Dass die deutschen U-Boote nicht angewiesen wurden, gegenüber der Lusi nach der Prisenordnung vorzugehen, hing schlicht und ergreifend damit zusammen, dass die Seekriegsleitung den U-Boot-Krieg nicht nach Prisenordnung führen wollte. ...
Die von mir genannte Haager Konvention enthielt keine "Lücke" sondern stieß das Tor zur Rechtsunsicherheit weit auf. Die Konvention erlaubte ja sogar die Umwandlung eines Handelsschiffs in ein Kriegsschiff auf hoher See. Infolgedessen konnte es auch gar nicht auf die Eintragungen in den Flottenregistern und Flottenhandbüchern für die Begründung der Kriegsschiffeigenschaft ankommen, sondern man benötigte äußere Erkennungszeichen.
Die Lusi war aber nicht als Kriegsschiff gekennzeichnet. Hierüber haben weder Besatzungsmitglieder noch Passagiere noch der deutsche U-Boot-Kapitän Schrieder in seinem Logbuch berichtet.
Hallo Gandolf,
hierzu möchte ich folgendes zu bedenken geben, ich habe mir auch die #159 angeschaut:
Für die Einstufung der bewaffneten oder für Bewaffnung vorbereiteten Kauffahrteischiffe ist folgender Zusammenhang bedeutsam: Blockaderecht – U-Boot-Krieg – Bewaffung der Handelsschiffe.
Eingangs ist die Zulässigkeit der Blockade an sich beachtenswert, diese wird unter Ziffer 4 der Erklärung vom 16. April 1856 über Grundsätze des Seerechts (Pariser Deklaration) zugestanden. Dass der U-Boot-Krieg und die Blockade einen sachlichen Zusammenhang aufweisen, wird zum Beispiel durch die Note der deutschen Regierung an die USA vom 15.5.1915 nahegelegt (Verweis auf vorheriges Angebot an GB auf Aussetzung des U-Boot-Krieges gegen Aufhebung der Blockade des Deutschen Reichs). Die Blockaderegelungen machen nebenbei vor dem Hintergrund Sinn, Rechte und Pflichten der Neutralen zu regeln. Hinzu tritt die Erklärung über das Seekriegsrecht (Londoner Erklärung vom 26.02. 1909): Als Kriegskonterbande galten auch Lebensmittel (Art. 24), weshalb auch Hungerblockaden nicht ausgeschlossen waren. Daneben konnten kriegsführende Parteien durch Erklärung die Blockade auf weitere Güter als die in Art. 22 und 24 Genannten ausdehnen. Die Blockaderegelungen dienten somit völkerrechtlich bis dato nicht ausgeschlossen der Regelung des Handelskrieges gegen die Ressourcen des Kriegsgegners, somit indirekt bereits gegen die Bevölkerung.
Zur Listung als Kriegschiff:
Art. 6: Der Kriegsführende, der ein Kauffahrteischiff in ein Kriegsschiff umwandelt, muss diese Umwandlung möglichst bald auf der Liste seiner Kriegsschiffe vermerken (Abkommen über die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe vom 18. Oktober 1907). Dass dieses praktische Bedeutung hatte, sieht man am zitierten Lusitania-Fall, bei dem die deutsche Regierung zu Recht in dem Notenaustausch mit den USA auf die britische Navy-List mit dem Verzeichnis der Kriegsschiffe hingewiesen hat. Das deutsche Reich hat sich hierauf berufen. Vorab: die Bewaffnung ist für die Kategorisierung tatsächlich nicht notwendig, die Vorbereitung oder Absicht der Bewaffnung schließt eine Listung nicht aus.
Um ein Kriegsschiff handelt es sich, so hattest Du das auch bereits dargestellt, wenn es dem direkten Befehl, der unmittelbaren Aufsicht und der Verantwortlichkeit der Macht, deren Flagge es führt, unterstellt ist (Art. 1) und wenn es die äußeren Abzeichen der Kriegsschiffe trägt (Art. 2); daneben muss der kommandierende Offizier im Staatsdienst stehen (Art. 3), sein Name in der Rangliste der Streitkräfte oder in einer gleichwertigen Liste enthalten sein (Art. 3) und die Besatzung den Regeln der militärischen Disziplin unterworfen (Art. 4).
Selbst wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist die Listung möglich und gilt im Umgang der Staaten untereinander. Dieses ergibt sich bereits aus dem Sinn und Zweck eines Register, das gerade Unklarheiten beseitigen soll, indem sich Dritte darauf berufen können. Dessen ungeachtet erzwingt die Wortwahl „möglichst bald“ eine unverzügliche Listung solcher Schiffe nach Umwandlung, anderenfalls würde gegen Seekriegsrecht verstoßen. Man kann dieses mit einem entweder-oder zusammenfassen. Das Register erspart insofern die "abstrakte" Prüfung anhand äußerer Merkmale, es verschafft Dritten eine Schutzwirkung und das Recht auf Berufung auf die entsprechenden Einträge. Der von Dir angesprochene Unterschied zwischen konstitutiver und deklaratorischer Bedeutung kann bei einem Register lediglich ein "Vorziehen" der Einstufung bewirken, nämlich eine Einstufung als Hilfskreuzer auch bei fehlender Registereintragung aufgrund konstituvier Bedingungen, niemals jedoch das Streichen der Rechtswirkung nach Deklaration.
Zurück zur Bewaffnung:
Die Bewaffnung der Handelsschiffe wurde nun wieder als Reaktion u. a. auf den U-Boot-Krieg gewertet. Sie ist nach herrschender Meinung während des Ersten Weltkrieges bis nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zwingend, um den Status des Kauffahrteischiffes zu verlassen, sondern dieses erfolgt durch Deklaration, siehe oben. Umgekehrt ist ein bewaffnetes Schiff als Umgehungsversuch der Regelungen ein Kriegschiff, auch wenn es nicht die Abzeichen der Kriegsschiffe einer Kriegspartei trägt: Art. 1 und 2 fordern die äußeren Anzeichen, sie deklarieren sie nicht als Voraussetzung für die Einstufung als Kriegsschiff. Die „Merkmale“ der Umwandlung selbst sind vielmehr in dem Abkommen nicht geregelt, sondern könnnen durch die Art der Bewaffnung vermutet werden. Art. 3 und 4 lassen zusätzlich neben der Bewaffnung die Art der Besatzung als Indiz vermuten, auch unbewaffnete Schiffe können der militärischen Gewalt unterstehen. Man sieht: die Listung macht zur Abgrenzung zunächst einmal grundsätzlich Sinn für jede Kriegspartei. Sie ist deklaratorisch, soweit die übrigen Merkmale enthalten sind, der Eintrag führt jedoch auch dazu, dass sich dritte Staaten darauf berufen können (landläufig könnte man das mit der Wirkung bestimmter deklaratorischer Einträge in ein Handelsregister vergleichen).
Daneben ist die Zulässigkeit der defensiven Bewaffnung für Handelsschiffe allgemein erst im Kriegsverlauf und danach in der Rechtsentwicklung (Heintschel 1995, zuvor aber auch schon z. B. Stauffenberg 1938) in Folge des Handelskrieges der U-Boote (new weapons, new rules) anerkannt worden, was natürlich ein Abgrenzungsproblem der Bewaffnung zu Verteidigungszwecken mit sich bringt. Die Bewaffnung ist auch bereits vor dem U-Boot-Krieg problematisiert worden, da sich auch Handelsschiffe nicht widerstandslos aufbringen lassen mussten. Deutschland hat die Status-Frage der Bewaffnung von Handelsschiffen bereits während des Krieges zwar bestritten, aber entgegenkommend behandelt, als es die Besatzung von mit Waffen Widerstand leistender Handelsschiffe nicht bestrafte, sondern als Kriegsgefangene behandelte (Befehl vom 22.6.1914, RGBl. 1914, S. 300).
Die Rückumwandlung eines umgewidmeten Handelsschiffes während des Krieges ist im übrigen unzulässig (vgl. z.B. den britischen Vertreter auf der zweiten Haager Friedenskonferenz, Lord Reay).
Also:
Kriegsschiff inkl. Hilfskreuzer (im Gegensatz zum Handelsschiff):
Ist in der geforderten Listung enthalten und/oder durch die geforderten äußeren Merkmale bestimmt. Es muss nicht bewaffnet sein, siehe Segelschulschiffe (Sohler 1956 mit weiteren Verweisen).
Handelsschiff: kann defensiv bewaffnet sein, wenn es nicht in der Listung der Kriegschiffe enthalten ist und nicht die äußeren Merkmale (Besatzung, etc.) aufweist
Damit fehlt noch eine notwendige Interpretation: Wenn man die Bewaffnung untersucht, was als defensiv zu gelten hat, führt die Qualität der Waffen nicht weiter, da jede Waffe offensiv einsetzbar ist. Mithin kann es nur auf eine funktionale Abgrenzung ankommen, also auf den Auftrag des Schiffes. Dass dieses schwer nachprüfbar ist, muss nicht erläutert werden, es bleiben bei Zweifelsfällen nur die realisierten Sachverhalte und gegebenen Befehle, also der tatsächliche Einsatz des Schiffes. Bei einer defensiven Funktion darf die Bewaffnung nur zur Abwehr von Angriffen eingesetzt werden.
Einige Quellen:
Heintschel von Heinegg, Wolff: Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg
Schlepple, Eberhard, Das Verbrechen gegen den Frieden und seine Bestrafung –unter Berücksichtigung des Grundsatzes nulla poena sine lege.
Sohler, Herbert, U-Boot-Krieg und Völkerrecht, Beiheft 1 Marine-Rundschau 1956
Schenk von Stauffenberg, Berthold, Das Prisenrecht der französischen Instruktionen vom 8. März 1934, ZAÖRV 1938.
Bailey, AHR 1935. S. 54 ff., zitiert nach ZAÖRV 1936
Diese Interpretation fand auch zunächst im WK II Anwendung:
Bestimmung von Handelsschiffen aus dem Operationsbefehl für die deutschen U-Boote am 3.9.1939, gemäß Prisenordnung vom 29.8.1939, der mit der funktionsbezogenen Abgrenzung der Handelschiffe in Zusammenhang steht und völkerrechtlich nicht beanstandet wurde. Danach gab es Ausnahmen von der Handelskriegsführung:
1. Truppentransporter gehören zur bewaffneten Macht und sind wie Kriegsschiffe zu behandeln.
2. Handelsschiffe (ob bewaffnet oder unbewaffnet, Bewaffnung ist jedoch die logische Voraussetzung), die an Kampfhandlungen teilnehmen, verlieren dadurch ihren friedlichen Charakter und müssen sich wie Kriegsschiffe behandlen lassen, setzen sich also der warnungslosen Versenkung aus. Darunter fällt das Fahren im Geleit. "Wer Waffenhilfe in Anspruch nimmt, muss Waffeneinsatz gegenwärtigen.".
(Sohler, U-Boot-Krieg und Völkerrecht)
Schließlich ist in Schenk, Seekrieg und Völkerrecht, S. 54 ff ein interessanter Aspekt beschrieben:
Die USA erkannten zunächst nach Kriegsausbruch nur unbewaffnete Handelsschiffe als solche an! Problematisch ist diese Haltung insbesondere zur Anwendung der 24-Stunden-Regel, wonach Kriegsschiffe den Hafen wieder zu verlassen haben. Da im Sep. 14 die Merrison in Philadelphia und die Adriatic in New York einliefen, war eine Entscheidung gefordert. Die Schiffe wurden erst nach Abbau ihrer Armierung wieder freigelassen, wobei die Entwaffnung nach deutscher und auch weit verbreiteter internationaler Auffassung den Status nicht wieder korrigieren kann.
Die USA gab dann am 19.9. eine Bestimmung heraus: danach wird die defensive nicht als eine Bewaffnung gewertet: defensiv ist Geschützkaliber unter 6 Zoll, keine Geschützmontage auf dem Vorschiff, geringe Munitionsbevorratung.
Die Unmöglichkeit dieser Unterscheidung wurde vom Völkerrechtler Borchard nachgewiesen, AJ 1940, S. 108.
Um in diesem Wirrwarr Zwischenfälle zu vermeiden, wurde trotzdem die Kriegsführenden ersucht, bewaffneten Schiffen das Anlaufen der US-Häfen zu untersagen.
Im Notenwechsel 1915 nach Verschärfung des UBootkrieges und nach einigen Zwischenfällen kündigten die USA dann gegenüber England im Notenwechsel an, bewaffnete HS künftig als Hilfskreuzer zu behandeln (18.1.1916, Note US-FR 1916, Suppl., S. 146.)
Dazu kam es dann aber nicht: Memorandum of the status of armed merchant vessels, US-FR 1916, Suppl., S. 244: Wenn keine Umstände für ein "aggressives Verhalten eines bewaffneten Handelsschiffes vorgelegt" werden konnte, wurde der friedliche Charakter vermutet. Dieser Umschwung hatte lt. Schenk ausschließlich politische Gründe.
(Anmerkung: die Darstellung habe ich mal an anderer Stelle aufgearbeitet)
Das Ganze ist also eine sehr schwierige Frage. Unvermeidbar sind die verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe in den Vereinbarungen im Kriegsrecht und die Fortentwicklung des Rechts mit allen Auslegungsproblemen, wenn man einmal die praktische Entwicklung der Kriegsführung und den oben zitierten Grundsatz new weapons, new rules, betrachtet. Ich würde zusammenfassend die Listung als entscheidendes Kriterium ansehen, da man im U-Boot-Krieg kaum von einer anderweitig möglichen Identifizierung ausgehen kann.
Thomas