Konfession, Antisemitismus und NS

Obendrein (ganz gegen die Intention dieses Fadens) wird mit diesem Satz Luther "entlastet", weil er ja nur wieder die "mittelalterliche Mehrheitsmeinung" vertritt.
Ist das tatsächlich die Intention dieses Fadens - oder vielmehr Dions Intention? Ich dachte die Intention wäre über "Konfession, Antisemitismus und NS" zu reden.

Man dürfte dem feudalen Mittelalter wohl kaum eine "Mehrheits"meinung entnehmen können
Man kann sich ansehen wie Juden im Mittelalter vom Kaiser, Fürsten, der Wirtschaft (Zunftordnungen), der Kirche (IV. Laterankonzil 1215, Synode von Breslau 1267) und in der "Volksreligion" behandelt wurden und sich dann ein Bild machen, was "Mehrheitsmeinung" war. Die Vertreibungen der Juden aus England, Frankreich, später Spanien und die Pogrome und Einschränkungen im öffentlichen Leben im HRR im Mittelalter fanden jedenfalls kaum Widerspruch; man könnte sie als Ausdruck der Mehrheitsmeinung ansehen.
Judenfeindschaft von der Antike bis zur Neuzeit
 
Dieser Satz enthält die Ansicht, dass Antisemitismus (!) die mittelalterliche Mehrheitsmeinung gewesen sei. Man dürfte dem feudalen Mittelalter wohl kaum eine "Mehrheits"meinung entnehmen können... und zu überlegen ist, was die Begriffe Antisemitismus und Antijudaismus bedeuten. Obendrein (ganz gegen die Intention dieses Fadens) wird mit diesem Satz Luther "entlastet", weil er ja nur wieder die "mittelalterliche Mehrheitsmeinung" vertritt.
(ich denke nicht, dass @Armer Konrad das hat ausdrücken wollen - aber es ergibt sich, wenn man den zitierten (verunglückten?) Satz ernst nimmt)

Wenn es nicht die Mehrheitsmeinung gewesen wäre, wären die Juden im Mittelalter wohl nicht diskriminiert sondern in die Ständegesellschaft integriert worden. Sie waren aber, wie Bader, Henker, Abdecker, Fahrende, Aussätzige etc. Standeslose, d.h. Randgruppen. Zudem hätte es wohl auch keine Berufsverbote, Ghettoisierung (Judenviertel), Ausweisungen, Progrome etc. gegeben

Die Judendiskriminierung / -verfolgung des Mittelalters war allerdings religiös und nicht rassistisch begründet. Das Mittelalter kannte "Feinde und Abtrünnige des Christentums" und "Anhänger Satans" aber keine "minderwertige Rasse" (Nicht dass dies für die Betroffenen einen Unterschied gemacht hätte).

Luther kann trotzdem nicht "entlastet" werden, schon gar nicht, wenn man seine ähnlichen Ansichten über Ketzer und Hexen berücksichtigt. Schliesslich hatte der Mann (auch) eine "humanistische Bildung" und müsste somit nicht mit der "Mehrheitsmeinung" sondern mit Zeitgenossen vom Schlage eines Eramus von Rotterdam verglichen werden.
Er wird sogar noch weiter "belastet" wenn man seine ersten, judenfreundlichen Traktate als das, was sie sind bewertet (Taktik).
 
Wenn es nicht die Mehrheitsmeinung gewesen wäre, wären die Juden im Mittelalter wohl nicht diskriminiert sondern in die Ständegesellschaft integriert worden.
ok, du @Armer Konrad beharrst also darauf, dass der Begriff Mehrheitsmeinung völlig zwanglos und natürlich ins (späte) Mittelalter eingesetzt werden kann. Ich begreife das nicht, deswegen frage ich dich: wie ermittelt man denn die mittelalterlichen Mehrheitsmeinungen und findet man Aufzeichnungen (also Quellen) von mittelalterlichen Mehrheitsmeinungen? Und wie kamen die zustande? Wenn ich mich richtig erinnere, hatte das Mittelalter nicht nur die von dir aufgezählten negativen Diskriminierungen der
Bader, Henker, Abdecker, Fahrende, Aussätzige etc. Standeslose, d.h. Randgruppen
sondern noch weitere Eigenheiten, die uns heute befremdlich, finster und barbarisch vorkommen: z.B. war es im Mittelalter Jahrhunderte lang Usus, dass eine demographische Minderheit (Adel & (hoher) Klerus) die demographische Majorität beherrschte, ja auspresste und sich ganz andere (deutlich bessere) Rechte gönnte. War eine solche Ordnung (Ständepyramide) auch die Konsequenz einer mittelalterlichen Mehrheitsmeinung, denn derartige Verhältnisse herrschten zumeist unangefochten*) Jahrhunderte lang?
...zugegeben, das war jetzt etwas ironisch formuliert - willst du wirklich weiterhin auf "mittelalterlichen Mehrheitsmeinungen" bestehen?

Die Judendiskriminierung / -verfolgung des Mittelalters war allerdings religiös und nicht rassistisch begründet. Das Mittelalter kannte "Feinde und Abtrünnige des Christentums" und "Anhänger Satans" aber keine "minderwertige Rasse" (Nicht dass dies für die Betroffenen einen Unterschied gemacht hätte).
völlige Zustimmung (ausgenommen der eingeklammerte Satz) - - dennoch eine Nachfrage: war das Mittelalter antijudaistisch oder antisemitisch?

Luther kann trotzdem nicht "entlastet" werden, schon gar nicht, wenn man seine ähnlichen Ansichten über Ketzer und Hexen berücksichtigt. Schliesslich hatte der Mann (auch) eine "humanistische Bildung" und müsste somit nicht mit der "Mehrheitsmeinung" sondern mit Zeitgenossen vom Schlage eines Eramus von Rotterdam verglichen werden.
hier verstehe ich deine Forderung, mit wem Luther verglichen werden müsste, nicht: an wen richtet sich das? (übrigens: das mit dem "entlasten" war ein Jux, der sich aus (d)einem verunglückten Satz ergab)

_____
`) im Norden gab mal einen Stellinga Aufstand, später dann den Bauernkrieg (zu letzterem hatte Luther eine Meinung, die den Aufständischen gar nicht behagte: war der Luther da auf der Seite einer Mehrheitsmeinung?) ;)
 
Obendrein (ganz gegen die Intention dieses Fadens) wird mit diesem Satz Luther "entlastet", weil er ja nur wieder die "mittelalterliche Mehrheitsmeinung" vertritt.

Inwiefern stellt dieser Umstand eine Entlastung dar?
Und überhaupt seit wann geht es hier um Entlastungen? Sitzen wir hier über Luther posthum zu Gericht? Oder geht es darum zu einer historischen Bewertung zu bekommen?

Wenn Luther sich mit seinen verbrecherischen Ausfällen gegenüber den Juden in vorhandenen Traditionen oder gar Mainstream-Meinungen einreihte, entlastet ihn das moralisch so überhaupt nicht.

Für das von @Dion angeführte Postulat Luther sei als Wegbereiter des Holocaust zu betrachten, hat es indes seine Bedeutung, denn um als solcher in irgendeiner Formm gelten zu können, reicht das schlichte Aufgreifen bereits lange vorhandener judenfeinlicher Sentiments und Forderungen schwerlich hin.

An dieser Stelle wäre abermals die bisher weitgehend ignorierte Frage anzubringen, was Luther hier qualitativ neues an judenfeindlichen Ideen geliefert hat, das es vorher so nicht gab.

Ansonsten ist die Mutmaßung Luther hätte da Positionen vertreten, die in seiner Umgebung bereits vorher konsensfähig waren, im Kern nicht unberechtigter, als die à priori eingebrachte Unterstellung seitens Dion, dass Luther seinen Schäfchen die Judenfeindschaft de facto erst eingeimpft habe.
Denn auch diese Position sagt ja etwas über den gesellschaftlichen Mainstream aus. Interessanter Weise hast du dich daran aber nicht gestoßen.
 
Interessanter Weise hast du dich daran aber nicht gestoßen.
ja und? Es geht hier weder um mich noch muss ich mich zu allem äussern.

Mich hat, deswegen hatte ich mich eingemischt, die Verwendung des Begriffs "Mehrheitsmeinung" für das späte Mittelalter, das Beharren auf der Verwendung dieses Begriffs und die Implikation dieses Satzes
Die späteren, antisemitischen Aussagen Luthers - seine Rückkehr zur mittelalterlichen Mehrheitsmeinung über Juden - ist u.a. auch seiner Enttäuschung geschuldet, dass die Bekehrungen der Juden zu seiner Kirche ausgeblieben waren.
stutzig gemacht. Dieser Satz impliziert, dass Antisemitismus eine mittelalterliche Mehrheitsmeinung gewesen sei.

Daran ist einiges problematisch:
1. um ernsthaft von einer Mehrheitsmeinung des Mittelalters reden zu können, müsste man meinungsbeeinflussende Mehrheiten im feudalen Mittelalter nachweisen. (man wird wohl eher meinungsbestimmende demographische Minoritäten ermitteln)
2. man kann jederzeit nachschlagen, was die Begriffe Antisemitismus und Antijudaismus bedeuten, wo sie angemessen sind und wo nicht.

Eine Diskussion wie diese hier wird schwierig, unübersichtlich und missverständlich, wenn die Begriffe wahllos durcheinandergewirbelt werden.
 
Die entscheidende Verbindung zwischen dem religiös geprägten Antijudaismus und dem rassistisch geprägten Antisemitismus liegt wahrscheinlich im Spanien des 15. Jahrhunderts in Zusammenhang mit den sog. Marranen. So jedenfalls die These von Léon Poliakov, Geschichte des Antisemitismus, Band IV.
Begonnen hatten Zwangstaufen schon 1380-1390 in Kastilien. Die Zwangsgetauften (Neuchristen, conversos) verhielten sich aber weiterhin heimlich als Juden. 1412 gab es die „Disputation von Tortosa“, die mit „freiwilligen“ Taufen von Juden einherging. Noch wetterte der Papst Martin V in 2 Bullen gegen solche Taufen: eine Zwangstaufe sei keine christliche Taufe.
In Kastilien und Aragon gab es somit Anfang des 15. Jh. 3 Kategorien von Juden, sofern sie nicht emigriert waren, eine Aufstellung insbesondere von dem Franziskaner Alfonso de Spina:
  1. die öffentlichen Juden (bis 1492 als Religionsgemeinschaft immer noch erlaubt)
  2. conversos, die aber im Herzen jüdisch blieben. Sie waren der Ursprung des Marranentums, nach Poliakov. Sie konnten sogar Erlaubnisscheine zum „Judaisieren“ erwerben (!), was ein Teil des Ablasshandels war.
  3. überzeugte conversos. Aber auch ihnen wurde misstraut
Einer von ihnen (unter Nummer 3), Antonio Montoro, hat hierzu sogar ein Gedicht verfasst, das er Königin Isabel gesandt hat, natürlich in Spanisch :) :

Teilweise war es so, dass von der Bevölkerung sogar eher Juden als Neuchristen akzeptiert wurden, insofern sie als ehrlicher galten. Ab 1480 wurde die Inquisition installiert, wobei die Marranen die Hauptzielgruppe waren. Es folgte bald darauf das Edikt zur Austreibung der Juden aus Spanien (31.3.1492), sofern sie nicht konvertierten. Zwar wurden nun auch die Marranen durch die Inquisition peu à peu liquidiert (im Verlauf des 16. Jh), aber durch die Vereinigung von Portugal und Spanien gab es wieder genügend von ihnen, da zuvor viele nach Portugal geflohen waren.
Damit aber, so Poliakov, beginnt der

In Spanien legte man Wert auf den Stammbaum, auf das „reine Blut“ (limpieza de sangre). Ursprünglich bedeutete der Begriff „Neuchristen“ die frisch Konvertierten, nun bedeutete er „alle Nachkommen solcher Konvertierten“. Z.B. verlangten die Ritterorden jetzt Nachweise der „Blutreinheit“ (heißt: den Nachweis, nicht von Neuchristen abzustammen). Unter Karl V erlangte der „Blutnachweis“ Gesetzeskraft. Der erhielt sich bis 1835; endgültig abgeschafft wurde er 1865.
Insofern sind die Marranen diejenige Gruppe, die „bewiesen“ hat, dass das Judentum nicht einfach nur ein Konglomerat religiöser Riten ist, sondern eingebranntes Erbgut, und damit der Rassentheorie des Antisemitismus den Weg gebahnt hat.

El Quichote hat in anderen Threads mal darauf hingewiesen, dass manche Philologen die These aufstellten, dass Dulcinea die Angebetete von Don Quichote, die immer wieder ihre Geschicklichkeit in der Herstellung von Serrano-Schinken betont, möglicherweise eine Krypto-Jüdin ist.

Mich überzeugt Leon Poliakovs These nicht so recht. Ahnenproben waren nicht ungewöhnlich im ausgehenden Mittelalter. Für die Turnierfähigkeit wurde von Adeligen der Nachweis von mehreren ritterbütigen Ahnen gefordert.

Es gab Bedenken und Vorbehalte gegen konvertierte Juden-Luther teilte solche Vorurteile und sprach gelegentlich von einem "schlechten Blut". Es gab Sprichwörter des Inhalts "dreimal getauft, aber immer noch ein Jude".

Dennoch würde ich das aber auch nicht überbewerten. Die Maßnahmen gegen Marranen, Krypto-Juden und Krypto-Muslime bewegten sich doch immer noch auf dem Boden des mittelalterlichen Anti-Judaismus.

Der moderne Antisemitismus wie er seit dem 19. Jahrhundert sich bildete, war undenkbar ohne die großen Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, war undenkbar ohne die Französische und die Industrielle Revolution. Kaum denkbar auch ohne den Aufstieg der Arbeiterbewegung und das "Gespenst des Sozialismus"- die Angst vor der Revolution.

Mit dem Antisemitismus war häufig auch eine Ablehnung der Errungenschaften der Revolution verbunden. Juden erhielten die vollen Bürgerrechte und zahlreiche Juden nutzten die neuen Freiheiten wie die Gewerbefreiheit, es gab massenhaften sozialen Aufstieg jüdischer Familien, in manchen Bereichen wie den freien Berufen hatten Juden sich sogar eine dominierende Rolle erkämpft-und damit war nicht nur Bewunderung, sondern auch Ressentiments, Vorurteile und Sozialneid verbunden.

Undenkbar war der moderne, rassistisch motivierte Antisemitismus auch ohne die naturwissenschaftlichen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts, die Darwinsche Evolutions-Theorie und die Entdeckung der Vererbungsregeln durch den Augustinermönch Gregor Mendel.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielte auch der Einfluss der Aufklärung auf das traditionelle Judentum. Persönlichkeiten wie Moses Mendelsohn vertraten die Auffassung, dass auch Juden sich den Ideen der Aufklärung öffnen sollten. Die Haskala wurde auch von Juden mitgeprägt. Mit der Öffnung für die Werte der Aufklärung war aber auch die Frage um jüdische Identitäten gestellt, und traditionelle Lebensweisen wurden dadurch in Frage gestellt.

Kaum denkbar wäre der moderne Antisemitismus auch ohne den Nationalismus des 19. Jahrhunderts. in einem Zusammenhang damit steht auch der Zionismus. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert gab es Bemühungen von Juden, sich in Palästina anzusiedeln. Theodor Herzls Schrift "Der Judenstaat" entstand nicht zuletzt auch als Reaktion auf die Verwerfungen der Dreyfus-Affäre.

Ohne diese historischen und politischen Ereignisse, ohne die Französische Revolution, die Industrielle Revolution, den Nationalismus seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, die Judenemanzipation seit 1790, die Arbeiterbewegung und das "Gespenst des Sozialismus", ohne auch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seit dem 17. Jahrhundert, die Entdeckung von Viren und Bakterien, der Entdeckung der Vererbungsregeln, der Evolutionstheorie ist der moderne Antisemitismus wie er seit dem 19. Jahrhundert auftrat, kaum denkbar und zu verstehen.

Eine weitere Strömung, die auf den modernen Antisemitismus einwirkte, war die Ende des 18. Jahrhunderts entstandene Phrenologie und Physiognomie-Lehre, die Wissenschaftler wie Gall, oder Lavater vertraten und Cesare Lombrosos Theorie des "geborenen Verbrechers".

Damit hatten die Maßnahmen gegen Marranen, Moriskos, Krypto-Juden und -Muslime in Spanien seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert kaum etwas zu tun. Eine Traditionslinie von den noch völlig dem mittelalterlichen Antijudaismus verhafteten Maßnahmen in Spanien Ende des 15. Jahrhunderts bis zum modernen, rassistisch-biologistisch argumentierenden Antisemitismus lässt sich kaum ausmachen.
 
war das Mittelalter antijudaistisch oder antisemitisch?
Ich verstehe diese Unterscheidung eh nicht. Denn die Vokabel „antisemitisch“ bedeutet gegen die Semiten sein, was aber nicht der Fall ist. Beweis: Araber sind auch Semiten, aber ein Antisemit ist nicht gegen sie, sondern explizit nur gegen Juden.

@Eumolp hat von reinem Blut gesprochen, was aber Juden in Spanien aberkannt wurde, und auch Luther hat laut Scorpio gelegentlich vom „schlechten Blut“ der Juden gesprochen.

Außerdem habe ich in „Von den Juden und ihren Lügen“ gelesen, dass die Juden „fauler, stinkender, verrotteter Bodensatz vom Blut ihrer Väter“ seien, dann ist das nichts anderes als Rassismus, denn dieser hat als Grundlage eben das: Blut.
 

"Mephistopheles:
Wie magst du deine Rednerei
Nur gleich so hitzig übertreiben?
Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.

Faust:
Wenn dies dir völlig Gnüge tut,
So mag es bei der Fratze bleiben.

Mephistopheles:
Blut ist ein ganz besondrer Saft."

:D

Die Vorstellung man könne vererbt von 'edlem Geblüt' sein, und auch das Gegenteil, ist ja ein plausibler Herold des Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts, der das „Blut“ als Metapher emporhebt.
 
Die frühen, aus den 1520er Jahren stammenden Bemerkungen Luthers über die Juden (er setzte sich sogar für die Duldung der Juden ein) sind allerdings nicht auf seine Toleranz ihnen gegenüber zurückzuführen. Luther hegte damals die Hoffnung, dass sich die Juden für seine Auslegungen der Bibel begeistern und sich zur protestantischen Form des Christentums bekehren würden. Er suchte schlichtweg Verbündete.
Die späteren, antisemitischen Aussagen Luthers - seine Rückkehr zur mittelalterlichen Mehrheitsmeinung über Juden - ist u.a. auch seiner Enttäuschung geschuldet, dass die Bekehrungen der Juden zu seiner Kirche ausgeblieben waren.
Insofern waren die ersten resp. frühen Aussagen Luthers über Juden lediglich von Taktik bestimmt.

Aus welchen Äußerungen Luthers ziehst Du diese Schlussfolgerung? So weit ich sehe, hat Luther zu keiner Zeit die Illusion gehegt, es könnten sich in absehbarer Zeit die Juden großteils oder gar insgesamt zum Christentum bekehren.
 
Das Verhältnis der beiden großen Kirchen zum NS war widersprüchlich. Es war von starker Affinität und fundamentalen Gegensätzen zugleich bestimmt. Die Kirchen waren die einzigen Organisationen die sich dem Totalitätsanspruch des NS entziehen oder auch widersetzen konnten-zum politischen Widerstand haben sie nicht aufgerufen, ihre konservativ-nationale Grundeinstellung bewirkte immer wieder ihre Loyalität zum Staat. Ihre völlige Gleichschaltung gelang aber nie. Bei den Protestanten war es nur eine Minderheit, die den NS aus theologischen und politischen Gründen ablehnte.

Ihre Kritik war meist sehr hellsichtig, wegen der Nähe zur Linken fanden ihre Warnungen aber kaum Gehör. Auch vom bürgerlich-liberalen Standpunkt, der im NS einen Angriff auf Sittlichkeit und Recht sah. Auch das vielgeschmähte Luthertum musste nicht unbedingt zur Verneigung vor Obrigkeit und Machtstaat führen. Ebensogut ließ sich auch mit Luther argumentieren gegen die nationalsozialistische Doktrin von der Höherwertigkeit einer germanischen Rasse, wie gegen den revolutionären Cäsarismus" . Das waren theologische Positionen einer Entscheidung gegen den NS, die allerdings nur Sache einer Minderheit war.

Der Theologe Kühnert formulierte 1931 eine Haltung, die kennzeichnend für die Mehrheit der protestantischen Pfarrer war: Ja der Kirche zur völkischen Idee des NS, zu seinem Gedanken einer sozialen Neugestaltung und seinem Willen zum Christentum. Nein aber zu seiner Rassenlehren, seinen Kulturvorstellungen und seiner politischen Praxis. Evangelische Kirchenleute waren allerdings geneigt, den brutalen Terror als Begleiterscheinungen einer guten Sache auszublenden. Außerdem hatte die Partei sich offiziell zum positiven Christentum bekannt. Pastoren und Theologiestudenten strömten in die Partei, der NS wurde wohlwollend beobachtet. Unter dem Pfarrer Joachim Hossenfelder, der sich als SA Jesu Christi verstand, setzten die Deutschen Christen bei den preußischen Kirchenwahlen 1932 dazu an, die Kirche zu erobern. Im November 1932 konnten sie bei den Kirchenwahlen einen großen Erfolg im Sinne der Nazis erringen. Sie verfügten über eine geschlossene Organisation, und über die Fähigkeit, Kirchenmitglieder, zu mobilisieren, die sich sonst an Vorstandswahlen nicht beteiligt hatten, konnten sie ein Drittel der Sitze ergattern. Die protestantische Kirche war in 28 verschiedene Landeskirchen zersplittert, was eine Gleichschaltung erleichterte.

Der Kirchenkampf hat die protestantische Kirche fast zerrissen. Hitler bevorzugte Gleichschaltung, nicht Vernichtung der Kirche, wie es Alfred Rosenberg forderte. Mit einer Reichskirche wollte man die Protestanten locken wie man die Gewerkschaften mit der Einheitsgewerkschaft getäuscht hatte. Am 23. April machte Hitler den Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller. Müller schien gemäßigter, als Hossenfeld (SA-Jesu Christi"). Ende Mai 1933 stimmten die Vertreter der Landeskirchen gegen Müller und sie votierten für Friedrich von Bodelschwingh aus Bethel, in der Absicht die Unabhängigkeit der Kirche zu demonstrieren. Gegenwind von Seiten der Nazis und der DC führten aber dazu, das man Bodelschwingh fallenließ. Im. Juli 1933 setzten sich nach ein er gewaltigen Propagandaschlacht und Drohkampagne Müller und die SA Jesu Christi durch. Hitlers Kirchenmänner schienen nach den Regeln der Gleichschaltung die evangelische Kirche erobert zu haben.

Darauf formierte sich aber Widerstand: Karl Barth, Martin Niemöller (der anfangs noch Sympathien für den NS hatte) gründeten den Pfarrernotbund, verschickte 16 Thesen an Kollegen mit deutlicher Wendung gegen die Deutschen Christen. Allein die Bindung an die Heilige Schrift und die Bekenntnisse der Reformation sollten maßgeblich sein, und eine politische Spitze enthielt der Pfarrernotbund durch die Ablehnung des Arierparagraphen im Kirchenrecht. Bei einer Synode in Wittenberg September 1933 erhob der Notbund Einspruch von 2000 Anhängern seine Stimme für die Verfolgten und für eion freies evangelisches Bekenntnis. Bis zum Januar 1934 schlossen sich 7000 Mitglieder dem Pfarrernotbund an, das war fast die Hälfte aller protestantischen Pfarrer.

Als die DC bei einer Kundgebung die Abschaffung des Alten Testaments, die Aufhebung der jüdischen Theologie Paulus forderte und Jesus zum Arier machen wollten, hatten sie den Bogen überspannt. Der Reichsbischof und die deutschchristlichen Kirchenvorstände konnten zwar großteils ihre Ämter behaupten, verloren aber deutlich an Rückhalt in den Gemeinden. So leicht ließ sich die protestantische Kirche dann doch nicht gleichschalten. Mit der Barmer Erklärung von 1934 erhielt die Bekennende Kirche sozusagen ihr theologisches Fundament. Müllers Kirchenpolitik brach zusammen, und Hitler rehabilitierte die renitenten Bischöfe Wurm, Meiser und Maharens.

Seit 1935 verschärften sich die Konflikte zwischen den Kirchen und dem Naziregime. Rosenberg, von Schirach, Bormann und Himmler agitierten gegen "Dunkelmänner", protestantische Rompilger, Rosenberg erklärte die Unvereinbarkeit von NS und Christentum und ging noch über radikale Forderungen in "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" hinaus. Sowohl protestantische wie katholische Kirchenleitungen wendeten sich an Hitler mit Bitte um Vermittlung. 1936 verurteilte eine Denkschrift der Bekennenden Kirche die Rassenpolitik des des Regimes und die Entrechtung durch Schutzhaft und Gestapowillkür. Es hatten immerhin 3/4 der Bekenntnispfarrer den Mut, diese grundsätzliche Kritik am NS-Regime von der Kanzel zu verlesen.
Die Katholische Kirche entschloß sich 1937 die Unrechtspolitik und nationalsozialistische Ideologie in einer Enzyklika zu kritisieren. Da war von einem "Vernichtungskampf" die Rede und von Vertragsverletzungen. Die Gestapo beschlagnahmte die Enzyklika, aber sie war bereits vervielfältigt und von den Kanzeln verlesen worden.

Es gab Schnittmengen zwischen den Kirchen und dem NS, aber eben auch unüberbrückbare Gegensätze. Es gab in beiden Kirchen-auch in der Bekennenden Kirche Antisemitismus, und es wurde Luthers Pamphlet immer wieder zitiert. Luthers Forderungen waren schon zu seinen Lebzeiten außerordentlich radikal- sie waren übelste Hetze und Populismus- und wie Populismus häufig war es heiße Luft, im Grunde aber unerfüllbare Brachialforderungen. Jedem halbwegs einsichtigen Menschen musste das einleuchten.

Theologisch aber galten Luthers frühere Schriften als bedeutsamer. In den protestantischen Territorien lebten nach wie vor Juden. Die Reformation führte zu keiner Verbesserung der Lage der jüdischen Gemeinden, aber doch auch nicht zu Pogromen. Im 17. und 18. Jahrhundert haben protestantische Territorien Juden aus der Ukraine nach Pogromen aufgenommen. Zugegeben auf Rosen waren sie nicht gebettet, und gegenüber Hugenotten und Salzburger Emigranten war die "Willkommenskultur" wärmer- viele Juden besaßen keinen Schutzbrief, gleiche Rechte gab ihnen erst das Königreich Westphalen, aber in Hessen, in Brandenburg spielten doch Juden eine Rolle im wirtschaftlichen und kulturellen Leben, nannten sich nach neuen Heimatstädten Wormser, Oppenheimer, Warburg. Das wäre aber kaum der Fall gewesen, wäre der Protestantimus so unduldsam gewesen wie hier einige suggerieren. Die protestantisch geprägten Länder Europas: GB, die Niederlande, die skandinavischen Länder zeichneten sich vor dem Weltkrieg nicht durch übermäßigen Antisemitismus aus. Auch im Deutschen Reich war er nicht stärker vertreten, als in Europa. Wohl die wenigsten Zeitgenossen hätten um 1914 so etwas wie den Holocaust in Deutschland für möglich gehalten.

Antisemitismus war im Christentum sehr früh angelegt, aber es ließ sich der Holocaust aus den Lehren des Christentums unmöglich rechtfertigen, Brüder im Geiste waren die Kirchen und die Nazis nicht.
n
 
Bei den Protestanten war es nur eine Minderheit, die den NS aus theologischen und politischen Gründen ablehnte.
Das entspricht auch meiner Kenntnis der Dinge.

Der Theologe Kühnert formulierte 1931 eine Haltung, die kennzeichnend für die Mehrheit der protestantischen Pfarrer war: Ja der Kirche zur völkischen Idee des NS, zu seinem Gedanken einer sozialen Neugestaltung und seinem Willen zum Christentum. Nein aber zu seiner Rassenlehren, seinen Kulturvorstellungen und seiner politischen Praxis.
So kann das nicht stimmen, denn auch Kühnert sagte zum Antisemitismus, der sich bei den Nazis auf der Rassenlehre gründete, nichts.

Pastoren und Theologiestudenten strömten in die Partei, der NS wurde wohlwollend beobachtet.
Eintritte in die NSDAP gab es beim katholischen Klerus kaum, was ich für einen bedeutenden Unterschied halte, wenn es um die Frage geht, welche Kirche hat mehr und welche weniger mit dem Hitlerregime kollaboriert.

Im. Juli 1933 setzten sich nach ein er gewaltigen Propagandaschlacht und Drohkampagne Müller und die SA Jesu Christi durch. Hitlers Kirchenmänner schienen nach den Regeln der Gleichschaltung die evangelische Kirche erobert zu haben.
Das schien nicht nur, das war auch faktisch so: Die Deutschen Christen erreichten bei den Wahlen eine Zweidrittelmehrheit.

Bis zum Januar 1934 schlossen sich 7000 Mitglieder dem Pfarrernotbund an, das war fast die Hälfte aller protestantischen Pfarrer.
Du hast hier vergessen zu erwähnen, dass das nicht so blieb – Zitat:

In weniger als vier Monaten entwickelte sich der Notbund zu einer Massenbewegung von 7036 Mitgliedern im Januar 1934. Diese Zahl sank dann jedoch bis 1938 auf 3933 aktive Pfarrer, 374 Ruheständler, 529 Hilfsprediger und 116 Kandidaten. Nach Wilhelm Niemöller waren damit etwas über 20 Prozent der damaligen aktiven evangelischen Pfarrerschaft Mitglied im Pfarrernotbund.
(…)
Ein gemeinsamer Protest gegen die staatliche Diskriminierung der Juden insgesamt lag fast allen seiner Mitglieder jedoch völlig fern. Diese waren vom gesamtkirchlichen Antijudaismus geprägt und sahen den Ausschluss von Juden aus Staatsämtern und Freiberufen als notwendige Staatsmaßnahme, in die sich die Kirche nicht einzumischen habe.


1936 verurteilte eine Denkschrift der Bekennenden Kirche die Rassenpolitik des des Regimes und die Entrechtung durch Schutzhaft und Gestapowillkür. Es hatten immerhin 3/4 der Bekenntnispfarrer den Mut, diese grundsätzliche Kritik am NS-Regime von der Kanzel zu verlesen.
Das bedarf einer Ergänzung – Zitat:

Eine geheime Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler vom Mai 1936 bezeichnete die Existenz der Konzentrationslager zwar als härteste Belastung des evangelischen Gewissens,[9] wurde aber von der Bekennenden Kirche nie veröffentlicht. Nach Bekanntwerden der Denkschrift im Ausland kam es zu vereinzelten Verhaftungen von Geistlichen, die Mehrheit der Bekennenden Kirche rückte aber sofort von der Denkschrift ab und selbst die folgende Abkündigung auf einigen Kanzeln durch entschiedenere Vertreter der Bekennenden Kirche ließ die entscheidenden politischen Passagen aus der Denkschrift, die sich nicht nur mit Christen befassten, weg. Auch mit dem Büro Grüber unterstützte die Kirche Menschen, die als Juden verfolgt wurden, nur soweit sie zum Christentum konvertiert waren oder von Konvertiten abstammten.[10]

Man sieht, auch die Bekennende Kirche folgte Luthers Schriften.

Es gab in beiden Kirchen-auch in der Bekennenden Kirche Antisemitismus, und es wurde Luthers Pamphlet immer wieder zitiert. Luthers Forderungen waren schon zu seinen Lebzeiten außerordentlich radikal- sie waren übelste Hetze und Populismus- und wie Populismus häufig war es heiße Luft, im Grunde aber unerfüllbare Brachialforderungen. Jedem halbwegs einsichtigen Menschen musste das einleuchten.
Also waren diejenigen Kirchenleute, die Luthers Pamphlet immer wieder zitierten, allesamt blind, weil sie die heiße Luft und die unerfüllbare Forderungen nicht erkannten?

Nein, Luthers Pamphlete waren keine heiße Luft, sie waren handfeste Schriften, die abertausend Mal vervielfältigt unter die Leute gebracht wurden, damit sie schwiegen zu Judenverfolgung: Die angeblich unerfüllbaren Brachialforderungen wurden bekanntlich nicht nur erfüllt, sie wurden übererfüllt.

Antisemitismus war im Christentum sehr früh angelegt, aber es ließ sich der Holocaust aus den Lehren des Christentums unmöglich rechtfertigen, Brüder im Geiste waren die Kirchen und die Nazis nicht.
Wenn in christlichen Kirchen jahrhundertelang gegen Juden gepredigt wurde, so dass immer wieder Pogrome gegen sie stattfanden, dann wird es für jeden Christen schwer, Partei für sie zu ergreifen, zumal auch der Idol der evangelischen Christen, Dr. Martin Luther, geschrieben hatte, er würde sie am liebsten eigenhändig umbringen – die Nazis erledigten dann das für ihn und für all jene, die ähnliche dachten wie er.
 
Die Deutschen Christen erreichten bei den Wahlen eine Zweidrittelmehrheit.

Dazu einige Hintergrundinformationen:

Am 14. Juli 1933 erließ Hitler das verfassungswidrige "Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche".
Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (1933)
In diesem Gesetz wurden Kirchenwahlen schon für den 23. Juli 1933 angeordnet. Der Opposition gegen die "Deutschen Christen" sollte möglichst wenig Zeit gegeben werden, sich zu formieren, sie wurde außerdem nach Kräften behindert. Ein Beispiel: Die in aller Eile zusammengestellte Liste "Evangelische Kirche" ließ folgendes Flugblatt drucken:
Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus
Der Liste wurde per einstweiliger Verfügung verboten, den Namen "Evangelische Kirche" zu führen, Wahlplakate und Flugblätter wurden beschlagnahmt.

Wahlhilfe erhielten die Deutschen Christen nicht zuletzt von Hitler selbst, der in einer Rundfunkansprache die Bereitschaft, weiterhin Religionsfreiheit zu garantieren, von einem Wahlerfolg der "Deutschen Christen" abhängig machte:

"Der starke Staat kann nur wünschen, daß er seinen Schutz solchen religiösen Gebilden angedeihen läßt, die ihm auch ihrerseits wieder nützlich zu werden vermögen.
[...]
Denn indem der Staat die innere Freiheit des religiösen Lebens zu garantieren bereit ist, hat er das Recht zu hoffen, daß in den Bekenntnissen diejenigen Kräfte gehört werden müssen, die entschlossen und gewillt sind, auch ihrerseits für die Freiheit der Nation sich einzusetzen. Diese Kräfte sehe ich in jenem Teil des evangelischen Kirchenvolkes in erster Linie versammelt, die in den Deutschen Christen bewußt auf den Boden des nationalsozialistischen Staates getreten sind."



1936 verurteilte eine Denkschrift der Bekennenden Kirche die Rassenpolitik des des Regimes und die Entrechtung durch Schutzhaft und Gestapowillkür. Es hatten immerhin 3/4 der Bekenntnispfarrer den Mut, diese grundsätzliche Kritik am NS-Regime von der Kanzel zu verlesen.
Die Denkschrift ist hier im Wortlaut nachzulesen:
https://www.gdw-berlin.de/fileadmin/themen/b05/pdf/mat_5.6-1.pdf
Darin heißt es u. a.:
"Wenn hier Blut, Rasse, Volkstum und Ehre den Rang von Ewigkeitswerten erhalten, so wird der evangelische Christ durch das erste Gebot gezwungen, diese Bewertung abzulehnen.
[...]
Wenn dem Christen im Rahmen der nationalsozialistischen Weltanschauung ein Antisemitismus aufgedrängt wird, der zum Judenhaß verpflichtet, so steht für ihn dagegen das christliche Gebot der Nächstenliebe."​
 
Zuletzt bearbeitet:
Man sieht, auch die Bekennende Kirche folgte Luthers Schriften.

Also waren diejenigen Kirchenleute, die Luthers Pamphlet immer wieder zitierten, allesamt blind, weil sie die heiße Luft und die unerfüllbare Forderungen nicht erkannten?

Nein, Luthers Pamphlete waren keine heiße Luft, sie waren handfeste Schriften, die abertausend Mal vervielfältigt unter die Leute gebracht wurden, damit sie schwiegen zu Judenverfolgung: Die angeblich unerfüllbaren Brachialforderungen wurden bekanntlich nicht nur erfüllt, sie wurden übererfüllt.

Wenn in christlichen Kirchen jahrhundertelang gegen Juden gepredigt wurde, so dass immer wieder Pogrome gegen sie stattfanden, dann wird es für jeden Christen schwer, Partei für sie zu ergreifen, zumal auch der Idol der evangelischen Christen, Dr. Martin Luther, geschrieben hatte, er würde sie am liebsten eigenhändig umbringen – die Nazis erledigten dann das für ihn und für all jene, die ähnliche dachten wie er.

Es hat kein Reichsfürst Luthers Hasstiraden in die Tat umgesetzt. Philipp von Hessen hat einige Jahre später Juden aufgenommen und geduldet-entgegen Luthers Rat. Es waren Juden von zahlreichen Gewerben und Geschäften ausgeschlossen, sie waren aber in das Wirtschaftsleben eingebunden, und auf dem flachen Land brauchte man den jüdischen Geldverleih. Es handelte sich meist um Klein- und Kleinstkredite mit extrem langer Laufzeit. Bei der Kapitalunterversorgung auf dem flachen Land, waren Juden oft die einzigen, wo Bauern Kredite bekommen konnten.

Statt Juden umzubringen und sie zu vertreiben, war es viel lukrativer, sie zu dulden und ihnen gegen teures Geld Schutzbriefe zu verkaufen. Luthers Pamphlet war schon zu seiner Zeit außerordentlich radikal. Das was Luther schreibt, sind Hasstiraden mit kaum verhohlenen Vernichtungsphantasien. Es wäre das vielleicht praktikabel gewesen, es hätte aber bedeutet, die Axt an das Wirtschaftsleben zu legen- und so blöd war kein Reichsfürst.

Im Übrigen hat Luther ja auch nicht nur das Judenpamphlet geschrieben, viele seiner früheren Schriften widersprechen dem diametral. Luther hat darauf verwiesen, dass Jesus, Paulus, die Apostel und die Muttergottes Juden waren, er hat ihre Zulassung zu den Gewerben und die Auflösung der Ghettos gefordert. Er hat geschrieben, dass die Judenmission Unfug war, dass man es ihnen nicht übel nehmen dürfe, wenn sie bei ihrer Religion blieben. Nicht zuletzt deshalb

Auch das gehört zur Luther- Rezeption. Seine Schriften vor 1523 führten dazu, dass Luther bei namhaften Juden als Hoffnungsträger, potenzieller Fürsprecher und Vermittler galt. Diese Erwartungen hat Luther gründlich enttäuscht, viele Juden pflegten aber weiterhin ein relativ positives Lutherbild.

Heinrich Heine war ja sehr hellsichtig. Unvergessen seine Prognose, dass wo man Bücher verbrennt, auch Menschen nicht verschont und "Der Gedanke eilt der Tat voraus wie der Blitz dem Donner.. es wird ein Stück aufgeführt wogegen die Französische Revolution wie eine Idylle anmutet."

In Deutschland ein Wintermärchen streicht der Autor durch das nächtliche Köln, und es begleitet ihn ein Schatten mit einem Beil-die Tat seines Gedankens. Luther erscheint bei Heine nicht als der Verfasser des Judenpamphlets, sondern als ein bedeutender Reformator, der ein "großes Halt gesprochen". Heine blendete-vielleicht wider besseres Wissen- Luthers Antisemitismus aus. Theologisch galten seine Schriften vor 1523 als weitaus bedeutsamer.

Es haben durchaus Kirchenleute gegen die Rassepolitik der Nazis argumentiert und sich dabei auf Luther berufen.
 
Das entspricht auch meiner Kenntnis der Dinge.

So kann das nicht stimmen, denn auch Kühnert sagte zum Antisemitismus, der sich bei den Nazis auf der Rassenlehre gründete, nichts.

Eintritte in die NSDAP gab es beim katholischen Klerus kaum, was ich für einen bedeutenden Unterschied halte, wenn es um die Frage geht, welche Kirche hat mehr und welche weniger mit dem Hitlerregime kollaboriert.

Das schien nicht nur, das war auch faktisch so: Die Deutschen Christen erreichten bei den Wahlen eine Zweidrittelmehrheit.

Du hast hier vergessen zu erwähnen, dass das nicht so blieb – Zitat:

In weniger als vier Monaten entwickelte sich der Notbund zu einer Massenbewegung von 7036 Mitgliedern im Januar 1934. Diese Zahl sank dann jedoch bis 1938 auf 3933 aktive Pfarrer, 374 Ruheständler, 529 Hilfsprediger und 116 Kandidaten. Nach Wilhelm Niemöller waren damit etwas über 20 Prozent der damaligen aktiven evangelischen Pfarrerschaft Mitglied im Pfarrernotbund.
(…)
Ein gemeinsamer Protest gegen die staatliche Diskriminierung der Juden insgesamt lag fast allen seiner Mitglieder jedoch völlig fern. Diese waren vom gesamtkirchlichen Antijudaismus geprägt und sahen den Ausschluss von Juden aus Staatsämtern und Freiberufen als notwendige Staatsmaßnahme, in die sich die Kirche nicht einzumischen habe.


Das bedarf einer Ergänzung – Zitat:

Eine geheime Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler vom Mai 1936 bezeichnete die Existenz der Konzentrationslager zwar als härteste Belastung des evangelischen Gewissens,[9] wurde aber von der Bekennenden Kirche nie veröffentlicht. Nach Bekanntwerden der Denkschrift im Ausland kam es zu vereinzelten Verhaftungen von Geistlichen, die Mehrheit der Bekennenden Kirche rückte aber sofort von der Denkschrift ab und selbst die folgende Abkündigung auf einigen Kanzeln durch entschiedenere Vertreter der Bekennenden Kirche ließ die entscheidenden politischen Passagen aus der Denkschrift, die sich nicht nur mit Christen befassten, weg. Auch mit dem Büro Grüber unterstützte die Kirche Menschen, die als Juden verfolgt wurden, nur soweit sie zum Christentum konvertiert waren oder von Konvertiten abstammten.[10]

Man sieht, auch die Bekennende Kirche folgte Luthers Schriften.

Also waren diejenigen Kirchenleute, die Luthers Pamphlet immer wieder zitierten, allesamt blind, weil sie die heiße Luft und die unerfüllbare Forderungen nicht erkannten?

Nein, Luthers Pamphlete waren keine heiße Luft, sie waren handfeste Schriften, die abertausend Mal vervielfältigt unter die Leute gebracht wurden, damit sie schwiegen zu Judenverfolgung: Die angeblich unerfüllbaren Brachialforderungen wurden bekanntlich nicht nur erfüllt, sie wurden übererfüllt.

Wenn in christlichen Kirchen jahrhundertelang gegen Juden gepredigt wurde, so dass immer wieder Pogrome gegen sie stattfanden, dann wird es für jeden Christen schwer, Partei für sie zu ergreifen, zumal auch der Idol der evangelischen Christen, Dr. Martin Luther, geschrieben hatte, er würde sie am liebsten eigenhändig umbringen – die Nazis erledigten dann das für ihn und für all jene, die ähnliche dachten wie er.

In der Denkschrift steht u. a.:

Wenn hier Blut, Volkstum, Rasse und Ehre den Wert von Ewigkeitswerten erhalten, wird der evangelische Christ durch das Erste Gebot gezwungen, diese Bewertung abzulehnen.
Wenn dem Christen im Rahmen der Nationalsozialistischen Weltanschauung Antisemitismus aufgedrängt wird, der zum Judenhass verpflichtet so steht für ihn dagegen das christliche Gebot der Nächstenliebe

https://www.gwd-berlin.de/fileadmin/themen/bo5/pdf/mat_5.61-1pdf

Das wird man ja wohl kaum als Aufruf zu Pogromen interpretieren können und auch nicht als Indiz dafür, dass die BK insgesamt Pogrome und Rassentrennung bejaht und sich dabei auf Luthers Schriften (welche?) berufen hätte.
 
Weil ich keine Zeit habe, will ich nur ein Zitat wiederholen, weil ihr beide (Scorpio und Sepiola) die Denkschrift zitiert, das Entscheidende aber konsequent unter den Tisch fallen lässt – das Zitat betrifft die sogenannte „Denkschrift an Hitler“ der Bekennende Kirche (Fettschreibung durch mich):

Eine geheime Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler vom Mai 1936 bezeichnete die Existenz der Konzentrationslager zwar als härteste Belastung des evangelischen Gewissens,[9] wurde aber von der Bekennenden Kirche nie veröffentlicht. Nach Bekanntwerden der Denkschrift im Ausland kam es zu vereinzelten Verhaftungen von Geistlichen, die Mehrheit der Bekennenden Kirche rückte aber sofort von der Denkschrift ab und selbst die folgende Abkündigung auf einigen Kanzeln durch entschiedenere Vertreter der Bekennenden Kirche ließ die entscheidenden politischen Passagen aus der Denkschrift, die sich nicht nur mit Christen befassten, weg. Auch mit dem Büro Grüber unterstützte die Kirche Menschen, die als Juden verfolgt wurden, nur soweit sie zum Christentum konvertiert waren oder von Konvertiten abstammten.[10]
 
Eine geheime Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler vom Mai 1936 bezeichnete die Existenz der Konzentrationslager zwar als härteste Belastung des evangelischen Gewissens,[9] wurde aber von der Bekennenden Kirche nie veröffentlicht.

Was Wiki hier schreibt, ist m. W. falsch.

Mit der Veröffentlichung der Denkschrift wollte man abwarten, bis sich Hitler dazu geäußert hätte. Die Sache wurde aber in Regierungskreisen verschleppt, ob Hitler die Denkschrift zu Gesicht bekommen hat, weiß ich nicht. Schließlich wurden 100.000 Exemplare in Breslau gedruckt.

Die eindeutige Positionierung gegen nationalsozialistische Kernpunkte war schon starker Tobak. Da das Regime sich im Vorfeld der olympischen Spiele im Kreidefressen übte, war das wohl die letzte Gelegenheit, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen.

Die Kanzelabkündigung war auch m. W. entschärft, den Wortlaut habe ich bislang nicht auftreiben können.
 
Weil ich keine Zeit habe, will ich nur ein Zitat wiederholen, weil ihr beide (Scorpio und Sepiola) die Denkschrift zitiert, das Entscheidende aber konsequent unter den Tisch fallen lässt – das Zitat betrifft die sogenannte „Denkschrift an Hitler“ der Bekennende Kirche (Fettschreibung durch mich):

Eine geheime Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler vom Mai 1936 bezeichnete die Existenz der Konzentrationslager zwar als härteste Belastung des evangelischen Gewissens,[9] wurde aber von der Bekennenden Kirche nie veröffentlicht. Nach Bekanntwerden der Denkschrift im Ausland kam es zu vereinzelten Verhaftungen von Geistlichen, die Mehrheit der Bekennenden Kirche rückte aber sofort von der Denkschrift ab und selbst die folgende Abkündigung auf einigen Kanzeln durch entschiedenere Vertreter der Bekennenden Kirche ließ die entscheidenden politischen Passagen aus der Denkschrift, die sich nicht nur mit Christen befassten, weg. Auch mit dem Büro Grüber unterstützte die Kirche Menschen, die als Juden verfolgt wurden, nur soweit sie zum Christentum konvertiert waren oder von Konvertiten abstammten.[10]

Vielleicht lässt du ja auch etwas unter den Tisch fallen.

Die zitierte Denkschrift wurde jedenfalls mehrfach vervielfältigt, sie wurde in zahlreichen Gemeinden verlesen und verbreitet, und eine nicht geringe Zahl von protestantischen "Bekenntnis"-Pfarrern hat zumindest soviel Courage besessen, dass sie diese Erklärung öffentlich von den Kanzeln verlesen haben.
Die Kritik an der Rassenpolitik des 3. Reichs war jedenfalls recht deutlich, und im Zusammenhang mit der Denkschrift gab es eine Reihe von Festnahmen.
 
Zurück
Oben