War Merseburg einst römische Exklave ?

Oberhalb von Sundershausen findest du im Comitatus die als Haletta verzeichneten Berge, auf deren Nordseite dann Hadielbich und Gellingen, das heutige Hachelbich und Göllingen, kartiert wurden.
 
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Zur Frage römischer Lager ist vielleicht folgender Hinweis interessant. Paul Grimm schreibt: "Nowothnik hat am Heidenstieg (Goslar-Nordhausen) Viereckschanzen beobachtet, denen er bereits karolingisches Alter zuweisen möchte." Nordwestlich Nordhausens verläuft dieser Weg als Niederungsweg im Tal der Zorge.
 
Zielführend dürfte in Hinblick auf das Thema zudem die weiter oben in # 262 gemachte Beobachtung des Hermundure sein :
Meiner Meinung nach waren die Germanen der späten Kaiserzeit hier in Mitteldeutschland und in Unterfranken romanisiert - auf jeden Fall deren Oberschicht. Das zeigen zum einen die von ihnen angelegten burgi (Mitteldeutschland-Oberbeuna), villae rusticae (Unterfranken-Frankenwinheim) und fabricae (Thüringen_Haarhausen) aus diesem Zeitraum (3. Jh. n.Chr.). Das ist bisher einzigartig für die Germania Magna.

Jan Bemmann bemerkt in seinem Beitrag über Die Frühzeit der Thüringer 2009, S. 75 - 76 jedoch : "Eine Überprägung der einheimischen Sachkultur und ein Zuzug einer vermutlich aus dem Rheinland stammenden [merowingischen] Führungsschicht ... ist nicht vor dem letzten Drittel des 6. Jahrhunderts zu beobachten." Die Frühzeit der Thüringer

Dieser von Bemmann vermutete Zuzug aus dem Rheinland muss jedoch früher erfolgt sein, denn Brotuff zufolge drängten ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts die Wenden in das Gebiet von Sachsen-Anhalt und Thüringen vor : 'Chronica Vnd Antiquitates des alten Keiserlichen Stiffts der Römischen Burg Colonia vnd Stadt Marsburg an der Salah in Obern Sachssen Mit viel alten sonderlichen seltzamen Historien vnd Geschichten dieser Lande : Sampt einem ordentlichen Cathalogo aller Bischoffe vnd Administratorn zu Marsburg. Jn zwey Bücher mit ... alten Wapen gezieret' - Digitalisat | MDZ

Dies legt auch die Fränkische Historie des Gregor von Tours nahe, welcher im 3. Buch, Kapitel 7 berichtet, dass sich die Thüringer im Jahre 531 n. Chr. unter ihrem König Herminefred dem ins Land eingedrungenen Merowingerkönig Chlotachar und seinem Bruder Theuderich I. entgegen stellten, dabei jedoch an der Unstrut (Onestrudis fluvium) eine vernichtende Niederlage erlitten. Gregorij Turonici Historiae Francorum libri decem : in quibus non solum Francorum res gestae, sed etiam martyrum cum infidelibus bella, & ecclisiae cum haereticis concertationes ex ponuntur ; Adonis Viennensis Chronica : Gregory, Bishop of Tours, Saint, 538-594, author : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive

Auch Widukind von Corvey berichtet in der von ihm verfassten Sachsengeschichte Liber I, Kapitel IX, Absätze 12-13 über diese im Jahre 531 n. Chr. erlittene Niederlage der Thüringer und konkretisiert, dass das Heer des König Herminefred am Runenberg (Runibergun) bei Scithingi an der Unstrut (Scithingi, sita super fluvium quod dicitur Unstrod) geschlagen worden sei. bibliotheca Augustana Gemäß dem im 9. Jh. angelegten Zehntverzeichnis des Klosters Hersfeld befand sich der bei Widukind genannte Ort Scidinge westlich Merseburg im Friesenfeld des Hassegau und wird im allgemeinen mit Burgscheidungen identifiziert Hersfelder Zehntverzeichnis – Wikipedia

Aus dem als De exidio Thuringiae bekannten Klagelied der Radegunde überlieferte Venantius Fortunatus : "Oh du trauriges Los des Krieges, du neidisches Schicksal. In wie plötzlichem Sturz sinken doch [ganze] Reiche dahin. Lange gesicherte Stätten des Glücks, hochragende Giebel liegen, vom Sieger verbrannt, kläglich in Trümmern und Schutt. Und das Gehöft des Palastes, das einst von Leben erfüllt war, ist von Gebäuden nicht mehr, nein, [ist] nur von Asche bedeckt. Und die Firsten der Dächer, die sonst rotgolden geschimmert, sind nun zu Boden gestürzt, sind nur Asche und Staub. ... ." De Excidio Thuringiae

Die von Venantius Fortunatus überlieferten, mit Kupferplatten gedeckten Dächer des königlichen Palastes könnten sich durchaus in dem östlich von Scidinge gelegenen Merseburg befunden haben, denn der an der Unstrut gelegene Kampfplatz des Jahres 531 lag nur einen Tagesmarsch westlich davon, wie die hier dazu in den Anhang gestellte Karte zeigt. Das der von Bemmann (2009) angenommene Zuzug einer aus dem Rheinland stammenden Oberschicht zeitlich nach den De exidio Thuringiae im Klagelied der Radegunde beschriebenen Verwüstungen in das Gebiet von Thüringen und Sachsen-Anhalt eingesetzt haben könnte, ist mit Brotuff vermutlich auszuschließen. Daher dürfte die in Thüringen und Sachsen-Anhalt festgestellte Romanisierung also, wie Hermundure weiter oben im # 262 ganz richtig bemerkte, nicht erst in merowingischer Zeit, sondern bereits deutlich früher eingesetzt haben.

Jan Bemmann : Mitteldeutschland im 5. und 6. Jahrhundert. In : Dieter Geuenich : Die Frühzeit der Thüringer, Berlin 2009. Helmut Castritius, Dieter Geuenich und Matthias Werner (Hrsg.): Die Frühzeit der Thüringer. Archäologie, Sprache, Geschichte, Berlin / New York 2009. | Fundberichte aus Baden-Württemberg
 

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Du zauberst ernsthaft wieder Renaissance-Autor Brotuff aus der Tasche?
Hermundure weiß im Übrigen auch, dass Johne meint, dass die römischen Handwerksbetriebe in Haarhausen wohl kaum auf freiwillige Ansiedlung zurückzuführen sind: Dušek hatte gemutmaßt, dass römische Handwerker aus dem Donauraum als dort der Absatzmarkt nichts mehr hergab, ins Barbaricum gegangen seien. Johne macht aber auf das Kulturgefälle aufmerksam: es wäre kaum glaubhaft, dass Römer anstatt dem Geld hinterherzuziehen ins noch ärmere Barbaricum gingen, um dort zu töpfern, ergo habe es sich um Römer gehandelt, die offenbar verschleppt worden seien. Dušek hatte mit den traditionell guten Beziehungen von Römern und Hermunduren argumentiert, Johne stellt dagegen klar, dass diese guten Beziehungen nur bei Tacitus dokumentiert sind, dass 200 Jahre späte diese guten Beziehungen noch existiert hätten, dafür gäbe es keine Belege.
 
Dušek hatte gemutmaßt, dass römische Handwerker aus dem Donauraum als dort der Absatzmarkt nichts mehr hergab, ins Barbaricum gegangen seien.

Marita Reichardt hat 2023 in Jena ihre Dissertation über "Römische Funde im westlichen Thüringer Becken" publiziert und dabei auf ein Manuskript von Sigrid Dusek abgehoben. https://www.gw.uni-jena.de/phifakme...e-sose2023-vortragsprogramm-aktuell-08-05.pdf Das von Dusek 2008 / 2009 in Weimar erstellte Manuskript selbst blieb jedoch bislang unveröffentlicht und liegt beim Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Seine Veröffentlichung wäre nicht nur eine Festgabe für die frühere Landesarchäologin Sigrid Dusek (1937-2009), sondern sicherlich auch eine wünschenswerte Bereicherung für den bei Jan Bemmann (2009), S. 63 beschriebenen Sachstand zur kulturgeschichtlichen Auswertung Thüringens.
 
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Reichardt beteiligte sich 2017 an den in Arnstadt, nahe Haarhausen stattgefundenen archäologischen Ausgrabungen. Nachgewiesen wurde dort unter anderem rot glänzendes und plastisch verziertes römisches Luxusgeschirr, welches im 2. und 3. Jahrhundert nach Thüringen eingeführt worden war. In den ebenfalls nachgewiesenen Webhäusern fanden sich Webgewichte zur Beschwerung der Kettfäden vertikaler Webstühle, welche aus der Zeit des in # 403 geschilderten Reiches der Thüringer stammen. Diese Webhäuser gehören dem 6. Jahrhundert an und könnten ihre Textilien also durchaus in der Zeit des Herminefred und der Radegunde produziert haben. Die Anfänge von "Arnestati" gehören damit also der römischen Zeit des 2. und 3. Jahrhunderts, sowie dem 6. Jahrhundert an. Archäologische Ausgrabungen in Arnstadt
 
Nu ja... Die ptolemaiische Karte ist nun dummerweise vollkommen verzerrt und daher sind Eintragungen in diese Karte, so gut sie auch gemeint sind, verfehlt und vermitteln den falschen Eindruck einer Objektivität. Die Karte selbst stammt auch nicht aus der Antike, sondern aus dem ausgehenden Mittelalter, wo ein Zeichner (Maximos Paloudis) versucht hat, die ptolemaiischen Angaben graphisch umzusetzen. Alle griechischen und lateinischen Ausgaben der Karte basieren auf Maximos Paloudis (um 1300). Sprich: Ptolemaios' Geographie scheint gar keine solche Verbreitung gehabt zu haben, wie etwa der Almagest. Insofern ist schon fraglich, inwiefern Ptolemaios in seiner Schreibstube in Alexandria das Bild der Römer von der Geographie tatsächlich widerspiegelt.

Du hast in # 396 vermutlich auf Máximos Planoúdes abheben wollen ? Maximos Planudes – Wikipedia

Nicolaus Germanus gibt in der Widmung seiner Ausgabe der Cosmographia des Ptolemaios hinsichtlich der darin eingezeichneten Längengrade zudem an, dass sich diese von den in den alten, griechischen und lateinischen Ausgaben nicht unterscheiden (Quid dicam quod cuius antiquorum exemplarium tam grecorum quam latinorum pictura discerni non posset). Nicolaus Germanus hatte die von ihm benutzte Vorlage also anhand der Angaben in anderen antiken Handschriften griechischer und lateinischer Kopisten überprüft und durch deren Übereinstimmung die Richtigkeit der bereits in alter Zeit auf der Basis von Meilensteinen ermittelten Längengrade bestätigt. Nicolaus Germanus hatte demnach also Zugang zu mehreren verschiedenen Exemplaren der Kosmographie des Ptolemaios und obwohl er einen Maximos Planudes - soweit ich das sehe - eben nicht zu kennen scheint, dürfte die Kartographie des Ptolemaios anhand der angegebenen Längen- und Breitengrade in Fachkreisen zu allen Zeiten verstanden worden zu sein und wurde bei Bedarf entsprechend abgetragen. Offenbar ein üblicher Vorgang. Die Auffassung, dass sich das Kartenwerk des Ptolemaios nicht bei den Römern, sondern erst im späteren Mittelalter verbreitet und durchgesetzt haben soll, wirkt etwas abenteuerlich.

Ich lege hier nochmals einen Link zu der von Nicolaus Germanus, Ulm 1482 veröffentlichten Karte Deutschlands an, gerade auch weil diese den Melibocus kennt und den Namen des Stammes der Thüringer in verschiedenen Varianten ausschreibt. Ptolemaeus, Claudius; Nicolaus Germanus [Hrsg.]; Jacobus Angelus de Scarperia [Übers.]: Cosmographia (Ulm, 16.VII.1482 [GW M36379] [Sack 2986]) (Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., Ink. 2.D 3110,b) - Freiburger historische Bestände - digital - Universitätsbibliothek Freiburg
 
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Du hast in # 396 vermutlich auf Máximos Planoúdes abheben wollen ? Maximos Planudes – Wikipedia
Das ist richtig, kein Ahnung, was mir da passiert ist, da bin ich wohl gedanklich im Sumpf gelandet. Vielleicht weil wir uns auch über Maximinius Thrax und dessen Feldzug geschrieben hatten und die Schlacht im Sumpf.

Nicolaus Germanus gibt in der Widmung seiner Ausgabe der Cosmographia des Ptolemaios hinsichtlich der darin eingezeichneten Längengrade zudem an, dass sich diese von den in den alten, griechischen und lateinischen Ausgaben nicht unterscheiden (Quid dicam quod cuius antiquorum exemplarium tam grecorum quam latinorum pictura discerni non posset). Nicolaus Germanus hatte die von ihm benutzte Vorlage also anhand der Angaben in anderen antiken Handschriften griechischer und lateinischer Kopisten überprüft und durch deren Übereinstimmung die Richtigkeit der bereits in alter Zeit auf der Basis von Meilensteinen ermittelten Längengrade bestätigt.
Wie ich schon sagte, die bekannten HSS der Geographie basieren auf Planoudis (Wikipedia Planudes), es gibt keine antiken HSS der Geographie. Wenn Nicolaus tatsächlich antiquorum exemplarium tam graecum quam latinorum sich angesehen hat, (hier nur eben der Hinweis: antiquorum heißt einfach nur 'alt'), dann hatte er einfach HSS in der Hand, die auf Planoudis basieren , denn der hatte ja nicht nur den griechischen Ptolemaios neu publiziert, sondern auch noch selbst eine lateinische ÜS davon besorgt. Es nimmt also nicht wunder, dass Nicolaus Germanus keine Unterschiede in den verschiedenen HSS fand, wenn Planoudis mit dem Manuskript aus dem Chora-Kloster gearbeitet hat und dieses der Archetyp aller übrigen HSS ist.

hypothetisches Stemma Ptolemaios.png

Die Auffassung, dass sich das Kartenwerk des Ptolemaios nicht bei den Römern, sondern erst im späteren Mittelalter verbreitet und durchgesetzt haben soll, wirkt etwas abenteuerlich.
Damit gibst du mich falsch wieder. Ich weiß nicht, wie weit verbreitet Ptolemaios' Geographie in der Antike war. Sie war aber kein Kartenwerk im Sinne einer praktischen Hilfe bei einer Reiseplanung. Das war eher die Tabula Peutingeriana (von der wir ja auch nur eine Abschrift haben, die wiederum auf einer karolingischen Abschrift basiert). Mit dem Kartenwerk des Ptolemaios - und das war ja deine These in Bezug auf Maximinus Thrax, auf die ich antwortete - konnte man nicht reisen. Und, so deine zweite These, die Karte habe das geographische Weltbild der Römer widergespiegelt. Da hatte ich darauf hingewiesen, dass wir ihre tatsächliche Verbreitung nicht kennen und somit solche Rückschlüsse nicht empirisch basiert sind.

Aber natürlich muss es Abschriften gegeben haben, sonst hätte Maximo ja nicht im Kloster Chora danach gesucht.

Und, dieser Hinweis sei noch einmal wiederholt: Die Angaben sind einfach nicht genau, sondern teilweise sogar sehr ungenau, eben fehlerhaft, eben "verzerrt". So viel also noch mal zu ihrer Gebrauchsfertigkeit - zumal der Atlas, nach allem was wir wissen, nicht als Kartenwerk vorlag, sondern als Schriftwerk, die Karten spätmittelalterlich/frühmodern sind.

Nun haben wir das Problem, dass wir - wie ich oben im hypothetischen Stemma skizziert habe - dass wir quasi den Archetypen nicht kennen und den Urtext sowieso nicht. In den etwa 1000 Jahren, die zwischen dem Urtext und dem Archetypen liegen, mit dem Maximos Planoudis arbeitete, können sich natürlich durch fehlerhafte Abschriften eine Reihe Fehler eingeschlichen haben, wir wissen es einfach nicht, wann die Fehler im Text produziert wurden, ob bereits durch Ptolemaios oder durch Planoudis oder irgendwelche Kopisten dazwischen.

Aufmerksam machen sollte aber auf jeden Fall, dass Nicolaus Germanus betont, dass er in den ihm bekannt gewordenen HSS keine Abweichungen voneinander findet. Quasi alle alten Texte, die wir in mehreren Textzeugen überliefert haben, weisen Kopierfehler oder auch "Verbesserungen" der Kopisten aus (Regel historisch-kritischer Editeure: lectio difficilior potior - die schwierige Lesart ist die stärkere, weil eben Kopisten dazu neigen, grammatisch schwierige Stellen zu glätten oder ungewöhnliche Worte durch gängigere zu ersetzen).

Wenn Nicolaus Germanus also mehr mittelalterliche Textzeugen gehabt hätte, dann wäre es sehr verwunderlich, wenn die alle identische Angaben gemacht hätten. Schon das zeigt, dass die Zeugen, die er hatte, sämtlich auf die Edition von Maximos Planoudis zurückgegangen sein müssen (oder - aber das ist sehr hypothetisch - dass Nicolaus uns nicht die Wahrheit sagt).
 
Wenn Nicolaus Germanus also mehr mittelalterliche Textzeugen gehabt hätte, dann wäre es sehr verwunderlich, wenn die alle identische Angaben gemacht hätten. Schon das zeigt, dass die Zeugen, die er hatte, sämtlich auf die Edition von Maximos Planoudis zurückgegangen sein müssen (oder - aber das ist sehr hypothetisch - dass Nicolaus uns nicht die Wahrheit sagt).

Nicolaus Germanus machte seine Aussage bezüglich der Übereinstimmung der von ihm eingesehenen griechischen und lateinischen Ausgaben der Cosmographie des Ptolemaios in Hinblick auf die in der oberen und unteren Seite der Umrandung der Karten jeweils angegebenen Längengrade (gradus longitudinis). Diese von ihm festgestellte Übereinstimmung der dort angegebenen Längengrade einzig auf Planoudis zurückzuführen, halte ich für unzulässig, denn schon Cassiodor forderte um 561 / 562 n. Chr. in seinen Institutiones divinarum et saecularium litterarum Liber II, musica 10 und astronomia 3 seine in Scylaceum im Kloster Vivarium lebenden Mitbrüder dazu auf, die Werke des Ptolemaios fleißig zu studieren. Diese verfügten demnach über eigene Ausgaben des Ptolemaios, welche im dortigen Scriptorium sicherlich auch für die Abtei in Monte Cassino kopiert worden sind und von dort aus später als Abschriften dann zumindest nach Salerno gelangt sein werden. Cassiodor, Institutiones und verschiedene naturwissenschaftliche Texte - Staatsbibliothek Bamberg Msc.Patr.61 - Deutsche Digitale Bibliothek Der erst um 1290 als Kopist und Interpret der Werke des Ptolemaios auftretende Planoudis ist also nur eine unter mehreren Quellen. Der oben von Dir eingeführte HSS-Stemma zur Geographie des Ptolemaios ist folglich unvollständig.
 
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Diese von ihm festgestellte Übereinstimmung der dort angegebenen Längengrade einzig auf Planoudis zurückzuführen, halte ich für unzulässig,
Schau dir mal Editionen von Quellen an, die in mehr als einer HSS überliefert sind. Die Editoren versuchen den Archetypen zu treffen (lectio difficilior), im Kritischen Apparat zu wissenschaftlichen Editionen wirst du immer Abweichungen vom rekonstruierten Archetypen finden. Wenn Nicolaus Germanus in den von ihm eingesehenen HSS tatsächlich keine Abweichungen fand, dann ist das mehr als erstaunlich, ja fast einzigartig. Du wirst immer Abweichungen finden. Bei einer solchen Aussage muss ein Historiker einfach aufmerken.


denn schon Cassiodor forderte um 561 / 562 n. Chr. in seinen Institutiones divinarum et saecularium litterarum Liber II, musica 10 und astronomia 3 seine in Scylaceum im Kloster Vivarium lebenden Mitbrüder dazu auf, die Werke des Ptolemaios fleißig zu studieren.

Dass Cassidor seine Mitbrüder aufforderte, Ptolemaios zu lesen, etwa im Abschnitt über die Kosmographie (Lib. II, 25: Cosmographie de monachis legenda):

tum si vos notitiae nobilis cura flammaverit, habetia Ptolemei codicem, qui sic omnia loca evidenter expressit, ut eum cunctarum regionum pene incolam fuisse judicetis. Eoque fiat ut uno loco positi sicut monachus decet animo percurratis, quod aliquorum peregrinatio plurimo labore collegit​

Cassiodor ging davon aus, dass man Examplare von Ptolomaios' Geographie finden würde, aber wie sah die Situation 700 Jahre später aus? Cassiodor war noch ein klassisch gebildeter antiker Gelehrter, mit Griechischkenntnissen. Aber diese Griechischkenntnisse hatten mittelalterliche Mönche im Westen nicht. Dementsprechend wurden auch keine Kopien solcher Texte mehr hergestellt, wenn wir Glück haben, wurden alte Pergamente andersweitig recycelt und sind uns so erhalten.

Das oben von Dir eingeführte HSS-Stemma der Geographie des Ptolemaios ist folglich unvollständig.
Ich sage doch, dass es im MA HSS gegeben haben muss, aber die sind nicht auf uns gekommen. Und auch Nicolaus Germanus kann keinen Zugriff auf ältere HSS gehabt haben, wenn er uns die Wahrheit sagt und alle HSS, die er untersucht hat (er arbeitete in Florenz und Rom, den Zentren der Renaissance, wo griechische Literatur wieder rezipiert wurde) die identischen Daten preisgaben.
 
Cassiodor ging davon aus, dass man Exemplare von Ptolomaios' Geographie finden würde,

Tatsächlich verfügte man um 560 bereits in dem bei Scylaceum in Bruttium gelegenen Kloster Vivarum über entsprechende Exemplare der Geographie des Ptolemaios, denn in dem von Dir zitierten Abschnitt der Institutiones, Lib. II, 25 Cosmographie de monachis legenda heißt es ja :

"und immer dann, wenn sie [seine Mitbrüder im Vivarium] von einem edlen Wissensinteresse entfacht werden, haben sie den Codex des Ptolemaeus, der alle Orte so klar zum Ausdruck gebracht hat, als ob er ein Bewohner all dieser Regionen gewesen sei, und so können sie ihn [den jeweils gesuchten Ort] dann beurteilen."

Cassiodor forderte seine Mitbrüder dazu auf, die von Ptolemaios beschriebenen Orte mit ihrem Geist zu durchdringen und in seinem Kartenwerk zu platzieren (positi), da solches Studium üben würde. Andernorts führt er in den Institutiones zudem weitere im Kloster Vivarium vorhandene Werke des Ptolemaios an.
 
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Die in Latein beschriftete Karte des Ptolemaios weist im Gebiet von Thüringen südlich des Harzes die Stadt Areguia (Aregelia), sowie östlich davon an der Elbe die Städte Luphutdiu (Lupfurdum) und Galegii aus. Die in (Klammern) gesetzten Städtenamen entsprechen den Angaben im Bericht des anonymen Bodendenkmalpflegers von 2018 Magna Germania – Antike Städte im Barbarikum - Bodendenkmalpfleger.de doch glaube ich ihn in der Lesart der Städtenamen und ihrer Identifizierung wie folgt ein Stück weit korrigieren zu müssen, denn aufgrund des Maßstabes lässt sich meines Erachtens die Stadt Luphutdiu keineswegs mit Dresden identifizieren und das direkt unterhalb des Harzes eingezeichnete Areguia könnte möglicherweise auch mit Sangerhausen oder Bad Frankenhausen zu identifizieren sein, aber keineswegs mit Leipzig. Demnach würde Ptolemaios seinerzeit also die Saale irrtümlich für den Oberlauf der Elbe gehalten haben ;)

Meiner Auffassung nach dürfte sich der folgende Vorschlag zur Identifizierung aufgrund der bisherigen Fundlage bei Hachelbich und Merseburg vermutlich weitaus besser verifizieren lassen :

Luphutdiu = Merseburg
Galegii = Gardelegen
Areguia = Hachelbich

Albis = Elbe
Melibocus = Harz
 

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im Bericht des anonymen Bodendenkmalpflegers
Dabei handelt es sich um Jürgen Krakor. Der verlinkte Beitrag hat doch einige Schwächen, so liest er etwa die Ems *Amafus (korrekt wäre Amaſus/Amasus; ſ = s, ſ ≠ f) oder die Weser *Infurgus (korrekt: Uiſurgis/Uisurgis) oder der Suevus (ſuevus), den Krakor als Oder identifiziert und als *Fünus liest.
Der gute Mann ist ein engagierter und interessierter ehrenamtlicher Sondler, aber weder Archäologe noch Historiker oder Linguist, der seine verschiedenen Websites mit viel Liebe gestaltet, aber leider nicht zitierfähig ist.

Da Ptolemaios schon im römischen Reich, wo die Entfernungen bekannt waren, immer wieder Verzerrungsfehler auffweist, ist er in Germanien natürlich umso ungenauer. Auch sollte man sich nicht blenden lassen von der suggestiven Kraft der gemalten Karte. Ptolemaios gibt an, wo die Quellen und wo die Mündungen der Flüsse sind. Den Verlauf dazwischen gibt er - mit Ausnahme der Donau - nicht an. Er gibt auch nicht an, ob eine Stadt links oder rechts eines Flusses liegt. Insofern sind es die frühneuzeitlichen Kartenzeichner, welche die Flüsse in die Karten zeichnen und dann die Orte. Und so sieht es dann für uns so aus, wenn wir eine Karte betrachten, der Ort X habe an Fluß Y gelegen. Aber das ist eben bloß die frühneuzeitliche Zeichnung der Karte, das ist nicht Ptolemaios selbst, in seiner Schreibstube in Alexandria.

Auch die Suggestivkraft "klingklanglicher Assoziationen" (Michael Meier-Brüger) mit denen Krakor zu arbeiten scheint (Galaia /Gardelegen, Fragona/Frankfurt/Oder), sind zu berücksichtigen.
 
Insofern sind es die frühneuzeitlichen Kartenzeichner, welche die Flüsse in die Karten zeichnen und dann die Orte.

Dieser Aussage könnte man zustimmen, denn die neuzeitlichen Kartenzeichner verlegten beispielsweise den Brocken (Melibocus) in den Odenwald, und über genau dieses unterirdische Niveau der Neuzeit waren Gelehrte wie Leibnitz entsetzt. Tatsächlich wird man es sich auch in Hinblick auf das HSS-Stemma zur Geographike des Ptolemaios zu leicht gemacht haben, zumal uns bereits die Anleitungen des Cassiodor zum Gebrauch dieses Kartenwerkes auf eine eigenständige, kartierte römische Handschriftentradition verweisen. Leider wurden die Arbeiten des Anastasius Bibliothecarius (810-878) und Paulus Diaconus (720-799) in Bausch und Bogen als Fälschungen und Machwerke verworfen, oder für unbrauchbar erklärt. Doch allein schon das von Anastasius Bibliothecarius bezeugte Werk mit dem Titel Astronomiam ex veteribus Libris collegit kann nicht ohne einen Rückgriff auf Ptolemaios verfasst worden sein. De Anastasio bibliothecario sedis apostolicæ : Arthur Lapôtre : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive

Vor allem das vom 2. Wiener Kreis zum Postulat erhobene Prinzip der lex parsimoniae des Ockham (Occam's razor) etablierte ein heuristisches Forschungsprinzip, wonach gerade in Bezug auf historische und scholastische Quellen des Mittelalters von mehreren möglichen hinreichenden Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt der einfachsten Theorie der Vorzug zu geben ist. Meiner Meinung nach wurde damit ein Paradies für Faulenzer geschaffen, denn wer möchte sich unter diesen Vorgaben noch mit Anastasius Epitome Chronicorum Casinensium (Chronik des Klosters Monte Cassino), seiner Chronographia tripertitiam (Übersetzung der Chroniken des Nicephorus, Georgius Syncelllus, Theophanes), oder dem Chronicon Salernitanum (ca. 871) auseinandersetzen und ihren Inhalten angemessen Rechnung tragen ? Das Gebot der Einfachheit gebietet es, diese Übersetzungen und Verzeichnisse nicht auf ihren Inhalt hin zu analysieren, sondern dieselben lediglich in eine Erwähnungsdidaktik einzuführen und sie demnach also unbeachtet zu lassen, was Alexius Meinong beispielsweise rundweg ablehnte. Erst in der jüngsten Vergangenheit hat man diese Vorgehensweise als fehlerhaft und irreführend erkannt.

Meiner Auffassung nach wird man zumindest bis zum Ende des 11. Jahrhunderts in Italien über eigene Ausgaben der Geographie des Ptolemaios verfügt haben, denn sonst würden sich diverse Aussagen, wie etwa in der Astronomie des Paulus Diaconus, schlichtweg nicht machen lassen und selbst Thomas etwa kennt hierzu unter anderen auch Ptolemaios als Quelle. Ich zitiere diesbezüglich daher das Urteil des Mediaevisten Erich Caspar : "Man darf behaupten : kaum je im Mittelalter lagen die Bildungsmittel, über welche die Zeit verfügte, so vollständig vor dem Schüler, als in der Monte Cassineser Klosterbibliothek nach der gelehrten Wirksamkeit des Desiderius (1027-1087)." Petrus diaconus und die Monte Cassineser Fälschungen [microform] ; ein Beitrag zur Geschichte des italienischen Geisteslebens im Mittelalter : Caspar, Erich Ludwig Eduard, b. 1879 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive Man fragt sich hier also, warum sich ausgerechnet die Werke eines Claudius Ptolemaios nicht in Monte Cassino befunden haben sollen. Dass sich unter diesen mittelalterlichen Quellen mitunter auch Fälschungen befanden, hatte unter anderen auch Nicolaus Cusanus bereits hinsichtlich der Konstantinischen Schenkung auf dem Baseler Konzil klar bewiesen, doch die neuzeitlichen Quellenforscher haben ihn lange ignoriert und die heutigen sind meines Erachtens aufgrund der Übernahme von Pauschalurteilen oftmals schlecht ausgebildet.

Um diesen Exkurs nicht völlig ausarten zu lassen : Ja, auch die frühneuzeitlichen Kartenzeichner übernahmen die mitunter fehlerhaft verzeichneten Orte und Flüsse in ihre Abschriften und ergänzten diese um eigene Angaben. Deine Annahme, dass es in der Antike, sowie im Mittelalter, seitens der Geographen und ihrer Kopisten keine eigenen Eintragungen von Flüssen, Bergen und Orten in die Karten römischer und griechischer Zeit gegeben habe, teile ich selbstverständlich nicht.
 
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Du machst viele Worte. Aber mal Butter bei die Fische:
Was hat das Vorhandensein des Almagest (von dem zwei lat. HSS aus dem 9. Jhdt. belegt sind)
a) mit der Nutzbarkeit Geographie im lateinischen Westen zu schaffen
b) damit, dass die Geographie nicht als Kartenwerk vorlag?
Das sind doch alles Scheinargumente mit Cassidor, weil da eine erhebliche zeitliche Lücke klafft und mit Athanasius und Paulus Diaconus, weil diese für ihre Schriften womöglich den Almagest (ohne den Umweg über die Übersetzung der arabischen Übersetzung) herangezogen haben.
Cassiodor sagt nebenbei nur, dass man die Geographie lesen soll, nicht, dass man Karten studieren solle.
Du hast verstanden, dass der Almagest und die Geographie zwei verschiedene Werke sind?

Und nur nebenbei: 577 wurde Monte Cassino zerstört. Cassidor starb aber 485. Was der in der Klosterbibliothek las, war im 7. Jhdt. vermutlich großteils nicht erhalten. Im 9. Jhdt. ein weiteres Mal.
 
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