Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Da wo Zuarbeiten unter Mitwisserschaft erfolgt.
Könnte die Putzkolonne des Kommandanturgebäudes, welche verhindert, dass Kommandant und Schergen ausrutschen, zu den kleinsten Rädchen zählen? Gesehen/gewusst hat die auf dem Weg zum Arbeitsplatz und danach auf dem Weg in den Feierabend sicher vieles, und indem sie putzt, begünstigt sie die Arbeitsabläufe und leistet damit psychisch (wohlgefälliges sauberes Arbeitsklima) oder physisch (Gefahrenbeseitigung (keine Bananenschalen, Pfützen zum ausrutschen)) Beihilfe?
 
Die Putzkolonne dürfte aus Gefangenen bestanden haben, die zur Sklavenarbeit gezwungen waren. Eine Sekretärin aber musste nicht als solche an diesem Ort arbeiten.
 
Da wo Zuarbeiten unter Mitwisserschaft erfolgt.
Da stellt sich auch mir die Frage, wo das beginnen soll.

Was ist mit der Schreibkraft in einer Gerichtskanzlei, die nach Diktat ein Todesurteil gegen einen Regimegegner abtippt?
Was ist mit dem kleinen Eisenbahnmitarbeiter, der weiß, dass per Eisenbahn Menschen in KZs gebracht werden, wo sie zumindest unmenschlich behandelt oder ermordet werden?
Was ist mit dem Arbeiter in einer Munitionsfabrik, der weiß, dass mit der Munition nicht nur auf kämpfende Feinde, sondern auch auf Gefangene und Zivilisten geschossen wird?
Von den Millionen Soldaten, ohne die das Regime nicht so lange durchgehalten hätte und von denen viele auf die eine oder andere Weise gewusst haben werden, dass es zu Verbrechen kommt, ganz zu schweigen.

Sind sie alle „kleinste Rädchen“, die verurteilt werden sollten?
 
Da stellt sich auch mir die Frage, wo das beginnen soll.

Was ist mit der Schreibkraft in einer Gerichtskanzlei, die nach Diktat ein Todesurteil gegen einen Regimegegner abtippt?
Was ist mit dem kleinen Eisenbahnmitarbeiter, der weiß, dass per Eisenbahn Menschen in KZs gebracht werden, wo sie zumindest unmenschlich behandelt oder ermordet werden?
Was ist mit dem Arbeiter in einer Munitionsfabrik, der weiß, dass mit der Munition nicht nur auf kämpfende Feinde, sondern auch auf Gefangene und Zivilisten geschossen wird?
Von den Millionen Soldaten, ohne die das Regime nicht so lange durchgehalten hätte und von denen viele auf die eine oder andere Weise gewusst haben werden, dass es zu Verbrechen kommt, ganz zu schweigen.

Sind sie alle „kleinste Rädchen“, die verurteilt werden sollten?
Zumal man dann vor dem erheblichen Problem stünde, dass zumindest Teilgruppen würden argumentieren können unter Strafandrohung gezwungen gewesen zu sein Beihilfe zu leisten.

Bei Kz-Personal, dass sich freiwillig, dort betätigte und jedenfalls die Option hatte diese Tätigkeit aufzugeben, wird man das nicht behaupten können.
Aber der Soldat konnte seine Tätigkeit als Soldat (wenn diese bereits Mittärerschaft bei gegebenem Wissen um Verbrechen des Regimes begründen würde) natürlich nicht einfach aufgeben und nach Hause gehen, denn das war ja mindestens mit Bestrafung wegen Fahnenflucht bedroht und endete in der Praxis, gerade in der Spätphase des Krieges auch schonmal vor dem Standgericht.
 
Da stellt sich auch mir die Frage, wo das beginnen soll.
und diese Frage stellt sich umso mehr, als mit moralischem Impetus vorgebrachte Kurzparolen darunter leiden, dass sie wenig bis gar keine präzisen Inhalte transportieren. Wehret den Anfängen, Schwerter zu Pflugscharen, wir schaffen das, schon das kleinste Rädchen - das alles wirkt erst einmal höchst edel, anständig, hochmoralisch. Aber wenn es dabei bleibt, dann wird dem bewundernden (oder belehrten) angesprochenen Adressaten leider nicht präzise mitgeteilt, was unter den Anfängen, unter der Schwerterreduktion, unter "das" (was "wir" schaffen) und unter den kleinsten Rädchen zu verstehen ist. (...man könnte die intrigante Frage stellen, ob das senderseits vielleicht so sein soll?...)
 
„Jedem das Seine“ ist auch so ein Beispiel. Klar, grundsätzlich ist einmal jeder dafür. (Wie könnte man auch dagegen sein?) Aber bei der Frage, was eigentlich das „Seine“ ist, gehen die Meinungen dann schon weit auseinander.
 
Wie will man glaubwürdig den kleinen Rädchen, vor dem Hintergrund das deutlich größere Rädchen "billig" davon kamen oder gar nicht von der Justiz belästig worden waren, sogar höchste Staatsämter bekleideten, ihre Haftstrafe verkaufen?
 
@Turgot die Versäumnisse von Politik und Justiz im 20. Jh. erklären nicht, was unter kleinsten Rädchen zu verstehen ist, davon abgesehen sind sie sehr peinlich. Für die Beurteilung, was die kleinsten Rädchen sind, ist die teilweise geänderte jetzige Rechtslage zuständig.
@Carolus hat das erste Urteil verlinkt, ein sehr bemühter Text von beinahe Romanlänge ... Mir hat sich beim Lesen der Eindruck aufgedrängt, dass man mit sehr vielen Worten den politischen Charakter der Urteilsfindung zu kaschieren versucht - freilich mag mich mein Eindruck auch täuschen. Misstrauisch macht mich die wortreiche Darstellung der immensen Beihilfeleistungen des Berufsbilds Stenotypistin.
 
Ja, das ist in meinen Augen der üble Beigeschmack bei den Verfahren der letzten Jahre: Während in den Jahrzehnten nach dem Krieg die "großen Räder" vielfach nur lächerlich geringe Strafen* erhielten (die sie dann oft obendrein nur zu einem geringen Teil tatsächlich absitzen mussten) oder erst gar nicht belangt wurden, zerrt man jetzt die letzten noch lebenden Beteiligten, bei denen irgendeine Verbindung zum Holocaust besteht, vor Gericht. Dass man anscheinend die in der Vergangenheit unzureichende Aufarbeitung jetzt noch schnell "gut" machen möchte, ehe die letzten Beteiligten verstorben sind, ist ja ehrenwert, allerdings geht das zu Lasten von Menschen, die jetzt - verglichen mit den Haupttätern - vergleichsweise drastisch belangt werden.

* Ich habe bereits in einem früheren Beitrag darauf hingewiesen, dass der vorgesetzte KZ-Kommandant (der also tatsächlich für die Verbrechen in seinem Lager verantwortlich war) von Irmgard F. mit lächerlichen 9 Jahren davon kam, während seine Schreibkraft jetzt 2 Jahre (wenn auch auf Bewährung, aber dafür nach Jugendstrafrecht) erhielt. Verhältnismäßig erscheint mir das nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist das, was ich mit dem Ungerechtigkeitsempfinden vorige Tage meinte. Es ist verständlich, dass es als ungerecht empfunden wird, wenn kleine Beihelfer jetzt, 80 Jahre nach Kriegsende, noch bestraft werden, wohingegen die meist längst verblichenen Haupttäter oft ungeschoren davon kamen oder nur lächerliche Strafen erhielten.

Allerdings ist doch festzuhalten, dass eine in Teilen ungenügende Strafverfolgung in den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren kein Grund sein kann und darf, dies so fortzuführen.

Es gibt schließlich auch Ungerechtigkeitsempfinden der Opfer und ihrer Angehörigen, dass die massenhafte Versklavung ihrer selbst und ihrer Angehörigen und der Massenmord in weiten Teilen ungesühnt blieb.
 
Ob sich die Angehörigen der Opfer wirklich besser fühlen, wenn statt der Haupttäter jetzt die kleinen Rädchen bestraft werden? (Besser fühlen soll sich wohl eher der Staat bzw. der Justizapparat, der so noch schnell die Versäumnisse der Vergangenheit "gutmachen" möchte.)

Außerdem ist das Strafrecht an sich nicht dazu da, dass sich Angehörige besser fühlen.

Richtig ist allerdings auch, dass es keinen Rechtsanspruch darauf gibt, selbst nicht belangt zu werden, wenn andere nicht belangt wurden.
 
Außerdem ist das Strafrecht an sich nicht dazu da, dass sich Angehörige besser fühlen.
Nun, das Vergeltungsbedürfnis der Opfer und ihrer Angehörigen zählt im deutschen Strafrecht schon noch etwas; um ihm nach Jahren der Erosion zu begegnen, wurde 1986 das Institut der Nebenklage Verbrechensopfern zugänglich gemacht. Wobei man in Deutschland nicht mehr so sehr auf persönliche Genugtuung abstellt, als vielmehr im Sinne Feuerbachs auf Akzeptanz durch Rechtsbehauptung. Sprich, die Opfer sollen sich durchaus besser fühlen – nur geht es dabei nicht darum, ihren Gefühlen Geltung zu verschaffen, sondern möglichst zu verhindern, dass sie ihren Unmut in die Gesellschaft tragen und das Vertrauen ihrer Mitmenschen in die Rechtsordnung erschüttern.
* Ich habe bereits in einem früheren Beitrag darauf hingewiesen, dass der vorgesetzte KZ-Kommandant (der also tatsächlich für die Verbrechen in seinem Lager verantwortlich war) von Irmgard F. mit lächerlichen 9 Jahren davon kam, während seine Schreibkraft jetzt 2 Jahre (wenn auch auf Bewährung, aber dafür nach Jugendstrafrecht) erhielt. Verhältnismäßig erscheint mir das nicht.
Das ist in der Tat nur schwer erträglich, aber umso wichtiger ist es, zu betonen bzw. zu berücksichtigen, dass auch der Kommandant von Stutthof, käme er nun zum ersten Mal vor Gericht, sehr viel härter bestraft werden würde. Lebenslang wegen vielfachen Mordes, mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld aufgrund des Umfangs der Verbrechen, der grausamen Tatbegehung und der Verwerflichkeit des Motivs. Das ist ziemlich sicher.

Es ist leider so, dass die Rechtsprechung der 1950er in dieser Frage von Altnazis geprägt wurde. Und selbst die wenigen höheren Juristen mit weißer Weste sahen sich dem Druck einer Gesellschaft ausgesetzt, die ihr Wirtschaftswunder genießen und das Dritte Reich vergessen wollte.

Obendrein brauchte die Rechtsprechung sehr, sehr lange, um taugliche Instrumente zur Verfolgung indirekterer Formen der Tatbegehung und -teilnahme zu entwickeln.
 
Nun, das Vergeltungsbedürfnis der Opfer und ihrer Angehörigen zählt im deutschen Strafrecht schon noch etwas; um ihm nach Jahren der Erosion zu begegnen, wurde 1986 das Institut der Nebenklage Verbrechensopfern zugänglich gemacht.

Auch am nun abgeschlossenen Prozess hatten sich etliche Nebenkläger beteiligt, von denen einige das letztinstanzliche Urteil nicht mehr erlebt haben.

Josef Salomonovic und seine Frau sind von ihrer Schuld überzeugt. Morgen wird in dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe das Urteil gegen die frühere Sekretärin erwartet. Das Strafmaß ist ihnen aber nicht so wichtig. Wichtig ist ihnen nur, dass sie verurteilt wird. "Das ist eine symbolische Sache", erklärt Josef Salomonovic und seine Stimme bekommt mehr Nachdruck, als er fast ruft: "Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Für den Staat. Für Deutschland. Für das Gewissen." Und auch für die nachfolgenden Generationen, sagt er. Damit sie begreifen, dass auch die Beihilfe an einem Verbrechen wie dem Holocaust zu bestrafen ist.

 
Das Strafmaß ist ihnen aber nicht so wichtig. Wichtig ist ihnen nur, dass sie verurteilt wird.
Solche Aussagen hat man auch im Prozess gegen John Demjanjuk von Holocaust-Überlebenden gehört. Die Bedeutung des Schuldspruchs für die Opfer und deren Nachfahren kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Persönlich empfinde ich das als tröstlich; denn auch die aufrichtig engagierteste Rechtsordnung wird, wenn sie Rechtsstaat bleiben will, große Schwierigkeiten haben, in solchen Fallkonstellationen gerechte Lösungen zu finden.
 
Allerdings ist doch festzuhalten, dass eine in Teilen ungenügende Strafverfolgung in den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren kein Grund sein kann und darf, dies so fortzuführen.

Ich denke auch, dass man das Thema falsch angeht, wenn man zum Maßsstab die Strafverfolgung der NS-Täter vor den 1990er Jahren nimmt.

Vergleichsmaßsstab sollten ja durchaus auch die Urteile sein, die heute so gefällt werden und da sehe ich im Fall der Stutthof-Sekretärin das wesentlich größere Problem, da mir das Strafmaß völlig unverständlich ist.

Wenn das was die Dame getan hat hinreichend war um wegen Beihilfe zum Mord bestraft zu werden und sich kein Hinweis darauf findet, dass ihr die Einsichtsfähigkeit in das Verbrecherische ihres Tuns fehlte, sehe ich in diesem Fall nicht, wie sich irgendwas anderes, außer der Höchststrafe (entsprechend dem Jugendstrafrecht) oder einer sich jedenfalls sehr nah daran orientierten Strafe rechtfertigen ließe.
Wenn man hier von einzelnen Taten sprechen würde, wären andere strafmildernde Umstände ja denkbar, aber mir fällt es schwer dafür bei einer zehntausendfachen Wiederholungstäterin eine objektive Begründung zu sehen.

Und da sehe ich ein bisschen das Problem, dass die völlig absurde Rechtssprechung in Sachen NS-Täter bis in die Gegenwart perpetuiert wird.


Wenn sich heute ein Jugendlicher oder junger Erwachsener, der noch unter das Jugendstrafrecht fallen würde im Rahmen einer kriminellen Bande der Mitäterschaft an 10 Morden schuldig machen würde und man ihn für schuldfähig hielte, würde dieser eine erheblich längere Haftstrafe auferlegt bekommen, die garantiert nicht mit einer Bewährung verbunden wäre und das völlig zurecht.

Und gleichzeitig soll aber eine zehntausendfache Mittäterschaft zu einer geringeren zur Bewährung aussetzbaren Strafe führen?

Wenn das der Fall ist, sage ich ganz offen, dass ich durch solche Urteile das allgemeine Vertrauen in das Rechtssystem beschädigt sehe, weil dass dann in keinem Verhältnis mehr zueinander steht und dass die Justiz sich selbst keinen Gefallen damit tut, wenn sie heute solche Urteile spricht.

Damit beweist sie eigentlich nur, dass sie sich seit der Nachkriegszeit nicht unbedingt besonders weiterentwickelt hat, was die Behandlung von NS-Themen angeht, wenn in diesem Zussammenhang noch heute Urteile gesprochen werden, die so niedrige Strafen zur Folge haben, dass das in keinem Verhältnis zu den Urteilen steht, die die Justiz in ihrem sonstigen Arbeitsalltag so fabriziert.

Wenn Verbrechen mit NS Bezug auch heute noch übermäßig milde bestraft werden, steht dass auch im Gegensatz zu einer Gesetzgebung, die an bestimmten Stellen Taten mit NS-Bezug besonders hervorhebt und als besonders verwerflich betrachtet.

Mir ist dabei natürlich klar, dass kein Richter sowas wie denn Stuthoff-Fall freiwillig auf dem Tisch liegen haben und sich mit so etwas befassen möchte. Aber solche Urteile dürfen dabei nie und nimmer herauskommen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Entscheidung des BGH ist noch nicht veröffentlicht, aber die Entscheidung des vorgelagerten Landgerichts Itzehoe findet sich hier:




Ich habe im Urteil herumgesucht, worin die physische oder psychische Beihilfe konkret bestanden hat:

Randziffer (Rz.) 226 f.

Die Kammer geht davon aus, dass die Angeklagte jedenfalls den Großteil der dienstlichen Korrespondenz des Lagerkommandanten nach außen und auch die Kommandantur- und Einsatzbefehle in Stenografie entgegen genommen und mit der Maschine geschrieben hat. Nicht ausschließen kann die Kammer jedoch, dass einzelne der genannten Schriftstücke im Einzelfall von anderen Personen als der Angeklagten verschriftlicht wurden. Dementsprechend konnte für keines der tatrelevanten Schriftstücke ohne vernünftigen Zweifel festgestellt werden, dass die Angeklagte daran physisch mitgewirkt hat.
Gleichwohl bestärkte die Angeklagte die Haupttäter bei Begehung der der Verurteilung zugrunde liegenden Taten. Denn sie stand der Lagerleitung während ihrer gesamten Dienstzeit als zuverlässige und gehorsame Untergebene zur Verfügung und sicherte damit durch ihre Tätigkeit fortwährend die Aufrechterhaltung des Betriebs des Konzentrationslagers und das Gefangenhalten der Inhaftierten ab. Sie arbeitete an der zentralen Schnittstelle des Lagers, an der sämtliche relevanten Entscheidungen und damit auch jene betreffend die Tötung von Gefangenen getroffen wurden, und hatte ein enges dienstliches Verhältnis zum Kommandanten. Sie war für die Lagerleitung in der Erfüllung ihrer Tätigkeit von essenzieller Bedeutung bei der Umsetzung der Ziele, die im Konzentrationslager S. verfolgt wurden, also dem Gefangenhalten von Menschen, der zwangsweisen Ausnutzung ihrer Arbeitskraft und der Ermordung der aus Sicht der „Rassenideologie“ des NS-Regimes „wertlosen Volksschädlinge“. Auf die – nicht aufklärbare – Frage, welche konkreten Schreiben mit Bezug zur Tötung von Gefangenen sie tatsächlich abgefasst hat, kommt es insofern nicht entscheidend an, denn jedenfalls hat sie die Haupttäter durch ihre fortlaufende Dienstbereitschaft in psychischer Hinsicht bei der Durchführung der Taten unterstützt.

Rz. 420:

Die Angeklagte hingegen bekleidete eine Schlüsselfunktion in der Kommandantur des Konzentrationslagers S.. Sie gliederte sich nicht in eine Masse gleichrangiger Bediensteter mit identischer Funktion ein, sondern war die Stenotypistin im geteilten Geschäftszimmer von Kommandant und Adjutant des Lagers und damit unmittelbar an der Spitze der Befehlskette in unterstützender Funktion tätig. Sie arbeitete über knapp zwei Jahre konstant in dieser Position und war – auch nach dem Ende der NS-Herrschaft – eine Vertrauensperson sowohl für den Lagerkommandanten H. als auch für den Rapportführer C., die sie beide im sicheren Vertrauen darauf, dass sie sie nicht verraten würde, nach Kriegsende privat in S. aufsuchten, während sie untergetaucht waren und sich vor den Ermittlungsbehörden versteckt hielten.​
Rz. 430:
Nach diesen Maßstäben hat die Angeklagte im dargestellten Umfang Beihilfe geleistet. Das der Verurteilung zugrundeliegende Verhalten beschränkt sich nicht auf ihre bloße Zugehörigkeit zum Lagerpersonal als Zivilangestellte, sondern ein die beschriebenen konkreten Haupttaten fördernder Beitrag in psychischer und jedenfalls teilweise auch physischer Hinsicht bestand stets. Kern und Gegenstand der Diensttätigkeit der Angeklagten im Lager war gerade die Unterstützung und Förderung des Handelns der Kommandantur mit Bezug auf die Verwaltung des Lagers einschließlich der dort begangenen oder veranlassten Tötungen.


(Hervorhebungen in fett durch mich)

Ich konnte in dem Urteil nicht sehen, wie viele Sekretärinnen bzw. Mitarbeiter in der Verwaltung tätig gewesen sind. Vielleicht ist es da irgendwo enthalten, aber ich habe es nicht gefunden. Aber die Formulierung "geht davon aus" zeigt eine gewisse Unsicherheit über den Umfang ihrer dortigen Tätigkeit. Aber zumindest scheint sie wohl die wichtigste Sekretärin da gewesen zu sein.

Auch die weitere Argumentation zur psychischen Beihilfe verwundert mich. Die essenzielle Bedeutung einer Stenotypistin bzw. Sekretärin scheint mir doch überhöht zu sein (zumindest meinem Verständnis solcher Sekretariatsarbeiten). Die Sekretärinnen, die ich so kenenngelernt habe, haben ihre Schreiben gemacht, ohne sich über Inhalt groß Gedanken gemacht zu haben. Bei ihnen kam es auf Orthographie und Interpunktion an. Nach dem Inhalt hätte man sie fünf Minuten nach dem Tippen nicht mehr fragen dürfen.

Auch wenn sie für die Spitze der Befehlskette tätig ist, so ist sie doch nur Schreibkraft gewesen. Andererseits hat sie nur 2 Jahre auf Bewährung bekommen.

Unter Rz. 447 sind weitere Ausführungen zu ihrer Schuld zu finden, sehr lesenswert. Selbst nach den zur Nazizeit zumindest formell geltenden Gesetzen wäre ihre Tätigkeit rechtswidrig gewesen.


Könnte die Putzkolonne des Kommandanturgebäudes, welche verhindert, dass Kommandant und Schergen ausrutschen, zu den kleinsten Rädchen zählen? Gesehen/gewusst hat die auf dem Weg zum Arbeitsplatz und danach auf dem Weg in den Feierabend sicher vieles, und indem sie putzt, begünstigt sie die Arbeitsabläufe und leistet damit psychisch (wohlgefälliges sauberes Arbeitsklima) oder physisch (Gefahrenbeseitigung (keine Bananenschalen, Pfützen zum ausrutschen)) Beihilfe?


s. dazu Rz. 430:

Dies wäre anders zu beurteilen gewesen, wenn die Angeklagte beispielsweise als private Assistentin des Lagerkommandanten ohne Bezug zu seiner dienstlichen Tätigkeit gearbeitet hätte oder aber im Lager in einer Weise, die keinen Bezug und keine Förderung der Haupttaten innegehabt hätte, wie beispielsweise als Reinigungskraft im Kommandanturgebäude oder als medizinische Hilfskraft allein für das Lagerpersonal. Ihre tatsächliche Tätigkeit und damit letztlich der Grund ihrer rund zweijährigen Beschäftigung im Konzentrationslager S. war jedoch gänzlich anders gelagert als diese Beispiele, da ihre Rolle als Stenotypistin im Geschäftszimmer des Lagerkommandanten in der Kommandantur des Konzentrationslagers sich gerade über die Unterstützung und Förderung des tatbezogenen Handelns des Kommandanten definierte.​

Die Putzkolonne dürfte aus Gefangenen bestanden haben, die zur Sklavenarbeit gezwungen waren. Eine Sekretärin aber musste nicht als solche an diesem Ort arbeiten.

Bezüglich eines Befehlsnotstandes s. Rz. 457 ff. Nach dem Gericht wäre es durchaus möglich gewesen, sich der Arbeit im KZ legal zu entziehen.






(zu dem oben zitierten Urteil: Wieso schreibt man am Anfang des Schriftstücks ein Inhaltsverzeichnis mit Seitennummerierung, dann aber keine Seitenzahlen, sondern nur Randziffern, die nicht im Inhaltsverzeichnis auftauchen? Das macht die Sache für den Leser nicht einfacher.)
 
Auch die weitere Argumentation zur psychischen Beihilfe verwundert mich. Die essenzielle Bedeutung einer Stenotypistin bzw. Sekretärin scheint mir doch überhöht zu sein (zumindest meinem Verständnis solcher Sekretariatsarbeiten). Die Sekretärinnen, die ich so kenenngelernt habe, haben ihre Schreiben gemacht, ohne sich über Inhalt groß Gedanken gemacht zu haben. Bei ihnen kam es auf Orthographie und Interpunktion an. Nach dem Inhalt hätte man sie fünf Minuten nach dem Tippen nicht mehr fragen dürfen.
Ich habe ja für eine Schule gearbeitet. Derzeit arbeite ich als Deutschlehrer für eine Firma aber im betrieblichen Einsatz einer anderen Firma. Ich kann nur sagen, dass in der Schule, als auch in dem Betrieb, in dem ich eingesetzt bin, die Sekretärinnen die linke und rechte Hand des Direktors/Niederlassungsleiters sind. Der Direktor respektive Niederlassungsleiter treffen die schulischen respektive operativen Entscheidungen, aber die Sekretärinnen sind diejenigen, die alles im Kopf haben. Das ist meine Erfahrungswelt. Die Sekretärinnen waren an keinem Ort „Tippsen“, die nichts weiter können mussten als Orthographie und Grammatik, sondern die halten den Laden am Laufen, waren/sind die semiheimlichen Chefinnen.

Auch wenn sie für die Spitze der Befehlskette tätig ist, so ist sie doch nur Schreibkraft gewesen. Andererseits hat sie nur 2 Jahre auf Bewährung bekommen.
Immerhin konnten nach den Krieg zwei gesuchte Verbrecher bei ihr Zuhause einkehren, ohne befürchten zu müssen, von ihr verraten zu werden. Der Kontakt war also enger, als ein Arbeitsverhältnis, sondern wohl auch kollegial-freundschaftlich.
 
Zurück
Oben