Die Entscheidung des BGH ist noch nicht veröffentlicht, aber die Entscheidung des vorgelagerten Landgerichts Itzehoe findet sich hier:
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Ich habe im Urteil herumgesucht, worin die physische oder psychische Beihilfe konkret bestanden hat:
Randziffer (Rz.) 226 f.
Die Kammer geht davon aus, dass die Angeklagte jedenfalls den Großteil der dienstlichen Korrespondenz des Lagerkommandanten nach außen und auch die Kommandantur- und Einsatzbefehle in Stenografie entgegen genommen und mit der Maschine geschrieben hat. Nicht ausschließen kann die Kammer jedoch, dass einzelne der genannten Schriftstücke im Einzelfall von anderen Personen als der Angeklagten verschriftlicht wurden. Dementsprechend konnte für keines der tatrelevanten Schriftstücke ohne vernünftigen Zweifel festgestellt werden, dass die Angeklagte daran physisch mitgewirkt hat.
Gleichwohl bestärkte die Angeklagte die Haupttäter bei Begehung der der Verurteilung zugrunde liegenden Taten. Denn sie stand der Lagerleitung während ihrer gesamten Dienstzeit als zuverlässige und gehorsame Untergebene zur Verfügung und sicherte damit durch ihre Tätigkeit fortwährend die Aufrechterhaltung des Betriebs des Konzentrationslagers und das Gefangenhalten der Inhaftierten ab. Sie arbeitete an der zentralen Schnittstelle des Lagers, an der sämtliche relevanten Entscheidungen und damit auch jene betreffend die Tötung von Gefangenen getroffen wurden, und hatte ein enges dienstliches Verhältnis zum Kommandanten. Sie war für die Lagerleitung in der Erfüllung ihrer Tätigkeit von essenzieller Bedeutung bei der Umsetzung der Ziele, die im Konzentrationslager S. verfolgt wurden, also dem Gefangenhalten von Menschen, der zwangsweisen Ausnutzung ihrer Arbeitskraft und der Ermordung der aus Sicht der „Rassenideologie“ des NS-Regimes „wertlosen Volksschädlinge“. Auf die – nicht aufklärbare – Frage, welche konkreten Schreiben mit Bezug zur Tötung von Gefangenen sie tatsächlich abgefasst hat, kommt es insofern nicht entscheidend an, denn jedenfalls hat sie die Haupttäter durch ihre fortlaufende Dienstbereitschaft in psychischer Hinsicht bei der Durchführung der Taten unterstützt.
Rz. 420:
Die Angeklagte hingegen bekleidete eine Schlüsselfunktion in der Kommandantur des Konzentrationslagers S.. Sie gliederte sich nicht in eine Masse gleichrangiger Bediensteter mit identischer Funktion ein, sondern war die Stenotypistin im geteilten Geschäftszimmer von Kommandant und Adjutant des Lagers und damit unmittelbar an der Spitze der Befehlskette in unterstützender Funktion tätig. Sie arbeitete über knapp zwei Jahre konstant in dieser Position und war – auch nach dem Ende der NS-Herrschaft – eine Vertrauensperson sowohl für den Lagerkommandanten H. als auch für den Rapportführer C., die sie beide im sicheren Vertrauen darauf, dass sie sie nicht verraten würde, nach Kriegsende privat in S. aufsuchten, während sie untergetaucht waren und sich vor den Ermittlungsbehörden versteckt hielten.
Rz. 430:
Nach diesen Maßstäben hat die Angeklagte im dargestellten Umfang Beihilfe geleistet. Das der Verurteilung zugrundeliegende Verhalten beschränkt sich nicht auf ihre bloße Zugehörigkeit zum Lagerpersonal als Zivilangestellte, sondern ein die beschriebenen konkreten Haupttaten fördernder Beitrag in psychischer und jedenfalls teilweise auch physischer Hinsicht bestand stets. Kern und Gegenstand der Diensttätigkeit der Angeklagten im Lager war gerade die Unterstützung und Förderung des Handelns der Kommandantur mit Bezug auf die Verwaltung des Lagers einschließlich der dort begangenen oder veranlassten Tötungen.
(Hervorhebungen in fett durch mich)
Ich konnte in dem Urteil nicht sehen, wie viele Sekretärinnen bzw. Mitarbeiter in der Verwaltung tätig gewesen sind. Vielleicht ist es da irgendwo enthalten, aber ich habe es nicht gefunden. Aber die Formulierung "geht davon aus" zeigt eine gewisse Unsicherheit über den Umfang ihrer dortigen Tätigkeit. Aber zumindest scheint sie wohl die wichtigste Sekretärin da gewesen zu sein.
Auch die weitere Argumentation zur psychischen Beihilfe verwundert mich. Die essenzielle Bedeutung einer Stenotypistin bzw. Sekretärin scheint mir doch überhöht zu sein (zumindest meinem Verständnis solcher Sekretariatsarbeiten). Die Sekretärinnen, die ich so kenenngelernt habe, haben ihre Schreiben gemacht, ohne sich über Inhalt groß Gedanken gemacht zu haben. Bei ihnen kam es auf Orthographie und Interpunktion an. Nach dem Inhalt hätte man sie fünf Minuten nach dem Tippen nicht mehr fragen dürfen.
Auch wenn sie für die Spitze der Befehlskette tätig ist, so ist sie doch nur Schreibkraft gewesen. Andererseits hat sie nur 2 Jahre auf Bewährung bekommen.
Unter Rz. 447 sind weitere Ausführungen zu ihrer Schuld zu finden, sehr lesenswert. Selbst nach den zur Nazizeit zumindest formell geltenden Gesetzen wäre ihre Tätigkeit rechtswidrig gewesen.
Könnte die Putzkolonne des Kommandanturgebäudes, welche verhindert, dass Kommandant und Schergen ausrutschen, zu den kleinsten Rädchen zählen? Gesehen/gewusst hat die auf dem Weg zum Arbeitsplatz und danach auf dem Weg in den Feierabend sicher vieles, und indem sie putzt, begünstigt sie die Arbeitsabläufe und leistet damit psychisch (wohlgefälliges sauberes Arbeitsklima) oder physisch (Gefahrenbeseitigung (keine Bananenschalen, Pfützen zum ausrutschen)) Beihilfe?
s. dazu Rz. 430:
Dies wäre anders zu beurteilen gewesen, wenn die Angeklagte beispielsweise als private Assistentin des Lagerkommandanten ohne Bezug zu seiner dienstlichen Tätigkeit gearbeitet hätte oder aber im Lager in einer Weise, die keinen Bezug und keine Förderung der Haupttaten innegehabt hätte, wie beispielsweise als Reinigungskraft im Kommandanturgebäude oder als medizinische Hilfskraft allein für das Lagerpersonal. Ihre tatsächliche Tätigkeit und damit letztlich der Grund ihrer rund zweijährigen Beschäftigung im Konzentrationslager S. war jedoch gänzlich anders gelagert als diese Beispiele, da ihre Rolle als Stenotypistin im Geschäftszimmer des Lagerkommandanten in der Kommandantur des Konzentrationslagers sich gerade über die Unterstützung und Förderung des tatbezogenen Handelns des Kommandanten definierte.
Die Putzkolonne dürfte aus Gefangenen bestanden haben, die zur Sklavenarbeit gezwungen waren. Eine Sekretärin aber musste nicht als solche an diesem Ort arbeiten.
Bezüglich eines Befehlsnotstandes s. Rz. 457 ff. Nach dem Gericht wäre es durchaus möglich gewesen, sich der Arbeit im KZ legal zu entziehen.
(zu dem oben zitierten Urteil: Wieso schreibt man am Anfang des Schriftstücks ein Inhaltsverzeichnis mit Seitennummerierung, dann aber keine Seitenzahlen, sondern nur Randziffern, die nicht im Inhaltsverzeichnis auftauchen? Das macht die Sache für den Leser nicht einfacher.)