Das Kaiserreich - modern oder autoritär?

Arcimboldo schrieb:
Hallo Heinz,
Bitte entschuldige den etwas oberlehrerhaften Stil meiner Einlassung, es gilt dem Versuch viele Mitdiskutanten auf andere Gebiete zu locken, als immer nur die Link-Extrakte im Netz zu diesem Thema zu kummulieren
:)

Lieber Arcimboldo,
Entschuldigung angenommen. Dein Schreibstil ist in einer Diskusion angebracht. Natürlich kann man sich über die Person von Wilhelm II auslassen, wie über die Personen von anderen Kaisern oder Königen. Meiner Ansicht besaß das Kaiserreich eine gewisse Eigendynamik, die unabhängig von den handelnden Personen war.
Die Lage des Deutschen Reiches in der Mitte von Europa und nur noch Österreich-Ungarn und nur sehr bedingt Italien als Verbündeten, mußte meiner Meinung nach in die Katastrophe führen, egal wer Deutschland versuchte zu regieren.
Dazu kommt noch die soziale Frage und der Aufstieg der SPD, allein deshalb wären Änderungen gekommen, vielleicht nicht so schmerzhaft, wie durch den Krieg. Gekommen wären sie aber ohnehin. :rolleyes:
 
heinz schrieb:
Die Lage des Deutschen Reiches in der Mitte von Europa und nur noch Österreich-Ungarn und nur sehr bedingt Italien als Verbündeten, mußte meiner Meinung nach in die Katastrophe führen, egal wer Deutschland versuchte zu regieren.


Lieber Heinz, "egal wer ? "... dieser Meinung, besser Spekulation kann ich mich nicht anschließen und wähne mich hierin sicher mit dem ollen Bismarck d´accord . :confused:
 
Das Kaiserreich war ein moderner Staat. Besonders unter Wilhelm II.wurden viele Neuerungen wie Verkehrswege(Kanäle,Eisenbahnlinien,usw.)errichtet.Er galt als Kaiser der Moderne und hatte auch gegenüber der aufstrebenden Industrie ein offenes Ohr.Es wurde die erste Waschmaschine das erste Horgerät und vieles andere in Deutschland erfunden.Auch der Automobilindustrie gegenüber die noch in den Kinderschuhen steckte war Wilhelm sehr aufgeschlossen.Über seine militärische Konfrontationspolitik und sein fehlendes Gespühr für Diplomatie glaube ich gibt es viele Beispiele.
 
Im Bezug auf technische Errungenschaften und auch im Bezug auf die Kultur und die Bildungsstandards mag das Kaiserreich ein moderner Staat gewesen sein. Es war damals eigentlich der führende Staat in Europa, was wohl nicht möglich gewesen wäre, wenn es vollkommen rückständig gewesen wäre.
Dennoch stammte die Verfassung von 1871 und war in vielerlei Hinsicht veraltet. Der Kaiser war zu mächtig und das Volk hatte zu wenige Möglichkeiten, die Politk entscheidend zu beeinflussen. Die Verfassung war viel weniger modern als die von 1848 gewesen wäre, sie verhinderte im Prinzip eine echte Demokratie.
Man kann diese Frage also je nach Blickwinkel ganz unterschiedlich beantworten.
 
"Dennoch stammte die Verfassung von 1871 und war in vielerlei Hinsicht veraltet."
Nein, die Verfassung war verglichen mit vielen anderen Ländern recht modern und auch nicht alt. Es gab das allgemeine und gleiche Wahlrecht (für Männer). Das war 1871 noch die Ausnahme in Europa und auch 1914 noch keineswegs der Normalfall. In GB wurde das allgemeine Männerwahlrecht z.B. erst 1918 eingeführt und vollkommen gleich wurde es erst 1948! Das Problem war weniger die Reichsverfassung als die meist weit weniger demokratischen Zustände in den 25 Bundesstaaten, denen viele Zuständigkeiten verblieben.

Die fehlende Verantwortlichkeit der Regierung (oder genauer: des Reichskanzlers) gegenüber dem Reichstag kann man als Demokratiedefizit sehen. Das Problem war aber eher die Verfassungswirklichkeit als der Verfassungstext. Denn in allen anderen Staaten (zumindest im westlichen und nördlichen Europa) bildete sich im Laufe der Zeit eine faktische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlanent heraus, auch wenn das in aller Regel nicht kodifiziert war. In GB, Norwegen, den Niederlanden und in der Schweiz gibt es bis heute formal keine Möglichkeit des Parlaments, die Regierung abzusetzen. Deshalb würde man diese Länder aber nicht als autoritär bezeichnen.
 
Es gab keine verankerten Grundrechte, der Reichstag konnte vergleichsweise leicht aufgelöst werden ... Preußen spielte in der Reichsverfassung eine übermächtige Rolle (Sperrminorität, stellt Kaiser, Kanzler) - und gerade in Preußen gab es das Dreiklassenwahlrecht.
 
Ich denke, dass das Kaiserreich unmittelbar nach seiner Gründung durchaus als moderner Staat für seine Zeit angesehen werden kann. Ziel der Bismarckschen Politik seit den 1860er-Jahren war ja die Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates unter preußischer Führung, um den Nationalstaaten, insbesondere Frankreich, England und Russland, ein adäquates Machtkonstrukt entgegen setzen zu können. Insofern ist die Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates ein riesen Fortschritt gegenüber der deutschen Kleinstaaterei. Es wurde ein neuer Machtfaktor in Europa geschaffen und ein einheitlicher Rechtsraum. Die Sozialgesetze, ein BGB wären ohne einen solchen Staat nicht möglich gewesen, insofern modern für das damilge Deutschland. Autoritär aber auch, weil eben das Ziel, einen solchen Staat zu schaffen nur autoritär durchzusetzen war und man sich verständlicher Weise auf bestehende autoritäre Strukturen verlassen mußte, damit dieser neue Staat funktioniert. Die Chance, eine demokratische Bewegung zu schaffen, wurde 1848/1849 vertan. Die Gesellschaftlichen Strömungen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts z. B. die Sozialdemokratie, haben von dem neuen Staatsgebilde auch profitiert und sich nach und nach, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, in das Kaiserreich Einzug gehalten. In kleinen Staatsgebilden lassen sich solche Strömungen einfach viel einfacher unterdrücken als in eine großen Staatsgebilde. Unter Willem II. wurde dann dieser Staat nicht oder nur sehr zaghaft weiterentwickelt, weil das in der Tat den massiven Machtverlust der "herrschenden Klasse" bedeutet hätte. Mein Fazit also: Modern und Autoritär zugleich, wobei die bestehende Autorität Voraussetzung war, den "modernen Kaiserstaat" überhaupt zu schaffen und ihn funktionieren zu lassen.
 
Ich finde, dass hier bisher auch vollkommen vernachlässigt wurde, dass der Reichstag zwar ein Etatbewilligungsrecht hatte, die Einnahmen des Reiches aber fast vollständig von den einzelnen Bundesstaaten bestritten wurde. Immerhin befand sich das Reich ja fast dauernd vor dem Staatsbankrott und Reichskanzler Caprivi scheiterte auch daran, dass es ihm nicht gelang den Staatshaushalt gegen die mächtigen Bundesstaaten zu reformieren.
Auch sollte man nicht vergessen, dass solcherlei Sachen wie die bis heute bestehende Sektsteuer nur deshalb eingeführt wurde, damit der Reichshaushalt die enormen Kosten einer Flotte überhaupt tragen konnte.
Im Übrigen war das eine der ersten Steuern die direkt der Reichskasse zu Gute kamen.
Nichtsdestotrotz kann man wohl sagen, dass die Reichsverfassung so unmodern wohl doch nicht war, wohl aber die Verfassung der Bundesstaaten (im Allgemeinen). Über die tatsächliche Verfassung in ihrer Anwendung und der Selbstentmachtung des Reichstages im ersten Weltkrieg sage ich mal lieber nichts...:still:
 
Hellas schrieb:
Er galt als Kaiser der Moderne....

Der Chef des Militärkabinetts von Hülsen-Haeseler musste nach einem Jagdauflug für Wilhelm II. in einem rosa Kostüm als Balettänzerin auftreten. Dabei kam Hülsen-Haeseler ums Leben, da er einem Herzinfarkt erlag. Das Ganze war wohl an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten, ein verdienter Offizier musste vor seinem Monarchen und Dienstherrn sich dermaßen entblöden und demütigen lassen. Ich habe mein Zweifel, ob dies an den an den deren Höfen Europas gängige Praxis war. Was hat sich Wilhelm eigentlich dabei gedacht?
 
Man sollte immernoch beachten, wenn man das Wahlrecht zum Reichstag anspricht, dass die Wirklichkeit in vielen Teilen Ostelbiens so aussah, dass noch öffentlich abgestimmt wurde, unter Aufsicht der Obrigkeit. So wurden in den ländlichen Wahlkreisen meist die Konservativen die Sieger.

Und natürlich was viele schon meinten: Ich finde es sehr schwierig einen Staat als demokratisch zu bezeichnen in dem die Regierung nicht aus der Volksvertretung hervorgeht, sondern dieser von einer Autorität gegenüber gestellt wird. Da kann die Wahl noch so frei sein, was nutzt sie, wenn man ein im Grunde machtloses Gremium wählt.
 
Ich habe mein Zweifel, ob dies an den an den deren Höfen Europas gängige Praxis war. Was hat sich Wilhelm eigentlich dabei gedacht?
Mich erinnert das an Friedrich Wilhelm I..:still:

Modern oder autoritär finde ich auch eine komische Ausgangsfrage des Threads. Wie schon mehrfach gesagt, mag es damals modern gewesen sein, dass man autoritär regierte. Aber das Deutsche Reich zu der Zeit ist nur in seiner historischen Umgebung zu verstehen. Auch eine autoritäre Regierung musste ja von wem getragen werden und hatte seine Ursprünge...
 
@Wilkenjan
in kleinen Staatsgebilden lassen sich solche Strömungen einfach viel einfacher unterdrücken als in eine großen Staatsgebilde.
Da liefert das Kaiserreich doch das beste Gegenbeispiel. Dort waren die kleineren Bundesstaaten keineswegs grundsätzlich erfolgreicher im Niederhalten der SPD. Während die SPD in der preußischen Politik vor 1918 nie ein Machtfaktor wurde, verfügte sie im Landtag von Schwarzburg-Rudolstadt sogar über die absolute Mehrheit.



@Solidarnosc
dass die Wirklichkeit in vielen Teilen Ostelbiens so aussah, dass noch öffentlich abgestimmt wurde, unter Aufsicht der Obrigkeit. So wurden in den ländlichen Wahlkreisen meist die Konservativen die Sieger.
Das ist so falsch. Die Wahl zum Reichstag war überall geheim, die zum preußischen Abgeordnetenhaus überall nicht geheim. In Ostpreußen waren 1913 25 von 32 Abegeordnete im preuß. Abgeordnetenhaus konservativ, aber nur 7 der 17 ostpreußischen Reichstagsabgeordneten.


Und natürlich was viele schon meinten: Ich finde es sehr schwierig einen Staat als demokratisch zu bezeichnen in dem die Regierung nicht aus der Volksvertretung hervorgeht, sondern dieser von einer Autorität gegenüber gestellt wird. Da kann die Wahl noch so frei sein, was nutzt sie, wenn man ein im Grunde machtloses Gremium wählt.
Nach der Definition wären GB, Niederlande und Norwegen und Luxemburg noch heute keine Demokratien. Man wird kaum behaupten können, daß die dortigen Parlamente einflußlos seien. Ebenso wird man den Bundesrat wegen mangelndem Einfluß auf die Regierungsbildung nicht einflußlos nennen können - weder den des Kaisereichs noch den heutigen.
 
Hat er den Hülsen-Haeseler echt gezwungen im Tütü aufzutreten? Ich hatte immer angenommen das wäre im feucht-fröhlicher Stimmung etwas aus dem Ruder gelaufen. Fies genug wäre Wilhelm vermutlich gewesen, aber das er einen preußischen Offizier derart lächerlich macht, kommt mir merkwürdig vor. Hier wird die Sache etwas anders dargestellt:

Die Kaiser der Neuzeit, 1519-1918 ... - Google Buchsuche
 
Das Bild wandelt sich langsam. Je länger eine Zeit her ist und zur "Geschichte" wird, je mehr verlieren sich politisch motivierte Vorurteile und lassen Raum für eine objektive Betrachtung ..

"Mythos Das Kaiserreich war moderner als gedacht
Von Eberhard Straub
Dieser Sammelband führt mitten hinein in die brüchigen Mythen der Modernisierungsideologie. Sven Müller und Cornelius Torp entlarven in " Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse" das negative Bild dieser Epoche als ein Vorurteil. Leider fehlt ein Beitrag zur Sozialdemokratie.

Langsam wandelt sich auch in Deutschland das Bild vom Kaiserreich. Das dokumentieren die Beiträge in dem von Sven Oliver Müller und Cornelius Torp herausgegebenen Band „Das deutsche Kaiserreich in der Kontroverse“. Der so oft beschworene Junker-, der Militär- und der Obrigkeitsstaat erweist sich bei einer gründlicheren Analyse als polemische Konstruktion. Die Junkerklasse war nie eine Einheit, weil die Interessen der reichen und wirtschaftlich erfolgreichen Aristokraten sich von denen der verarmten Adeligen unterschied oder den verbeamteten, die im Staatsdienst ihr Auskommen suchten. Auch der Junker musste sich den Ansprüchen der Leistungsgesellschaft in einem Rechts- und Verwaltungsstaat anpassen, studieren und Examina machen.

Er musste mit der Rechtsentwicklung vertraut sein und damit mit dem von Liberalen geprägten Recht. Wer auf dem Lande blieb, konnte sich neuen Methoden in der Landwirtschaft nicht verschließen; wer in die Armee eintrat, durfte sich nicht der „Verwissenschaftlichung“ des Militärwesens und der Technisierung verweigern.

Adelige Offiziere, Agrarunternehmer oder Beamte erwiesen sich als vertraut mit neuen Methoden, eben modernen und hielten in keiner Weise den Prozess der Modernisierung auf. Wie alle Klassen wurde auch der Adel von der allgemeinen Politisierung ergriffen, die nach dem Sturz Bismarcks die Deutschen in Massenverbänden mobilisierte. Der Untertan ist eine Karikatur Heinrich Manns, der den Staatsbürger und den Rechts-, Kultur- und Sozialstaat seiner Gegenwart nicht begriff. Heinrich Manns Roman ersetzte lange Zeit Forschungen über den Bürger und den Adel als soziale Gestalten.

Mittlerweile erweist sich der bürgerliche Sozialtypus als ebenso variationsreich wie der des Junkers oder Adeligen. Der Pluralismus und eine mit ihm verbundene Unübersichtlichkeit, sehr moderne Erscheinungen, erlauben keine einseitigen Idealtypisierungen in der sich entwickelnden Massengesellschaft. Darauf verweisen die Beiträge meist britischer Historiker oder deutscher an britischen Universitäten. (...)

Quelle und ganzer Artikel in der WELT: Das Kaiserreich war moderner als gedacht
 
War das Deutsche Kaiserreich ein UNrechtsstaat?

Im Deutschen Kaiserreich gab es keine demokratischen Wahlen (3-Klassenwahlrecht?); es gab politische Repressalien gegen Andersdenkende (Sozialistengesetze, Kampf gegen die Katholiken); es gab die Unterdrückung nationaler Minderheiten (Germanisierungspolitik in den Ostgebieten); es gab Eroberungen in anderen Teilen der Welt (Namibia usw.) und es gab Angriffskriege (1. Weltkrieg).

War das Deutsche Kaiserreich nicht eigentlich ein Unrechtsstaat?

Gruß!
 
Das gleiche kannst du von fast jeder anderen Nation sagen , denk mal an Russland oder England und die Iren , die USA und die Idianer bzw. die Schwarzen , die antiken griechischen Demokratien in denen nur Männer die auch Staatsbürger waren wählen durften oder die urdemokratischen Schweiz in der Frauen erst seit 1971 wählen dürfen .
Wenn man das deutsche Kaiserreich im geschichtlichen Kontext betrachtet war es nicht mehr und nicht weniger ein Unrechtsstaat als seine Zeitgenossen ..
 
Das gleiche kannst du von fast jeder anderen Nation sagen , denk mal an Russland oder England und die Iren , die USA und die Idianer bzw. die Schwarzen , die antiken griechischen Demokratien in denen nur Männer die auch Staatsbürger waren wählen durften oder die urdemokratischen Schweiz in der Frauen erst seit 1971 wählen dürfen .
Wenn man das deutsche Kaiserreich im geschichtlichen Kontext betrachtet war es nicht mehr und nicht weniger ein Unrechtsstaat als seine Zeitgenossen ..

guten morgen,

es geht mir nicht darum, das deutsche kaiserreich zu verdammen. ich habe nur eine parallele ziehen wollen. wenn man den einen staat aufgrund gewisser "merkmale" zum unrechtsstaat erklärt, warum dann die anderen staaten nicht auch? ein staat, der teile seiner bevölkerung diskriminiert und in ihren menschenrechten einschränkt (frauen, nationale minderheiten, religiöse gruppen), kann man den dann als rechtsstaat bezeichnen? nur weil die diskriminierungen womöglich auf gesetzen beruhte? und ist automatisch ein unrechtsstaat, wer kein rechtsstaat war?

gruß!
 
Auch einen guten Morgen,
wenn man den einen staat aufgrund gewisser "merkmale" zum unrechtsstaat erklärt, warum dann die anderen staaten nicht auch?
Wer erklärt denn das deutsche Kaiserreich zum Unrechtsstaat?

ein staat, der teile seiner bevölkerung diskriminiert und in ihren menschenrechten einschränkt (frauen, nationale minderheiten, religiöse gruppen), kann man den dann als rechtsstaat bezeichnen?
Das kommt immer auch auf den jeweiligen historischen Kontext an. Aus unserer heutigen Warte heraus, erscheint uns vieles als Unrecht, was im jeweiligen histroischen Kontext bzw. im damaligen Empfinden durchaus Recht war.

nur weil die diskriminierungen womöglich auf gesetzen beruhte?
Auch hier kommt es wieder auf das damilige Rechtsempfinden und den jeweiligen Kontext an. Nur weils ein Gesetz gibt, heißt dass noch lange nicht, dass Unrecht zu Recht wird.

und ist automatisch ein unrechtsstaat, wer kein rechtsstaat war?
Per definitionem ist das heute noch so. "Ein Staat, der kein Rechtsstaat ist, ist ein Unrechtsstaat" Sendler: "Recht - Gerechtigkeit - Rechtsstaat"
 
wenn man den einen staat aufgrund gewisser "merkmale" zum unrechtsstaat erklärt, warum dann die anderen staaten nicht auch?
Wenn man das deutsche Kaiserreich im geschichtlichen Kontext betrachtet war es nicht mehr und nicht weniger ein Unrechtsstaat als seine Zeitgenossen ..
Das ist sozusagen die "Außenseite" der Diskussion, auf die ich jetzt nicht eingehe.

War das Deutsche Kaiserreich nicht eigentlich ein Unrechtsstaat?
"Ein Staat, der kein Rechtsstaat ist, ist ein Unrechtsstaat" Sendler
Aus unserer heutigen Warte heraus, erscheint uns vieles als Unrecht, was im jeweiligen histroischen Kontext bzw. im damaligen Empfinden durchaus Recht war. ... Nur weils ein Gesetz gibt, heißt dass noch lange nicht, dass Unrecht zu Recht wird.
Der Aphorismus des Kollegen Sendler ist logisch einwandfrei und zugleich von ergreifender Substanzlosigkeit. Wie Lili schon andeutet, muss man entweder den "Rechtsstaat" oder den "Unrechtsstaat" definieren/beschreiben, um einen Standort zu gewinnen und diesen mit anderen sinnvoll vergleichen zu können. Vielleicht ist es einfacher, eine Bestimmung des Rechtsstaats vorzunehmen und dabei von der "heutigen Warte" auszugehen, etwa vom Rechtsstaatsbild unserer Grundgesetzes, und sodann den "Abstand" zum Kaiserreich zu vermessen.

Das ist schon schwierig genug, u. a. weil das GG den Rechtsstaat bzw. das Rechtsstaatsprinzip nicht definiert - im Übrigen selbst bedeutsamen Veränderungen unterworfen ist! - und weil bestimmte andere Grundprinzipien damit verquickt sind, z. B. das Demokratieprinzip. Ich nehme flitzpiepes Beispiel: Stellen wir uns einen Staat vor, dessen Wahlrecht eine bestimmte Zahl/Gruppe von Staatsbürgern ausschließt; stellen wir uns zugleich vor, dass in diesem Staat das Rechtsschutzprinzip vollständig gewährleistet ist, so dass niemand seiner Obrigkeit schutzlos ausgeliefert ist - ist das ein Rechtsstaat?

Man kann diese Frage beliebig verfeinern und z. B. in Bezug auf das Strafrecht fragen:
- Gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Tat und Strafe?
- Setzt die Strafe ausnahmslos die Schuld voraus?
- Gilt jeder bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig?
- Hat jeder das Recht auf ein faires Verfahren?

Bei alledem wäre auch zu prüfen, inwieweit es notwendig ist, (a) zwischen geschriebenem Recht und ungeschriebenem ("Rechtsempfinden" usw.) zu unterscheiden und (b) auch "Universalien" (universelle Menschenrechte) in die Analyse mit einzubeziehen.

Klingt alles recht umständlich - wer einen einfacheren Weg kennt, möge ihn nennen!:fs:
 
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