Was ursprünglich damit gemeint war, ist hier nebensächlich. "Neger" war ja ursprünglich auch kein Schimpfwort.
Was zählt ist, dass dieser Begriff heute von der russischen Propaganda gebraucht wird, um die Ukrainer zu schmähen und zu erniedrigen. Ich denke das ist ein ausreichender Grund, um diesen Begriff zu vermeiden.
Nein, dass ist alles andere als nebensächlich. Denn das was ursprünglich damit gemeint war, ist ja genau dass, worauf diejenigen, die sich damit identifizierten ihre Identität aufbauten und nicht auf späteren Zuschreibungen oder Umdeutungen.
Die Art und Weise wie dieser Begriff von russischer Seite benutzt wird, ist überhaupt kein Grund irgendwas zu vermeiden.
Der Grund den Begriff auf die heutigen Ukrainer und die heutige Ukraine nicht mehr anzuwenden besteht schlicht darin, dass die Selbstidentifikation der heutigenn Ukrainer eine andere ist.
Genau wie die heutigen Bewohner der Ukraine ein Recht darauf haben sich mit etwas zu identifizieren, was sie für richtig halten, hatten es aber auch diejenigen, die die Ukraine vor 200 Jahren bewohnten.
Ich sehe absolut keinen Grund, warum man die Selbstidentität von Personen, die vor 200 Jahren lebten heute in einer ahistorischen Weise umdeuten sollte.
Das zu fordern, beansprucht einen Primat der Politik über historische Betrachtungen und Diskurse und dem ist eine ganz deutliche Absage zu erteilen.
Die Politik mag ihre Konjunkturen haben, die Geschichtsschreibung und Geschichtsdiskussion darf das nichts angehen, weil sie sich mit Historischen Tatsachen und Umständen nicht mit politischen Idealvorstellungen der Gegenwart zu befassen hat.
Das ist nicht vergleichbar. Die amerikanischen Kolonien hatten keine eigene Sprache, die verboten wurde, keine wirklich separate Kultur, die unterdrückt wurde, usw.
Gut, dann nehmen wir ein anderes Beispiel:
Dürfte ich also z.B. die Schwächen Koreanischer Arbeiten über die japanische Kolonialzeit nicht kritisieren oder sie nicht mit japanischen Studien vergleichen?
Derartige Tabus halte ich persönlich für großen Unfug, welchen Mehrwert sollten sie haben?
Der Vergleich funktioniert aber andersherum: ich halte es für problematisch, die historische Perspektive der amerikanischen Ureinwohner mit derjenigen der europäischen Siedler gleichzustellen. Denn auf der einen Seite haben wir einen Agressor, der ein Territorium in Besitz nahm, und auf der anderen eine (Vielzahl an) Kultur(en), die unterdrückt und weitgehend vernichtet wurde(n).
So einfach funktioniert das nicht.
Schon weil es à priori voraussetzt, die europäischen Siedler wären von Beginn an als aggressive eroberer und Feinde aufgetreten.
Tatsache ist aber viel mehr, dass die ersten europäischen Kolonisten, im Besonderen in Nordamerika die ersten Jahre unter den teils ungewohnten Umweltbedingungen häufig nur mit Unterstützung der idnigenen Bewohner überlebten.
Insofern hier von Beginn an hier einen Gegensatz zwischen agressiven Eroberern und unterdrückten Ureinwohnern aufmachen zu wollen, entspricht in vielen Gegenden durchaus nicht den Realitäten der frühen Kolonialzeit.
Auch darüber hinaus, warum sollte man die Überlieferung der beiden verschiedenen Seiten nicht miteinander vergleichen dürfen?
Das ist himmelschreiender Unsinn. Alleine schon weil einzig der Vergleich zeigt, wie verschiedene alle Parteien betreffende Themen von den einzelnen Akteuren gesehen wurden.
Z.B. wissen wir heute, dass es zwischen Kolonisten, die der Meinung waren von den Indigenen ein Territorium als Eigentum erworben zu haben und den Indigenen, die der Meinung waren, das Territorium den Kolonisten lediglich zum Niesbrauch überlassen zu haben, zu Konflikten kam, weil dabei zwei verschiedene Vorstellungen von Besitz und Eigentum aufeinanderprallten, was für Konfliktstoff sorgte, weil dadurch getroffene Abmachungen vollkommen unterschiedlich interpretiert wurden.
Solche Dinge z.B. würden wir nicht wissen, wenn systematische Vergleiche nicht angestellt würden.
Wenn man historische Ereignisse erklären möchte, ist dafür natürlich die Sicht aller handelnden Relevant.
Wenn darauf aufbauend die Erinnerungskultur einer bestimmten Strömung daraus zu gewinnende Fakten systematisch ausblendet, ist das eine Schwachstelle in der jeweiligen Geschichtsdarstellung und die ist zu bennenen, gleich um wen es sich handelt.
Das hat mit einem "Denkverbot" nichts zu tun. Ich bin aber durchaus kein moralischer Relativist und glaube schon, dass wir Gut und Böse bis zu einem gewissen Grade unterscheiden können. Es steht dir natürlich frei, das anzuzweifeln.
Verzeihung, aber es für problematisch zu erklären zwei verschiedene Phänomene mit einander zu vergleichen, bedeutet natürlich ein Denkverbot zu fordern.
Es ist sicherlich richtig, dass nicht jeder Vergleich sinnvoll ist. Aber auch Vergleiche anzustellen, die ihrem Inhalt nach zunächst erstmal nicht sinnvoll sind, ist erstmal kein ausgesprochenes Verbrechen.
Wenn sie als nicht sinnvoll erachtet werden, werden sie sich nicht durchsetzen.
Was Vorstllungen von Gut und Böse damit zu tun haben, weiß ich nicht.
Denn auch wenn man eine beteiligte Partei persönliche als böse einstuft, ändert das ja nichts an der Relevanz von deren Denk- und Handlungsweise im Hinblick auf die Ereignisse.
Und im Übrigen nur weil man einen Akteur als böse oder moralisch schlecht begrift, ist deswegen nicht alles, was die Gegenseite behauptet, als kritiklos richtig hinzunehmen, es sei denn du wolltest postulieren, dass der Zweck grundsätzlich die Mittel heiligt und die Geschichte in diesem Sinne der Politik als willfähriges Werkzeug zu dienen habe.
Wenn du aber dieser Meinung sein solltest, brauchen wir an der Stelle nicht mehr weiter zu diskutieren und dann weiß ich auch nicht, ob du in diesem Forum richtig bist.
Das habe ich hier nie behauptet. Es geht mir lediglich darum, nicht die grossrussische Propaganda zu nähren und zu kolportieren. Durch das Vermeiden des Wortes "kleinrussisch" als Synonym für "ukrainisch" (und einzig und allein darum geht es mir hier, nicht um soziokulturell spezifische Kontexte der Oberschicht des 19. Jhd) machen wir der Moskauer Propaganda einen Strich durch die Rechnung.
Hier wurde mehrmals von "kleinrussischen Sprachen" u.Ä. geschrieben. Das ist heutzutage nicht mehr nötig. Wir können getrost ein anderes, weniger problematisches Adjektiv benutzen.
Ja, mit anderen Worten dir geht es darum historische Begrifflichkeiten aus politischen Gründen umzudeuten, also um einen Primat der Politik über die Geschichtsbetrachtung.
Ein solcher ist nicht akzeptabel.