Augenblick, ich komme nicht mehr mit.
Wie reizte Johanna "Geschlechtergrenzen" aus, wenn sie verbürgtermaßen von ihrem Umfeld als Frau wahrgenommen wurde, sich als Frau wahrnahm, selber Frauen in ihre sozialkonformen Rollen relegierte und außerdem betonte, keine Sonderrolle zu beanspruchen, sondern eine einmalige göttliche Aufgabe zu erfüllen?
Und wie hätte sich jede vermeidbare maskuline Konnotation, ob nun von Johanna oder dem Dauphin befördert, in die von Anfang an betriebe Überhöhung ihrer Jungfräulichkeit und weiblichen Reinheit gefügt?
Ich verstehe immer noch nicht: Wie begründet sich Deine Annahme, sie habe eine Kurzhaarfrisur und "Männerkleidung" aus symbolischen Gründen getragen? Werfen wir einen Blick in die Fechtbücher, sehen wir, dass etwa nach Hans Talhoffers fachkundiger Meinung Frauen zum Gerichtskampf dasselbe Kampfgewand wie ein Mann tragen sollten, Hosen inklusive. Denn: Alles andere wäre fürchterlich unpraktisch gewesen.
Die Beinfreiheit zu den Bewegungen, die selbst ein "Zuschauer" in einem Kriegsgebiet benötigt, ist in einem Kleid des spätmittelalterlichen Bauernstandes nicht gegeben. Mit einer Übergangsrüstung, wie sie zu Johannas Zeiten getragen wurde, hätte eine Kleid tragende Frau zwar Torso und Arme schützen können, nicht aber die Beine, deren Verletzung jedoch leicht zum Tod durch Verbluten führen kann.
Der spätere Karl VII. stellte Johanna eine Rüstung bereit, um sie in Sicherheit zu wissen, da ihr Tod das Ende seiner Ambitionen auf den Thron bedeutet hätte – so viel scheint gewiss. Es erscheint mir absolut nicht intuitiv anzunehmen, dass dieser Schutz seiner Meinung nach an Johannas Gürtellinie hätte enden sollen.
Ob die "alten Griechen" ohne Hosen reiten konnten, kommt mir unbedeutend vor; mit den im Mittelalter benutzten Sätteln und Steigbügeln stelle ich es mir freilich recht schwer vor. Die Entwicklung von Sonderformen des Damensattels bzw. -sitzes für die Jagd – bei der mitunter auch Edelfrauen rittlings ritten, was offenbar von ihrem Umfeld nicht als Ende der Welt angesehen wurde – weist mir nämlich stark darauf hin.
Die keineswegs konformistische Regentin Katerina von Medici jedenfalls zog ihre Art des Damensitzes dem gewöhnlichen Sattel vor, in dem rittlings zu sitzen ihr niemand hätte verbieten können.
Desgleichen die Frisur: der Topfschnitt des Spätmittelalters, von Heinrich V. ikonisch getragen, ist kein Ausdruck besonderer monastischer Frömmigkeit, wie etwa Viollet-le-Duc glaubte, sondern laut Ulrich Lehnart ('Kleidung und Waffen der Spätgotik III') praktische Konsequenz des Übergangs von Hirnhaube und darüber getragenem Topfhelm zu den enganliegenden geschlossenen Helmen ab der Beckenhaube.
Langes Haar war unter diesen Helmen dem Hören hinderlich, zudem schwitzte der Träger ohnehin schon gewaltig. Es gibt zwar die verschiedentlich rezipierte Anekdote, Johanna habe sich ihr Haar abgeschnitten, weil man sie als "Mädchen" nicht ernstgenommen habe, aber wahrscheinlicher ist meiner Meinung nach, dass sie, die auf ihre Weiblichkeit großen Wert legte, dies nicht selbst getan oder grundlos geduldet hat.
Meinem Verständnis nach wurde Johanna auf den Ort, an den sie sich begeben sollte, nach den Maßgaben vorbereitet, die man an Karls Hof kannte – da man sie selbst als sinnvoll und notwendig befolgt hätte.
Was den Adelstitel angeht, ist dieser wirklich angedichtet? Johannas Familie wurde meines Wissens nach in den untitulierten Adelsstand erhoben, mitsamt einem verbürgten Wappen, was sogar zu rechtlichen Streitigkeiten führte, als in den zwei Jahrzehnten nach Johannas Tod Hochstaplerinnen auftraten, die von sich behaupteten, die dem Scheiterhaufen entflohene Jungfrau von Orleans zu sein.
Nebenbei: Da es eine ganz ähnliche Diskussion im Strang 'Kriegerinnen unter den Wikingern' gibt, könnte man diese Erörterungen und Kommentare vielleicht zusammenlegen?
Ein Punkt ist jedoch unrealistisch. Die adrett gerüsteten Frauen haben offensicht Kettenhemden, Helme, Hosen, Tuniken und sogar Stiefel in genau ihrer Größe gefunden. Die physischen Unterschiede zwischen Mann und Frau lassen es nicht in der Regel nicht zu, dass Frauen einfach die Kleidung und Rüstung von Männern auftragen. Die Kleidung und Rüstung der Männer wird den Frauen in der Regel ein bisschen zu groß sein. Bei den Hosen und Tuniken ist das Problem noch leicht durch umkrempeln oder abschneiden lösbar. Schwieriger wird es natürlich bei Helm, Kettenhemden und Stiefeln.
Abgesehen davon, dass für die beschriebene List der Augenschein aus der Distanz genügt haben mag; so unrealistisch, scheint mir, ist die erwähnte Darstellung nun auch nicht. Rüstungsteile wurden seit jeher von Männern ererbt oder erbeutet, für deren Maße sie nicht gefertigt waren.
Ihre Anpassung ist nur eine Frage der Zeit und der vorhandenen Werkzeuge und Kenntnisse.
Kettenbrünnen ließen sich recht schnell abändern, indem man das Ringgeflecht Reihe um Reihe von unten nach oben auftrennte. Daher blieben sie beliebte Beutestücke, sogar als sie ihre Effektivität einzubüßen begannen. Anders als bei einem Plattenstück konnte sich der Finder seinen neuen Panzer selbst anpassen.