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'Tschuldigung, aber lies doch bitte noch mal die Quellen. Florus schreibt als einziger von einer Schlacht im Lager. Velleius schreibt gar nichts von einem Lager. Der praefectus castrorum war ein Amt in der römischen Legion. Dieses Amt besagt nichts über den Ort, wo sich der Lagerpräfekt gerade befand. Der Hinweis, dass Numonius Vala die Legionen des Schutzes der Reiterei beraubte, indem er sich mit dieser davonzumachen versuchte, zeigt, dass man sich eben nicht im Lager befand, sondern auf dem Marsch. Auf dem Marsch war es die Aufgabe der Reiterei, die Flanken zu sichern.
Tacitus schreibt von mehreren Lagern, mindestens zweien: Das erste (prima) Lager (castra) des Varus (Vari) (Prima Vari castra), zeigte in seiner Anlage die Handanlegung dreier Legionen: lato ambitu et dimensis principiis trium legionum manus ostentabant. Dann - dein - also zu einem späteren Zeitpunkt kam man zu einem anderen Lager, welches anhand seines niedrigen Wall- und Grabensystems den Erschöpfungsgrad der geschröpften Legionen zeigte, also das Gegenteil des ersten Lagers, welches in Anlage und Ausmaß drei Legionen genügte:dein semiruto vallo, humili fossa accisae iam reliquiae consedisse intellegebantur:
Ein Lager besteht normalerweise aus vier Wällen mit Gräben, wobei die Gräben außerhalb des Lagers liegen. Hier haben wir nur einen Wall, wobei die flachen Drainagegräben am Hang, die für einen Menschen weder in Breite (ca. 0,5 - 1 m) noch Tiefe (5 - mx. 50 cm) ein Hindernis waren an der mutmaßlichen Außenseite, die V-Gräben an der Innenseite - was keinen Sinn ergibt. Zudem fehlen drei von vier Seiten (3 von 4!), was Schlüter dahingehend zu immunisieren versucht, dass eben an den Seiten keine Wälle sondern nur Verhaue existiert hätten.
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Ja, ein erneutes Quellenstudium kann nie schaden. Wobei ich leider auf die deutschen Übersetzungen angewiesen bin.
Du hattest ja schon einige Seiten vorher eine Zusammenfassung der verschiedenen Quellen gebracht, das versuche ich in etwas anderer Form jetzt auch mal.
Cassius Dio: 4-tägige Schlacht, damit haben wir drei in ihrer Größe abnehmende Übernachtungslager.
Das hypothetische Kalkrieser Notlager müßte dann als viertes Lager betrachtet werden, welches aber vielleicht schon am Vormittag des vierten Tages "bezogen" wurde, weil es einfach nicht mehr weiterging. Zu einer Übernachtung kam es hier nicht mehr.
Tacitus: Er spricht von einer Stätte des Grauens und dann von einem ersten Lager., was impliziert, daß es weitere Lager gegeben haben muß.
Die "Stätte" bedeutet damit etwas abweichend vom üblichen Sprachgebrauch nichts Punktuelles, sondern etwas in die Länge gezogenes. Er springt dann sofort von dem ersten Lager zu dem letzten,
aber: Ganz genau genommen beschreibt er dieses gar nicht als Lager, sondern nur als halbeingestürzten Wall mit flachem Graben, an dem sich die Reste gelagert hatten. Insofern kein Widerspruch zu Schlüter!
Velleius Paterculus: Er schildert zuerst den Selbstmord des Varus, dann das heldenhafte Verhalten des Lagerpräfekten Eggius, dann die Übergabe durch den Lagerpräfekten Ceionius. Wie sollen sich denn die
Übergabeverhandlungen gestaltet haben ohne eine definierte Trennlinie zwischen Römern und Germanen? Auf freiem Feld oder an einem Punkt einer kilometerlangen Kolonne? Wie soll die Verbrennung und Bestattung des Varus sich abgespielt haben? Das kann doch nur innerhalb einer Verschanzung stattgefunden haben. Ja, Verschanzung ist vielleicht ein besseres Wort als Lager für diese letzte Zuflucht der Römer.
Was Vala betrifft, so schildert Velleius nur seine Flucht. Wann und unter welchen genauen Umständen und aus welcher Situation heraus diese geschah, ist unbekannt.
Alles in allem: Kein Widerspruch zu Schlüter.
Florus: Er widerspricht sich selbst. Zunächst die Lagerschlacht bei einem Gerichtstag. Dann die Flucht des einen Adlerträgers in den Sumpf. Wer baut ein Lager, in dem er gemütliche Gerichtstage abhalten will, neben einem insektenverseuchten Sumpf? Florus hat wohl den Gerichtstag des Varus im Sommerlager, währenddessen die Verschwörung beinahe aufgedeckt wurde, und die Schlacht um die lagerähnliche Verschanzung (bei Kalkriese ???) unter Auslassung der Marschschlacht zusammengereimt.
Also auch hier kein Widerspruch zu Schlüter.
Schlüters Verdienst besteht darin, daß er den Wall etwas weiter nördlich verortet. Dadurch werden die angeblichen germanischen Angriffsdurchlässe zu dem Wall vorgelagerten Sickergruben, während die germanische Brustwehr mit Laufgang im Süden nun zu einer römischen Brustwehr mit Laufgang im Norden wird (festgemacht an der neuen relativen Position der Pfostenlöcher).
Damit ist das Defileegefecht hinfällig und wir haben eine römische Verschanzung vorliegen.
Womit er sich vielleicht etwas zu weit aus dem Fenster lehnt, ist die Aussage, die Römer hätten den gesamten Wall gebaut (falls er sie denn so getätigt hat bzw. immer noch daran festhält.)