Elsaß-Lothringen

Da sieht man ganz gut die unterschiedliche Sicht von Deutschen und Franzosen auf Staatsidee und Völkerrecht.
....
Wie gesagt: Ich weiß nicht, ob das 1871 noch eine Rolle spielte. Aber die "Unrechtmäßigkeit" des französischen Besitzes an Elsaß/Lothringen war in Deutschland bis Ende des alten Reichs präsent.

Sehr interessant Dein Beitrag.

Wenn ich noch etwas ergänzen darf, es war ja keineswegs Bismarck der so absolut das Elsass haben musste, es waren die Militärs und insbesondere die Süddeutschen.
Vorfeld gegen Frankreich!

In den 1830er/40er/50er/60er Jahren war immer wieder die Rheingrenze zum nationalen Ziel Frankreichs erhoben worden.

Die Angst war groß!
 
Repo brachte mich da schon vor Jahren drauf, inwieweit Flüsse und Wasserscheiden Siedlungsgrenzen sind bzw. inwiefern diese bei politischen Grenzen eine Rolle spielen.
Grundsätzlich sind ja Besiedlungsdichte, Verkehrsverbindungen und die Wirtschaftsweise die wichtigen Aspekte bei solchen Grenzen.

Flüsse können kleinere Verwaltungseinheiten abgrenzen, aber in erster Linie verbinden sie als Verkehrsweg die Einwohner des umliegenden Landschaft, links und rechts eines Flusses wohnen fast immer die gleichen Leute.

Wasserscheiden sind für die Praxis ziemlich unwichtig. Im Gebirge sind Paßwege sogar meist die besseren Verkehrswege als manche Flußläufe mit Engen und Schluchten. In den Alpen liegen viele Kirchgemeinden auf beiden Seiten eines Passes - weil man leichter über diesen kommt als vom Hochtal zur nächsten tiefer gelegenen Region.

Aber das ist ein separates Thema.
Stimmt.

Ab wann??? Doch erst, wenn überhaupt, ab Mitte des 19. Jhdts. oder?
Richtig, das wurde erst mit der nationalen Bewegung ein Thema.

Ich vermag deiner Vermutung da nicht ganz zu folgen, lieber R.A., da nicht nur Elsaß sondern eben auch lothringische Gebiete ans Reich kamen und auf der anderen Seite wiederum nur eines deiner "drei Bistümer". :)
Natürlich, da haben sich schon verschiedene Motivationen überlagert. Erstens die Sprachgrenze, zweitens Sonderwünsche von Militärs und Kaiser - aber der (für die Franzosen überraschende) Verzicht auf die Annexion des "französischen Lothringens" ist doch auffällig.
 
Wenn ich noch etwas ergänzen darf, es war ja keineswegs Bismarck der so absolut das Elsass haben musste
Richtig.
Der war Pragmatiker und Preuße (d.h. das war ihm alles weit weg).

... und insbesondere die Süddeutschen.
Genau. Und das waren eben die, die schon im alten Reich immer das Anliegen mit den drei Bistümern und Straßburg vorbrachten!

Das ist leider schon 30 Jahre her und ich weiß die Details unserer Seminarlektüre nicht mehr. Aber das war schon witzig.
Da wollen sich die europäischen Mächte (typische Kabinetts-Diplomatie) über irgendeine neue Friedensregelung einigen und schieben am grünen Tisch die Provinzgrenzen hin und her.

Und dann kommt die kaiserliche Delegation und bringt wieder einmal die Forderung nach Rückgabe der alten Reichsstände - weil der schwäbische oder fränkische Reichskreis das in Regensburg vorgebracht hatten. Von wegen das wäre ja das gute alte Recht und das müsse man beim Friedensvertrag berücksichtigen. Naiv und hartnäckig über viele Jahrzehnte.
 
@ R.A.

Ich denke nicht, dass es konkret mit einer "naiven" Sichtweise zu tun hat. Die Beharrung auf den Reichsgrenzen resultierte doch letztlich auch aus der Verfassungsgeschichte des HRR. In allen Büchern zu der Thematik, die ich bis jetzt las, wurde untermauert, dass den Friedensverträgen und insbesondere dem Westfälischen Frieden ein wichtiger Teil in der Verfassung des HRR zukam. Meines Wissens dehnte der König von Frankreich und Navarra allerdings seine damit gewonnenen Rechte eigenmächtig aus (nicht nur bezogen auf Straßburg).

Hier liegt meines Erachtens wahrscheinlich der Hase im Pfeffer.
Lothringen wurde ja über die Übergangslösung als pseudosselbstständiger Staat unter dem Exilkönig Stanislaus dann förmlich aus dem Reich heraus getrennt(1738/66).
Beim Elsass hingegen usurpierte Louis XIV geradezu Recht um Recht. Man müsste freilich schauen, ob und wie weit die Friedensverträge zwischen 1648 und 1713 den Status des Elsass beschrieben und ob die Usurpation der vollen Herrschaftsrechte (von ein paar Einsprengseln abgesehen) staatsrechtlich sanktioniert oder legitimisiert wurde.

Sagen wir es mal so: Stell Dir vor ein fremder Herrscher wie der russische Zar wird in Thüringen Landesvater eines Reichsterritoriums. Der Zar versucht dann aber dieses Gebiet aus der Lehensabhängigkeit unter dem Kaiser des HRR herrauszunehmen und wie sein eigenes Russland als komplett souveränen Staat zu regieren. Ich glaube nicht anders sah es dann wohl die Reichsseite, als sie so "naiv" dagegen vorging. Machte so ein Vorgehen Schule und man unternahm nicht einmal den Versuch etwas dagegen zu tun, dann konnte praktisch jeder sich was aus dem Reich rausnehmen wie er eben wollte und von wegen "Wahrer des Reiches" wäre noch viel eher eine reine Farce gewesen. (Genauso schürte eine Ohnmacht des Reiches bei kleineren Reichsständen, welche auf den Schutz des Reiches angewiesen waren, ja selbstredend auch Ängste - Existenzängste.)
 
Wasserscheiden sind für die Praxis ziemlich unwichtig. Im Gebirge sind Paßwege sogar meist die besseren Verkehrswege als manche Flußläufe mit Engen und Schluchten. .

Das scheint speziell für diese Region auch zuzutreffen, jedenfalls finden sich solche Bemerkungen in der oben verlinkten Schrift, die dorf- und stadtweise vorgeht und Sprachkenntnisse abzählt.


Zu Bismarck Intention und Deutsch-Lothringen möchte ich gern nochmal nachlesen, hier gibt es aus 1989 eine interessante Monographie:
Eberhard Kolb, Der Weg aus dem Krieg - Bismarcks Poilitik im Krieg und die Friedensanbahnung 1870/71.
 
Eberhard Kolb, Der Weg aus dem Krieg - Bismarcks Poilitik im Krieg und die Friedensanbahnung 1870/71.

Hier lassen sich mehrere Stränge verfolgen:

a) die Annexionsfrage in der öffentlichen Meinung, in den Jahrzehnten vor 1870, dann 1859/60 in Bezug auf Napoleon III im "Bündnis" mit der italienischen Nationalbewegung.
aa) mit rein nationalistischer Argumentation
ab) nationalistisch mit dem dem Aspekt der Vorfeldsicherung gegen eine Invasion
[ist wohl allgemein bekannt]

b) die Annexionsfrage bei Bismarck, ab August 1870 (das Kriegsziel wird durch die Kriegsursache nur zum Teil bestimmt. ... Der Sieg übt durch seine Betätigung der rechtbildenden Macht auch eine Recht bildende Kraft aus." (Bluntschli)

Eine in den 1960ern vertretene, streitige These, die öffentliche Meinung habe die Annexionsfrage zunächst nicht beachtet, diese sei durch Bismarck angeheizt worden (deutsche und englische Presse), kann man wohl ad acta legen; ebenso die Gegenthese, Bismarck der innere Führungszirkel oder Teile davon hätten der Annexion kritisch gegenüber gestanden bzw. diese abgelehnt.

Die öffentliche Meinung bildete sich vielmehr in allen Gebieten (einschl. Norddeutschland) recht schnell im Juli 1870 auf der Basis der nationalen Diskussion 1859/60, der nächste Krieg mit Frankreich müsse diese Annexionen bringen. Die Besorgnisse im Süden wurden durch Invasionsgefahren angeheizt, auch Befürchtungen vor dem Erscheinen afrikanischer Truppenkontingente, wie aus den Zeitungen hervorgeht. Annexionsforderungen bezogen sich durchweg auf "Deutsch-Lothringen". Speziell im Süden wird in den Juliwochen sogar von Panik gesprochen.

Bei Bismarck taucht die Annexionsfrage unmittelbar nach den Siegen bei Wörth und Saarbrücken auf, am 7. August 1870, sodann in mehreren Quellen über den ganzen August 1870. Hier wurde die Perspektive des militärischen Sieges greifbar, somit die des "Siegespreises". Mit unterschiedlichen Formulierungen kündigte Bismarck insbesondere am folgenden 10., 11., 13. und 15. August Forderungen nach Gebietsabtretungen an, daneben gegenüber der englischen Presse am 21.8.1870. An diesem Tag ist neben früheren Formulierungen von "Elsaß", "Straßburg und wahrscheinlich Metz" oder "Straßburg und Metz" auch von "Deutsch-Lothringen die Rede, sowie "des fortificatorischen Vorfeldes von Metz". Aus den Quellen können nach Kolb zwei Schlüsse gezogen werden:
- Bismarck ging von Axiom der Unversöhnlichkeit Frankreichs nach diesem Krieg aus, im Vorfeld der Annexionsfrage (iS einer Ursachen-Wirkungsbeziehung)
- das Argument der Sicherung der süddeutschen Staaten wurde von ihm in der Diskussion aktiv verwendet (zB im Kriegsrat 14.8.187[1]0!), um die territorialen Forderungen als Kriegsziel zu untermauern. Mit Entschlossenheit wurden von ihm dabei Forderungen zurückgewiesen, die einen Glacisstaat nach dem Vorbild von Belgien zum Ziel hatten. Dieses Gedanken finden sich nach Kolb auch in dem von Bismarck konzipierten Handschreiben König Wilhelms an Zar Alexander vom 31.8.1871, um russisches Einverständnis bzw. eine tolerierende Haltung zu erlangen.

Der Umfang der vorzunehmenden Annexionen war bei Bismarck wohl variabel anzusetzen; nach einer Äußerung vom 6.9.1870 setzt er den Umfang noch in Abhängigkeit von den Verhandlungen und den "Umständen". Auch einige Details sind unsicher: Bismarck ließ im September vom Auswärtigen Amt die Angliederung des südlichen Elsaß an die Schweiz sondieren.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass Kolb die These bzw. ältere Diskussion zurückweist, dass die Annexionsfrage bei Bismarck innenpolitisch motiviert gewesen sei ("Hauptmotiv"). In den Organisationsanweisungen Bismarck ist zudem schon im August 1870 der Ansatz der "Reichsland-Konzeption" angedeutet. Kolb schließt damit ab, dass dieses "Sicherheitsverlangen" im August 1870 im Führungszirkel "eruptiv" in Erscheinung getreten sei.

[siehe oben, S. 113-167]
 
Zuletzt bearbeitet:
Eigentlich OT:

Österreich hat 1866, unmittelbar nach Königgrätz, Napoleon dem III. Teile Süddeutschlands für eine Kriegsbeteiligung auf Seiten Österreichs versprochen.
Gebiete, die überwiegend, oder fast ausschließlich seinen Verbündeten zueigen waren.

Dieser Verrat hat Bayern und Württemberg endgültig in die Arme Preussens getrieben. Bei Baden lag der Fall etwas anders.

In Stuttgart erschien in jenen Jahren eine liberale+demokratische Zeitung, "Der Beobachter".
Nach Tauberbischofsheim forderte der "Beobachter" einen Guerrillakrieg gegen die Preußen.
Wenig später, 1867 bei der "Luxemburg-Krise" einen preußisch/süddeutschen Präventiv-Krieg gegen Frankreich.

Die Stimmung war schnell umgeschlagen,
und der "Braut" Süddeutschland, legte der Preuße Elsass-Lothringen als Bettvorleger vor das Ehebett.

Man beachte den Unterschied!
 
Ich weiß nicht, ob das 1871 noch eine Rolle spielte. Aber die "Unrechtmäßigkeit" des französischen Besitzes an Elsaß/Lothringen war in Deutschland bis Ende des alten Reichs präsent.
Und auch noch 1871.Schließlich war das Ende des alten Reiches da erst 70 Jahre her , Waterloo sogar erst 55 Jahre. Preußen-Hohenzollern war lange nicht so kühl-pragmatisch .wie man sich gerne gab. Schließlich kamen die Hohenzollern ja aus dem südwestdeutschen Raum und hatten durch die Annexion von Nassau,Frankfurt Kurhessen und des Rheinlandes erhebliche Interessen in der Region .
Und auch Habsburg hatte dort noch lange Interessen, die erst nach dem deutschen Krieg 1866 endeten. Hinzu kamen strategische Interessen und nationalromantische Irredentaforderungen denen man auch am preußischen Königshof und im Königshaus anhing.
Allerdings wurden diese Gefühle von den "heimgeholten" Elsassern und Lothringern nicht geteilt . Im Gegenteil erfolgte dort ein frankophiler Stimmungsumschwung.
War es bis zur Revolution und auch später unter Louis Napoleon und Napoleon III in Strassburg noch en vogue deutsch zu sprechen, so berichtete mir meine Oma,die 1910- 1914 als Krankenschwester in Strassburg war, daß die Strassburger damals grundsätzlich wenn immer es möglich war französisch sprachen und sich bis auf wenige Ausnahmen auch nicht als zum Reich sondern eher zu Frankreich zugehörig verstanden.Dieser Stimmungsumschwung muß also zwischen 1870 und 1910 erfolgt sein.
 
...so berichtete mir meine Oma,die 1910- 1914 als Krankenschwester in Strassburg war, daß die Strassburger damals grundsätzlich wenn immer es möglich war französisch sprachen und sich bis auf wenige Ausnahmen auch nicht als zum Reich sondern eher zu Frankreich zugehörig verstanden.Dieser Stimmungsumschwung muß also zwischen 1870 und 1910 erfolgt sein.

War das wirklich ein Umschwung? Zitat zu 1870:

"Auch die entschiedensten Verfechter der Annexionsforderung haben sich keinen Illusionen über die Einstellung der Elsässer und Lothringer hingegeben. Sie waren sich durchaus darüber im klaren, dass die rd. 1,5 Mio. Bewohner ... trotz ihrer deutschen Sprache und Sitte in ihrer überwältigenden Mehrheit im französischen Staatsverband verbleiben wollten. Vor dem Kriegsausbruch gab es in diesen Gebieten keine deutsche Irredenta, und auch nach dem Beginn der Okkupation trat keine "Anschluß-"Partei, nicht einmal eine autonomistische Partei in Erscheinung, kein prominenter Elsässer sprach sich öffentlich für den Anschluss an Deutschland aus."

[Kolb, S. 173 ff.]


Den Schwenk selbst der partikularistischen Teile und Kreise Süddeutschlands kann man ohne weiteres, nicht nur im Rahmen nationaler Solidarisierung, auf die Form zurückführen, in der die französische Regierung den Krieg begann. Die Presse kolportierte allerorten den "frivolen" Überfall Frankreichs auf die Nachbarvölker, die Presse in Süddeutschland benutzte innerhalb weniger Tage das Bild des "Kreuzzuges" bzw. des "heiligen Krieges" gegen Frankreich, gegen den Bonapartismus von Köln bis München. Annexionsgelüste oder Invasionsvorfeld spielten in der hochgeheizten Stimmung kaum eine Rolle, sondern waren dann eher die Folge nach Wörth und Saarbrücken.
 
Interessant ist die Haltung dieser Autoren.
Erckmann-Chatrian ? Wikipedia
Dazu meine private Meinung nach dem, was ich von ihnen kenne (Ein Rekrut von 1813, Waterloo), nicht unbedingt kongruent zu Wiki:
Deutschsprachig, prinzipiell (süd)deutschfreundlich, Anhänger der Revolution, Gegner Napoleons und der Bourbonen. Eine Ablösung von Frankreich steht (1813-15) gar nicht zur Debatte, Preussen ist geradezu verhasst.
 
und der "Braut" Süddeutschland, legte der Preuße Elsass-Lothringen als Bettvorleger vor das Ehebett.

Verzeihung, auch OT und nebenbei: Zwar glaube ich nicht, dass es für die süddeutsche Stimmung erst des Bettvorlegers bedurfte, aber die französische Seite war nicht untätig:

Über die "Römische Frage" verhandelte man mit Italien (Durchzug durch Ö-U nach Bayern) - das ergab sich aus italienischer Sicht so-oder-so,
Römische Frage ? Wikipedia
und Dänemark sollte mit Nordschleswig geködert werden.

Bzgl. Ö-U scheint eher die Aussicht auf die Stutzung Preußens das Angebot bestimmt zu haben, Territoriales war da nur klein-klein für eine 150.000-Mann-Armee in Böhmen.
 
Da habt Ihr beide nicht unrecht.
Diese ambivalente Haltung gab es bis zum Bekanntwerden der österreichisch-französischen Aufteilungspläne und der Emser Depesche im gesamten Südwesten beiderseits der Grenzen.
Nicht nur Elsaß-Lothringen war frankophil, auch In Baden,der Pfalz,Rheinhessen und dem Rheinland gab es starke frankophile Kräfte und beispielsweise in der Bundesfestung Mainz waren die Preußen im Gegensatz zu den Österreichern und den Franzosen (die vorher die Stadt besetzt hatten, äußerst unbeliebt.
Außerdem waren weder 1848 und die preußische Rolle bei Waghäusel und Rastatt noch die Franzosenzeit und die Republik von 1793 vergessen. (Es gab pfälzische Gegenden und Familien wie die meinige,da wurden diese antipreussischen Resentiments unter Hinweis auf die damaligen Geschehnisse noch bis ins 20.Jahrhundert gepflegt)

Diese Haltung,insbesondere die Skepsis gegenüber Preußen war im Elsaß und in Lothringen noch ausgeprägter, zumal man mit der Anbindung an Frankreich zu Zeiten Napoleons gut gefahren war.
 
OT: Wenn man die Aufzählung historischer "Argumente" für und wider so betrachtet....

Ist es nicht widerlich, wie Politiker in fernen Orten über das Schicksal von Regionen mit Millionen (100 Tausenden?) von Leuten entscheiden wollen, ohne sie mal zu befragen?
 
Ist es nicht widerlich, wie Politiker in fernen Orten über das Schicksal von Regionen mit Millionen (100 Tausenden?) von Leuten entscheiden wollen, ohne sie mal zu befragen?

Natürlich ist das widerlich, aus heutiger Sicht. Deshalb habe ich die zeitgenössische Sicht einer völkerrechtlichen Kapazität eingeflochten:

b) die Annexionsfrage bei Bismarck, ab August 1870 (das Kriegsziel wird durch die Kriegsursache nur zum Teil bestimmt. ... Der Sieg übt durch seine Betätigung der rechtbildenden Macht auch eine Recht bildende Kraft aus." (Bluntschli)
Johann Caspar Bluntschli ? Wikipedia

Das Ergebnis der Befragung wäre übrigens negativ ausgefallen [natürlich rein spekulativ]
 
War es bis zur Revolution und auch später unter Louis Napoleon und Napoleon III in Strassburg noch en vogue deutsch zu sprechen, so berichtete mir meine Oma,die 1910- 1914 als Krankenschwester in Strassburg war, daß die Strassburger damals grundsätzlich wenn immer es möglich war französisch sprachen und sich bis auf wenige Ausnahmen auch nicht als zum Reich sondern eher zu Frankreich zugehörig verstanden.Dieser Stimmungsumschwung muß also zwischen 1870 und 1910 erfolgt sein.

Mein Großvater, 1894-96 Soldat in Straßburg, hat ähnliches berichtet.
(vielleicht haben ihn aber seine Erfahrungen aus den Vogesenkämpfen 15-18, wo er etliches über die "Wackes" zu berichten wusste, rückschauend beeinflusst)
Die Wahlergebnisse sprechen aber eine andere "Sprache". Ab ca. 1890 zunehmend "deutschfreundlich". Was vermutlich mit dem starken Wirtschaftsaufschwung zusammenhängt.

Schließlich kamen die Hohenzollern ja aus dem südwestdeutschen Raum
Das war aber 1870 auch schon ein paar Wochen her=)
so grob 650 Jahre:cool:
 
Ich denke nicht, dass es konkret mit einer "naiven" Sichtweise zu tun hat. Die Beharrung auf den Reichsgrenzen resultierte doch letztlich auch aus der Verfassungsgeschichte des HRR....
Völlig richtig - wie auch alle Deine weiteren Ausführungen dazu.
Die Motivation der Reichsstände ist völlig verständlich, und sie sind auch nach Reichsverfassung im Recht.

Der Punkt ist nur: Das interessiert auf einer europäischen Friedenskonferenz überhaupt nicht. Insbesondere, wenn diese lange nach der französischen Annexion stattfindet und es schon mehrere (aus Sicht der Reichsstände erfolglose) Verhandlungen dazu gegeben hat.

Die Reichsstände agieren so, als wären die internationalen Verhältnisse so wie auf dem Reichstag in Regensburg - dort sind juristische Argumentationen sehr wichtig und da kann man auch mit "ollen Kamellen" wieder und wieder kommen, bis mal ein Konsens erreicht ist.

Das "naiv" bezieht sich darauf, daß sie die völlig anderen Sichtweisen auf einer europäischen Konferenz nicht verstehen. Dort sind juristische Betrachtungsweisen deutlich weniger wichtig, da zählen die Fakten (oft militärisch geschaffen) viel mehr und der Interessenausgleich zwischen den Mächten. Und was dann als Kompromiß rauskommt, ist eben die neue Rechtslage.

Ohne ins Tagespolitische abgleiten zu wollen: So agieren die Deutschen eigentlich heute noch, ein echtes Verständnis für internationale Politik ist selten.
 
Mit Entschlossenheit wurden von ihm dabei Forderungen zurückgewiesen, die einen Glacisstaat nach dem Vorbild von Belgien zum Ziel hatten.
Sehr interessante Idee, von der habe ich noch nie gehört.
Von wem kamen denn diese Forderungen?

Wenn die Franzosen so eine Lösung akzeptiert hätten, wäre sie vielleicht die bessere Alternative gewesen, d.h. vielleicht hätte sich dann die deutsch-französische Feindschaft nicht so heftig entwickelt (obwohl die m. E. weniger an Elsaß-Lothringen hing als an der französischen Weigerung, den Verlust der Vorrangrolle in Europa zu akzeptieren).

Spannend wäre auf jeden Fall die Frage gewesen, ob die Bevölkerung diesen Glacis-Staats akzeptiert und auch "gelebt" hätte. Der hätte ja nicht wie im Fall Belgiens eine eigene Wurzel gehabt, sondern wäre völlig überraschend von oben installiert worden.
 
Von wem kamen denn diese Forderungen?

Das wurde bei dem Kriegsrat in Herny angesprochen, 14.8.1870. Muss ich nachschlagen, die Ablehnung erfolgte wohl auch deswegen sofort, weil sich niemand mit dieser Konstruktion mittelfristig die Sicherung des "Vorfeldes" vorstellen konnte.
 
Das war aber 1870 auch schon ein paar Wochen her=)so grob 650 Jahre:cool:
Weit gefehlt ,die sitzen heute noch in Hechingen,Sigmaringen und auf der Zollernalb
und Hohenzollern bildete neben Baden und Württemberg einen der Teilstaaten aus denen das Bundesland BAWü egebildet wurde. Hohenzollern war eben nicht nur Preußen sondern auch Mittel-und Oberfranken und schwäbisch Zollern.

Zum Glacisstaat: Der wäre als Binnenstaat wohl wirtschaftlich nicht überlebensfähig gewesen und hätte sich früher oder später einem der beiden Großmächte anschließen müssen.Und daß das angesichts der Stimmungslage in der Region de facto eher Frankreich gewesen wäre war ein Risiko,daß man in Berlin nicht eingehen wollte.
 
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