Deutsche Aktivitäten zur Herbeiführung des russisch-japanischen Krieges 1904

...Es ist schon etwas eigenartig, welche Kröten die Briten in Persien bereit waren zu schlucken und geschluckt haben, um das Zarenreich ja nicht auf falsche Gedanken kommen zu lassen. Nicht ganz unberechtigt gab es in Großbritannien vernehmbare Stimmen, sich doch dazu zu bequemen, mit dem Deutschen Reich ein Arrangement zu erreichen. ...

Nach der Krise 1885 gab es in Großbritannien eine klare Lageanalyse:

1. die Landstreitstreitkräfte des Empire sind - zB im Mittleren Osten und an der Indischen Grenze - kaum in der Lage, eine russische Armee aufzuhalten, deren Versorgungslinien durch Eisenbahnen bis an die Krisenpunkte heranreichen. Dies erklärt auch die Aufregung in Fernost, bzw. über den russischen Eisenbahnbau in Asien überhaupt.

2. die britische Marine wird trotz überall herstellbarer Überlegenheit nicht in der Lage sein, entscheidende Aktionen gegen das Russische Reich vorzunehmen, die über lokale oder temporäre "Ärgernisse" hinausreichen, und damit den Frieden bzw. den Abbruch einer militärischen Expansion nicht erzwingen können.


Die nüchterne Beurteilung führt zu zwei Schlußfolgerungen, unter denen die Bündnisfühler 1898/1907 zu sehen sind:

- man benötigt Verbündete
- man arrangiert sich zu erträglichen Bedingungen, wo immer das möglich ist.
- man verfolgt beide Linien.
 
silesia schrieb:
Die nüchterne Beurteilung führt zu zwei Schlußfolgerungen, unter denen die Bündnisfühler 1898/1907 zu sehen sind:

- man benötigt Verbündete
- man arrangiert sich zu erträglichen Bedingungen, wo immer das möglich ist.
- man verfolgt beide Linien.

Nur das die eine Linie, den Faden zu Deutschland wieder aufzunehmen, um zu einem Interessenausgleich ins Werk zu setzten, dürfte mit einem Außenmnister Sir Edward Grey wohl nicht zu machen gewesen sein. Grey hat ja trotz heftigster Attacken im Unterhaus das Zarenreich gedeckt. Und bei nüchterner Betrachtung, war der Ausgleich von 1907 eine wacklige Angelegenheit, denn die Russen gingen schon 1908 an allen Brennpunkten, die Meerengen, Persien und auch in China zur Offensive über. Von Rücksichtnahme auf die Interessen des Ententepartners war bei den Russen nicht viel zu spüren; im Gegenteil. Gerade in Persien ging das Zarenreich ziemlich rabiat zu Sache und setzte sich dabei mehr oder weniger souverän über die Abmachungen von 1907 hinweg. Man wollte russischerseits endlich ins Mittelmeer, der Psersischen Golf näher kommen und hatte natürlich hat man auch Port Arthur nicht aus den Augen verloren. Und das alles konnte nichtwirklich in Großbritanniens Interesse liegen. Großbritanniens Image dürfte jedenfalls hier eine erhebliche Delle erhalten haben. Die britische Öffentlichkeit war auch entsprechend gestimmt und kritisierte die Regierung heftig; insbesondere Grey.

Auf der anderen Seite saßen die Amateuere von der Wilhelmstraße und meinten, immer noch mit den Flottenrüsten munter weitermachen zu können. Selbst als die britische Regierung auf erheblichen Druck des Unterhauses und der Öffentlichkeit anfragte, ob man nicht zu einer Verständigung gelangen könnte, zeigte die Reichsleitung den Briten die kalte Schulter. Ma war nicht einmal bereit, das Bautempo zu verlangsamen. Ja man hatte soeben quasi, durch die Verkürzung der Lebensdaue der Linienschiffe von 25 auf 20 Jahre das Bautempo von drei auf vier Pötte erhöht. Man schwadronierte sogar das man man später mit Großbritannien möglicherweise eine 3:4 Vereinbarung realisieren könnte. Metternich, der deutsche Botschafter in London hat sich den Mund fusselig gelabert. Es half alles nichts. Hier hat die deutsche Diplomatie, wieder einmal, eklatant auf der ganzen Linie versagt. Man kann sich heute nur noch die Haare darüber raufen.

Und 1908 kam es denn auch zu der bosnischen Annexionskrise, wo sich das Reich extrem weit aus dem Fenster lehnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
2. die britische Marine wird trotz überall herstellbarer Überlegenheit nicht in der Lage sein, entscheidende Aktionen gegen das Russische Reich vorzunehmen, die über lokale oder temporäre "Ärgernisse" hinausreichen, und damit den Frieden bzw. den Abbruch einer militärischen Expansion nicht erzwingen können.

Widerspricht dass nicht dem Two-Power-Standard und dem Naval Defence Act von 1889?
 
Interessant ist vielleicht auch, das die liberale Regierung eigentlich wenig Neigung verspürte, weitere Millionen in die Rüstung zu stecken. Man wollte vielmehr Sozialprogramme realisieren.
 
Interessant ist vielleicht auch, das die liberale Regierung eigentlich wenig Neigung verspürte, weitere Millionen in die Rüstung zu stecken. Man wollte vielmehr Sozialprogramme realisieren.

Eigentlich ist das eine fatale Entwicklung für die Perzeption der deutschen Marinerüstungspolitik gewesen; ein zufällig hinzu tretender Umstand.

Fisher hatte seine Dreadnought-/Invincible-Revolution realisiert.
http://www.geschichtsforum.de/f328/dreadnought-oder-invincible-revolution-20870/
http://www.geschichtsforum.de/f58/flottenwettr-sten-motive-kaiserreich-23983/?highlight=dreadnought
http://www.geschichtsforum.de/f62/s...-schlacht-1916-a-27507/index5.html#post472152


Mit den ersten Schiffsbauten blieb man dann zunächst in unzureichenden Stückzahlen stecken, während die anderen Nationen kräftig bauten. Da spitzte sich dann in Großbritannien in der politischen Diskussion zu, bis zum Schlagwort "we want eight" ... was dann auch realisiert wurde.
 
Tut mir leid, das so hart zu sagen, Turgot, aber ja, die Garantie der russischen Westgrenze ist tatsächlich "nichts".

Den Punkt möchte ich noch einmal aufgreifen, denn aus meiner Sicht ist das genau umgekehrt gewesen. Die Sicherheit der russischen Westgrenze war die Grundlage jeder russischen imperialistischen Aktion. Das war ja schon so als das DR noch Preußen war, z.B. im Krimkrieg wo Russland auf Preußen Neutralität angewiesen war.

Die Garantie der russischen Westgrenze war nicht "nichts" sondern "alles".

Wenn, falls und solange mit einem Angriff des DR zu rechnen war, konnte Russland weder gegen Japan, noch gegen Indien, noch gegen Österreich, noch gegen die Türkei einen Krieg führen. 1914 haben sie es dann versucht, das Ergebnis ist bekannt.

Die riskante Politik gegen Japan und der Krieg von 1905 waren ja nur möglich, weil sich die Russen einfach darauf verlassen haben, dass das DR neutral bleibt. Ein Angriff von Deutschland (und womöglich Österreich) wäre ja schon 1905 Ultimo gewesen, jedenfalls für das zaristische Regime, ganz egal wie der Krieg dann letztlich ausgegangen wäre.

Sobald einmal klar war, dass Russland von Deutschland an der Westgrenze massiv bedroht ist, wäre das doch auch allen anderen Großmächten klar gewesen, dass Russland dann militärisch bewegungsunfähig ist. Deswegen haben sich die Ösis ihren frechen Angriff auf Serbien ja nur getraut, weil sie wussten, dass das DR sich nicht vielleicht mit den Russen irgendwie verständigt und hofften, dass Russland durch das DR neutralisiert ist.

Im Grunde hatten die Russen wenn sie sich mit dem DR nicht verständigen wollten nur die Wahl, ihre imperialistischen Projekte aufzugeben oder es auf einen Krieg mit dem DR ankommen zu lassen.

Frankreich war finanziell der attraktivere Partner, aber im Krieg mit Japan war Frankreich absolut nutzlos gewesen und wäre auch in einem Krieg mit Türkei, Österreich oder GB völlig nutzlos gewesen. Frankreich war nur im Krieg vs Deutschland zu gebrauchen.
 
Die Garantie der russischen Westgrenze war nicht "nichts" sondern "alles".

Nein, wie Du selbst sagst, war das nur die Grundlage, und somit eine Selbstverständlichkeit. Ein substanzielles Angebot von D an R, also "nicht nichts", hätte in der effektiven Unterstützung des russischen Expansionismus bestehen müssen.

Im Grunde hatten die Russen wenn sie sich mit dem DR nicht verständigen wollten nur die Wahl, ihre imperialistischen Projekte aufzugeben oder es auf einen Krieg mit dem DR ankommen zu lassen.

Ist exakt die Situation von Ende Juli 1914.

Grüße, Holger
 
HolgerXX schrieb:
Nein, wie Du selbst sagst, war das nur die Grundlage, und somit eine Selbstverständlichkeit. Ein substanzielles Angebot von D an R, also "nicht nichts", hätte in der effektiven Unterstützung des russischen Expansionismus bestehen müssen.

Eben nicht. Und des Weiteren ist dir doch sicher die geheime Zusatzklausel der Rückversicherungsvertrages geläufig. Dort ging es um ein ganz zentrales Anliegen des Zarenreichs. Das war schon etwas, was für die Russen von wert waren. Außerdem überiehst du einfach die Tatsache, das es das Zarenreich gewesen war, das im Jahre 1890 vorzeitig den Rückversicherungsvertrag verlängern wollte. Als man in Berlin ablehnte, hat man im Verlauf des Jahres 1890 nochmals angeklopft und das Angebot verbessert, in dem man in Petersburg bereit war auf die geheimen Zusatzvereinbarungen zu verzichten. Und das alles, obwohl man sich mit den Franzosen bereits annäherte. Dieser Prozess war ohnenhin nicht aufzuhalten. Nichtsdestotrotz bleibt unter dem Strich: Den Russen war dieser Vertrag wichtig!

Und selbstverständlich war gar nichts.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, wie Du selbst sagst, war das nur die Grundlage, und somit eine Selbstverständlichkeit. Ein substanzielles Angebot von D an R, also "nicht nichts", hätte in der effektiven Unterstützung des russischen Expansionismus bestehen müssen.
Wenn die Garantie der russ. Westgrenze eine Selbstverständlichkeit war, hätte dann nicht umgekehrt die Garantie der deutschen Ostgrenze ebenfalls eine Selbstverständlichkeit sein müssen? Oder anders gewendet, was hätte denn Russland gegebenenfalls als Gegenleistung anbieten können, wenn das DR seinen Expansionismus effektiv unterstützt hätte. "Nichts"?
 
Wir haben uns zwar sicher im Vergleich zum Fin de Siecle ethisch weiterentwickelt, aber nicht in der Weise, dass wir mit den Völkern und Regierungen der damaligen Zeit keinerlei ethische Grundsätze mehr teilen. Krieg anzetteln unter Europäern aus reinem Landraubgedanken war damals schon verpönt. Entsprechend kam ein Raubkrieg des Deutschen Reichs gegen Russland 1905, wie übrigens von Adolf Hitler in "Mein Kampf" retrospektiv gefordert und 1941 in die Tat umgesetzt, nicht in Frage. Ohne besondere Randereignisse konnten sowohl Deutschland wie Russland von der mittelfristigen Sicherheit ihrer gemeinsamen Grenze ausgehen.

Wenn man es genau nimmt, waren Deutschland und Russland auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Man wählte den Verderb. Für die Unterstützung des russischen Expansionismus hätte Russland natürlich Gegenleistungen anbieten müssen und können. Etwa die Unterstützung des deutschen Expansionsimus durch die Ermöglichung des Erwerbs weiterer deutscher Kolonien im Vorfeld des gesteigerten russischen Machtbereichs, etwa in Nordchina und im Nahen Osten. Etwa eine konstruktive Rolle im Interessenausgleich mit Österreich-Ungarn auf dem Balkan. Etwa sanfter Druck auf ÖU zur Umsetzung sinnvoller innerer Reformen. Etwa Vermittlung zugunsten eines deutsch-französischen Ausgleichs.

Das Wichtigste für Deutschland wäre aber der Zugang zum russischen Rohstoffe- und Arbeitskräftepotential gewesen. Nur in Zusammenarbeit mit Russland wäre tatsächlich der Aufbau der Flottenpläne gelungen, mit Hilfe derer um ca. 1920 ein effektives Gegengewicht gegen die angelsächsisch-japanische Allianz hätte vollendet sein können, was insbesondere die USA zum Rückzug in ihre Sphäre der Welt hätte bewegen können.

Das kriegerische Austragen der Gegensätze ab 1914 kostete beide Monarchien die Existenz, und das im Grunde bis heute schlechte Verhältnis beide Staaten ihren machtpolitischen Einfluss. Deutschland ist die Mindermacht, zu der zu werden man um 1900 befürchtete. Russland hat zwar noch Großmachtambitionen, aber wenig Potential zur Umsetzung.

Turgot, ich verstehe nicht, auf was Du hinauswillst. Nach Abschluss des russisch-französischen Bündnisses war die Situation des Rückversicherungsvertrags nicht mehr gegeben. Der Vertrag mit Frankreich entband Russland von der Belastung, der Sicherung seiner Grenze zu Deutschland eine über das Normale hinausgehende Aufmerksamkeit schenken zu müssen.

Grüße, Holger
 
@HolgerXX

Sorry, aber es wäre für die Diskussion insgesamt sehr hilfreich,wenn du dich mit den ziemlichen komplexen internationalen außenpolitischen Beziehungen beschäftigen würdest.

HolgerXX schrieb:
Der Vertrag mit Frankreich entband Russland von der Belastung, der Sicherung seiner Grenze zu Deutschland eine über das Normale hinausgehende Aufmerksamkeit schenken zu müssen.

Wie kommst du auf diesen Gedanken? Das genaue Gegenteil ist nämlich der Fall. Was meinst du wohl, was die Franzmänner von den Russen erwarteten und weshalb sie so überaus großzügig die Kredite sprudelten? Für nichts, ganz bestimmt nicht!

HolgerXX schrieb:
Turgot, ich verstehe nicht, auf was Du hinauswillst. Nach Abschluss des russisch-französischen Bündnisses war die Situation des Rückversicherungsvertrags nicht mehr gegeben.

Wir sprechen derzeit konkret über die außenpolitische Situation des Jahres 1890. Das französisch-russische Bündnis wurde aber erst 1892 abgeschlossen und 1894 ratifiziert. Im Jahre 1890 war die Frage der Verlängerung des Rückversicherungsvertrages hochaktuell.
 
Ohne besondere Randereignisse konnten sowohl Deutschland wie Russland von der mittelfristigen Sicherheit ihrer gemeinsamen Grenze ausgehen.

Zum Verständnis ist notwendig, die Gravitationsverschiebungen der imperialistischen russischen Politik 1875-1914 zu verstehen. Hier gab es Richtungswechsel, die nach der fernöstlichen Pleite dort zu anderen Mitteln und bzgl. der Prioritäten vorübergehend zu anderen Schwerpunkten führten. 1914 war ein weiterer Richtungswechsel im Gange, worauf schon mehrfach hingewiesen wurde.

"ohne besondere Randereignisse": dieses Kriterium ist angesichts der zahllosen Krisen relativ wertlos; es gab ständig "Randereignisse". Von der mittelfristigen Sicherheit der Grenzen ist außer GB in Europa keine größere Macht ausgegangen.

Wenn man es genau nimmt, waren Deutschland und Russland auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Man wählte den Verderb. Für die Unterstützung des russischen Expansionismus hätte Russland natürlich Gegenleistungen anbieten müssen und können.
Die Angewiesenheit lag in erster Linie auf der russischen Seite. Auch nach Klärung und Sicherheit der Finanz-Fragen über Frankreich verblieb die extreme Exportabhängigkeit (>50%) vom Deutschen Reich. Während man vor 1905 Handelskrisen noch durchziehen und durchhalten konnte, war dieses in der Aufrüstungsphase ab 1906 und vor dem Hintergrund der labilen innenpolitischen Lage nicht mehr möglich.

Bzgl. der Unterstützung des russischen Imperialismus: Hier war die Welt kein Wunschkonzert. Der deutsche Imperialismus zielte mit seinem letzten "Ventil" auf Balkan/Mittleren Osten, nachdem problematischen und eingekreisten afrikanischen Kolonien sowie die kümmerlichen Inselchen im Pazifik sich nicht als das gelbe vom Ei herausstellten.

Bedauerlicherweise setzte man sich da ins Wespennest bzw. zwischen die Stühle: zum einen griff man in eine bestehende ernste britisch-russische Konfrontation ein, ohne jemals ein Arrangement mit einer der beiden "Flügelmächte" anzustreben; zum anderen waren die russischen Interessen älter, und bzgl. des slawischen Balkans und der Dardanellen nicht reduzierbar.


Nach Abschluss des russisch-französischen Bündnisses war die Situation des Rückversicherungsvertrags nicht mehr gegeben. Der Vertrag mit Frankreich entband Russland von der Belastung, der Sicherung seiner Grenze zu Deutschland eine über das Normale hinausgehende Aufmerksamkeit schenken zu müssen.
Naja, ...:winke:

... mit dem Zweiverband schenkte Rußland der deutschen Grenze gemessen an den Truppenkonzentrationen und der gesamten Truppenverteilung an der Westgrenze mehr Aufmerksamkeit als in den Jahrzehnten zuvor.
 
silesia schrieb:
Die Angewiesenheit lag in erster Linie auf der russischen Seite. Auch nach Klärung und Sicherheit der Finanz-Fragen über Frankreich verblieb die extreme Exportabhängigkeit (>50%) vom Deutschen Reich. Während man vor 1905 Handelskrisen noch durchziehen und durchhalten konnte, war dieses in der Aufrüstungsphase ab 1906 und vor dem Hintergrund der labilen innenpolitischen Lage nicht mehr möglich.

Vollkommen korrekt.

Das russische Ausfuhrvolumen im Jahre 1890 betrug 703,9 Millionen Rubel. Davon gingen allein 166,3 Millionen in das Deutsche Reich.

Im Jahre 1906 hat hat sich die Abhängigkeit dramatisch erhöht.Es wurden Waren und Güter im Werte von knapp 1,1 Milliarden Rubel exportiert und davon gingen beträchtliche 576,3 Millionen Rubel in das Deutsche Reich. (1)

silesia schrieb:
Bedauerlicherweise setzte man sich da ins Wespennest bzw. zwischen die Stühle: zum einen griff man in eine bestehende ernste britisch-russische Konfrontation ein, ohne jemals ein Arrangement mit einer der beiden "Flügelmächte" anzustreben; zum anderen waren die russischen Interessen älter, und bzgl. des slawischen Balkans und der Dardanellen nicht reduzierbar.

Und wir wir heute wissen, war dort durchaus mit Großbritannien einiges möglich gewesen. Die Briten suchten durchaus ein Agreement mit dem Deutschen Reich. Aber die Schüler des AA (Roggenbach) meinten das Stöckchen höher halten zu müssen und so hat man die Briten quasi gezwungen sich mit den Russen zu verständigen bzw. über russische Zumutungen hinwegzusehen.

(1) Bonwetsch, Handelspolitik und Industrialisierung, S.282, 289 nach Chromov
 
Zuletzt bearbeitet:
Turgot schrieb:
Wir sprechen derzeit konkret über die außenpolitische Situation des Jahres 1890.
Wir sprechen über die außenpolitische Situation der Jahre 1904/1905 und die Periode unmittelbar davor.


Turgot schrieb:
Wie kommst du auf diesen Gedanken?
HolgerXX schrieb:
Der Vertrag mit Frankreich entband Russland von der Belastung, der Sicherung seiner Grenze zu Deutschland eine über das Normale hinausgehende Aufmerksamkeit schenken zu müssen.
Das genaue Gegenteil ist nämlich der Fall. Was meinst du wohl, was die Franzmänner von den Russen erwarteten und weshalb sie so überaus großzügig die Kredite sprudelten? Für nichts, ganz bestimmt nicht!
Der Kredit diente zunächst dazu, den russischen Staatsbankrott in der Folge der Niederlage gegen Japan zu verhindern. Wenn es keinen deutschen Angriff auf Russland während dieses Krieges gab, brauchte Russland auch in der Phase des Wiedererstarkens nicht damit zu rechnen. Etwaige weitergehende Motivationen der "Franzmänner", wie auch die Umsetzung in Form des verstärkten russischen Eisenbahnbaus in Richtung seiner Westgrenze, müssen deshalb nicht unbedingt defensiv gemeint sein. Siehe auch

Silesia schrieb:
.. mit dem Zweiverband schenkte Rußland der deutschen Grenze gemessen an den Truppenkonzentrationen und der gesamten Truppenverteilung an der Westgrenze mehr Aufmerksamkeit als in den Jahrzehnten zuvor.
aber ich sprach von "müssen", und das war nicht nötig. Dass sie es trotzdem taten, hatte also andere Gründe.


Silesia schrieb:
Zum Verständnis ist notwendig, die Gravitationsverschiebungen der imperialistischen russischen Politik 1875-1914 zu verstehen. Hier gab es Richtungswechsel, die nach der fernöstlichen Pleite dort zu anderen Mitteln und bzgl. der Prioritäten vorübergehend zu anderen Schwerpunkten führten.
Ich sehe im Verlauf der Periode von 1904-1914 nur einen Richtungswechsel, nämlich den vom Fernen Osten zum Balkan. Die Schwerpunktsetzung war für das Russische Reich endgültig, sowohl im übertragenen Sinne wie buchstäblich.


Silesia schrieb:
1914 war ein weiterer Richtungswechsel im Gange, worauf schon mehrfach hingewiesen wurde.
Insbesondere der ist für mich nicht erkennbar.


Silesia schrieb:
"ohne besondere Randereignisse": dieses Kriterium ist angesichts der zahllosen Krisen relativ wertlos; es gab ständig "Randereignisse". Von der mittelfristigen Sicherheit der Grenzen ist außer GB in Europa keine größere Macht ausgegangen.
Keine dieser Krisen vor der Julikrise 1914 resultierte in unmittelbarer Kriegsgefahr. Es gab kein Ereignis, von dem man sagen müsste, "der Krieg ist in letzter Minute verhindert worden". Die gemeinsame Deeskalationspolitik auf dem Balkan 1912/13 zeigte, dass der spätere Kriegsausbruch keineswegs zwangsläufig war.


Silesia schrieb:
Bzgl. der Unterstützung des russischen Imperialismus: Hier war die Welt kein Wunschkonzert. Der deutsche Imperialismus zielte mit seinem letzten "Ventil" auf Balkan/Mittleren Osten, nachdem problematischen und eingekreisten afrikanischen Kolonien sowie die kümmerlichen Inselchen im Pazifik sich nicht als das gelbe vom Ei herausstellten.
Außer der Stützung Österreich-Ungarns sehe ich keine imperialen deutschen Interessen auf dem Balkan. 1903 gab es die "Mürzsteger Punktation" (auch ich habe einen "Neitzel", Kriegsausbruch, Deutschlands Weg in die Katastrophe 1900-1914, dort S.77), wo man einen Versuch zu Lasten der Türkei machte (vermutlich mit deutscher Unterstützung). Die spätere pro-türkische deutsche Politik resultierte aus eben dem genannten russischen "Richtungswechsel" und dem damit unüberbrückbar gewordenen Gegensatz zu Russland.


Turgot schrieb:
Und wir wir heute wissen, war dort durchaus mit Großbritannien einiges möglich gewesen. Die Briten suchten durchaus ein Agreement mit dem Deutschen Reich. Aber die Schüler des AA (Roggenbach) meinten das Stöckchen höher halten zu müssen und so hat man die Briten quasi gezwungen sich mit den Russen zu verständigen bzw. über russische Zumutungen hinwegzusehen.
Ein Bündnis mit GB mar für D nicht von Interesse, weil es D nicht von der Gefahr eines Zweifrontenkrieges entlastete, stattdessen diesen u.U. sogar heraufbeschwor und im Falle des Eintretens die Hauptlast auf Deutschland gelegen hätte.


Turgot schrieb:
Sorry, aber es wäre für die Diskussion insgesamt sehr hilfreich,wenn du dich mit den ziemlichen komplexen internationalen außenpolitischen Beziehungen beschäftigen würdest.
Ich fände es hilfreich, wenn man mich nicht in FJS-Manier ("Hom Süh überhaubpt Abhituhrr?":hmpf:) behandeln würde, sorry zurück.

Grüße, Holger
 
HolgerXX schrieb:
Wir sprechen über die außenpolitische Situation der Jahre 1904/1905 und die Periode unmittelbar davor

Der Zeitraum über den in diesem Thread diskutiert wurde und wird, ist weiter gefasst. Ich bezog mich konkret auf die russischen Bemühungen des Jahres 1890 den Rückversicherungsvertrag, den deiner Meinung nach das Zarenreich ja angeblich gar nicht benötigt hätte, zu verlängern.


HolgerXX schrieb:
Der Kredit diente zunächst dazu, den russischen Staatsbankrott in der Folge der Niederlage gegen Japan zu verhindern. Wenn es keinen deutschen Angriff auf Russland während dieses Krieges gab, brauchte Russland auch in der Phase des Wiedererstarkens nicht damit zu rechnen. Etwaige weitergehende Motivationen der "Franzmänner", wie auch die Umsetzung in Form des verstärkten russischen Eisenbahnbaus in Richtung seiner Westgrenze, müssen deshalb nicht unbedingt defensiv gemeint sein. Siehe auch

Davon hat sich das Zarenreich aber sehr schnell erholt gehabt und das nicht zuletzt wegen der mehrjährigen wirtschaftlichen Hochkonjunktur, die erst 1914 ihr Ende fand.


Dir ist sicher bekannt, dass das Zarenreich von den Franzmännern mehr als einen Kredit erhalten hat und das auch diverse Anleihen an der Pariser Börse platziert worden waren.

Schauen wir uns einmal die russischen Staatsausgaben für die Eisenbahnen an (Angaben in Mill.Rubel).

1891: 248
1892: 251
1893: 267
1894: 271
1895: 285
1896: 268
1897: 259
1898: 274
1899: 276 (1)

Zwischen 1896 und 1901 wurden 20.000 Steckenkilometer für dem Verkehr freigegeben. Das Budget des Kriegsmnisteriums stieg von 1894 von 280,3 Millionen Rubel bis 1899 auf 333,5 Millionen Rubel. Ebemfalls wurde das Fottenbauprogramm forciert. Die hierfür benötigen Mittel waren nicht mehr die schon ohnehin stark belastete Bevölkerung aufzutreiben. Es wurden eben Anleihen benötigt.

Das Zarenreich hätte ohne ausländisches Kapital, insbesondere französisches Kapital, als Büdnispartnerfür Frankreichs keinen so hohen Wert gehabt.


HolgerXX schrieb:
Ein Bündnis mit GB mar für D nicht von Interesse, weil es D nicht von der Gefahr eines Zweifrontenkrieges entlastete, stattdessen diesen u.U. sogar heraufbeschwor und im Falle des Eintretens die Hauptlast auf Deutschland gelegen hätte.

Aha, jetzt wäre also Großbritannien für das Deutsche Reich als Bündnispartner nicht interessant.

Vor kurzem war das Deutsche Reich als Verbündeter für das Zarenreich nicht interessant.

Merkwürdig ist dabei nur, das die damaligen Akteuere das durchaus anders betrachtet hatten. Das Deutsche Reich hat durchaus Interesse an einem Bündnis mit Großbritannien gehabt, es wollte "lediglich" den Preis dafür für Großbritannien in unerschwingliche Höhen treiben. So weit zumindest die kurze Version.

Für Frankreich wäre es beispielsweise alles andere als angenehm gewesen, die Briten in ihrem Rücken als potenziellen Gegner zu wisssen. Dann waren da noch die ganzen anderen Reibungsflächen, vor allem in Afrika. Und das sollte keine Entlastung an der deutschen Westgrenze ermöglichen.

Das Zarenreich hatte noch mehr Brennpunkte mit Großbritanien.

Eine klug agierende deutsche Außenpolitik hätte es verstanden, ist ja schließlich auch eine Frage der schriftlichen Abmachungen, sich nicht von Großbritannien, schon gar nicht in die erste Linie, vorschieben zu lassen. Die Franzmänner haben es ja mit dem Zarenreich auch weitestgehend hinbekommen.

HolgerXX schrieb:
Ich fände es hilfreich, wenn man mich nicht in FJS-Manier ("Hom Süh überhaubpt Abhituhrr?":hmpf:) behandeln würde, sorry zurück.

Hast du etwas gegen Franz Josef?


(1) Geyer, Russischer Imperialismus nach Chromnov
 
Zuletzt bearbeitet:
Ohne besondere Randereignisse konnten sowohl Deutschland wie Russland von der mittelfristigen Sicherheit ihrer gemeinsamen Grenze ausgehen.
Aber die von mir aufgezählten möglichen Kriege oder auch andere Maßnahmen die Russland ergriffen hätte, um seine imperialen Interessen zu fördern, wären doch gerade solche besonderen Randereignisse gewesen.

Für die Unterstützung des russischen Expansionismus hätte Russland natürlich Gegenleistungen anbieten müssen und können.
Nichts davon war soweit ich informiert bin, in der russ. Führung auch nur angedacht. Russland wollte weder einen deutsch-franz. Ausgleich noch einen Interessenausgleich mit ÖU, im Gegenteil. Geschweige denn deutsche Kolonien im eigenen "Interessengebiet". Schon über die Annektion von Kiaoutschou waren die Russen alles andere als erfreut.

Das Wichtigste für Deutschland wäre aber der Zugang zum russischen Rohstoffe- und Arbeitskräftepotential gewesen.
Das bezweifle ich, Deutschland konnte seine Rohstoffe ganz einfach aus Übersee besorgen und Arbeitskräfte konnte (und hat) es nach Bedarf aus Polen, Italien, vom Balkan, usw. importiert.

Wenn es keinen deutschen Angriff auf Russland während dieses Krieges gab, brauchte Russland auch in der Phase des Wiedererstarkens nicht damit zu rechnen.
Das würde ich auch so sehen. Das Bündnis mit Frankreich diente der Durchsetzung politischer Interessen, nicht der Verteidigung vor Deutschland. Ich sehe hier von Seiten Russlands eine Einkreisung. Schon das Argument was so oft gebracht wird, das Bündnis mit Frankreich sei für Russland attraktiv gewesen wegen der franz. Kredite, spricht nicht gerade für eine defensive Ausrichtung.

Ein Bündnis mit GB mar für D nicht von Interesse, weil es D nicht von der Gefahr eines Zweifrontenkrieges entlastete, stattdessen diesen u.U. sogar heraufbeschwor und im Falle des Eintretens die Hauptlast auf Deutschland gelegen hätte.

Das siehst du glaube ich etwas einseitig "russlandfreundlich". Ein Bündnis mit GB wäre für das DR von größter Bedeutung gewesen, schon Bismarck ist da vergeblich hinterher gerannt.
Erstens hätte ein Bündnis mit GB das DR durchaus von einem Zweifrontenkrieg geschützt. Frankreich hätte keinen Krieg gegen den Zweibund riskiert, wenn England auf der Gegenseite steht. Dazu kommt, dass GB den Deutschen Zugriff auf Kolonien gewähren konnte.
Ein Bündnis mit England war äußerst attraktiv und das Argument, dass brit. Schlachtschiffe nicht gegen Russland helfen, war spätestens seit 1908 überholt. Die deutsche Führung wollte den Preis für so ein Bündnis, den Verzicht auf Flottenbau und "Weltmacht" nicht bezahlen, aber attraktiv war das schon.
 
El Mercennario schrieb:
Das Bündnis mit Frankreich diente der Durchsetzung politischer Interessen, nicht der Verteidigung vor Deutschland. Ich sehe hier von Seiten Russlands eine Einkreisung. Schon das Argument was so oft gebracht wird, das Bündnis mit Frankreich sei für Russland attraktiv gewesen wegen der franz. Kredite, spricht nicht gerade für eine defensive Ausrichtung.

Mit der Einkreisung wäre ich mir da nicht so sicher. Sicher, die treibenden Kräfte auf russischer Seite waren die Militärs um Obrucew. Allerdings hatten die Herren dabei eine "Abrechung" mit Österreich-Ungarn im Auge; am besten im Zuge eines deutsch-französischen Krieges. Die Franzmänner hingegen wollten unbedingt den russischen Beistand im Falle eines militärischen Konfliktes mit dem Deutschen Reich, jedoch ohne sich groß um die Interessen des russischen Partners hinsichtlich Österreich-Ungarn zu scheren. Im Klartext: Man wollte im Fall einer militärischen russisch- österreischischen Konfliktes nicht militärisch tätig werden. Von einer großen Übereinstimmung der Interessen kann so nicht wirklich konstatiert werden.

Die überarbeitete Militärkonvention sah übrigens vor, dass das Zarenreich, im Falle eines Krieges zwischen Großbritannien und Frankreich, Russland 300.000 an den Grenzen zu Indien bzw. Afghanistan aufmarschieren lassen sollte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das bezweifle ich, Deutschland konnte seine Rohstoffe ganz einfach aus Übersee besorgen und Arbeitskräfte konnte (und hat) es nach Bedarf aus Polen, Italien, vom Balkan, usw. importiert.
Ganz richtig; die russischen Importe betrugen aus deutscher Sicht 8-15% der Gesamtimporte; umgekehrt war Rußland auf die Einnahmen der Exporte nach Deutschland (bis zu 55% seiner Gesamtexporte) unersetzlich angewiesen - diese dienten zur Bezahlung der russischen Einfuhr, vorwiegend Halb- und Fertigwaren, industrielle Erzeugnisse.
HolgerXX berücksichtigt darüber hinaus nicht die realisierten Warenstrukturen.

Das würde ich auch so sehen. Das Bündnis mit Frankreich diente der Durchsetzung politischer Interessen, nicht der Verteidigung vor Deutschland. Ich sehe hier von Seiten Russlands eine Einkreisung. Schon das Argument was so oft gebracht wird, das Bündnis mit Frankreich sei für Russland attraktiv gewesen wegen der franz. Kredite, spricht nicht gerade für eine defensive Ausrichtung.
Zunächst einmal wurde auch versucht, den Geldbedarf in Deutschland zu decken, was mißlang. Bereits das ist eine Widerlegung der Vermutung. Man kann allerdings auch in die Verwendungsseite einsteigen - und da kommt die industrielle Entwicklung Rußlands ins Spiel.

Kennst Du die Verwendungsseite?

Der russisch-französische Pakt hat in politischer Hinsicht eine differenzierte Auslegung: aus russischer Sicht vorwiegend anti-britisch (Japan spielte dabei eine nicht sooo große Rolle 1890/92/94, jedenfalls bis zur Niederlage Chinas), aus französischer Sicht Absicherung gegen das Deutsche Reich.

Das siehst du glaube ich etwas einseitig "russlandfreundlich". Ein Bündnis mit GB wäre für das DR von größter Bedeutung gewesen, schon Bismarck ist da vergeblich hinterher gerannt.
Erstens hätte ein Bündnis mit GB das DR durchaus von einem Zweifrontenkrieg geschützt. Frankreich hätte keinen Krieg gegen den Zweibund riskiert, wenn England auf der Gegenseite steht. Dazu kommt, dass GB den Deutschen Zugriff auf Kolonien gewähren konnte.
Das kann man nur unterstreichen.
 
Gibt es eigendlich ein etwas zusammenhängendes Fazit zum Thema?

:winke:

Also nicht das ich die Diskussion unterbrechen möchte, aber es ist schwer aus den vielen tiefen sachlichen Beiträgen eine gewisse Linie zu filtern...
 
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