Konfession, Antisemitismus und NS

Ich als Nichthistoriker muss nicht alle Schriften Luthers kennen, aber ein Historiker wie Heinrich von Treitschke, der sogar einen Vortrag unter den Namen „Luther und die deutsche Nation“ hält und veröffentlicht und jetzt nicht alle Schriften Luthers kennen soll, ist für mich kaum vorstellbar.

Die 1883 begonnene Weimarer Gesamtausgabe von Luthers Schriften umfasst 119 Bände mit 80.000 Seiten.
Weimarer Ausgabe (Luther) – Wikipedia

Die damals verfügbare Erlanger Gesamtausgabe umfasste immerhin schon 67 Bände, die hat Treitschke garantiert nicht alle durchgelesen, bevor er sich an seinen Vortrag gemacht hat.

Soweit ich sehe, waren Luthers antijüdische Spätschriften überhaupt nur in den Gesamtausgaben verfügbar, als Einzelschriften waren sie seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr gedruckt worden.
 
Der deutsch-israelische Historiker Alex Bein schrieb in Die Judenfrage, Biographie eine Weltproblems Bd.1 S. 128 dass nationalistische Protestanten wie Treitschke versuchten, Luther zu vereinnahmen und dass Treitschke sich bei dem Zitat "Die Juden sind unser Unglück" und bei den Vorstellungen eines Gast-Volks von Luther-Zitaten habe beeinflussen lassen.

Und bringt er für diese Behauptung einen Nachweis?

Ich habe auch schon irgendwo gelesen, Treitschke haben sich bei dem Satz von Heinrich Heine beeinflussen lassen, der in seinen "Reisebildern" den Hirsch-Hyazith über die jüdische Religion sagen lässt: "... es ist gar keine Religion, sondern ein Unglück." Auch das halte ich für weit hergeholt.
 
Wenn ich mich richtig erinnere, wurde früher davon ausgegangen, dass Luthers Spätschriften von einer, sagen wir mal neutral, Persönlichkeitsänderung zeugen und daher nicht relevant sind.

Aber ich bin kein Luther-Experte und kann das falsch im Kopf haben.
 
Und bringt er für diese Behauptung einen Nachweis?

Ich habe auch schon irgendwo gelesen, Treitschke haben sich bei dem Satz von Heinrich Heine beeinflussen lassen, der in seinen "Reisebildern" den Hirsch-Hyazith über die jüdische Religion sagen lässt: "... es ist gar keine Religion, sondern ein Unglück." Auch das halte ich für weit hergeholt.

Um das zu beurteilen müsste ich Beins Arbeit lesen. Eigentlich spricht Treitschkes ganze Argumentationsschiene nicht so recht mit dem von Luther zusammen- er argumentierte ja nun gerade nicht rassistisch, er hielt die Lehren von Marr und Dühring für falsch, er versprach sich von Assimilation der Juden die Lösung oder eine Lösung, und er dachte nicht daran, Synagogen niederzubrennen. Er war aber auch Populist, und Luther war einfach eine Persönlichkeit, der zitierfähig war, der großes Ansehen genoss.

Treitschkes Haltung zur Judenfrage ist eigentlich so unterschiedlich von der Luthers, dass man eigentlich nicht sagen kann, Treitschke habe es bloß von Luther übernommen und abgeschrieben. Treitschke hat aber wohl schon Luthers Pamphlet gegen die Juden gelesen und er hat immer wieder Luther reklamiert und sich auf Schriften Luthers berufen.
 
Daher verstehe ich den Verweis auf den "erfolglosen Hofprediger" Stoecker nicht so recht. Lueger liegt doch da viel näher.

Was den Einfluss auf Hitler angeht, so stimmt das mit Lueger, der eine antisemitische Atmosphäre in Wien verkörperte und befeuerte. Der ist vielleicht so etwas wie der Volkstribun in der Wagneroper Rienzi, von der der junge Hitler verzückt ist, als er ziellos durch Wien streunert.
(Hamann – Hitlers Wien)
Zum Stöcker: Der ist Hofprediger des Kaisers des frisch gegründeten deutschen Reichs. Der ist ein radikaler Antisemit und auch ein möglicher „Sieg des Judenthums über das Germanenthum“
findet Erörterung. (Hofprediger Stöcker 1880 ). Der Anteil der jüdischen Bevölkerung beträgt 1% zu dieser Zeit.

In dem gleichen Jahr 1880 besucht der Vater des späteren Kaisers Wilhelm II, demonstrativ Synagogen zu Gottesdienst und Konzert und erklärt öffentlich: „Wir schämen uns der Judenhetze, die in Berlin alle Gränzen des Anstands überschreitet, aber wie's scheint unter den Fitiggen des Hofpfaffentums sicher 'gewährleistet' ist.“
(Röhl – Kaiser,Hof und Staat – TB Kapitel 8)
Da findet ein Kulturkampf statt und der Wilhelm wird sich mit der Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung infizieren.
Und da entsteht auch eine nationale und nationalistische Kirche, die ja die katholische Kirche als internationale Organisation nicht sein kann.


..ist ein Versuch.
 
Und da entsteht auch eine nationale und nationalistische Kirche, die ja die katholische Kirche als internationale Organisation nicht sein kann.
Wobei die Gegnerschaft des Kaiserreichs zur "internationalen" katholische Kirche im Kulturkampf 1878 resp. 1887 schon beigelegt war. Im 1.Weltkrieg unterstützte die katholische Kirche die Kriegsbemühungen nicht weniger als die protestantischen Landeskirchen, die sich teilweise erst im Kaiserreich* in einer Kirchenunion aus Lutheranern und Reformierten zu einer gemeinsamen Kirche zusammenschlossen. Ein internationaler Anspruch der katholische Kirche konnte sich in keinem kriegsführenden Staat im 1.Weltkrieg durchsetzen - und ich wüsste auch kein Beispiel davor oder danach.

*In Bremen war dies 1877.

Edit: Gegen eine protestantische "Nationalkirche" im Kaiserreich spricht auch, dass der Vorläufer der EKD - der Deutsche Evangelische Kirchenbund - erst 1922 gegründet wurde. Vorher bestanden nur protestantische Landeskirchen nebeneinander. Der Föderalismus/Partikularismus scheint mir bei den protestantischen Kirchen weit ausgeprägter als bei der katholischen mit ihrer Zentrale in Rom.
 
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War die Gegnerschaft beigelegt, so entstand doch bei den Katholiken keine "Völkische Theologie".
Diese jedoch auf evangelischer Seite nicht lange nach der Reichsgründung. (würd ich mal sagen)
Und Luther ist ja auch ein erstrangiges nationales Symbol für das Deutschtum, auch chauvinistischer Ausprägung.

Ein internationaler Anspruch der katholische Kirche konnte sich in keinem kriegsführenden Staat im 1.Weltkrieg durchsetzen - und ich wüsste auch kein Beispiel davor oder danach.
Für "davor" fällt mir der Schiedsspruch von Alexander VI zur Aufteilung der Neuen Welt zwischen Spanien und Portugal ein :D.
Im 20. Jhd. war diese Kraft erloschen.
 
Bei der Vielfalt der protestantischen Konfessionen ist es nicht verwunderlich, dass sich auch so etwas entwickeln konnte. Wie würdest du die Ideologie des katholischen Theologieprofessors und Autor des Machwerks "Der Talmudjude" August Rohling einordnen?
Im DR gab es aber nicht eine "Vielfalt der protestantischen Konfessionen". Oder sollte ich mich täuschen?
Der Rohling :) (wahrscheinlich ein sehr passender Name) ist international unterwegs und das kann sich schwerlich mit einen aggressiven Nationalismus zum ultimativen Gift weiterer Zutaten verschmelzen.
P.S.:
Den Rohling ( :D ) find ich nur auf Französisch.
Schade, ich versteh es leider nicht.
Gibt es einen Link auf Deutsch oder Englisch?
 
Im DR gab es aber nicht eine "Vielfalt der protestantischen Konfessionen". Oder sollte ich mich täuschen?
Es bestanden 27 Landeskirchen nebeneinander. Die eine neigte mehr Luther zu, die andere war mehr reformiert. Nach dem 2. Weltkrieg wurde daraus die EKD. Auch heute gibt es noch einen "bunten Strauß" an protestantischen Kirchen außerhalb der EKD: Quäker, Evangelikale, evangelische Freikirchen, Methodisten, etc.etc.

Edit: Ich habe Rohlings Hetzschrift nicht gelesen und habe es auch nicht vor. Mir reicht es vorerst über ihn zu lesen. Dennoch habe ich hier ein Digitalisat gefunden. Es scheint komplett zu sein.
 
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Im DR gab es aber nicht eine "Vielfalt der protestantischen Konfessionen".
Die drei "großen" protestantischen Konfessionen lutherisch, reformiert (bezieht sich eher auf Calvin und Zwingli) und uniert (Einigung von lutherisch und reformiert in einer Kirche) sind heute überwiegend in der EKD zusammengefasst. Gerade im Kaiserreich gab es diese Dachorganisation aber noch nicht.
Nach dem Preußen 1866 protestantische Staaten annektierte, bestanden die Landeskirchen dort dennoch weiter. Da der Landesfürst auch Oberhaupt der jeweiligen Landeskirchen war, wurde der König von Preußen zum Oberhaupt der Landeskirche von Hannover und Hessen-Kassel. Wilhelm wollte eine unierte Kirche, die Lutheraner und Reformierte zusammenschloss, auch in Kurhessen einführen. Das führte zu Widerstand - die "Renitente Kirche ungeänderter Augsburgischer Konfession in Hessen" gründete sich 1873/74. Sie, bzw. ihre Nachfolger ist bis heute kein Teil der EKD. Die "Renitenten" sind nur ein Beispiel für diese Vielfalt der protestantischen Glaubensrichtungen.
 
Und zwischen 'reformiert' nach Zwingli und 'reformiert' nach Calvin besteht/bestand ebenfalls ein merklicher Unterschied.
Die Hohenzollern, mithin KWII, waren eigentlich Calvinisten.
 
Luther hat den Antisemitismus nicht erfunden. Seit der Spätantike waren Vorurteile gegen Juden weit verbreitet, und innerhalb der Kirche gab es eine lange Tradition des Antisemitismus. Johannes Chrysostomus, Thomas von Aquin, Franz von Assisi haben sich antijüdisch geäußert. Die Vorwürfe, dass Juden Christus ans Kreuz gebracht haben, Ritualmordvorwürfe, Hostienschändung, Brunnenvergiftung waren Vorwürfe, die immer wieder erhoben wurden. An vielen Kirchen waren Judensäue abgebildet, Luther kam täglich daran vorbei. Im Zuge des 1. Kreuzzugs kam es zu Pogromen, vielerorts wurden Juden vertrieben, nur eine Minderheit stand unter herrschaftlichem Schutz, das Judentum galt als Häresie, was wiederum Anlass für Vertreibung werden konnte.

Mit dem Buchdruck wurden auch Pamphlete gegen Juden,Ritualmord-Geschichten, Verschwörungstheorien weit verbreitet. Luther hatte sich intensiv mit dem Tanach beschäftigt, er hatte dazu auf Übersetzungen und Grammatiken von deutschen Humanisten zurückgreifen müssen. Diese Leute hatten im Grunde die Hebraistik begründet, und sie hatten dazu eine päpstliche Erlaubnis. Es kam im Mittelalter vor, dass Mönche, die die Heilige Schrift übersetzten, zum Judentum übertraten. Das waren seltene Fälle, die Scholastiker erhoben aber immer wieder den Vorwurf, dass Hebraisten verkappte Juden und Häretiker seien. Das führte dazu, dass die Hebraistiker judenfeindliche Traktate hinzufügten, um diesem Vorwurf zu entgehen. Luther arbeitete mit der Hebräischgrammatik des Johann Reuchlin, mit Konrad Pelikans und Wolfgang Capito. 1518 kaufte die Uni Wittenberg auf Luthers Drängen eine hebräische Bibel, vermutlich die von Soncino an und er benutzte die damals relativ neuen Werke von Johannes Böschenstein und Mathias Aurogallus. Luthers Hebräischkenntnisse waren aber begrenzt, und statt sie zu vervollkommnen griff er gegen den Rat und die Kritik von Rabbinern ausschließlich auf Argumente und Vorstellungen christlicher Hebraistiker und jüdischer Konvertiten wie Nikolaus von Lyra, Paulus de Santa Maria oder Jakob Pfefferkorn. Luther misstraute aber auch Konvertiten wie Böschenstein, die auch jüdische Schriften auslegten oder wie Mathäus Adriani seine Bibelübersetzung in Frage stellte. Die lateinische Bibelübersetzung von Sebastian Münster, der sich eng an rabbinische Exegese anschloss, lehnte Luther als "judaisierend" ab.
Persönliche Kontakte mit Juden hatte Luther kaum. Er und Katherina von Bora verdächtigten jüdische Ärzte, sie umbringen zu wollen. Mit einigen Rabbinern hatte Luther mal diskutiert, was ihn zu seiner negativen Einstellung gegen Rabbiner bestärkte. Jakob Gipher, einen konvertierten Juden, der sich später Jakob Hebräus nannte, verschaffte er eine Stelle als Hebräisch-Lehrer.

Zu Juden hatte Luther sich verschiedentlich geäußert, die Äußerungen stehen auch in Zusammenhang mit innerchristlichen Konflikten und Entwicklungen.

1513 hielt Luther seine ersten Psalmen-Vorlesungen. Er äußerte sich recht judenfeindlich, warf ihnen den Tod Christi vor und dass sie ihn nicht als Messias anerkennen und damit die Sünde des Christusmord immer wiederholen. Nach Luthers Vorstellung konnten nur Judenchristen errettet werden.

1514 wurde Luther um ein Gutachten ersucht von Spalatin. In Köln hatte Johannes Reuchlin den Talmud gegen den Dominikaner Nicolas Hoogstraten und den Konvertiten Pfefferkorn verteidigt und ihm eine wichtige Rolle bei der Exegese zugebilligt. Luther sprach Reuchlin vom Vorwurf der Häretik frei und kritisierte den Verfolgungseifer von Reuchlins Gegnern.

1515/16 hielt Luther seine Römerbrief-Vorlesungen. Er befand, dass die Juden, durch ihre Ablehnung Christi ihre Heilsprivilegien verloren hätten.

1521 lehrte Luther, dass Jesus der Messias sei, dass die Juden dieses Heilsgebot missverstanden hätten und die Mehrheit von ihnen verstockt sei.

Trotzdem sollten Christen gegen sie freundlich sein und sie nicht verachten, da täglich einige Juden ihren Irrtum einsehen könnten. Gewalt bei der Judenmission lehnte Luther ausdrücklich ab.

1523 veröffentlichte Luther seine Schrift "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei". Luther reagierte damit auf den Vorwurf, er leugne die Jungfräulichkeit Marias. Durch Nacherzählung der biblischen Heilsgeschichte wollte Luther diesen Vorwurf widerlegen und dazu Juden zur Konversion reizen. Jakob Gipher, dem er einen Job verschaffte, war nicht zuletzt durch Luthers Predigten zur Konversion motiviert worden. Luther betonte, dass Jesus, Maria und die Apostel Juden waren, er kritisierte die Judenmission, sagte, die Gewalt habe Juden nur noch verstockter gemacht, so wie die Mission durchgeführt wurde, sei es kein Wunder, dass eher Christen Juden wurden. Luther zeigte in dieser Lebensphase durchaus Verständnis für Juden, sagte, wenn man sie von allen Gewerben ausschlösse treibe man sie in den Wucher.

Ritualmordlegenden und die Diffamierung der Juden als Hostienschänder bezeichnete Luther als "Narrenwerk". Er plädierte dafür, Juden als Blutsverwandte Christi zu behandeln sie mit Christen zusammen wohnen zu lassen und sie freundlich zu behandeln. "Wie sollte man sie bessern? Solange man sie mit Gewalt bedränge, verleumde und anklage, dass sie Christenblut gebrauchten, um nicht zu stinken und anderes Narrenwerk mehr, könne man nicht Gutes an ihnen bewirken."
Luther betonte, dass die Juden durch die Tora und die Propheten wie kein anderes Volk ausgezeichnet seien und Ghettoisierung und Arbeitsverbote einzustellen seien.

1523 führte Luther auch sein einziges Streitgespräch mit drei Rabbinern, die ihn um Vermittlung für einen Schutzbrief baten. Luther lehnte die Fürsprache ab, zeigte sich enttäuscht, dass Juden nicht reihenweise zum Christentum konvertierten.

1536 erließ Johann Georg I. ein Dekret, das Juden Einreise, Durchreise, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit in Kursachsen untersagte. Josel von Rosheim, der Anwalt der Juden bat daraufhin 1537 Luther um Vermittlung. Anscheinend sahen viele Juden in Luther einen potenziellen Fürsprecher. Luther lehnte diese Vermittlung ab und weigerte sich, sich mit Josel von Rosheim zu treffen. Er wurde davon beeinflusst, dass in Mähren die sogenannten Sabather sich für den Sabbat statt des Sonntags als Feiertag aussprachen und glaubte an den Einfluss jüdischer Proselyten. Das führte bei Luther zu einer immer aggressiveren Sprache und einer immer größeren Radikalität, häufig auch zu Obszönitäten.

1538 schrieb Luther "Wider die Sabather" und 1543 sein aggressivstes Pamphlet "Wider die Juden und ihre Lügen"

1546 reiste Luther zu Albrecht VII. von Mansfeld und versuchte mit Predigten eine Ausweisung der Juden zu erreichen. Nachdem sie inMagdeburg vertrieben wurden, fanden sie in Eisleben Aufnahme. Luther versuchte auch Philipp von Hessen zu Ausweisungsdekreten zu bewegen. Luther, Martin Bucer und Melanchthon hatten Philipps Ehe mit Margarethe von der Saale abgesegnet. Nach Reichsgesetzen Bigamie und Ehebruch, da Philipps rechtmäßige Gattin noch lebte. Philipp lehnte das aber ab.


Von Luthers Gesamtwerk waren die antisemitischen Texte nur ein kleiner Teil, sie waren aber recht bekannt, und Luther wurde auch immer wieder von Antisemiten vereinnahmt.

Trotzdem änderte das nicht viel daran, dass Luthers Schriften und sein Auftreten in Europa für ungeheures Aufsehen sorgten. Vor allem seine Schrift von 1523 "Dass Jesus Christus ein geborener Jude ist" wurde in vielen jüdischen Gemeinden als ein Fanal wahrgenommen. Juden aus den Niederlanden verschickten Exemplare und Übersetzungen davon an bedrängte Gemeinden unter anderem in Spanien.

Luthers Radikalisierung nach 1523 und seine heftigsten Pamphlete wurde von vielen Juden nicht ausreichend wahrgenommen oder auch ausgeblendet.

Zu Heinrich Heines Zeit wurde Luther bereits zunehmend von Nationalisten und Antisemiten vereinnahmt, die sich auf seine Pamphlete beriefen und diese veröffentlichten.
In Deutschland ein Wintermärchen überliefert Heine ein positives Lutherbild. Er ist für Heine ein wortgewaltiger Reformator, der ein "großes Halt gesprochen" habe.
 
Wer mal einen echt antisemitisch wirkenden Sound lesen möchte, lange vor H., der kann sich 'Germania' von katholischer Seite antun, vor allem während des Kulturkampfes....H., Himmler, Göbbels waren 'katholisch', Heydrich katholisch erzogen, Heß und Göring 'protestantisch', Rosenberg orthodox - die schwersten antijüdischen Pogrome im Europa des 19. Jh. bis vor 1914 hatten im orthodoxen Russischen Reich statt gefunden, auch ohne Luther. Und der katholische Lueger im katholischen Wien stach damals wohl die meisten anderen Metropolen-Häuptlinge aus.

Was bei Diskussionen gerne vergessen wird: traditionelle Antisemiten wie Lueger oder Luther wandten sich gegen das Judentum und praktizierende Juden; wer konvertierte, sich taufen lies, fiel aus ihrem Focus, erst recht ihre Nachkommen.
 
Wer mal einen echt antisemitisch wirkenden Sound lesen möchte, lange vor H., der kann sich 'Germania' von katholischer Seite antun,

Ich habe eigentlich keine Lust, großartig Zeit beim Lesen von antisemitischen Hetzschriften von wann und wem auch immer zu verschwenden. Aber ich vermute du meinst: "Germania. Zwei Jahrtausende deutschen Lebens" von Johannes Scherr.
 
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Wie würdest du die Ideologie des katholischen Theologieprofessors und Autor des Machwerks "Der Talmudjude" August Rohling einordnen?

Ich hab jetzt einen Teil des Rohlings (Auflage 6) gelesen.
August 1871 erscheint die zweite Auflage, * und so wie ich es verstehe war das auch das Jahr der Ersterscheinung.

Das Machwerk schwoll wohl mit der Zeit an, denn die 6. Auflage von 1878 ist erheblich umfangreicher.

Also das ist eine üble Hetze die über den Talmud und die Gläubigen ausgegossen wird, dem auch wirklich jede noch so üble Wirkung zugesprochen wird.
Und dann kommt was ganz bemerkenswertes: Der ganz verderbte Talmudjude, betrügerisch, ja sogar mörderisch, strebt die Weltherrschaft an.

Ab wann gibt es diese Idee?


* wenn man auf PDF runter laden klickt, kommt es.
 
Der These dass Luther dem Holocaust den Weg geebnet hat, würde ich trotz allem widersprechen! Zunächst mal sollten wir uns eingestehen, dass Luther keinen Antisemitismus im Protestantismus begründen musste. Er war von Anfang an in den protestantischen Kirchen vorhanden, wie er in der Alten Kirche vorhanden war. Auch Ulrich Zwingli, Martin Bucer und Philipp Melanchthon haben sich wiederholt negativ über das Judentum geäußert.

Luthers Haltung zum Judentum, auch zu konvertierten Juden war widersprüchlich. Nach 1523 radikalisierte Luther sich immer mehr. Als Massenkonversionen ausblieben, als die Juden auch seine Lehre nicht annahmen, wurden seine Forderungen immer radikaler. Luthers Pamphlet und einige seiner Tischreden strotzen nur so vor kaum verhohlenen Vernichtungsphantasien.
Die Forderungen, Juden Zigeunern gleichzustellen, bedeutete, sie für rechtlos und vogelfrei zu erklären- in letzter Konsequenz hieß das, Juden das Lebensrecht abzusprechen. Das musste Luther klar sein, der auch versuchte, auf Judenvertreibungen hinzuarbeiten.


Luther wurde anfangs als ganz großer Hoffnungsträger der Juden betrachtet, er hat diese Erwartungen gründlich enttäuscht. Die ihn näher kennenlernten, erwarteten bald gar nichts mehr von ihm. Die allgemeine positive Rezeption von Luther hielt aber an. Seine Schrift von 1523 war bekannter, als seine späteren Pamphlete.


Auf Luthers Pamphlet "wider die Juden und ihre Lügen" beriefen sich u. a. Julius Streicher und Mathilde Ludendorff. Es beriefen sich aber aber auch Mitglieder der Bekennenden Kirche auf Luther, die mit den Novemberpogromen nicht einverstanden waren, die das entsetzlich fanden. Die beriefen sich auf Luthers Schrift von 1523, in denen er für Öffnung der Ghettos, Zulassung zu Berufen plädierte. Auch Juden, die sich gegen Antisemitismus im 19. Jahrhundert wehrten, beriefen sich auf Luther und seine Schrift von 1523, in der er klar machte, dass Jesus, Maria und die Apostel Juden waren. Es verschickten Juden aus Holland Übersetzungen von Luthers Schrift nach Spanien an bedrängte Glaubensgenossen. Diese Schrift galt als die theologisch bedeutendere.


Der moderne Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert speiste sich aus anderen Quellen, als der alte christliche Antijudaismus. Er wäre undenkbar gewesen ohne die Französische und die Industrielle Revolution. Es war gespeist aus der Ablehnung der Errungenschaften der Französischen und der Industriellen Revolution- die Ablehnung der Judenemanzipation, Ablehnung von Demokratie und Parlamentarismus, Ablehnung von Zionismus. Undenkbar wäre der moderne Antisemitismus auch ohne naturwissenschaftliche Erkenntnisse des 18. und 19. Jahrhunderts gewesen. Die Entdeckung von Bakterien und Viren, die Theorien von Darwin, die Entdeckung der Vererbungsregeln durch Gregor Mendel. Dadurch geriet auch das religiös ausgerichtete Weltbild unter Druck.


Was Luther in seinem Pamphlet geschrieben und gefordert hat, wörtlich in die Tat umzusetzen, wäre einfach nur absurd gewesen. Es waren das im Grunde völlig unerfüllbare Forderungen. Die Juden wurden gebraucht. Das kanonische Zinsverbot war Unsinn. Die Landbevölkerung brauchte Kredite, brauchte die Klein- und Kleinstkredite mit extrem langer Laufzeit. Es brauchte die Juden auch im Vieh und Häutehandel. Im Juweliergewerbe waren Juden kaum zu ersetzen. Außerdem waren Juden längst schon Ausbeutungsobjekte der Fürsten geworden. Wenn man alle Juden vertreibt und umbringt, kann man ihnen nicht mehr in die Tasche greifen, lässt man sie im Lande kann man das sehr oft tun.

Abgesehen davon konnte man Pogrome kaum noch mit den Lehren des Christentums, es wäre ein solcher Widerspruch auch zu früheren Schriften Luthers gewesen, dass diese Widersprüche auch einem Luther auf die Füße gefallen wären. Es wäre ein enormer Widerspruch auch zu dem Mythos seiner selbst gewesen.[/QUOTE]
 
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