unterzeichnerstaaten wollten zwar einerseits den Nichtkombattanten durch Umwandlung zum Kombattanten die Teilnahme am Seekrieg ermöglichen. Gleichzeitig sollte aber durch die Artikel 1 bis 4 des Umwandlungsabkommens ausgeschlossen werden, dass das überwundene Kaper-Unwesen nebst den zu diesem Unwesen gehörenden Missbräuchen wiederaufblüht. Deshalb machten die Unterzeichnerstaaten in Artikel 1 bis 4 die legale Umwandlung von der Integration des Handelsschiffs in die Kriegsflotte abhängig. Und deshalb wiederspricht es auch dem Sinn und Zweck des Umwandlungsabkommens für die Umwandlung allein die Listung genügen lassen zu wollen, ohne dass die sachlichen Voraussetzungen der Artikel 1 bis 4 vorliegen.

Deiner Registertheorie steht also der Wortlaut, die historische Auslegung und der Sinn und Zweck des Umwandlungsabkommens entgegen. Der Sinn und Zweck der Listung erklärt sich aufgrund der Protokolle der Haager Konferenz anders als von Dir vertreten. Deine Theorie ist nicht plausibel.

silesia schrieb:
c) Wieso kann man dann – nach zwischen den Nationen herrschender Auffassung – keine Delistung vornehmen? Das nach Art. 1-4 „ausgerüstete“ Schiff kann aus dem Register während der Kriegshandlungen nicht mehr gestrichen werden. Demnach verbleibt es ALLEIN aufgrund der Registereintragung im Status des Kriegsschiffes, wie ich meine, ein starker Beleg dafür, dass dem Register eindeutig deklaratorische Wirkung zugemessen wurde, auch wenn die Kriterien des Art. 1-4 später NICHT mehr vorliegen sollten.
Ob eine Delistung möglich war oder nicht hängt davon ab, ob man die Rückverwandlung eines umgewandelten Handelsschiffes für zulässig hielt. Laut Willms war diese Rückverwandlung auch nach dem Umwandlungsabkommen noch möglich (Willms, aaO., S. 43). Sie wurde dort auch nicht verboten. Hierauf konnten sich die Unterzeichnerstaaten nicht einigen.

Übrigens bin ich verwundert, dass Du anerkennst, dass die Liste nur eine deklaratorische Wirkung hatte. Unter einer deklaratorischen Wirkung versteht man, die „Fest- oder Klarstellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, z.B. durch die bestätigende Bescheinigung einer Behörde. Im Ggs. hierzu erzeugt die konstitutive Wirkung eines Rechtsaktes ein Recht oder Rechtsverhältnis, das vorher nicht bestand“ (Brockhaus Enzyklopädie, Fünfter Band COT-DR, 19. Auflage, unter deklaratorischer Wirkung). Wenn die Listung Deiner Auffassung nach nur eine bescheinigende Wirkung hatte, kann allein durch sie, die Kriegschiffeigenschaft auch nicht erzeugt werden.
silesia schrieb:
Warum nun erzeugt das Register Rechtssicherheit? Speziell im Fall der U-Boote ist die Feststellung der übrigen Kriterien (Art. 1-4) im Seekrieg kaum möglich, wenn sie sich getaucht einem Schiff nähern. Sie wären gezwungen, jedes Schiff zunächst nach Prisenordnung aufgetaucht zu stoppen und den Status zu überprüfen. Das umgewidmete Schiff fährt dann schlicht davon. Das kann auch für schnell fahrende Handelsschiffe im Verhältnis zu langsameren Überwasser-Kriegsschiffen gelten.
Hier kommst Du zum eigentlichen Sinn und Zweck Deiner Registertheorie. Es geht darum für die U-Boote ein neues Kriegsrecht zu schaffen, das sie von den Pflichten eines Oberwasserschiffs befreit („new weapon, new rules“). Doch mit dem Völkerrecht ist weder Deine Registertheorie noch die Theorie von der Neuheit der U-Boot-Waffe, die zu neuen Kriegsregeln führen würde, vertretbar.

Zudem wies Joachim Schröder in seinem Buch „Die U-Boote des Kaisers“ (2003) überzeugend nach, dass die deutschen U-Boote sehr wohl hervorragend für einen Handelskrieg nach Prisenordnung geeignet waren (trotz Bewaffnung, Rammversuche, U-Boot-Fallen), wenn man sie nur gelassen hätte.
 
Ganz im Gegenteil! Der Fryatt-Fall ist hervorragend für unseren Disput geeignet, den wir auch über die Frage führten, ob die Bewaffnung eines Handelsschiffs zum Status eines Kriegsschiffs führt.

Das deutsche Marinegericht verurteilte Fryatt – ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt - als Frankiteur zur See zum Tode. Es sah in ihm also einen Nichtkombattanten, der sich in das Kriegsgeschehen durch eine angebliche Angriffshandlung (Rammversuch) einmischte. Wäre das Marinegericht der Auffassung gewesen, dass sich aus der vollzogenen Angriffhandlung ein Statuswechsel vom Nichtkombattanten zum Kombattanten ergibt, hätte es Fryatt nicht verurteilen dürfen, da es Kombattanten bekanntlich erlaubt ist, die Streitkräfte des Feindes anzugreifen.

Was hat dieser Fall mit der Bewaffnung von Handelsschiffen zu tun? Die Problematik der Bewaffnung besteht darin, dass in ihr eine Vorbereitungshandlung gesehen werden kann, für die Anwendung von Gewalt gegenüber den Streitkräften des Feindes. Wenn aber, wie der Fryatt-Fall zeigt, noch nicht einmal die Gewaltanwendung selbst zu einem Statuswechsel führt, gilt dies erst recht für die Vorbereitung einer solchen Gewaltanwendung.

Hallo Gandolf,
das ist ja eine ganze Menge, ich beantworte das einmal nach und nach.

Ok, du bezeichnest den Fryatt-Fall für geeignet in diesem Zusammenhang. Dann gehe ich darauf ein.

Erstmal stellt sich die Frage, wieso er verurteilt wurde. Da wäre ich bis vor einem halben Jahr Deiner Ansicht gewesen, das sei bedeutungslos für die einschätzung des Urteils, jetzt nicht mehr.
Die Verurteilung hatte ausschließlich politische Gründe, wenn Du mehr dazu wissen möchtest - PN an mich. Was dazu in der älteren Literatur steht, ist nach den mir erteilten Auskünften falsch. Was das Marinegericht dazu meinte, war vorgegeben und wurde instrumentalisiert. Der Fryatt-Fall zeigt nichts in diesem Zusammenhang.

Zu dieser Aussage:
"Wenn aber, wie der Fryatt-Fall zeigt, noch nicht einmal die Gewaltanwendung selbst zu einem Statuswechsel führt, gilt dies erst recht für die Vorbereitung einer solchen Gewaltanwendung".
Vorab:
Es gab nach der Mitteilung von Ganßer, U33 an das Gericht keine Bedrohung. Die Gewaltanwendung des Rammversuches ist im übrigen von der Vorbereitung der Bewaffnung zu unterscheiden, da ein Rammversuch mit einem bewaffneten oder unbewaffneten Schiff unternommen werden kann. Der Rammversuch hat daher nichts mit der Beurteilung der vorbereiteten Bewaffnung zu tun. Das belege ich wie folgt:

1. Welche Bedeutung die vorbereitete Bewaffung tatsächlich hatte, siehe Quellen oben: Befehl vom 22.6.1914, Reichsgesetzblatt 1914, S. 300. Das hast Du wahrscheinlich übersehen, es ist damit geklärt und bedarf keiner weiteren Betrachtung in der Rechtsprechung.

2. Dann folgt eine in diesem Zusammenhang unangebrachte Analogie (die juristisch stets gefährlich ist :) ):
Die Bewaffnung kann, MUSS ABER NICHT mit dem Fall der Bestrafung bei Widersetzung gegen die Prisenordnung zu tun haben. So auch hier: Es steht zunächst nach dem Sachverhalt/Urteil außer Frage, das Fryatt kein Kriegsschiff, sondern ein Handelsschiff gesteuert hat. Wie du nun auf einmal bei geleistetem Widerstand auf "Statuswechsel" kommen kannst, erschließt sich mir nicht. Zur Erläuterung:
Es gibt theoretisch/denklogisch zwei Fälle:
a. Es liegt ein Kriegsschiff vor, dieses leistet Widerstand. Die Mannschaften sind als Kriegsgefangene zu behandeln, fertig.
b. Es liegt ein Handelsschiff vor, dieses leistet Widerstand (was wie angemerkt im Fryatt-Fall tatsächlich - entgegen des Urteils - nicht gegeben war), darauf folgt Bestrafung.

Widerstand kann also niemals statusbildend sein, sonst würde zwingend die Bestrafung wegfallen.

Was soll nun in diesem Zusammenhang der Hinweis auf eine mögliche "Umwandlung" durch den geleisteten Widerstand? Die Kette Handelsschiff - Bewaffnung - Kriegsschiff ist streitig, die mögliche Kette Handelsschiff - Widerstand - Kriegsschiff hat das Deutsche Reich dagegen zu keinem Zeitpunkt vorgetragen.

Der Vergleich des "Widerstandes" ("noch nicht einmal die Gewaltanwendung...") mit der vorbereiteten oder vorhandenen Bewaffnung, über die zwischen den Nationen Streit bzgl. der Statusbildung (!) herrschte, geht folglich fehl. Der Fall Fryatt ist - unabhängig von seiner bis dato falschen Darstellung - ohne Belang für die umstrittene statusbildende Einstufung der Bewaffnung, er hat mit der Statusfrage von Handelsschiffen nichts zu tun.

Das war auch der Grund, warum ich vorgeschlagen hatte, den Fryatt-Fall in unserer Diskussion nicht weiter zu verfolgen, da er zu nichts führt.

Grüße
Thomas

P.S. Wenn Du noch etwas abwartest, würde ich gerne auch auf den Rest noch eingehen.
 
Hallo Gandolf,

ich versuche das einmal zu ordnen, soweit es die Frage der Bewaffnung betrifft:
These: Art. 1 bis 4 regeln kumulativ und abschließend die Konvertierung von Handelsschiffen zu Kriegsschiffen.
Danach dürfte die Frage der Bewaffnung, unabhängig von Art. 1 bis 4, keine Rolle für die Einstufung des Schiffes spielen.

Probleme:
1. deutsche Interpretation moniert die Bewaffnung (generell!) als Konvertierungsgrund (deutsche Note vom 11.5.1915 an USA, Marinearchiv, Der Krieg zur See 1914-1918, Reihe Der Handelskrieg mit U-Booten, Band 2, S. 90).

2. britische Interpretation sieht defensive Bewaffnung als konform mit der Deklarierung als Handelsschiff, dieses impliziert ebenfalls, dass Offensivbewaffnung die Eigenschaft als Handelsschiff stört. Staufenberg, ZAÖRV 1938, S. 45/46: Die Stretifrage war nun, ob diese Schiffe ihren Status als Handelsschiff behalten. Von deutscher Seite wurde die Unzulässigkeit der Bewaffnung überhaupt behauptet, allerdings kam man der anderen Auffassung entgegen, weil Besatzungen bewaffneter Handelsschiffe nicht bestraft wurden, sondern als Kriegsgefangene behandelt worden sind. Von Seiten der Gegner ist die Zulässigkeit der Bewaffnung zu Verteidigungszwecken stets behauptet worden.

3. in der Antwortnote vom 15.5.1915 im Lusitania-Zwischenfall stellt die US-Regierung darauf ab, dass Handelsschiffe unbewaffnet seien (Marine-Archiv, U-Boote 2, S. 93: „sie nimmt ferner an, dass … die kaiserliche Regierung als selbstverständlich die Regel anerkennt, dass das Leben von Nichtkombattanten rechtlicher … Weise nicht durch … Zerstörung eines unbewaffneten Handelsschiffes in Gefahr gebracht werden kann ...“).
Zu den Problemen eines neutralen Staates wie der USA 1915 s.o., im Problem der Abgrenzung zulässiger Bewaffnung. Die Frage der Bewaffnung hat gerade nichts mit dem Abkommen zu tun, da sie darin nicht geregelt ist. Es geht um die Akzeptanz des Seekriegsrecht (Seekriegs-Gewohnheitsrechts). Von daher ist auch NICHT relevant, ob die USA das Abkommen unterzeichnet hat. Antwortnote vom 28.5.1915 der Kaiserlichen Regierung: „Die Regierung der Vereinigten Staaten geht davon aus, dass die Lusitania als ein gewöhnliches, unbewaffnetes Handelsschiff zu betrachten ist.“ Sie sei aber mit Geschützen versehen worden (was nicht stimmte, s.o.) und war folglich ein Hilfskreuzer (=Kriegsschiff). Ebenda, S. 96. Bericht Graf Bernstorff vom 2.6.1915 an Berlin über Unterredung im Weißen Haus: „Die … angekündigte Antwortnote der amerikanischen Regierung ging zunächst auf die Frage der Bewaffnung … ein: … die Behauptung, der englische Passagierdampfer habe Geschütze … an Bord gehabt, sowie alle daraus gezogenen deutschen Schlussfolgerungen (sic!) wären unzutreffend.“ Ebenda, S. 160. Weiter zur Frage der Bewaffnung in der 2. Note der USA vom 10.6.1915: „… wird behauptet, dass die Lusitania zweifellos bewaffnet gewesen sei … Falls die in Eurer Excellenz Note angeführten Tatsachen zuträfen, wäre die Regierung der Vereinigten Staaten verpflichtet gewesen, davon amtlich Kenntnis zu nehmen in Ausübung ihrer anerkannten Pflicht als neutrale Macht und in Anwendung ihrer nationalen Gesetze. Es wäre ihre Pflicht gewesen, darauf zu achten, dass die Lusitania für ein angriffsweises Vorgehen NICHT bewaffnet war, … und dass sie, wenn sie tatsächlich ein englisches Hilfskriegsschiff war, KEINE Klarierungspapiere als Handelsschiff erhalten durfte.“ Ebenda, S. 163.
Weitere Hinweise zum bestehenden Streit: Higgins, Defensively Armed Merchant Ships and Submarine Warfare, London 1917. Die Konferenz von 1907/1909 formulierten im übrigen nur die inzwischen herausgebildete völkerrechtliche Anschauung (Sohler, U-Boot-Krieg, S. 6), z. B. : „The signatory powers are agreed that the rules … correspond in substance with „generally recognized principles of international law“. (S. 8), also die Klarstellung und Formulierung geltenden (Völker-)Gewohnheitsrechts. Die Einhaltung hatte im übrigen der amerikanische Staatssekretär den kriegführenden Mächten empfohlen. Die Verträge als Formulierung von Völkergewohnheitsrecht stellt auch Staufenberg fest, ZAÖRV 1938, S. 24.

4. Der Streit ging auch danach weiter: In Art. 22 des Londoner Flottenabkommens fehlt die überragend wichtige Definition des Handelsschiffsbegriffs wegen des fortdauernden Streits um die Frage der (gerade noch zulässigen!) Bewaffnung. „Fasst man entsprechend der britischen Auffassung auch den bewaffneten Frachter als Handelsschiff auf, …Sieht man dagegen in dem bewaffneten Frachter ein Kriegschiff, werden die Abmachungen dann wertlos, wenn, wie am Ende des Ersten Weltkrieges in England, 90% der Handelsschiffe bewaffnet werden, demnach also wie Kriegsschiffe der warnungslosen Versenkung anheim fallen“ (Sohler, S. 12).

Konklusion: Es gab 1915 und 1939 zu Kriegsschiffen konvertierte, ehemalige Handelsschiffe entweder bei jeder Form der Bewaffnung (Extremfall), in jedem Fall aber in Abhängigkeit von der Qualität der Bewaffnung (im Übergang von Defensiv- zu Offensivbewaffnung). Damit sind die Regelungen in Art. 1 bis 4 nicht abschließend. Damit können (müssen?) durch Bewaffnung umgewandelte, ebenso wie für den Kriegsfall zur Bewaffnung vorbereitete Handelsschiffe in die shiplist der konvertierten Handelsschiffe (=Kriegschiffe) aufgenommen werden.

Diesen Streit werden wir wohl nicht entscheiden können, meine Absicht war, ihn nochmals erklärend festzuhalten.

Grüße
Thomas
 
Hallo,

obiges kann ich leider nicht mehr editieren.
Nachsatz zum Verhalten der neutralen Staaten gegenüber der Bewaffnung von Handelsschiffen:

1. Der Beurteilung der USA über die Zulässigkeit ausschließlich defensiver Bewaffnung haben sich angeschlossen:
Argentinien, Brasilien, Chile, China, Columbien, Cuba, Ekquador, El Salvador, Honduras, Norwegen, Paraguay, Peru, Spanien, Uruguay, Venezuela.
(jeweils unter dem Vorbehalt, ob nach Sachverhalt eine defensive oder offensive Bewaffnung vorlag).

2. die Niederlande behandelten bewaffnete Handelsschiffe gundsätzlich als Kriegsschiffe. Dieses mit Verweis auf die Stellungnahme des Völkerrechtlers van Eysinga vor der International Law Association, Reports on Executive Council 1913/14 und 1914/15. Eysinga schlug wegen der vorher gesehenen Probleme den "Zwitter" als armed merchantman, mit dem Status navires de guerre auxiliaires. Note der niederländischen Regierung vom 7.4.1915: Die Beachtung strenger Neutralität verpflichtet die holländische regierung, als Kriegsschiffe alle die Handelsschiffe der Kriegführenden zu behandeln, welche bewaffnet und daher auch in der lage sind, kriegerische Handlungen zu begehen.

3. 3 von 5 Nationen auf der Flottenkonferenz 1922 (Japan, Frankreich, Italien) stellten fest, dass nur das unbewaffnete Handelsschiff als "Handelsschiff" akzeptiert werden könne. Der Kompromiß sah vor, keine Definition für das Handelsschiff aufzunehmen, um eine Resolution verabschieden zu können.

Grüße
Thomas
 
silesia (# 289) schrieb:
Die Konferenz von 1907/1909 formulierten im übrigen nur die inzwischen herausgebildete völkerrechtliche Anschauung ... also die Klarstellung und Formulierung geltenden (Völker-)Gewohnheitsrechts.
Vor dem Umwandlungsabkommen (1907) waren sich die Seemächte allein über das „Ob" der Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe einig. Über das „Wie" der Umwandlung bestanden große Differenzen. Die hieraus resultierende Rechtsunsicherheit war für alle Staaten misslich. Im Kriegsfall bestand die Gefahr, dass ein nach den eigenen Vorstellungen ordnungsgemäß umgewandeltes Handelsschiff vom Feind als Kaper (Seeräuber) betrachtet wurde mit der Folge, dass dessen Mannschaft möglicherweise wegen Kaperei hingerichtet wurde. Aus diesem Grunde schlug die russische Regierung vor, die II. Haager Friedenskonferenz möge für die erforderliche Rechtssicherheit sorgen. Die Aufgabe der Konferenz bestand somit darin, sich über das „Wie" der Umwandlung der „Hilfskreuzer" zu einigen durch die Formulierung eines einheitlichen, abschließenden und verbindlichen Umwandlungstatbestandes: "Völkerrechtlich muss feststehen, wann solche Schiffe als Kriegsschiffe anzusehen sind und wann nicht, da sich an diesen Begriff bestimmte Rechte und Pflichten knüpfen" (Otfried Nippold, S. 10).
Silesia (# 289) schrieb:
1. deutsche Interpretation ...
2. britische Interpretation ...
3. in der Antwortnote vom 15.5.1915 ... stellt die US-Regierung darauf ab
4. Der Streit ging auch danach weiter:...
... Damit sind die Regelungen in Art. 1 bis 4 nicht abschließend.
Leider lässt Du Dich bei Deinen Beiträgen nicht von den Völkerrechtsquellen (Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht) leiten. Diese müssen jedoch im Zentrum völkerrechtlicher Betrachtungen stehen, da sich aus ihnen das Völkerrecht ergibt und das Völkerrecht den Maßstab für die Beurteilung des Staatenverhaltens darstellt. Du hingegen stellst diese und jene Regierungserklärung in das Zentrum Deiner Betrachtungen, aus denen Du dann versuchst, auf das angeblich geltende Völkerrecht zu schließen. Das ist ungefähr so richtig, wie wenn man von den Steuererklärungen auf das Steuerrecht oder von den Straftaten auf das Strafrecht schließen würde.

Die Frage der Abgeschlossenheit des Abkommens ist - methodisch korrekt - durch dessen Auslegung zu ermitteln; d.h. anhand von Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des Abkommens.

Schon aus dem Wortlaut des Eingangs des Abkommens ergibt sich, dass dessen Aufgabe darin bestand, „die Bedingungen festzustellen" unter denen eine Umwandlung „vorgenommen werden kann". Was nicht im Abkommen als Umwandlungstatbestand festgestellt wurde, soll demnach auch keiner sein. In Zusammenhang mit dem einen Halbsatz später folgenden Vorbehalt bezüglich des Orts der Umwandlung wird die Regelungstechnik des Abkommens ersichtlich. Ältere Auffassungen zu den erforderlichen Modalitäten der Umwandlung sollen vom Abkommen verdrängt werden, soweit deren Fortgeltung nicht ausdrücklich vorbehalten wurde. In Zusammenhang mit dem oben bereits beschriebenen Sinn und Zweck des Abkommens verdichtet sich dieses Verständnis vom grundsätzlich abgeschlossenen und verdrängenden Charakter des Abkommens.

Aus den Protokollen der Haager Konferenz ist nicht ersichtlich, dass sich ein Staat das Recht vorbehielt, künftig Handelsschiffe auch durch Bewaffnung umwandeln zu wollen. Vielmehr wird aus diesen deutlich, dass sich die Konferenzteilnehmer bewusst für den Kriegsschiff-Begriff von Perels entschieden haben, wonach „die Bestimmung für militärische Zwecke (...) nicht erforderlich (ist), ebenso wenig die Armierung" (Willms, s.u., S. 39). Mehr noch: Aus den Protokollen ergibt sich zudem, dass die Niederlande eine Art Strafbestimmung vorschlugen: „Jedes Schiff, das Kriegsschiff zu sein behauptet, ohne den angegebenen Bedingungen zu entsprechen, wird als Seeräuber behandelt werden" (zitiert nach Willms, s.u., S. 72). Diese Bestimmung fand zwar keine Aufnahme in das Abkommen. Die Niederlande begnügten sich mit dem Vermerk der allgemeinen Zustimmung im Protokoll (so Willms, s.u., S. 72). ABER diese Zustimmung belegt, dass die Konferenzteilnehmer selbst das Abkommen als abschließend und älteres Recht verdrängend verstanden.

Fazit: Das Umwandlungsabkommen hatte einen abschließenden und verdrängenden Charakter (Ausnahme: Ort der Umwandlung).
(1) Silesia (# 276): Deutschland hat die Status-Frage der Bewaffnung von Handelsschiffen bereits während des Krieges zwar bestritten, aber entgegenkommend behandelt, als es die Besatzung von mit Waffen Widerstand leistender Handelsschiffe nicht bestrafte, sondern als Kriegsgefangene behandelte (Befehl vom 22.6.1914, RGBl. 1914, S. 300).
(2) Silesia (# 285): Im Klartext: es hat entgegen der vertretenen Auffassung zur Bewaffnung die Besatzungen als Besatzungen eines Kriegsschiffes behandelt, etwas, was es nach Deiner These überhaupt nicht geben dürfte.
(3) Nr. 99 der Prisenordnung des Deutschen Reichs, ausgegeben am 3.8.1914 (RGBl. 1914, 275 ff.): „Ist ein Schiff nach 16b (Widerstand) oder 55a (Teilnahme an Feindseligkeiten) aufgebracht worden, so kann mit denjenigen Personen, die ohne in die feindliche Streitmacht eingereiht zu sein, an den Feindseligkeiten teilgenommen oder gewaltsam Widerstand geleistet haben, nach dem Kriegsbrauche verfahren werden. Die übrigen Personen der Besatzung werden zu Kriegsgefangenen gemacht. Wegen der Besatzungen bewaffneter Handelsschiffe siehe Anlage."
(4) Nr. 1 des Befehls vom 22. Juni 1914 (RGBl. 1914, S. 300) als Anlage zur Prisenordnung (3): Die Ausübung des Anhaltungs-, Durchsuchungs- und Wegnamerechts sowie jeder Angriff seitens eines bewaffneten Handelsschiffs gegenüber einem deutschen oder neutralen Handelsschiff gilt als Seeraub. Gegen die Besatzung ist gemäß der Verordnung über das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren vorzugehen.
(5) Nr. 2 des Befehls vom 22.6.1914 (RGBl.1914, 300) als Anlage zur Prisenordnung (3): Leitet ein bewaffnetes feindliches Kauffahrteischiff bewaffneten Widerstand gegen prisenrechtliche Maßnahmen, so ist dieser mit allen Mitteln zu brechen. Die Verantwortung für jeden Schaden, den Schiff, Ladung und Passagiere dabei erleiden, trägt die feindliche Regierung. Die Besatzung ist als kriegsgefangen zu behandeln. Die Passagiere sind zu entlassen, außer wenn sie sich nachweislich am Widerstand beteiligt haben. Im letzteren Falle ist gegen sie das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren anzuwenden.
Warum war die Deutsche Regierung der Auffassung, dem Feind durch die Behandlung der Mannschaften widerstandsleistender bewaffneter feindlicher Handelsschiffe als Kriegsgefangene entgegen gekommen zu sein (1)?

Wenn die Deutsche Regierung zu Kriegsbeginn, dem Zeitpunkt der Befehlsausgabe (3), der Auffassung gewesen wäre, dass sich Handelsschiffe durch Bewaffnung in Kriegsschiffe umwandeln, hätte sie deren Mannschaften ohne weiteres als echte Kriegsgefangene behandeln müssen und auf deren Bestrafung verzichten müssen. Diese Vorgehensweise wäre dann selbstverständlich gewesen und kein deutsches Entgegenkommen.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus (2): Die deutsche Regierung sah zu Kriegsbeginn in der Bewaffnung keinen Statuswechsel. Folglich stufte sie die Mannschaften bewaffneter Handelsschiffe als Mannschaften von Handelsschiffen ein. Bei deren Widerstandsleistung hielt sie sich für berechtigt, die Mannschaftsmitglieder als Frankiteure zur See hinrichten zu lassen (3). Das Entgegenkommen bestand folglich aus Sicht der deutschen Regierung darin, dass Deutschland in Nr. 2 des Befehls vom 22.6.1914 auf diese an sich einschlägige Vorgehensweise verzichtete (5).

Dieses Bild bestätigt sich bei Lektüre der Nr. 1 des Befehls vom 22.6.1914 (4). Hätte das Deutsche Reich zum Zeitpunkt der Befehlsausgabe die Statuswechsel-Theorie vertreten, hätte es einem bewaffneten Handelsschiff (da Kriegsschiff!) auch alle Rechte eines Kriegsschiffs zugestehen müssen. Insbesondere hätte ein solches Schiff bei solchem Verständnis auch prisenrechtliche Maßnahmen gegenüber anderen Handelsschiffen durchführen dürfen. Doch in Nr. 1 des zitierten Befehls (4) wurde diese Konsequenz gerade nicht gezogen.

Fazit: Ganz offensichtlich sah die Deutsche Regierung zum Zeitpunkt der Befehlsausgabe (3.8.1914) in der Bewaffnung keinen Umwandlungstatbestand.

Das Pech von Fryatt bestand darin, dass es im Deutschen Prisenrecht keine entgegenkommende Regel für widerstandsleistende unbewaffnete Handelsschiffe gab. Das deutsche Marinegericht nutzte diese Lücke eiskalt aus, um Fryatt als Frankiteur zur See hinrichten zu lassen. In diesem Zusammenhang fand ich es doch ein bisschen unschön von Dir, dass Du in Beitrag # 288 den Eindruck erweckt hast, ich würde die Auffassung vertreten, ein geleisteter Widerstand wandle ein Handelsschiff in ein Kriegsschiff um. Dabei bin ich in unserer Diskussion derjenige von uns beiden, der in der Bewaffnung als eine widerstandsvorbereitende Handlung schon deshalb keinen Umwandlungstatbestand sehen kann, weil selbst der geleistete Widerstand keinen Umwandlungstatbestand darstellte.
(1) Silesia (# 289): deutsche Interpretation moniert die Bewaffnung (generell!) als Konvertierungsgrund
(2) Silesia (# 290): die Niederlande behandelten bewaffnete Handelsschiffe grundsätzlich als Kriegsschiffe.
(3) Silesia (# 289): britische Interpretation sieht defensive Bewaffnung als konform mit der Deklarierung als Handelsschiff, dieses impliziert ebenfalls, dass Offensivbewaffnung die Eigenschaft als Handelsschiff stört.
(4) Silesia (# 289): ... in der Antwortnote vom 15.5.1915 ... 2. Note der USA vom 10.6.1915 ...
(5) Silesia (# 290): Der Beurteilung der USA über die Zulässigkeit ausschließlich defensiver Bewaffnung haben sich angeschlossen: Argentinien, Brasilien, Chile, China, Columbien, Cuba, Ekquador, El Salvador, Honduras, Norwegen, Paraguay, Peru, Spanien, Uruguay, Venezuela. (jeweils unter dem Vorbehalt, ob nach Sachverhalt eine defensive oder offensive Bewaffnung vorlag).
Wie zuvor gezeigt widerspricht die Auffassung, ein Handelsschiff wandle sich durch Bewaffnung in ein Kriegsschiff um (1), dem Umwandlungsabkommen (1907).

Nun wird in Fällen der Vertragsabweichung gerne vorgetragen, diese und jene Regierung habe der Vertragsabweichung doch mehr oder weniger zugestimmt - vgl. (2) -, so dass die Abweichung auch keinen Rechtsbruch darstellen könne. Um den Usern mal ein Gespür dafür zu geben, welche Anforderungen an eine gewohnheitsrechtliche Abänderung eines Vertrags gestellt werden, erlaube ich mir folgendes Zitat aus der Völkerrechtslehre: „Für die Entstehung von Gewohnheitsrecht braucht nicht notwendig eine gleichartige Praxis aller beteiligten Staaten nachgewiesen zu werden, sondern es genügt die Praxis der überwiegenden Mehrzahl der sachlich beteiligten Staaten, sofern bei hinreichender Dauer dieser Praxis die übrigen Staaten kein gegenteiliges Verhalten gezeigt oder keine rechtliche Verwahrung dagegen erhoben haben" (Günther Jaenicke, S. 769).
Das Umwandlungsabkommen wurde von 40 Staaten unterzeichnet. Silesias Recherchen zufolge wurde die vom Abkommen abweichende Auffassung von Deutschland (1) und den Niederlanden (2) geteilt. Selbst wenn man noch die deutschen Verbündeten (Stand: 1.5.1915) ÖU und Türkei hinzurechnet, folgten der deutschen Auffassung lediglich 4 Unterzeichnerstaaten. 4 ist keine überwiegende Mehrzahl von 40!!!

Bei (3) bis (5) unterläuft Dir, @silesia, ein Denkfehler, der sich wie ein roter Faden durch Deine Beiträge zieht. Die von Dir erwähnte „Implikation" ist falsch. Bei der deutschen Gegenposition störte die Offensivbewaffnung nicht den Handelsschiff-Status sondern diese ließ lediglich den völkerrechtlichen Schutz dieser Schiffe vor warnungslosen Angriffen entfallen. Dennoch handelte es sich bei diesen Schiffen um Handelsschiffe, so dass diese nicht berechtigt waren, gegenüber anderen Handelsschiffen Kriegshandlungen vorzunehmen (z.B. prisenrechtliche Maßnahmen).

Aber immerhin wird deutlich, dass Argentinien, Brasilien, Chile, Großbritannien, Kolumbien, Kuba, Ecuador, Norwegen, Paraguay, Peru, Spanien, Salvador und Venezuela der vom Umwandlungsabkommen abweichenden Auffassung, eine Bewaffnung führe zu einem Statuswechsel (1), widersprochen haben. Rechnet man noch die britischen Verbündeten Belgien, Frankreich, Japan, Luxemburg, Montenegro, Russland und Serbien (Stand: 1.5.1915) hinzu, widersprachen der deutschen Vertragsabweichung bis Mai 1915 die Hälfte der 40 Unterzeichnerstaaten!!!

Von einer gewohnheitsrechtlichen Abänderung des Umwandlungsabkommens kann also keine Rede sein!!!
(1) Silesia (# 289): Der Streit ging auch danach weiter: In Art. 22 des Londoner Flottenabkommens fehlt die überragend wichtige Definition des Handelsschiffsbegriffs wegen des fortdauernden Streits um die Frage der (gerade noch zulässigen!) Bewaffnung.
(2) Silesia (# 290): 3 von 5 Nationen auf der Flottenkonferenz 1922 (Japan, Frankreich, Italien) stellten fest, dass nur das unbewaffnete Handelsschiff als "Handelsschiff" akzeptiert werden.
(3) Silesia (#289): Staufenberg, ZAÖRV 1938, S. 45/46
(4) Staufenberg, ZAÖRV 1938, S. 45: „Seit dem Kriege hat die Anschauung, dass das zu Verteidigungszwecken bewaffnete Handelsschiff seinen Status als Handelsschiff behält, allgemeine Anerkennung gefunden. (...) Auch eine Prüfung der Verhandlungen auf der Washingtoner Konferenz von 1921/22 und der Londoner Konferenz von 1930 führt zu keinem anderen Ergebnis."
Bei (1) und (2) teilst Du leider keine Quellen mit. Bei dem von Dir an anderer Stelle zitierten Staufenberg (3) kommt man hinsichtlich der weiteren Rechtsentwicklung zu einem ganz anderen Ergebnis: (4).

Übrigens darfst Du Dir neben Staufenbergs Formulierung „seit dem Kriege" folgende Bemerkung hinzudenken: „erst ?". Die Zulässigkeit der defensiven Bewaffnung von Handelsschiffen war seit den Tagen der Piraterie und Kaperei bekannt, der Umwandlungstatbestand seit dem Umwandlungsabkommen (1907). Hier muss man die Situation von Staufenberg berücksichtigen. Dieser musste sich bei seinem Aufsatz über das französische Prisenrecht des Jahres 1938 mit dem genauen Zeitpunkt der allgemeinen Anerkennung gar nicht beschäftigen. Auch wäre es ihm unter den Bedingungen des NS-Staates nicht gut bekommen, ohne „Deckung von oben" dem Deutschen Kaiserreich in einer zentralen Frage des Völkerrechts des Ersten WK ein völkerrechtswidriges Verhalten zu attestieren.

____
Und was bedeutet das alles für den Lusitania-Fall?

Nunja, die These, dass die Lusitania bewaffnet war, „lässt sich bis heute nicht beweisen" (Joachim Schröder, Die U-Boote des Kaisers, 2003, S. 127).
 
Hier die Literaturangaben zu # 291:

1. Prisenordnung des Deutschen Reichs vom 30.09.1909, ausgegeben zu Berlin, dem 3. August 1914 (RGBl. 1914, S. 275 ff.);

2. Befehl für die Seebefehlshaber und Kommandanten über ihr Verhalten beim Zusammentreffen mit bewaffneten Handelsschiffen im Kriege vom 22. Juni 1914 (RGBl. 1914, S. 300);

3. VII. Hager Abkommen über die Umwandlung von Kauffahrteischiffe in Kriegsschiffe vom 18. Oktober 1907 (Umwandlungsabkommen)

4. Günther Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Dritter Band (R-Z), 1962;

5. Otfried Nippold, Die II. Haager Friedenskonferenz, in: Theodor Niemeyer (Hrsg.), Zeitschrift für Internationales Recht, Band 21 (1911);

6. Joachim Schröder, Die U-Boote des Kaisers, 2003, S. 127;

7. Berthold Schenk Graf Staufenberg, Das Prisenrecht der französischen Instruktionen vom 8. März 1934, ZAÖRV 1938, S. 23, 45/46;

8. Herrmann Willms, „Die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe" (1912).
 
In diesem Zusammenhang fand ich es doch ein bisschen unschön von Dir, dass Du in Beitrag # 288 den Eindruck erweckt hast, ich würde die Auffassung vertreten, ein geleisteter Widerstand wandle ein Handelsschiff in ein Kriegsschiff um. Dabei bin ich in unserer Diskussion derjenige von uns beiden, der in der Bewaffnung als eine widerstandsvorbereitende Handlung schon deshalb keinen Umwandlungstatbestand sehen kann, weil selbst der geleistete Widerstand keinen Umwandlungstatbestand darstellte.

Hallo gandolf,

eines vorweg zur Klarstellung, der Rest dauert.
Hier wollte ich Dir natürlich nichts unterstellen, ich hatte mich auf das von Dir wie folgt angesprochene Problem bezogen:

"Wenn aber, wie der Fryatt-Fall zeigt, noch nicht einmal die Gewaltanwendung selbst zu einem Statuswechsel führt, gilt dies erst recht für die Vorbereitung einer solchen Gewaltanwendung."

Als "Vorbereitung der Gewaltanwendung" hatte ich das Problem der Bewaffnung verstanden (oder sollte hier etwas anderes gemeint gewesen sein?). Dann folgt ein Analogieschluß von Dir: Wenn Widerstand NICHT zur Umwandlung führt, soll die Vorbereitung ebenfalls nicht dazu führen. Darauf bin ich eingegangen.

Mein Schluß:
Der Vergleich des "Widerstandes" ("noch nicht einmal die Gewaltanwendung...") mit der vorbereiteten oder vorhandenen Bewaffnung, über die zwischen den Nationen Streit bzgl. der Statusbildung (!) herrschte, geht folglich fehl. Der Fall Fryatt ist - unabhängig von seiner bis dato falschen Darstellung - ohne Belang für die umstrittene statusbildende Einstufung der Bewaffnung, er hat mit der Statusfrage von Handelsschiffen nichts zu tun.

Falls die Interpretation Deiner gezogenen Analogie (nur um dsie ging es mir) falsch sein sollte, ziehe ich das natürlich zurück. Der Fryatt-Fall kann nach dem (im Urteil verfälschten) Sachverhalt weder zur Beurteilung des Widerstandes, noch zur Frage der Bewaffnung verwendet werden. Etwas drastischer: Es handelt sich um Lynchjustiz der U-Boot-Fraktion in der kaiserlichen Marine, ein ausgenutztes Politikum im internen Streit. Das ist der Grund, warum ich darüber eigentlich nicht diskutieren wollte.

Grüße
Thomas
 
Einen kleinen Hinweis hätte ich hier:
Die Stauffenbergs (Familiensitz bei mir um die Ecke) schreiben sich mit DoppelFF.

Nicht weiter wichtig, aber ich "zucke" immer beim lesen.

Grüße Repo
Du hast ja recht. Hoffentlich bleiben die Zuckungen nun aus.:D
Als "Vorbereitung der Gewaltanwendung" hatte ich das Problem der Bewaffnung verstanden (oder sollte hier etwas anderes gemeint gewesen sein?). Dann folgt ein Analogieschluß von Dir: Wenn Widerstand NICHT zur Umwandlung führt, soll die Vorbereitung ebenfalls nicht dazu führen. Darauf bin ich eingegangen.

Mein Schluß:
Der Vergleich des "Widerstandes" ("noch nicht einmal die Gewaltanwendung...") mit der vorbereiteten oder vorhandenen Bewaffnung, über die zwischen den Nationen Streit bzgl. der Statusbildung (!) herrschte, geht folglich fehl.
Folglich??? Auch in dieser Frage lohnt es sich am Regelwerk zu orientieren. Die Deutsche Prisenordnung selbst behandelt den Fall des bewaffneten Handelsschiffs in Satz 3 jener Norm, die sich mit den Folgen der Widerstandsleistung bzw. tätigen Feindseligkeit eines Handelsschiffs (Nr. 99) beschäftigt. Das war auch logisch, da es sich bei der Bewaffnung um eine Vorbereitungshandlung für eine Widerstandsleistung bzw. tätige Feindseligkeit handelt. Vor diesem Hintergrund erscheint mir Dein Schluß doch ziemlich quellenfern.

Freilich sah die Prisenordnung wie Du ja selbst mitgeteilt hast aus Gründen des Entgegenkommens für die Mannschaften bewaffneter feindlicher Handelsschiffe eine Ausnahme von dem in Nr. 99 aufgestellten Grundsatz der Bestrafung vor. Das ändert aber nichts daran, dass das Deutsche Reich die Rechtslage jedenfalls zum Zeitpunkt der Ausgabe der Prisenordnung dahingehend einschätzte, dass Mannschaften bewaffneter feindlicher Handelsschiffe, wenn es nur nach dem Recht ginge und keine Kulanz gewährt würde, als Frankiteure zu bestrafen sind, was wiederum bedeutete, dass es bewaffnete Handelsschiffe als Handelsschiffe qualifizierte und nicht als Kriegsschiffe.
silesia schrieb:
Der Fryatt-Fall kann nach dem (im Urteil verfälschten) Sachverhalt weder zur Beurteilung des Widerstandes, noch zur Frage der Bewaffnung verwendet werden. Etwas drastischer: Es handelt sich um Lynchjustiz der U-Boot-Fraktion in der kaiserlichen Marine, ein ausgenutztes Politikum im internen Streit. Das ist der Grund, warum ich darüber eigentlich nicht diskutieren wollte.
Der Fall Fryatt ist - jenseits aller Prozessmanipulationen - deshalb so aufschlussreich, weil aus der Urteilsbegründung der oben von mir dargestellte Zusammenhang deutlich wird. Der kulanzweise gewährte Verzicht auf Bestrafung galt seinem Wortlaut nach nur für bewaffnete feindliche Handelsschiffe, siehe Nr. 2 der Anlage. Fryatts Handelsschiff war nicht bewaffnet. DESHALB griff das Entgegenkommen (der Verzicht) nicht. Eine analoge Anwendung des Verzichts wurde vom Marinegericht abgelehnt, da es sich bei dem Verzicht um ein ENTGEGENKOMMEN handelte und nicht um einen Rechtsanspruch. Fryatts Verurteilung legt also den Blick dafür frei, wie das Deutsche Reich eigentlich gedachte mit Mannschaften bewaffneter Handelsschiffe umgehen zu können. Und diese Vorstellung basierte auf der Einstufung von bewaffneten Handelsschiffe als Handelsschiffe und eben nicht auf der Einstufung als Kriegsschiffe!!!


Hinweis:
Nr. 99 der Deutschen Prisenordnung nebst Anlage habe ich in # 291 wörtlich wiedergegeben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nach einer längeren Denkpause zum Fall Fryatt:

Da vermag ich Deinem Rückschluss nicht zu folgen, denn die Frage der Eigenschaft eines Kriegsschiffes war für den Fryatt-Fall nicht prozessrelevant, da nach dem Sachverhalt nicht gegeben.
Zum Sachverhalt:
Fryatt war Kapitän eines unbewaffneten Handelsschiffes, nicht in der Kriegsschiffsliste bzw. Umwandlungsliste zum Hilfskreuzer enthalten, das von einem deutschen Unterseeboot U-33 nach Prisenordnung gestoppt werden sollte. Fryatt kam den Anordnungen nicht nach und beschleunigte das Schiff, wodurch es entkam. Fryatts Schiff wurde später durch ein deutsches Torpedoboot gefangen genommen. Es kam zum Prozess, wobei der Vorwurf erhoben wurde, Fryatt habe nach dem Stoppbefehl mit einem unbewaffneten Handelsschiff (als Nicht-Kombattant) ein Rammmanöver gegen das U-Boot eingeleitet. Nach den Prozessakten (über 900 Seiten) verweigerte der Kommandant des U-Bootes seine Beteiligung in Form einer Aussage vor dem Kriegsgericht und gab in einem Schreiben an, er habe sich in keiner Weise durch das Schiffsmanöver bedroht gefühlt. In dem Verfahren wurden keine Zeugen gehört. Fryatt wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Damit handelt es sich zunächst einmal nach dem vom Augenzeugen geschilderten Sachverhalt um ein Fehlurteil (welches politisch von der „U-Boot-Kriegsfraktion“ motiviert war, siehe oben). Andererseits ergibt sich aus der unwidersprochenen Feststellung der Waffenlosigkeit des Schiffes von Fryatt, dass eine Behandlung als Kriegsgefangener und Kombattant nicht in Frage kam, was die Todesstrafe wegen des behaupteten Widerstandes durch Rammmanöver ausgeschlossen hätte.

Der Hinweis auf die Frage des Waffeneinsatzes gegen bewaffnete Handelsschiffe nach deutscher Prisenordnung (wie ere auch in britischen Quellen zum Fryatt-Fall erfolgt) geht fehl, weil es sich bei dem behaupteten (tatsächlich wohl nicht erfolgten Angriff auf U-33) nicht um ein bewaffnetes Handelsschiff gehandelt hat, das den Status eines Kriegsschiffes in Anspruch nehmen kann:
„The German War Tribunal sentenced him to death because he had performed an act of war against the German sea forces, although he did not belong to the armed forces of his country.” (Source Records of the Great War, Vol. IV, 1923)

Der Fall Fryatt ist somit untauglich für die Diskussion um bewaffnete Handelsschiffe bis auf die spekulative Beurteilung, das eine Bewaffnung das Todesurteil verhindert hätte. Wenn das Gericht diesen Standpunkt nicht aufgreift, dann deshalb, weil es nicht dem Sachverhalt entsprach, aber nicht, weil es die Qualifikation von bewaffneten Handelsschiffen als Kriegsschiffe und seine Besatzungen als Kombattanten bestreitet.

Wie die Position des Deutschen Reiches bei Widerstand bewaffneter Handelsschiffe gewesen ist, ergibt sich aus der Seekriegspraxis der Ersten Weltkrieges (oben zitiert) vom ersten Tage an: die Gefangenen von Widerstand leistenden bewaffneten Handelsschiffen wurden nach Prisenordnung als Kombattanten behandelt und nicht als Widerstand leistende Nicht-Kombattanten hingerichtet. Diese Behandlung ergibt nur Sinn, wenn die bewaffneten Handelsschiffe als Kriegsschiffe angesehen worden sind, denn nur dann kann es sich bei den Besatzungen um Kombattanten handeln. Ob diese Behandlung aus Kulanz erfolgt ist, ist angesichts der damit eindeutig bezogenen Position der Prisenordnung und der folgenden Rechtsprechung der Kriegsgerichte egal. Ob sich das Deutsche Reich anderes bei diesen Regelungen gedacht hat, vermag ich nicht zu sagen, wie es sich regelmäßig verhalten hat, ist sichtbar.

Welche Fälle von Hinrichtungen bei Widerstand leistenden bewaffneten Kriegsschiffen sind Dir bekannt?

(Absatz VIII, Nr. 99 der Prisenordnung: Wegen der Besatzungen bewaffneter Handelsschiffe siehe Anlage) Anlage zur Prisenordnung lautet:
„Leistet ein bewaffnetes feindliches Kauffahrteischiff bewaffneten Widerstand gegen priserechtliche Maßnahmen,
so ist dieser mit allen Mitteln zu brechen. Die Verantwortung für jeden Schaden, den Schiff, Ladung und Passagiere
dabei erleiden, trägt die feindliche Regierung. Die Besatzung ist als kriegsgefangen zu behandeln.
Die Passagiere sind zu entlassen, ausser wenn sie sich nachweisbar am Widerstand beteiligt haben.
Im letzteren Falle ist gegen sie das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren anzuwenden.“

Welche davon abweichende offizielle Qualifikation des Deutschen Reiches ist Dir bekannt?
Im Zeitpunkt der Ausgabe der Prisenordnung 1909 war die Tragweite der Bewaffnung für den U-Boot-Krieg nicht bekannt, nicht geregelt, daher der Nachsatz in Anlage vom Juni 1914. Zuvor ist lediglich die Frage der Leistung von Widerstand bzw. die Teilnahme an Kampfhandlungen erörtert. Da es um den Status der Prisenordnung 1915 geht, ist der Nachsatz relevant.
Wieso widerspricht die Möglichkeit, Fryatt bei Bewaffnung seines Schiffes den Kombattanten-Status zuzubilligen, der Beurteilung als Kriegsschiff?“


Zur Frage der Position verschiedener Länder bei Beurteilung der Bewaffnung: Da verstehe ich Deine Statistik nicht. Die sonstigen zitierten Länder haben dem Statuswechsel nicht widersprochen, sondern ihn bestätigt, und zwar abhängig von offensiver Bewaffnung!
Ein Land (NL) stand auf dem Standpunkt, jede Form von Bewaffnung des Handelsschiffes führt zur Kriegsschiff-Eigenschaft. Ein Land (GB) verneint dieses zum Zeitpunkt 1915. Alle übrigen Länder, die sich dazu positioniert haben (die von Dir genannten Positionen der britischen Verbündeten sind mir als Äußerungen nicht bekannt, ich würde sie selbstverständlich akzeptieren, wenn Du dazu eine Quelle dazu hast), machen es von der Qualität „offensiver“ Bewaffnung abhängig. Die Frage offensiver Bewaffnung eines Handelsschiffes führt nach der Statistik zur Qualifizierung als Kriegsschiff (24-Stunden-Regel, warnungsloser Angriff zur Versenkung etc.), unabhängig von der Frage, ob das Handelsschiff nach Umwandlungsliste geführt wird oder nicht. Damit ist die Umwandlungsliste, was bewaffnete Handelsschiffe angeht, unvollständig. Nur das wollte ich aufzeigen. Damit wäre Nippolds Schluss, was die Vollständigkeit und Sicherheit der völkerrechtlichen Qualifikation der Kriegsschiffe angeht, falsch. Die zitierte niederländische Position zum Abkommen entspricht der späteren Einstellung, dass Handelsschiffe grundsätzlich unbewaffnet sein müssen. Der weitere Standpunkt, eine Armierung sei nicht erforderlich für den Kriegsschiff-Status, ist zweifelsohne zutreffend. Es gibt massenweise unbewaffnete Kriegsschiffe (Versorger, Transporter etc.), die ordnungsgemäß in der Liste geführt wurden. Damit wird aber die Frage weder beantwortet noch ausgeschlossen, ob die Bewaffnung qualifizierend wirkt.

Um die Statistik zu beurteilen: Wo sind die Positionen der Verbündeten Großbritanniens wiedergegeben?
Wieso sollten die Verbündeten Frankreich und Japan ihre Position bei Verhandlung des Flottenabkommens 1922 revidiert haben?

Zu Stauffenberg und seiner Position:
Die Bewaffnung von Handelsschiffen gehörte und gehört zu den umstrittensten Problemen der Entwicklung des Seekriegsrechts. Die verschiedenen Auffassungen trafen zum ersten Mal aufeinander, als im Ersten Weltkrieg U-Boote Opfer von getarnt bewaffneten Handelsschiffen wurden. Mit der Entwicklung des See-Luftkriegs bekam die Frage zusätzliche Bedeutung (Behandlung bewaffneter Handelsschiffe). Bis in die Mitte des 19. Jahrhundert hinein war es zuvor üblich, Handelsschiffe zu bewaffnen, was mit dem Auslaufen der Piraterie überflüssig, zum Ende des 19. Jahrhunderts auch technisch nutzlos war. Der völkerrechtlich besonders geschützte Status von Handelsschiffen (Prisenrecht) ergab sich insbesondere aus letzterem Grund, da durch die technischen Entwicklungen Ende des 19. Jahrhunderts die Kriegsschiffe weit stärkere Panzerungen und Bewaffnungen aufwiesen. Ende des Jahrhunderts waren Handelsschiffe nicht bewaffnet. Der faktischen Hilflosigkeit der Handelsschiffe sollte aufgrund ihres Status von Nichtkombattanten Rechtsschutz im Kriegsfall gewährt werden. Niederschlag fand dieser völkerrechtliche Schutz im Kriege u.a. durch das Abkommen von Den Haag vom 18. Oktober 1907, sogenanntes VII. Abkommen der Haager Friedenskonferenz.

Für die Zuordnungsfrage sind mehrere Abgrenzungen problematisch, die für die völkerrechtliche Beurteilung Bedeutung besitzen:
1. der Gegensatz von kontinental-europäischem und angelsächsischem (Völker-)Kriegsrecht, mit seinen Auswirkungen auf das Seekriegsrecht
2. die Entwicklung in der angelsächsischen Abgrenzung von government vessel (Staatsschiff = Kriegsschiff), government merchant vessel (Staatshandelsschiff) und private vessel (Handelsschiff)
3. die kontinentaleuropäsche und zunächst auch us-amerikanische völkerrechtliche Gleichsetzung von private vessel und unarmed vessel (wobei „unarmed“ das Fehlen offensiver Bewaffnung umschreibt)
4. die Funktion der Bewaffnung von Handelsschiffen im Seehandelskrieg
Vor diesem Hintergrund stand der Aufsatz von Stauffenberg, und in soweit beschreibt er richtig. Mit nationalsozialistischen Befindlichkeiten im Völkerrecht hat das nichts zu tun.

Wozu dient das: nun einmal, um die Unvollständigkeit der Umwandlungs-Liste zu zeigen. Das dient dann zur Beurteilung der Frage, ob die Listung der Lusitania als Kriegsschiff in der warship-Liste der Admiralität zulässig war, wie sie übrigens auch in den einschlägigen seinerzeitigen Kriegsschiffspublikationen (zB Jane´s Fighting Ships Edition 1914) enthalten war. Schließlich, ob eine De-Listung nach Kriegsausbruch möglich war.
 
Noch ein Nachsatz, der vielleicht unsere bisher unterschiedlichen Positionen weiter verdeutlicht:

"In Übereinstimmung damit wird auch vom Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten, dass bewaffnete Handelsschiffe des Gegners wie Kriegsschiffe zu behandeln sind" Schmitt, Die Zulässigkeit von Sperrgebieten im Seekrieg, S. 117-120 mit zahlreichen Nachweisen zur Literatur.

Zu dem amerikanischen Memorandum von März 1916: bewaffnete Handelsschiffe, die auch regelmäßig Order zum Waffeneinsatz haben werden, sind als Kriegsschiffe (armed public vessels) zu behandeln. Hier wird nun das Problem deutlich, vor dem auch die Anlage zur deutschen Prisenordnung stand: was ist mit der Besatzung? Die amerikanische Auffassung spricht sich dafür aus, dass diese dennoch nicht als Kombattanten zu behandeln ist. Die deutsche Auffassung spricht ihr kulanterweise dennoch Kombattantenstatus zu, mit der Folge der Behandlung als Kriegsgefangene. Das Kulanzproblem zur Besatzung ist streng zu trennen von dem Problem, wie das bewaffnete Handelsschiff zu behandeln ist: obwohl im Zweifel (und in der Praxis des Ersten Weltkrieges regelmäßig) nicht in der Umwandlungsliste enthalten, ist die warnungslose Versenkung zulässig.

Schmitt spricht insoweit von auch von "militarisierten" Handelsschiffen. Der Fryatt-Fall ist damit nicht für die Widerlegung der Behandlung bewaffneter Handelsschiffe als Kriegsschiffe geeignet, sondern zeigt vielmehr die Problemstellung auf, welchen Status die Besatzung innehat. Hierbei erscheint mir die amerikanische Position zweifelhaft, ich würde es mit der deutschen Prisenordnung so sehen, dass Kombattantenstatus vorliegt. Das ist aber für die herrschende Meinung zur Behandlung bewaffneter Handelsschiffe nicht wesentlich, sondern eine Detailfrage.
 
Silesia # 296 schrieb:
Nach einer längeren Denkpause zum Fall Fryatt
... kommen leider keinen neuen Argumente. Meine Kritik an Deinen Beiträgen bleibt deshalb die alte: keine Strukturierung der völkerrechtlichen Probleme anhand der damaligen Rechtsquellen, ständiger Aspektwechsel, du gehst von der Richtigkeit einzelner Literaturauffassungen aus und versuchst anhand dieser das 1915 geltende Recht zu konstruieren anstatt dass Du von den Rechtsquellen ausgehend die Literaturauffassungen kritisch hinterfragen würdest, etc.

So lässt sich das von uns eigentlich anzustrebende Ziel, die völkerrechtliche Problematik der Versenkung der Lusitania kontrovers und transparent zu diskutieren, leider nicht erreichen.
Silesia # 296 schrieb:
Wie die Position des Deutschen Reiches bei Widerstand bewaffneter Handelsschiffe gewesen ist, ergibt sich aus der Seekriegspraxis der Ersten Weltkrieges (oben zitiert) vom ersten Tage an: die Gefangenen von Widerstand leistenden bewaffneten Handelsschiffen wurden nach Prisenordnung als Kombattanten behandelt und nicht als Widerstand leistende Nicht-Kombattanten hingerichtet. Diese Behandlung ergibt nur Sinn, wenn die bewaffneten Handelsschiffe als Kriegsschiffe angesehen worden sind, denn nur dann kann es sich bei den Besatzungen um Kombattanten handeln. Ob diese Behandlung aus Kulanz erfolgt ist, ist angesichts der damit eindeutig bezogenen Position der Prisenordnung und der folgenden Rechtsprechung der Kriegsgerichte egal. Ob sich das Deutsche Reich anderes bei diesen Regelungen gedacht hat, vermag ich nicht zu sagen, wie es sich regelmäßig verhalten hat, ist sichtbar. (Hervorhebungen von Gandolf verändert)
Irrtum! Hinsichtlich der Frage, wie das Deutsche Reich bewaffnete Handelsschiffe bewertete, macht es schon einen wichtigen Unterschied aus, ob das Deutsche Reich auf die Bestrafung der Besatzungen solcher Schiffe aus rechtlicher Überzeugung oder aus Kulanz verzichtete.

Die Rechtsauffassung des Deutschen Reiches ergibt sich eindeutig aus dessen Prisenordnung:
  • Die Rechtsgrundlage für den Befehl vom 22.6.1914, der als Anlage zur Prisenordnung ausgegeben wurde und der den Verzicht auf Bestrafung der Besatzungen bewaffneter Handelsschiffe vorsah, findet sich in Nr. 99 der Prisenordnung des Deutschen Reichs. Diese Norm ordnete bewaffnete Handelsschiffe der Gruppe der See-Frankiteuere zu („Ist ein Schiff nach 16b (Widerstand) oder 55a (Teilnahme an Feindseligkeiten) aufgebracht worden, so kann mit denjenigen Personen, die ohne in die feindliche Streitmacht eingereiht zu sein, an den Feindseligkeiten teilgenommen oder gewaltsam Widerstand geleistet haben, nach dem Kriegsbrauche verfahren werden. Die übrigen Personen der Besatzung werden zu Kriegsgefangenen gemacht. Wegen der Besatzungen bewaffneter Handelsschiffe siehe Anlage"). Die Anlage sieht zwar für die Besatzungen solcher Schiffe u.U. eine Ausnahme von der im Regelfall (Nr. 99) drohenden Hinrichtung vor. Wäre aber der Gesetzgeber der Prisenordnung der Rechtsauffassung gewesen, dass es sich bei den bewaffneten Handelsschiffen um Kriegsschiffe handelte, hätte er diese gar nicht erst der Gruppe der See-Frankiteure zugeordnet.
  • Die Nr. 1 des Befehls vom 22. Juni 1914 (Anlage zur Prisenordnung) bewertete die prisenrechtsrelevanten Handlungen von bewaffneten Handesschiffen als Seeraub und sah auch die Hinrichtung der Besatzungen dieser Schiffe vor („Die Ausübung des Anhaltungs-, Durchsuchungs- und Wegnamerechts sowie jeder Angriff seitens eines bewaffneten Handelsschiffs gegenüber einem deutschen oder neutralen Handelsschiff gilt als Seeraub. Gegen die Besatzung ist gemäß der Verordnung über das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren vorzugehen“). Wäre der deutsche Gesetzgeber der Prisenordnung der Rechtsauffassung gewesen, dass es sich bei bewaffneten Handelsschiffen um Kriegsschiffe handelte, hätte es sich bei diesen Handlungen um die rechtmäßigen Handlungen eines Kriegsschiffes gehandelt und dessen Besatzungen wären nicht hinzurichten gewesen.
  • Eine Ausnahme von der Hinrichtungsfolge, die sich aus der Einstufung als See-Frankiteur ergab, sah lediglich Nr. 2 der Anlage der Prisenordnung für die Besatzungen jener bewaffneten Handelsschiffe vor, die Widerstand gegen prisenrechtliche Maßnahmen eines Kriegsschiffs leisteten.
Fazit: die Prisenordnung nebst Anlage widersprechen der von Dir vertretenen These, dass die Bewaffnung von Handelsschiffen zu einem Statuswechsel führten. Sie streiten vielmehr dafür, dass selbst das Deutsche Reich 1914 bewaffnete Handelsschiffe als Handelsschiffe bewertete, die sich nach Auffassung des Deutschen Reichs freilich illegal verhielten und deshalb ihren Schutz (nicht aber ihren Status!) als Nichtkombattant verloren. - Das alles habe ich aber schon geschrieben, vgl. # 291 und # 295.
Silesia # 296 schrieb:
Zur Frage der Position verschiedener Länder bei Beurteilung der Bewaffnung: Da verstehe ich Deine Statistik nicht. Die sonstigen zitierten Länder haben dem Statuswechsel nicht widersprochen, sondern ihn bestätigt, und zwar abhängig von offensiver Bewaffnung!
Ein Land (NL) stand auf dem Standpunkt, jede Form von Bewaffnung des Handelsschiffes führt zur Kriegsschiff-Eigenschaft. Ein Land (GB) verneint dieses zum Zeitpunkt 1915. Alle übrigen Länder, die sich dazu positioniert haben (die von Dir genannten Positionen der britischen Verbündeten sind mir als Äußerungen nicht bekannt, ich würde sie selbstverständlich akzeptieren, wenn Du dazu eine Quelle dazu hast), machen es von der Qualität „offensiver“ Bewaffnung abhängig. Die Frage offensiver Bewaffnung eines Handelsschiffes führt nach der Statistik zur Qualifizierung als Kriegsschiff (24-Stunden-Regel, warnungsloser Angriff zur Versenkung etc.), unabhängig von der Frage, ob das Handelsschiff nach Umwandlungsliste geführt wird oder nicht. Damit ist die Umwandlungsliste, was bewaffnete Handelsschiffe angeht, unvollständig. Nur das wollte ich aufzeigen. Damit wäre Nippolds Schluss, was die Vollständigkeit und Sicherheit der völkerrechtlichen Qualifikation der Kriegsschiffe angeht, falsch. Die zitierte niederländische Position zum Abkommen entspricht der späteren Einstellung, dass Handelsschiffe grundsätzlich unbewaffnet sein müssen. Der weitere Standpunkt, eine Armierung sei nicht erforderlich für den Kriegsschiff-Status, ist zweifelsohne zutreffend. Es gibt massenweise unbewaffnete Kriegsschiffe (Versorger, Transporter etc.), die ordnungsgemäß in der Liste geführt wurden. Damit wird aber die Frage weder beantwortet noch ausgeschlossen, ob die Bewaffnung qualifizierend wirkt.

Um die Statistik zu beurteilen: Wo sind die Positionen der Verbündeten Großbritanniens wiedergegeben?
Wieso sollten die Verbündeten Frankreich und Japan ihre Position bei Verhandlung des Flottenabkommens 1922 revidiert haben?
Die Frage der Umwandlung wurde vom Umwandlungsabkommen (1907) für die Unterzeichnerstaaten dieses Abkommens (zu denen die USA wie bereits geschrieben nicht gehörten) rechtsverbindlich geregelt.

Wenn Du nun - entgegen diesem Abkommen - behaupten möchtest, dass eine Umwandlung auch aufgrund der Bewaffnung möglich war, musst Du (nicht ich!) darlegen und nachweisen, dass dieses Abkommen abgeändert wurde oder dass und wie eine andere Rechtsregel entstand, vgl. # 291.

Aus meiner „Statistik“ wird freilich deutlich, dass Dir dieser Nachweis nicht gelingen kann, vgl. # 291. Selbst das Deutsche Reich, das wird ja aus seiner oben wiedergegebenen Prisenordnung deutlich, bewertete bewaffnete Handelsschiffe als Handelsschiffe und eben nicht als Kriegsschiffe, auch wenn es teilweise (= im Rahmen der Nr. 2 der Anlage) kulanterweise auf eine Bestrafung der Mannschaften als See-Frankiteure verzichtete.
Silesia # 296 schrieb:
Zu Stauffenberg und seiner Position:
(...)
Vor diesem Hintergrund stand der Aufsatz von Stauffenberg, und in soweit beschreibt er richtig. Mit nationalsozialistischen Befindlichkeiten im Völkerrecht hat das nichts zu tun.
Und was hat Stauffenberg geschrieben?
„Seit dem Kriege hat die Anschauung, dass das zu Verteidigungszwecken bewaffnete Handelsschiff seinen Status als Handelsschiff behält, allgemeine Anerkennung gefunden. (...) Auch eine Prüfung der Verhandlungen auf der Washingtoner Konferenz von 1921/22 und der Londoner Konferenz von 1930 führt zu keinem anderen Ergebnis" (Stauffenberg, ZAÖRV 1938, S. 45)!!!

War erst seit dem Krieg allgemein anerkannt dass bewaffnete Handelsschiffe ihren Status als Handelsschiffe behielten?
Nein, das war altes Gewohnheitsrecht, wie Du es ja selbst eingeräumt hast. Der 1913 (!) vom Institut de Droit International beschlossene Entwurf eines Seerechtskriegsbuchs bestätigte übrigens dieses Gewohnheitsrecht. Demnach sollten Handelsschiffe Waffen zu ihrer Verteidigung an Bord haben dürfen und diese auch verwenden dürfen (vgl. Karl Zemank, „Handelsschiffe, bewaffnete“ in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 1. Band, 1960, S. 762).

Weshalb schrieb Stauffenberg „seit dem Krieg“?
Die Bewaffnung von Handelsschiffen wurde im Ersten WK vom Deutschen Reich allein deshalb problematisiert, weil die Deutsche Marineleitung unter dem Vorwand, diese führe zu einer unzumutbaren Gefährdung der deutschen U-Boote, zum unbeschränkten U-Boot-Krieg übergehen wollte. Dass neue Waffen zu einem neuen Recht führen, war die (abwegige) deutsche Position im unbeschränkten U-Boot-Krieg. Weder hatte Stauffenberg in seinem Aufsatz über das französische Prisenrecht des Jahres 1938 einen Anlass sich mit der genaueren Geschichte der Bewaffnung von Handelsschiffen zu beschäftigen, noch wäre es ihm unter den Bedingungen des NS-Staates gut bekommen, ohne „Deckung von oben" dem Deutschen Kaiserreich in einer zentralen Frage des Völkerrechts des Ersten WK ein völkerrechtswidriges Verhalten zu attestieren, vgl. # 291.
Silesia # 296 schrieb:
Für die Zuordnungsfrage sind mehrere Abgrenzungen problematisch, die für die völkerrechtliche Beurteilung Bedeutung besitzen:
1. der Gegensatz von kontinental-europäischem und angelsächsischem (Völker-)Kriegsrecht, mit seinen Auswirkungen auf das Seekriegsrecht
2. die Entwicklung in der angelsächsischen Abgrenzung von government vessel (Staatsschiff = Kriegsschiff), government merchant vessel (Staatshandelsschiff) und private vessel (Handelsschiff)
3. die kontinentaleuropäsche und zunächst auch us-amerikanische völkerrechtliche Gleichsetzung von private vessel und unarmed vessel (wobei „unarmed“ das Fehlen offensiver Bewaffnung umschreibt)
4. die Funktion der Bewaffnung von Handelsschiffen im Seehandelskrieg
Allein das Umwandlungsabkommen (1907) ist entscheidend. Die Unterzeichnerstaaten entschieden sich mit diesem Abkommen für den Kriegsschiff-Begriff von Perels, wonach es allein auf die Integration des Schiffs in die Flotte des Kriegsministers ankommt (vgl. Art. 1 bis 4 Umwandlungsabkommen) und nicht auf dessen Bestimmung für militärische Zwecke oder auf dessen Bewaffnung. Das habe ich aber alles schon geschrieben, # 291.
Silesia # 296 schrieb:
Wozu dient das: nun einmal, um die Unvollständigkeit der Umwandlungs-Liste zu zeigen. Das dient dann zur Beurteilung der Frage, ob die Listung der Lusitania als Kriegsschiff in der warship-Liste der Admiralität zulässig war, wie sie übrigens auch in den einschlägigen seinerzeitigen Kriegsschiffspublikationen (zB Jane´s Fighting Ships Edition 1914) enthalten war. Schließlich, ob eine De-Listung nach Kriegsausbruch möglich war.
Deine Listen-Theorien sind ohnehin nicht mit Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des Umwandlungsabkommens (1907) vereinbar. Das hatten wir doch schon, vgl. # 287.


Zur weiteren Diskussion:

Ich schlage vor, zur Frage, ob im Ersten WK Handelsschiffe bewaffnet werden durften, einen neuen Strang zu eröffnen.

Bei der Lusitania ist ohnehin nicht nachgewiesen, dass diese bewaffnet war, so dass Deine diesbezügliche Argumentation - auch bei den Sachverhaltsfragen - auf tönernen Füßen steht.
 
Zurück
Oben