Demokratie und Kommunismus [un]vereinbar?

Seit es den Begriff überhaupt gibt. Schon in der römischen Republik, wo es zunächst zeitlich begrenzte Amt des Diktators gab, war klar, dass das im Gegensatz zur normalen Funktionsweise der Republik (die ja auch keine Demokratie in unserem Sinne war) stand. Und bei den Diktaturen von Sulla und insbesondere von Caesar war klar, dass die zeitlich unbegrenzte Diktatur im Prinzip das Ende der Republik bedeutete.

Die Römische Republik war nicht nur keine Demokratie in unserem Sinne, sie war überhaupt keine Demokratie, sondern wurde schon von zeitgenössischen Autoren etwa von Polybios ausdrücklich als Mischverfassung aus demokratischen, aristokratisschen und monarchischen Elemeenten verstanden.

Ansonsten ist der begriffliche Gegensatz zur Demokratie bis weit in die Neuzeit hinein nicht die "Diktatur", sondern die "Tyrannei" gewesen.

Was man sicher konstatieren kann, ist, dass das Wort Diktatur im 19. Jahrhundert noch nie so stark negativ konnotiert war wie heute, da man die Alleinherrschaft einer Person oder einer kleinen Gruppe von Personen aus der Monarchie und insbesondere dem Absolutismus gewohnt war und man noch nicht die negativen Erfahrungen mit den Diktaturen des 20. Jahrhundert gemacht hatte.

Nein, man wird einfach konstatieren können, dass der Begriff "Demokratie" im 19. und frühen 20. Jahrhundert inhaltlich mit der Herrschaft einer Minderheit schlicht deckungsgleich war.

Das ließe unter anderem ganz gut am Beispiel der USA im 19. Jahrundert illustrieren.
Wer ist in den 1850er und 1860er jahren total gegen die Sklavenemanziaption und damit die Ausweitung politischer Partiziptaionsrechte?
Das ist in denn USA allen voran, neben den Plantagenbeistzern im Süden eine Partei gewesen, die sich damals selbst "Demokraten" nannte und die sich bis heute so nennen.
Die Leute die da engagiert waren, hatten offensichtlich so überhaupt kein Problem damit sich gleeichzeitig als Demokraten zu verstehen und ein System, dass große Bevölkerungsgruppen von der politischen Teilhabe von vorn herein ausschloss und damit die Herrschaft einer Minderheit sicherte hochzuhalten.

In Europa das Selbe.
Dann verstanden sich diverse Gruppen selbst gern als demokratisch, allerdings nur ein Teil davon, war bereit ein allgemeines Männerwahlrecht ins eigene Programm aufzunehmen, ein deutlich kleinerer Teil war dazu bereit das Wahlrecht auch auf Frauen ausdehnen zu wollen und so gut wie neimand war bereit das grundsätzliche Recht auf Mitbestimmung auch in den Kolonien gelten zu lassen.

Man schaue sich die Welt um 1900 herum an:
Die USA, Großbritannien und Frankreich verstanden sich allesamt als demokratisch verstiegen sich im 1. Weltkrieg teilweise gar dazu zu behaupten einen Krieg für die Demokratie zu führen.
Aber keines der drei Länder kannte das Frauenwahlrecht, in den USA hatten die Afroamerikaner de facto kaum Möglichkeitenn zur partizipation, weil ihnen entweder das Recht dazu vorenthalten wurde oder sie de facto von militanten Gruppen an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert wurden (davon welche Rechte die Einwohner der de facto US-Kolonie Philippinen und der übrigen Überseegebiete hatten, fange ich besser gar nicht erst an).
In Großbritannnien gab es zwar ein dem Parlament verantwortliche Regierung, es durfte aber nicht einmal die gesamte männliche Bevölkerung Großbritanniens selbst wählen, von den Kolonien nicht zu reden und Frankreich, dass ja die drei Départements an der algerischen Küste nicht als Kolonien, sondern als Teil des französischen Mutterlandes betrachtete, enthielt damit ebenfalls Teilen seiner Kernbevölkerung aus rassistischen Gründen das wahlrecht vor, ebenfalls nicht zu reden von den Verhältnissen in den Kolonien.

Diese Zustände, die nichts anders waren, als die Herschaft von Minderheiten, betrachteten die Zeitgenossen nicht etwa als Diktatur, sondern als Demokratie.

Das ist in der Tat eine steile These. Dann kann man es sich auch einfach machen und alle Regierungsformen, die keine perfekten Demokratien in unserem Sinne sind undifferenziert als Diktaturen einordnet.

Naja, aber darin alles vor dem 20. jahrhnudert mindestens mal als Nicht-Demokratie zu betrachten hat man sich ja bereits, wenn man Minderheitenschutz als maßgeblich für Demokratien betrachtet, ja bereits eingelassen.

Denn den gab es vorher nicht, es sei den um im Rahmen halb-konstituioneller Verfassungen die Minderheiten der alten Eliten vor der Demokratie zu schützen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Wesen der "Demokratie" besteht darin, dass der "Demos" die Macht ausübt, aber wer zum "Demos" gehört, ist Ansichts- und Definitionssache und Wandlungen in der Anschauung unterworfen.

Naja, in dieser Setzung könnte man aber so gut wie jedes politische System als "Demokratie" bezeichnen, denn was spräche hypothetisch dagegen, den Begriff "Demos" so zu setzen, dass er etwa deckungsgleich mit dem wäre, was Marx unter "Proletariat" verstand?
Oder gar mit dem, was sich dann später "Kommunistische Partei" im Sinne der Gesamtheit "proletarisch gesinnter Arbeiter" nannte?

Das ist mir ehrlich gesagt etwas zu beliebig.
 
Nein. Wenn nur das "Proletariat" (oder die "Arbeiter und Bauern") berechtigt sein soll, an der Willensbildung teilzunehmen, werden damit alle anderen Klassen bewusst ausgeschlossen. Im antiken Athen hingegen waren alle politisch teilnahmeberechtigt, die nach dem damaligen Verständnis dafür in Frage kamen: erwachsene freie männliche Staatsbürger. Insofern handelte es sich um eine Demokratie. Nach dem Umsturz von 411 hingegen wurde Athen vorübergehend zur Oligarchie, weil große Teile der erwachsenen freien männlichen Staatsbürger ihre politischen Rechte verloren, aber immerhin noch einige Tausend verblieben.
 
Im antiken Athen hingegen waren alle politisch teilnahmeberechtigt, die nach dem damaligen Verständnis dafür in Frage kamen

Wessen Verständnis? Gib es irgendwelche Zeugnisse, dass man Frauen, Minderjähige und Sklaven gefragt hätte ob sie sich selbst für Fähig hielten sich politische Meinungen zu bilden und haben diese dies etwa verneint und damit ihre eigene Entmündigung sanktioniert?
Oder war es nicht viel mehr eine Minderheit die sich selbst ermächtigte diese Definition zu setzen, ohne dass die Meinung der gesamten Bevölkerung hierzu gehört worden und zum tragen gekommen wäre?

Wenn aber die Freien Männer der griechischen Stadtstaaten beschließen konnten, dass sie ausschließlich sich selbst als den Demos betrachteten und wir das akzeptieren, warum sollten sich dann nicht etwa die Anführer einer kommunistischen Partei das gleiche Recht herausnehmen können?

Die Vorstellung etwa, die politische Macht auf die marxistisch gesinnten Arbeiter zu beschränken, gab es bei den Bolschewiki vor der Oktoberrevolution ja durchaus und begründet wurde das damit, dass nur diese durch die Erkenntnis der Richtigkeit der Marxschen Ideen "reif" dazu seien.

Im Hinblick auf unsere heutigen Konventionen ist diese Vorstellung von politischer Reife natürlich völlig absurd, im Kern allerdings nicht absurder, als etwa die Hälfte der Bevölkerung wegen ihres biologischen Geschlechts die Fähigkeit dazu abzusprechen.

Insofern sehe ich da den Unterschied nicht.
Der einzige Unterschied, den ich sehe, ist dass diese Setzung, wie die Bolschewiki sie vornahmen in der zeitgenössischen Draufsicht von außen als unangemessen betrachtet wurde, was dann aber bedeuten würde, dass nicht Teile der Einwohnerschaft des Landes definierten, was als Demos zu gelten habe, sondern das Ausland.

Es fällt mir etwas schwer mich diesem Modell anzuschließen.
 
Kommunismus geht von der Idee aus, alle Menschen seien gleich, also haben alle auch gleiche Rechte und Pflichten. Das liest sich gut, aber die Verwirklichung dieser Idee scheiterte – weil Menschen eben nicht gleich sind, denn manche sind physisch und/oder geistig fitter als andere. Diese Differenzen kann man nicht mit einer Erklärung abschaffen. Und selbst wenn man das könnte, würden die „Fitteren“ immer noch fitter sein und diesen Vorteil ausnutzen (wollen).

Und zweitens: Was nutzt dir ein Recht, wenn es einen Engpass oder Mangel an entsprechenden Ressourcen gibt. Beispiel: Sogar in der Bayerischen Verfassung steht, dass jeder Bewohner Bayerns Anspruch auf eine angemessene Wohnung hat. Aber geht ein Wohnungsloser zu Söder und verlangt eine Wohnung von ihm, wird er ihn auslachen.

Trotzdem bekommen manche Wohnungen im „Staatsbesitz“ und andere nicht. Die sind dann im Vorteil gegenüber diesen anderen, was sie ausnützen und sich bereichern können.

Was ich sagen will: Es gibt nicht genug von allem für alle. Und darin liegt das eigentliche Problem – und natürlich der angeborene Egoismus des Menschen, der für sich und die seinen mehr sorgt als für andere.

Was hülfe: Eine genetische Änderung des Menschen. Zum Beispiel, indem jeder von sich aus so viel arbeitet, wie er nach seinen physischen und geistigen Möglichkeiten kann, und so viel nehmen (und nicht mehr!) als er braucht. Das heißt: Es gibt kein Geld und keine Belohnungen und keine Strafen.

Dass die Gentechnik irgendwann so etwas wie diesen nichtegoistischen Menschen schafft, wird vielleicht möglich sein, aber das werden wir nicht mehr erleben. :)
 
Gib es irgendwelche Zeugnisse, dass man Frauen, Minderjähige und Sklaven gefragt hätte ob sie sich selbst für Fähig hielten sich politische Meinungen zu bilden und haben diese dies etwa verneint und damit ihre eigene Entmündigung sanktioniert?
...wo ist es üblich, Minderjährigen diese Frage zu stellen? ;)
 
...wo ist es üblich, Minderjährigen diese Frage zu stellen? ;)

Nirgendwo. Allerdings, sofern man lediglich Minderjähre von der politischen Teilhabe ausschließt, ließe sich immerhin noch argumentieren, dass die Mehrheit der Bevölkerung partizipationsberechtigt ist und somit ihren politischen Willen zum Ausdruck bringen kann, somit von dieser Mehrheit gewählte Regierungen immerhin (wenn sie entsprechende Mehrheiten hätten), tatsächlich dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung entsprechen könnten.

Wenn man aber über 50% der Bevölkerung von vorn herein ausschließt, ist das nicht einmal fiktional möglich und Gesellschaften in denen dann man Ende überhaupt nur 20 oder 30 Prozent als berechtigt galten ihren politischen Willen im Rahmen von Wahlen zu bekunden, als "Demokratie" zu bezeichnen, geht mir entschieden zu weit.

Und schaut man sich etwa Großbritannien um 1914 an, sind 30% angesichts Ausschlusses aller Frauen, aller Minderjährigen, aller Männer, die zwar erwachsen waren, aber entweder das Mindestwahlalter unterschritten oder beim Zensus durchfielen und angesichts von sicherlich 300-400 Millionen Kolonialuntertanten, die von den maßnahmen der Regierung betroffen waren, aber peer se kein Mitspracherecht hatten, verdammt hochgegriffen, de facto dürfte man sich da eher zwischen 5 und 10% der gsamtbevölkerung inklusive Kolonien befunden haben.

Eine Gesellschaft in der 10% der Bevölkerung das recht auf politische Mitwirkung hat, während der Rest von vorn herein ausgeschlossen ist, noch als Demokratie zu bezeichnen geht weiter als ich zu gehen bereit bin.
 
Die Römische Republik war nicht nur keine Demokratie in unserem Sinne, sie war überhaupt keine Demokratie, sondern wurde schon von zeitgenössischen Autoren etwa von Polybios ausdrücklich als Mischverfassung aus demokratischen, aristokratisschen und monarchischen Elemeenten verstanden.
Ja, aber ...
"Demokratie" bedeutete in der griechischen und römischen Welt in aller Regel "direkte Demokratie". (Die repräsentative Demokratie mit gewählten Abgeordneten war zwar nicht völlig unbekannt, bildete aber eine seltene Ausnahme.) Wenn Staatstheoretiker über Verfassungsformen sinnierten, dann hatten sie eine "Demokratie" vor Augen, in der die Willensbildung unmittelbar vom versammelten Volk (= die erwachsenen freien männlichen Bürger) vorgenommen wird. Sparta und Rom waren insofern Mischsysteme, als den Volksversammlungen die Gerusia bzw. der Senat gegenüberstanden und es Magistrate (in Sparta sogar erbliche Könige) gab. Zwar war der Senat spätestens seit Sulla auch (indirekt) gewählt (indem ihm die ehemaligen - gewählten - Quaestoren angehörten), aber Cicero sah in ihm trotzdem kein "Parlament" (also eine Art Volksausschuss im Sinne einer repräsentativen Demokratie), sondern eine Art "Versammlung der besten Köpfe" (im Sinne einer Aristokratie, was dem Wortsinn nach ja "Herrschaft der Besten" bedeutet). In den Konsuln wiederum sah er weniger gewählte "Volksbeauftragte", sondern eher einen kontrollierten und mit beschränkten Befugnissen ausgestatteten Königsersatz.
Heute haben wir ein etwas anderes Demokratieverständnis. Sogar Staaten wie Norwegen mit erblichen (aber faktisch machtlosen) Monarchen an der Spitze würde wohl kaum jemand absprechen, Demokratien zu sein. (Polybios und Cicero würden den Kopf schütteln.) Umgekehrt würden für Polybios und Cicero die parlamentarischen Demokratien Deutschlands und Österreichs wohl kaum (vermutlich sogar weniger als Sparta und Rom mit ihren Volksversammlungen) als Demokratien durchgehen, sondern für sie ebenfalls Mischsysteme darstellen.
 
Was ich sagen will: Es gibt nicht genug von allem für alle.

Ich will sagen, mindestens was die Grundbedürfnisse angeht, ist das erwiesenermaßen Unsinn.

Und ich weiß auch nicht, welche Theorie des Komunismus davon ausginge, dass jedes vorhandene gut zu gleichen Teilen an alle verteilt oder Unterschiede zwischen Menschen generell wegerklärt würden.
Vielleicht erleuchtest du uns mal, worauf du dich da beziehst?

Wenn ich meine Nase etwa in Marx'ens Schriften stecke, finde ich keine einzige Stelle, die in irgendeiner Weise das gleichberechtigte Schlaraffenland für alle verspricht, nur Stellen, die Postulieren, die Produktionsmittel (und nichts anderes) und das Arbeitsprodukt gehörten in die Hände derer, die sie anwendeten, bzw. schaffen.

Von Wegerklärung von Unterschieden zwischen Menschen im Allgemeinen steht da auch nichts, dafür steht da aber der marx'sche Grundsatz "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen", der wohl vollkommen unsinnig wäre, würden unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse nicht anerkannt.
 
Wenn man aber über 50% der Bevölkerung von vorn herein ausschließt, ist das nicht einmal fiktional möglich und Gesellschaften in denen dann man Ende überhaupt nur 20 oder 30 Prozent als berechtigt galten ihren politischen Willen im Rahmen von Wahlen zu bekunden, als "Demokratie" zu bezeichnen, geht mir entschieden zu weit.
Wenn in Staaten mit einer stark wachsenden (jungen) Bevölkerung alle unter 18 ausgeschlossen sind, dazu noch alle Migranten (von denen es in manchen Staaten ja auch nicht gerade wenige gibt, nicht nur absolut, sondern auch relativ), dann wird der Anteil der Wahlberechtigten wohl auch mal unter 50% sinken. Also keine Demokratien?

Wenn aber die Freien Männer der griechischen Stadtstaaten beschließen konnten, dass sie ausschließlich sich selbst als den Demos betrachteten und wir das akzeptieren, warum sollten sich dann nicht etwa die Anführer einer kommunistischen Partei das gleiche Recht herausnehmen können?

Die Vorstellung etwa, die politische Macht auf die marxistisch gesinnten Arbeiter zu beschränken, gab es bei den Bolschewiki vor der Oktoberrevolution ja durchaus und begründet wurde das damit, dass nur diese durch die Erkenntnis der Richtigkeit der Marxschen Ideen "reif" dazu seien.
Ich sehe den Unterschied weiterhin darin, dass es für Griechen und Römer geradezu denkunmöglich war, dass Frauen und Sklaven politisch teilhabeberechtigt sein könnten (wie für uns Kleinkinder). (Nicht einmal von vergleichsweise fortschrittlichen Geistern fallen mir spontan gegenteilige Äußerungen ein.) Das ist etwas anderes als wenn im Rahmen einer Revolution ein Teil der bisher als politisch teilhabeberechtigt anerkannten Bevölkerung sein Mitwirkungsrecht verlieren soll.
 
Wenn nur das "Proletariat" (oder die "Arbeiter und Bauern") berechtigt sein soll, an der Willensbildung teilzunehmen, werden damit alle anderen Klassen bewusst ausgeschlossen.

Ich würde das in der Tradition des Ballhausschwurs der Französischen Revolution sehen: Die Vertreter des dritten Standes erklären sich zur Nationalversammlung, ohne Berücksichtigung von Klerus und Adel, und den dritten Stand damit zur Nation, zum Volk.

Ähnlich habe ich das mit der Diktatur des Proletariats verstanden (ohne jetzt wirklich große Marx-Exegese betrieben zu haben...). Das Proletariat, dass ja nach Marx als Masse des Volkes der kleinen herrschenden Klasse der Bourgeoise gegenüber steht, oder gegenüberstehen wird, wenn sich das mit den Klassenverhältnissen erstmal vereinfacht hat, bestimmt, wie auch immer. Das könnte theoretisch auch demokratisch geschehen.

Praktisch kenn ich glaub ich keinen Versuch, der ohne eine herrschende Partei ausgekommen ist.
 
Wenn ich kurz auf den Kommunismus zurückkommen darf:
Natürlich sind Kommunismus und Demokratie vereinbar, ja vielmehr, wenn Kommunismus nicht demokratisch ist, dann ist er gar nicht.
Das erinnert mich irgendwie an Anselms Gottesbeweis: Gott ist das Höchste, was sich denken lässt, und ein Gott, den es nicht gibt, dem fehlt mit der eigenen Existenz eine wesentliche Eigenschaft, die ihn erst zum Höchsten macht, das sich denken ließe. So ein Gott wäre also gar nicht das, was als Gott zu verstehen ist.

Ich fürchte, wir müssen eher mit einem wirklichen Gott rechnen als mit einem echten Kommunismus, der auch demokratisch ist.
 
Wenn in Staaten mit einer stark wachsenden (jungen) Bevölkerung alle unter 18 ausgeschlossen sind, dazu noch alle Migranten (von denen es in manchen Staaten ja auch nicht gerade wenige gibt, nicht nur absolut, sondern auch relativ), dann wird der Anteil der Wahlberechtigten wohl auch mal unter 50% sinken. Also keine Demokratien?

Ich würde das nicht als Demokratien bezeichnen nein.
Wenn einzelne Gruppen, die vielleicht zusammen 20% oder 30% der Bevölkerung ausmachen kein Recht dazu innehaben sich am politischen Prozess zu beteiligen, kann man das sicherlich immernoch insofern als demokratisch bezeichnen, als dass man argumentieren kann, dass Wahlergebnisse noch immer authentischer Ausdruck des politischen Willens des größeren Teils der Bevölkerung sind.

Ob Wählerwillen dann besonders eindeutig ist oder nicht, oder die Volksvertreter in der Lage oder auch nicht in der Lage sind daraus stabile Regierungen zu formen, das wäre für mich eine andere Frage, aber wenn über die Hälfte der Bevölkerung erst gar nicht nach ihrer Meinung gefragt wird, warum macht man sich dann die Mühe der politischen Mehrheitsfindung für Beschlüsse überhaupt?

Ich sehe den Unterschied weiterhin darin, dass es für Griechen und Römer geradezu denkunmöglich war, dass Frauen und Sklaven politisch teilhabeberechtigt sein könnten (wie für uns Kleinkinder).

Und darf man auch fragen, warum? Ist ja nicht so, dass es in der Antike nicht durchaus auch Frauen gab, die politische Macht inne hatten, wenn das auch eher die Ausnahme, als die Regel gewesen sein mag.

Aber wenn zeitgleich auf der anderen Seite des Mittlmeers in Ägypten Pharaoninnen (wenn auch unter Einhaltung gewisser spielregeln) die Geschicke eines ganzen Reiches maßgeblich mitbeinflussen konnten, warum sollte es dann für die Griechen und Römer ganz grundsätzlich undenkbar gewesen sein, Frauen am politischen Prozess zu beteiligen?
Anschauungsbeispiele gab es ja.

Mit welchem Argument eigentlich musste das den Frauen aus griechischer und römischer Warte grundsätzlich unmöglich sein?
Mangelnde geistige Reife und Bildung/Weitsicht, erscheint mit als Argument in gesellschaften, in denen für Weisheit explizit weibliche Göttinnen (Athena/Minverva) zuständig waren, als fragwürdig.


Das ist etwas anderes als wenn im Rahmen einer Revolution ein Teil der bisher als politisch teilhabeberechtigt anerkannten Bevölkerung sein Mitwirkungsrecht verlieren soll.

Inwiefern kann, wenn im Rahmen einer Revolution ein neues Staatswesen entsteht jemand ein Recht auf politische Teilhabe ableiten, nur weil er in einem vorausgegangenen Staatswesen das Recht dazu hatte?

Wäre man z.B. als 1918 die Republik Österreich entstand auf die Idee gekommen jedem Bewohner des ehemaligen Cisleithanien von Riva del Garda bis Tarnopol und Tschwernowitz das Wahlrecht zum Wiener Parlament zuzugestehen, nur weil sie dass im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie innehatten?

Wäre man auf die Idee gekommen, jedem der mal zu diesem Zusammenhang gehört hatte die österreichische Staatsbürgerschaft anzubieten, weil er im Vorgängerstaat eventuell Teil des "Demos" war und somit auch im Nachfolgekonstrukt dieses Recht auf keinen Fall verlieren dürfte?

Ich denke eher nicht.

Wenn es aber hier nach einer Revolution, der Gründung eins neuen Staates und einer politischen Neujustierung ohne weiteres möglich war, den "Demos" mal eben völlig neu zu definieren, warum durften die Kommunisten dass dann nicht?
Das Ganze überzeugt mich nicht wirklich bzw. erscheint mir weiterhin zu willkürlich.


Für mich gehört zu einer modernen Demokratie ohne jegliches wenn und aber, dass zumindest der größere Teil der Bevölkerung partizipationsberechtigt sein müsste und dass der "Demos" in keinem Fall enger definiert sein dürfte als das.


Das war er in keinem realsozialistischen Staat, das war er vor den 1940er und 1950er Jahren allerdings auch in den meisten Staaten nicht, die von sich behaupteten Demokratien zu sein.
 
Und darf man auch fragen, warum? Ist ja nicht so, dass es in der Antike nicht durchaus auch Frauen gab, die politische Macht inne hatten, wenn das auch eher die Ausnahme, als die Regel gewesen sein mag.
Frauen kamen in der Antike in der Regel nur in Ausnahmefällen in Machtpositionen.
Aber um Dein Argument aufzugreifen: Im Laufe der Geschichte gab es nicht gerade selten Kinder auf dem Königsthron. (In Extremfällen wie dem französischen König Johann I. wurden sie sogar schon als Könige geboren.) Soll man daraus ableiten, dass Kinder heute wahlberechtigt sein sollten?

Inwiefern kann, wenn im Rahmen einer Revolution ein neues Staatswesen entsteht jemand ein Recht auf politische Teilhabe ableiten, nur weil er in einem vorausgegangenen Staatswesen das Recht dazu hatte?

Wäre man z.B. als 1918 die Republik Österreich entstand auf die Idee gekommen jedem Bewohner des ehemaligen Cisleithanien von Riva del Garda bis Tarnopol und Tschwernowitz das Wahlrecht zum Wiener Parlament zuzugestehen, nur weil sie dass im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie innehatten?

Wäre man auf die Idee gekommen, jedem der mal zu diesem Zusammenhang gehört hatte die österreichische Staatsbürgerschaft anzubieten, weil er im Vorgängerstaat eventuell Teil des "Demos" war und somit auch im Nachfolgekonstrukt dieses Recht auf keinen Fall verlieren dürfte?

Ich denke eher nicht.

Wenn es aber hier nach einer Revolution, der Gründung eins neuen Staates und einer politischen Neujustierung ohne weiteres möglich war, den "Demos" mal eben völlig neu zu definieren, warum durften die Kommunisten dass dann nicht?
Das Ganze überzeugt mich nicht wirklich bzw. erscheint mir weiterhin zu willkürlich.
Es ist doch ganz grundsätzlich so, dass nur Bürger (oder allenfalls auch andere Bewohner) des Staatsgebietes wahlberechtigt sind; dazu allenfalls noch Bürger, die aus diesem Staatsgebiet ins Ausland gezogen sind. (Das ist auch eine Frage der Souveränität.) Dass Personen, die dauerhaft außerhalb des Staatsgebietes leben und schon in der Vergangenheit lebten, wahlberechtigt sind, war und ist eher die Ausnahme (z.B. ethnische Ungarn außerhalb Ungarns für Ungarn; ethnische Kroaten in Bosnien-Herzogowina für Kroatien) und führt nicht selten zu zwischenstaatlichen Konflikten. [Wären in der neu entstandenen Republik Österreich auch alle ehemaligen Bürger Cisleithaniens (oder auch bloß die deutschsprachigen) wahlberechtigt gewesen, hätten das die Tschechoslowakei, Polen etc. vermutlich als veritablen Eingriff in ihre Souveränität betrachtet.] Dass mit territorialen Veränderungen auch Veränderungen bei den Wahlberechtigten einhergehen, ist insofern ganz normal.

Das damit zu vergleichen, dass innerhalb eines Staatsgebietes (auch ohne territoriale Veränderungen) einem Teil der bisher Teilhabeberechtigten aus rein ideologischen Gründen die Mitwirkungsrechte aberkannt werden, halte ich für einen Vergleich von Äpfeln und Birnen.
 
Frauen kamen in der Antike in der Regel nur in Ausnahmefällen in Machtpositionen.

Zugestanden, aber insofern es eben doch Beispiele dafür gab, war das ganz sicher nicht nicht "denkunmöglich".
Warum sollte ganz grundsätzlich undenkbar sein, was in der Nachbarschaft mitunter Realität war und offensichtlich nicht automatisch in die Vollkatastrophe führte?

Aber um Dein Argument aufzugreifen: Im Laufe der Geschichte gab es nicht gerade selten Kinder auf dem Königsthron. (In Extremfällen wie dem französischen König Johann I. wurden sie sogar schon als Könige geboren.) Soll man daraus ableiten, dass Kinder heute wahlberechtigt sein sollten?

Zunächstmal, auch wenn politische Bekenntnisse hier eigentlich nicht hin gehören, ich bin kein großer Fan davon die Berechtigung zur politischen Partizipation einzig am biologischen Alter festzumachen.
Wenn es nach meinen Wunschvorstellungen für das Wahlrecht ginge, würde zur Befähigung der Ausübung des Wahlrechts nicht das alter einer Person qualifizieren, sondern einzig der Nachweis von Grundkenntnissen des politischen Systems, die jede Person, die das Wahlrecht ausüben wollte unbeschadet ihres biologischen Alters nachweisen müsste.

Das würde Kinder, denen diese Kenntnisse noch nicht vermittelt wurden de facto weiterhin ausschließen, demgegnüber sehe ich aber keinen Grund, warum man Jugendlichen, die in der Hinsicht fit und interessiert sind von der Wahl ausschließen und jeden Erwachsenen einfach nur auf Grund des Überschreiten eines bestimmten Alters, vollkommen egal ob sie auch nur eine Vorstellung davon haben, was das Mandat, dass sie da erteilen überhaupt beeinhaltet, für befähigt erklären sollte.
In dieser Hinsicht bin ich vielleicht durch meinen persönlichen Lebenslauf etwas vorgeschädigt, als im September 2009 in Deutschland Bundestagswahlen stattfanden, war ich 17,5 Jahre alt und durfte nicht daran teilnehmen, was mich damals sehr geärgert hat.


Um auf das historische Beispiel mit den Kinderkönigen zurück zu kommen würde ich dir ganz gerne eine Gegenfrage stellen:
Wenn du doch behauptest, es sei undemokratisch Gruppen, die vorher ein Partizipationsrecht hatten dieses Recht abzuerkennen, müsste es ja z.B. grundsätzlich als undemokratisch gelten über eine Anhebung des für die Wahl qualifizierenden Alters nachzudenken.
Unbeachtet der Tatsache, dass ich von dem Modell wie oben dargelegt persönlich wenig halte würde das in einer Gesellschaft, die damit experimentiert das zur Wahl qualifizierende Alter versuchshalber beispielsweise auf 16 Jahre abzusenken und die damit viellecht schlechte Erfahrungen macht, dann ja dazu verdonnern auf ewig bei dieser Reform zu bleiben, wenn sie weiterhin als demokratisch gelten wollte, weil sie ansonsten Teilen der Bevölkerung das Wahlrecht, dass die qua biologischen Alters mittlerweile inne haben aberkennen müsste.

Mit anderen Worten nach dieser Definition würde ein System dass einen vielleicht etwas übereifrigen Reformeifer korrigiert und weiterhin größeren Teilen der Bevölkerung die Partizipation ermöglicht als anderswo (wenn es z.B. das Wahlalter wieder vo 16 auf 18 anheben würde, während es in anderen Teilen der Welt noch bei 21 Jahren steht), dadurch seinen Status als "Demokratie" verlieren.

Auch darauf würde ich mich nicht einlassen wollen.

Es ist doch ganz grundsätzlich so, dass nur Bürger (oder allenfalls auch andere Bewohner) des Staatsgebietes wahlberechtigt sind; dazu allenfalls noch Bürger, die aus diesem Staatsgebiet ins Ausland gezogen sind.

Grundsätzlich ja, nur haben die Bewohner des vorherigen Staates, diesen ja nicht aus freien Stücken verlassen, sondern sind durch eine veränderte Grenzziehung und Neugründungen von Staaten auf einmal zu Bewohnern des Auslands geworden.
Wenn diese Personen aber im vorausgegangenen Staat in irgendeiner Form als Staatsangehörige mit entsprechendem Partizipationsrecht galten und dieses Recht auch im Falle einer Revolution und der Gründung eines neuen Staates nicht einfach so zurückgenommen werden darf, falls man weiterhin als Demokratie gelten möchte, dann hätte doch in diesem Fall die Republik Österreich jedem vormaligen Bewohner Cisleithaniens die neue österreichische Staatsbürgerschaft und alle damit verbundenen Rechte anbieten müssen um als demokratisch gelten zu können, weil alles andere doch auf eine Umdefinition des "Demos" und die "Ausbürgerung" großer Teile des bisherigen Staatsvolks hinauslief, dass sich dem Umstand jetzt im Ausland zu leben, nnicht unbedingt freiwillig ausgesucht hatte.

Oder sehe ich das falsch?
 
Wenn ich kurz auf den Kommunismus zurückkommen darf:

Das erinnert mich irgendwie an Anselms Gottesbeweis: Gott ist das Höchste, was sich denken lässt, und ein Gott, den es nicht gibt, dem fehlt mit der eigenen Existenz eine wesentliche Eigenschaft, die ihn erst zum Höchsten macht, das sich denken ließe. So ein Gott wäre also gar nicht das, was als Gott zu verstehen ist.

Ich fürchte, wir müssen eher mit einem wirklichen Gott rechnen als mit einem echten Kommunismus, der auch demokratisch ist.

Der Unterschied ist, dass Anselm beweisen möchte, das Gott existiert, jetzt & hier. Demhingegen sagt hjwien, dass es den "demokratischen Kommunismus" im hier & jetzt grade nicht gibt. Ihn grundsätzlich für möglich zu halten ist eine Zukunftserwartung oder -hoffnung, keine Existenzaussage oder gar ein solcher Beweis; eine Utopie.

Die mag man für unrealistisch halten (so wie auch die parlamentarische Demokratie odr die Abschaffung der Sklaverei mal als unrealistische Utopie galt), aber dann ist man im Grunde auf der anderen Seite eines jeglichen Gottesbeweises: Die Nicht-Existenz Gottes zu beweisen ist genau so unmöglich, wie die Unmöglichkeit zukünftiger Gesellschaftsmodelle.
 
Das erinnert mich irgendwie an Anselms Gottesbeweis: Gott ist das Höchste, was sich denken lässt, und ein Gott, den es nicht gibt, dem fehlt mit der eigenen Existenz eine wesentliche Eigenschaft, die ihn erst zum Höchsten macht, das sich denken ließe. So ein Gott wäre also gar nicht das, was als Gott zu verstehen ist.

Ich fürchte, wir müssen eher mit einem wirklichen Gott rechnen als mit einem echten Kommunismus, der auch demokratisch ist.

Nun, das denke ich überhaupt nicht. Einen wirklichen Gott kann man nicht herzaubern, ein echter Kommunismus wäre die Frage des politischen Wollens.

Ich finde auch den Gottesbeweis einen hinkenden Vergleich. Wollte man ihn auf die Füße stellen, könnte man sagen, daß ein Gott, der nicht allmächtig und gerecht wäre, kein Gott nach herkömmlicher Vorstellung ist und demzufolge nicht der Anbetung wert. Insofern wäre ein Kommunismus, der nicht demokratisch und gerecht wäre, kein erstrebenswerter Zustand.
Letztlich aber geht es doch einem echten Kommunisten nicht um den Kommunismus, sondern um eine friedliche Welt voll freier Menschen. Wenn der Kommunismus dazu ein Werkzeug ist, gut, wenn nicht, dann brauchen wir ein besseres. Und historisch gesehen sind alle Gesellschaftsmodelle mit Verfallsdatum versehen. Was eine Zukunft daraus macht, können wir weder absehen noch beeinflussen. Wir können nur sagen, daß die Regimes des 20. Jhs. nicht kommunistisch waren. Ob wir daraus lernen, sei noch dahingestellt, aber jeder geschichtliche Prozeß ist ein Erfahrungswert, ob im Positiven oder im Negativen. Der Historiker arbeitet diesen Erfahrungswert auf, und die Gesellschaft wird dann sehen, ob sie diesen Wert zu einem Baustein ihres Bewußtseins macht.
 
Da würde ich die Frage stellen, inwiefern ist das völlig unklar?
So verschieden die Ideen der letzten rund 200 Jahre im Hinblick darauf, wie man sich Kommunismus/Sozialismus (weniger in Form des Realsozialismus im Ostblock, als mehr bei den Frühsozialisten des 19. Jahrhundrts), sind doch im Kern zwei Elemente weitgehend identisch.

Die von dir genannten Emanzipationsbestrebungen (die in Teilen mit denen der bürgerlichen Demokratiebewegungen der jeweiligen Zeit durchaus vergleichbar sind) und darüber hinaus der Gedanke, dass Produktionsmittel auf irgendeimen Weg (darüber gehen die Meinungen dann wieder auseinander) für den Nutzen der gesamten Gesellschaft nicht nur den privater Eigentümer nutzbar gemacht werden sollen.

Setzt man das an diese beiden Elemente an dieser Stelle voraus, könnte man die Grundfrage des Fadens eigentlich auch umdrehen, denn dann liefe die Frage ob Demokratie und Kommunismus miteinander vereinbar seien letztendlich auf die Frage hinaus, ob Demokratie uneingeschränktes Privateigentum an den Produktionsmitteln zur zwingenden voraussetzung hat oder nicht.

Nun, mit völlig unklar meine ich natürlich nur, daß es keine feststehende Definition darüber gibt, was Kommunismus sein soll (eine Staatsform? eine Gesellschaftsform? eine Utopie?), wie er erreicht wird (Revolution?) und was ihn kennzeichnet (Klassenlosigkeit?). Alle ihm zugewiesenen Eigenschaften sind Beispiele aus dem Bereich des Möglichen, die sich weder zwingend ergeben noch erschöpfen.

Und auch die Frage nach dem Privateigentum an Produktionsmitteln scheint mir nicht so feststehend zu sein. Während es dem klassischen Fabrikarbeiter heute ja eher gut geht (in Deutschland, in anderen Teilen der welt nicht), würde man ja heute eher den Blick auf Servicekräfte, auf Scheinselbständige, auf Zeitarbeiter usw. richten müssen - statt Proletariat bekanntlich Prekariat, die modernen Tagelöhner, Erntehelfer, ungelernte Bauhelfer oder aber Wanderarbeiter in Schlachthöfen u.ä.

Und während es momentan nicht die große Frage ist, wem nun ein Autokonzern, eine mittelständische Maschinenfabrik oder auch ein Handwerksbetrieb gehört, sind die Fragen eher: wem gehört der Wohnraum, Privatisierungen im Gesundheitssystem, Energie - und Wasserwirtschaft - aber auch die Verflechtungen von Banken und Regierungen sowie die staatserpresserischen Weltkonzerne wie amazon, google, facebook und twitter stehen im Mittelpunkt. Hier müßte die Diskussion über Privateigentum ganz neu gedacht werden. Wem gehören die Meinungen? Dagegen sind Daimler-Benz oder BASF bei all ihren Verfehlungen doch eher Schäfchen.
 
Nun, mit völlig unklar meine ich natürlich nur, daß es keine feststehende Definition darüber gibt, was Kommunismus sein soll (eine Staatsform? eine Gesellschaftsform? eine Utopie?)
Das hängt sehr wahrscheinlich davon ab, welchen Theoretiker zum Thema "Kommunismus" man bemühen möchte.

Wobei ich persönlich, wenn ich mir die Meinung erlauben darf, dazu tendieren würde "Kommunismus" für eine Gesellschaftsform zu halten, was allerdings dem Umstand geschuldet sein mag, dass ich mich da vor allem an Marx/Engels orientieren würde, einfach weil dass die wirkmächtigste Vorstellung in diese Richtung war.

Nimmt man die Marx-Engels'sche Annahme, der Staat würde in der kommunistischen Gesellschaft "absterben" (über die Bedeutung wie gennau das gemeint war, wäre zu reden), würde ich die "Staatsform" ausschließen und von einer Utopie würde ich auf dieser Basis ebenfalls nicht sprechen wollen, weil bei Marx/Engels zwar nicht genau beschrieben wird, wie eine kommunistische Gesellschaft im Detail auszusehen habe, allerdings ein konkreter Weg das zu erreichen und Vorstellungen über Elemente, die eine solche Gesellschaft enthalten müssten, sind ja schon durchaus vorhanden.
Da würde ich sagen, dass es doch einen recht deutlichen Unterschied zu den vagen Ideen der Frühsozialisten gibt, dennen ich unterstellen würde, eher auf eine Utopie hinaus zu laufen.

wie er erreicht wird (Revolution?)
Hier würde ich die Frage stellen, ob die unterschiedliche Beantwortung dieser Frage in den verschiedenen theeoretischen Vorstellungen besonders relevant ist, einfach da sie in Teilen von sehr unterschiedlichen Prämissen ausgingen.
Insofern ja einiges an Vorstellungen zu dem Thema im 19. Jahrhundert entstand, als die Möglichkeiten politischer Partizipation noch sehr eingeschränkt waren und die Revolution für breite Schichten der Bevölkerung das einzige politische Auskunftsmittel darstellte, stellte sich diese Frage ja lange Zeit wiedrrum nicht und hier wäre zu hinterfragen, ob Theoretiker, die die Revolution als den Weg betrachteten, das auch getan hätten, hätten die gesellschaftlichen Verhältnisse anders gelegen und andere Mittel zur Verfügung gestanden.

und was ihn kennzeichnet (Klassenlosigkeit?).
Ich weiß nicht? Ist das umstrittenn (gewesen)?
Mir scheint es so, als wäre nicht die Frage nach der Klassenlosigkeit Streitpunkt, sondern mehr die Frage, wie sich eine gesellschaftliche Klassen denn überhaupt definierte.

Und auch die Frage nach dem Privateigentum an Produktionsmitteln scheint mir nicht so feststehend zu sein. Während es dem klassischen Fabrikarbeiter heute ja eher gut geht (in Deutschland, in anderen Teilen der welt nicht), würde man ja heute eher den Blick auf Servicekräfte, auf Scheinselbständige, auf Zeitarbeiter usw. richten müssen - statt Proletariat bekanntlich Prekariat, die modernen Tagelöhner, Erntehelfer, ungelernte Bauhelfer oder aber Wanderarbeiter in Schlachthöfen u.ä.

Inwiefern aber ist die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln eine Frage, die nur die Industriearbeiterschaft betreffen würde?
Da muss ich sagen, dass ich den Einwand nicht so recht verstehe, denn insofern Produktionsmittel ja doch eine ganze Meenge umfassen, wie etwa den Maschinenpark und die Fahrzeuge und Werkzeuge einer Baufirma, die ungelernte Bauhelfer abhängig beschäftigt.
Die Problematik von Wanderarbeitern, Tagelöhnern etc. ist ja ebenfalls keine neue Erscheinung. Das war in der 2. Hälfte des 19. und am Anfang des 20. jahrhunderts sicherlich nicht so besonders virulent (in den Industriestaaten), aber wenn man sich die erste Hälfte ds 19. jahrhunderts ansieht, bevor die Fabrikanten den Wert eingearbeiteter Arbeitskräfte erkannten, da gab es ja durchaus ähnlich hohe Mobilitäten was den Arbeitsmarkt angeht und ähnlich prekäre Verhältnisse.

Ob die Frage nach dem Privateigentum an Produktionsmitteln heute noch eine besondere Relevanz haben könnte, würde ich eher von der Warte her infrage gestellt sehen, dass man durchaus unterstellen könnte, dass in der modernen Konsungesellschaft die meisten Menschen durchaus Produktionsmittelbesitzer sind, wenn auch möglicherweise ohne sich dessen bewusst zu sein oder daraus Nutzen ziehen zu können.
Theoretisch könnte jeder Besitzer eines Smartphones damit freischaffend journalistisch tätig werden und die Ergebnisse vermarkten etc.
Wenn man akzeptiert, einige geräte, die uns heute selbstverständlich im Alltag begelite und primär anderen Zwecken dienen letztendlich auch im weiterem Sinne Produktionsmittel sind oder sein könnten, würde ich sagen, dass man daraus eher die Konsequenz ziehen müsste, dass das Problem heute vielfach nicht mehr in der Frage des Besitzes von Produktionsmitteln liegt, sondern, in der Frage der Fertigkeiten zu ihrer Anwendung.

Von dem Standpunkt her könnte man sicherlich sagen, dass die älteren Theorien, die sich vor allem am Besitz daran hochgezogen haben in der Geselslchaft des ausgehenden 20. und beginnenden 21. jahrhunderts an Aktualität verloren haben.

Und während es momentan nicht die große Frage ist, wem nun ein Autokonzern, eine mittelständische Maschinenfabrik oder auch ein Handwerksbetrieb gehört, sind die Fragen eher: wem gehört der Wohnraum, Privatisierungen im Gesundheitssystem, Energie - und Wasserwirtschaft - aber auch die Verflechtungen von Banken und Regierungen sowie die staatserpresserischen Weltkonzerne wie amazon, google, facebook und twitter stehen im Mittelpunkt.

Das sind im Detail andere Fragen, aber ich sehe nicht unbedingt, wo diese von der Frage der Produktionsmittel strikt getrennt sind.
Wie sehr der Gesundheitssystem auch an der Produktion hängt, hat, denke ich Corona doch deutlich gezeigt und auch im Energie- und Wassersektor sehe (übrigens auch im Transportsektor) ich die Frage durchaus offen insofern es ja durchaus eine Debatte darüber gibt, wie weit staatliche Darseinsfürsorge gehen müsste und welche Konsequenzen daraus zu ziehen wären.

Beim Wohnraum stellt sich die Frage der "Produktionsmittel" im klassischen Sinne nicht, allerdings würde ich hier die Frage stellen, gibt es eine in irgendeiner Form "kommunistische" Richtung, die das als ein nicht nur akutes, sondern auch zukünftiges und vor allem Systemdefinierendes Kernthema betrachten?

Bei Amazon, Google, Facebook etc. besteht die Hauptproblematik ja darin, dass man es mit Monopol, Kartell und de facto Syndikatsstrukturen zu tun hat.
Der Sektor in dem sich das abspielt ist neu, bzw. gerade der Umstand, dass es nicht mehr auf eine bestimmte Sparte beschränkt ist, wie die vergleichbaren Strukturen des letzten Jahrhunderts.

Demgegenüber würde ich allerdings behaupten wollen, dass es historisch vergleichbare Sturkturen durchaus schon gegeben hat, wenn ich etwa an die Monopolhandelsgesellschaften in der frühen Neuzeit denke, die sich auch nicht auf eine bestimmte Sparte spezialisierten und den Handel in Teilen ganzer Erdteile mehr oder weniger bei sich monopolisierten.
Die Vorstellung Amazon könnte so etwas wie ein modernder Wiedergänger der V.O.C oder der britischen East India Company sein, mag vielleicht etwas skurril erscheinen, aber ich würde doch dazu neigen, gewisse Ähnlichkeiten zu sehen, mit dem Unterschied, dass das Monopol dieser früheren Erscheinungen staatlich sanktioniert war und dass sich das de facto Monopol von Amazon eben nicht an den Grenzen des indischen Subkontinents endet, wie das der E.I.C. sondern an der Grenze zwischen analoger und digitaler Welt und dass Amazon weit davon entfernt ist, dass dem Unternehmen gestattet würde eigene Streitkräfte zu unterhalten.

(In dieser Hinsicht, wenn der Kommentar erlaubt ist, empfinde ich im Übrigen Dystopien die davon ausgehen, die zukünftige Welt würde von Großkonzernen dominiert etwas skurril, weil dass eigentlich nicht so sehr die Zukunft, als viel mehr die Vergangenheit weiter Teile des Planeten ist).


Ich sehe aber keine systemstürzende Neuerung oder grundsätzlich neue systemische Frage.
 
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