Goten = Germanen?

Das stimmt so nicht. Nach dem Ende des Hunnenreiches siedelten die damals den Hunnen unterstellten Germanen, zu denen neben diversen anderen Stämmen auch Goten gehörten, mehrheitlich im heutigen Tschechien und in Pannonien, hauptsächlich zwischen Budapest und Wien.
wann und wie kamen die denn da hin und wie weist man das nach? Pannonien, sodann nach einigen Wirren Italien, Südfrankreich und Spaneien waren mir bekannt - aber tschechische Goten hab ich wohl überlesen oder nie bemerkt.
 
Das stimmt so nicht. Nach dem Ende des Hunnenreiches siedelten die damals den Hunnen unterstellten Germanen, zu denen neben diversen anderen Stämmen auch Goten gehörten, mehrheitlich im heutigen Tschechien und in Pannonien, hauptsächlich zwischen Budapest und Wien.
Dort entstanden ua. die Bajuwaren aus einem bis heute nicht genau bekannten Völkergemisch. Im 6. Jahrhunderter wurde die Gegend von Awaren eingenommen, der Rest gehört zu anderen Themen.

Darüber hinaus könnten Goten und vor allem Gepiden an der Ethnogenese der Thüringer beteiligt gewesen sein.

Goten und Gepiden waren verwandte Völker. Vom Gotischen haben sich beträchtliche Sprachreste erhalten, sodass es als ostgermanische Sprache klassifiziert werden kann. Dass Goten Ost- und Westeuropa durchzogen und auf ihrer Wanderung auch alanische, hunnische oder baltische Elemente aufnahmen, steht dem nicht entgegen. Vermutlich haben die Goten auch slawische Einflüsse integriert, doch ist es umstritten, ob die in antiken Quellen genannten Anten, die am Mittellauf des Dnjepr saßen, ein slawischer Stamm waren.

Die Gepiden sind vermutlich ein gotischer Rest, der bei Abwanderung der Goten um 200 n. Chr. im Mündungsgebiet der Weichsel zurückblieb und auf seinem Wanderzug eine eigene Ethnogenese durchmachte. Allerdings ist die genaue Herkunft der Gepiden unbekannt und strittig.

Ob und inwieweit Goten an der Entstehung der Thüringer beteiligt waren, ist unbekannt und in hohem Maße spekulativ.

Gotische Spuren könnten sich also sehr wohl in der deutschen Bevölkerung befinden. Die deutschen Stämme - Franken(Hessen eingerechnet), Sachsen, Bayern, Schwaben und Thüringer - sind immerhin aus Stammesverbunden hervorgegangen und gerade bei Bayern und Thüringern ist die genaue Zusammenstellung unklar.

Das sind wilde Spekulationen. Die von dir genannten Stämme gab es meist noch nicht, als die Goten im 3. und 4. Jh. Ost- und Westeuropa durchzogen. Ferner berührten die Routen der gotischen Wanderzüge den Raum der genannten germanischen Stämme nicht oder lediglich am Rande.

Germanen haben sich wirklich in ganz Europa verbreitet. Es gibt kein europäisches Volk, das von Germanen unbeeinflusst geblieben wäre und nicht deren DNA aufgenommen hätte. Sogar in Nordafrika waren sie.

Gemessen an der alteingesessenen romanischen Bevölkerung war die Zahl der Germanen winzig, die während der Völkerwanderung einwanderten. Sie wurden restlos assimiliert und hinterließen lediglich in den romanischen Sprachen einige germanische Lehnwörter und Eigennamen. Dass die Germanen ganz Europa geformt hätten, ist eine weit übetriebene und zudem germanophile Sichtweise.

Somit sind die meisten Germanen auf dem europäischen Festland Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Und selbst, wenn man 50 Millionen Engländer hinzuzählen würde, wären es immer noch 43%. sind - da, wo man ihre Leichen verschachtert hat.

Zu welch weiterer Erkenntnis sollen uns derartige Zahlenspielereien führen?
 
Goten = Germanen

Es führt zu der Erkentniss dass die meisten Germanen Deutsche sind. Also auch Mesut Özil, Tarik-al-Wazir und viele andere.
Deutsche sind und waren nie "nur" Germanen!

Romanische Sprachen gab zu dieser Zeit noch nicht. Es gab unterschiedliche Varianten des Vulgärlatein. Und dies wurde von den Franken im Norden Frankreichs stark beeinflusst und erst nach der Französischen Revolution wurde das Pariser Französisch als Hochsprache auch im Süden verbreitet,.

Die Goten waren genauso Germanen wie die Deutschen, was die Sprache betrifft. Es gibt da sehr große Ähnlichkeiten die wir dank Wulfila wirklich wissen, nur zur Ethnogenese der Deutschen haben sie sicher nichts beigetragen,

Dass die Germanen ganz Europa geformt hätten und dass dies eine weit übetriebene und zudem germanophile Sichtweise ist würde ich nicht so sehen. Sie haben jedenfalls dafür gestritten dass Europa nicht auf den Katalaunischen Feldern entsorgt wurde, wobei es den Ostgoten verziehen sei auf der falschen Seite gekämpft zu haben.

Wenn man bedenkt dass die Anzahl der Nordafrika und Spanien erobernden Araber auch sehr gering war und sich das Arabische als Sprache etabliert hat frage ich mich was die Goten, Franken und Langobarden falsch gemacht haben.

Man stelle sich vor im gesamten Weströmischen Reich hätten sich die germanischen Sprachen durchgesetzt:...
 
Es führt zu der Erkentniss dass die meisten Germanen Deutsche sind.
das ist erstaunlich, da genügend seriöse Historiker schon Skrupel haben, die Geschichte der Deutschen mit den Ottonen beginnen zu lassen...
...wie dem auch sei: die Goten, so weit sie auch herumkamen, werden ihre Gründe gehabt haben, eine ostgermanische Sprache zu bevorzugen, und sie werden teils in Italien, teils in Spanien ihre Gründe gehabt haben, diese Sprache zugunsten des (spät)lateinischen aufzugeben (allerdings ohne ihre gotischen Namen aufzugeben)
 
...wie dem auch sei: die Goten, so weit sie auch herumkamen, werden ihre Gründe gehabt haben, eine ostgermanische Sprache zu bevorzugen, und sie werden teils in Italien, teils in Spanien ihre Gründe gehabt haben, diese Sprache zugunsten des (spät)lateinischen aufzugeben (allerdings ohne ihre gotischen Namen aufzugeben)

Wobei mal interessant wäre zu untersuchen, ob die gotische Oberschicht zuerst die germanische Sprache zugunsten des Latein aufgegeben hat oder die Gefolgschaft.

Sprache ist ja ein wichtiger Bestandteil der Identität. Wie Namen auch.

Ich vermute, dass die gotische Oberschicht daran interessiert war, dass ihre Gefolgschaft (soweit sie gotischsprachig war) die gotische Sprache und Identität beibehielt. Während sich die Oberschicht schnellstmöglich "romanisierte", um sich in die römischen Machtstrukturen einzufügen, aber gleichzeitig an den gotischen Namen als Zeichen ihrer gotischen Identität gegenüber ihrer Gefolgschaft festhielt.
 
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Es führt zu der Erkentniss dass die meisten Germanen Deutsche sind. Also auch Mesut Özil, Tarik-al-Wazir und viele andere.
Deutsche sind und waren nie "nur" Germanen!

Die Deutschen sind aus den germanischen Stämmen hervorgegangen. Woraus sonst?

Aus einer Vielzahl kleiner germanischer Stämme und Stammesschwärme zur römischen Kaiserzeit gingen ab etwa dem 5./6. Jh. die Großstämme der Sachsen, Schwaben, Franken, Bayern usw. hervor. Das war die Basis für das Volk der Deutschen, deren eigenständige Identität seit etwa dem 11. und 12. Jh. sichtbar wird. Was das allerdings mit dem turkstämmigen Mesut Özil zu tun haben soll, ist mir schleierhaft. Deutsche Staatsbürger können selbstverständlich ganz unterschiedlicher nationaler oder ethnischer Herkunft sein. Mit "Germanen" hat das allerdings nichts zu tun.

Romanische Sprachen gab zu dieser Zeit noch nicht. Es gab unterschiedliche Varianten des Vulgärlatein. Und dies wurde von den Franken im Norden Frankreichs stark beeinflusst und erst nach der Französischen Revolution wurde das Pariser Französisch als Hochsprache auch im Süden verbreitet,.

Sprachgeschichtlich setzt die altfranzösische Sprache seit Mitte des 9. Jh ein. Ein zentrales Dokument dafür sind die Straßburger Eide von 842 in althochdeutscher und altfranzösischer Sprache. Straßburger Eide ? Wikipedia

Die Goten waren genauso Germanen wie die Deutschen, was die Sprache betrifft. Es gibt da sehr große Ähnlichkeiten die wir dank Wulfila wirklich wissen, nur zur Ethnogenese der Deutschen haben sie sicher nichts beigetragen,

Die Goten waren Germanen und keine Deutsche und die Deutschen waren keine Germanen.
 
Jetzt bin ich aber etwas verwirrt, lieber Dieter. Wenn die Deutschen doch aus den Großstämmen der Sachsen, Schwaben, Franken, Bayern usw. hervorgegangen sind, die wiederum aus einer Vielzahl kleiner germanischer Stämme und Stammesschwärme zur römischen Kaiserzeit hervorgingen dann verstehe ich diese Aussage nicht: "Die Goten waren Germanen und keine Deutsche und die Deutschen waren keine Germanen."

Die Ethnogenese der Bayern wird immer wieder kontrovers diskutiert und im Moselraum gab es bis ins Mittelalter "romanische" Sprachinseln. Die Ethnogenese der Deutschen hat doch nach der Niederlage Sachsen der gegen Charlemagne erst angefangen und erst nach der Französischen Revolution aufgehört, oder sind die frühen Neu-Isenburger keine Deutschen?
Während der Völkerwanderung, da sind wir uns doch alle einig, war es gang und gäbe von einer Zugehörigkeit zur anderen zu wechseln. Wer Gote sein wollte konnte es werden. Weshalb nun die Unterscheidung zwischem "deutschem Staatsbürger " und "Deutschem"?

Die Beeinflussung des damals im heutigen Nordfrankreich gesprochenen Vulgärlatein durch die Franken ergab doch erst das Altfranzösiche = Langues d'oïl, wobei die Pluralform verdeutlicht dass es mehrere Varietäten davon gibt.

Sprache ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil der Identität sondern der wichtigste, Namen auch, aber die sind Schall und Rauch.man kann sie ändern. Sprache muss man lernen bzw. so können dass man dazugehört. Was bringt es wenn man so aussieht wie die andern, aber deren Sprache nicht beherrscht.

Interessant wäre es zu wissen wie der Übergang vom Gotischen zum Spätlateinischen vonstatten ging. Wann beginnt man in einer "fremden" Sprache nicht nur mit den Anderen zu reden, sondern auch mit seinesgleichen oder gar in ihr zu träumen?

Bei den Eliten war es sicher so dass man dazugehören wollte, zur römisch/spätlateinischen Oberschicht. Der gemeine Gote hatte vielleicht sprachliche Probleme mit "Ämtern" und musste dazulernen, der gemeine Schreiber sprach eher Vulgärlatein als Gotisch.
 
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Jetzt bin ich aber etwas verwirrt, lieber Dieter. Wenn die Deutschen doch aus den Großstämmen der Sachsen, Schwaben, Franken, Bayern usw. hervorgegangen sind, die wiederum aus einer Vielzahl kleiner germanischer Stämme und Stammesschwärme zur römischen Kaiserzeit hervorgingen dann verstehe ich diese Aussage nicht: "Die Goten waren Germanen und keine Deutsche und die Deutschen waren keine Germanen."
weder die Ost- noch die Westgoten hielten sich im frühen Mittelalter in fränkisch dominierten / beherrschten Gebieten auf, d.h. dort wo Merowinger und danach Karolinger herrschten (und wo althochdeutsche Sprachen gesprochen wurden) waren keine Goten -- insofern sind die Goten auch nicht an der Ethnogenese des deutschsprachigen Raums beteiligt.

Übrigens Charlemagne, also Carolus Magnus vulgo Karl der Große sprach muttersprachlich althochdeutsch (altfränkisch)

Nicht alle germanischen Stämme waren die quasi Urahnen der Deutschen - schließlich gibt es ja auch andere germanische Sprachen wie niederländisch, englisch, dänisch, schwedisch usw.
 
Die Ethnogenese der Bayern wird immer wieder kontrovers diskutiert und im Moselraum gab es bis ins Mittelalter "romanische" Sprachinseln. Die Ethnogenese der Deutschen hat doch nach der Niederlage Sachsen der gegen Charlemagne erst angefangen und erst nach der Französischen Revolution aufgehört, oder sind die frühen Neu-Isenburger keine Deutschen?

Ethnogenese hört erst dann auf, wenn eine Ethnie im Aussterben begriffen ist, egal, ob dieses Aussterben den natürlichen Tod ihrer Individuen oder ihre Assimilation in eine andere Gesellschaft meint. Oder aber, in Ausnahmefällen, wenn die fragliche Ethnie isoliert von der restlichen menschlichen Gemeinschaft lebt und keinen Kontakt mehr hat.
 
@dekumatland
Dass die Goten nicht an der Ethnogenese der Deutschen beteiligt waren habe ich doch bereits geschrieben!

Und der fränkisch oder meinetwegen althochdeutsch sprechende Charlemagne mit seinen Franken war daran schuld dass es heute die Langues d'oïl gibt, weil Langues d'oc hört sich anders an.

Die germanische Sprache Niederländisch ist ebenso einzuordnen wie Schwyzerdütsch, also Deutsch. Englisch ist urprünglisch ein sächsischer Dialekt, hat also auch etwas mit deutsch zu tun (alles westgermanisch). Dänisch und Schwedisch sind in der Tat nordgermanisch.

Was ich lediglich sagen wollte: Ich verstehe die Aussage von Dieter nicht, dass die Deutschen keine Germanen waren...

@El Quijote
Wenn das so ist dann gehören auch alle Mesuts und Tariks dazu...

Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Die Goten waren Germanen!
 
Die germanische Sprache Niederländisch ist ebenso einzuordnen wie Schwyzerdütsch, also Deutsch. Englisch ist urprünglich ein sächsischer Dialekt, hat also auch etwas mit deutsch zu tun (alles westgermanisch). Dänisch und Schwedisch sind in der Tat nordgermanisch.
Sprachen entwickeln sich auseinander, sonst müssten wir annehmen, dass alle Sprecher einer indoeuropäischen Sprache sich untereinander verstünden. Teilweise haben wir aber schon Probleme andere Sprecher einer westgermanischen Sprache, oder gar Sprecher eines deutschen Idioms zu verstehen. Zu behaupten, alle westgermanischen Sprachen seien "Deutsch" - so zumindest liest sich das - funktioniert also nur sehr bedingt. Zumal das Englische sicher einen starken keltischen und einen unzweifelhaften normannischen (altfranzösischen) Einfluss aufweist und wohl auch einen nordgermanischen Anteil hat, es auf einen sächsischen Dialekt zu reduzieren, funktioniert nicht. Auch ein Niederländer kann sich heute nur noch sehr schwer mit einem Sprecher des Niederdeutschen verständigen, obwohl beide Sprachen mehr gemeinsam haben, als das Niederdeutsche mit dem Hochdeutschen. (Es sei denn natürlich ein Ostniederländer trifft auf einen Westniederdeutschen):

Was ich lediglich sagen wollte: Ich verstehe die Aussage von Dieter nicht, dass die Deutschen keine Germanen waren...
Dieter dürfte sich da unglücklich ausgedrückt haben: Nur Germanen machen keine Deutschen aus. Gemeinhin sieht man in der Entstehung der Deutschen ein Zusammenspiel von germanischen, römischen und christlichen Wurzeln.

@El Quijote
Wenn das so ist dann gehören auch alle Mesuts und Tariks dazu...

Das kommt auf den Grad der Integration oder Assimilation an. Auf das Spannungsfeld zwischen Integrationsbereitschaft des Individuums und Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft, die in Ruhrort oder Gelsenkirchen anders sein kann als in Kreuzberg. Das kann auch quer durch Familien gehen. Aber wir driften ab ins Tagesgeschehen.
 
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Was ich lediglich sagen wollte: Ich verstehe die Aussage von Dieter nicht, dass die Deutschen keine Germanen waren...
gibt es deiner Ansicht nach heute noch Germanen?
und falls nicht, ab wann (zeitlich, historisch) ist es sinnlos noch von Germanen zu sprechen?

einige der völkerwanderungszeitlichen und frühmittelalterlichen germanischen Großgruppen, wenn auch nicht alle, können zur Vorgeschichte der Deutschen gerechnet werden.
 
Englisch ist urprünglisch ein sächsischer Dialekt, hat also auch etwas mit deutsch zu tun (alles westgermanisch). Dänisch und Schwedisch sind in der Tat nordgermanisch.

Zu behaupten, alle westgermanischen Sprachen seien "Deutsch" - so zumindest liest sich das - funktioniert also nur sehr bedingt. Zumal das Englische sicher einen starken keltischen und einen unzweifelhaften normannischen (altfranzösischen) Einfluss aufweist und wohl auch einen nordgermanischen Anteil hat, es auf einen sächsischen Dialekt zu reduzieren, funktioniert nicht.

Passend dazu lese ich gerade heute diesen Artikel in der Zeit:
Sprachforschung: Lernen von den Räubern | Wissen | ZEIT ONLINE
Etwas irritierend ist die Verwendung des Begriffes Deutsch, die wohl mit dem Umstand zu entschuldigen ist, dass der Autor nicht in Dtld. sondern un Schottland lebt:


Lernen von den Räubern

Von wegen germanisch – stammt das Englische ursprünglich von den Wikingern?

Ein pfiffiger Professor der Universität Prag erklärte mir einmal ein Betriebsgeheimnis historischer Linguistik. Eigentlich sei alles längst erforscht. Man könne nur Karriere machen, indem man seit Generationen festgefügte Vorstellungen umstürze. Wenn man hartnäckig genug vorgehe, fuhr er fort, verfestigten sich die zunächst mit Entsetzen aufgenommenen Thesen bald zur neuen Orthodoxie.

Jan Terje Faarlund quittiert die Anekdote mit glucksender Zustimmung. Der norwegische Linguist und sein tschechischer Kollege Joseph Emmonds sind gerade dabei, überkommene Vorstellungen der Anglistik aus den Angeln zu heben. [...] Die norwegische Tageszeitung Aftenposten veröffentlichte ihre umstürzlerische These unter der Schlagzeile: "Englisch ist eine skandinavische Sprache." Das Idiom der Insel sei keine deutschstämmige, von Angeln und Sachsen zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert von Jütland her importierte Sprache, wie die Fach- und Laienwelt bislang annahm. Vielmehr hätten die Wikinger sie aus dem hohen Norden eingeführt.


Das klingt in den Ohren der Traditionalisten so verwegen wie der Wikingereinfall selbst.

[...]


Die Geschichte der angelsächsischen Kolonisierung und der ihnen folgenden Wikingerraubzüge vom 8. bis ins 11. Jahrhundert wurde freilich von mittelalterlichen Mönchen geschrieben. Deren Vorurteile gegen diese wilden Männer, das stellte der Historiker Norman Davies 1999 in seiner bahnbrechenden Historiografie The Isles fest, seien bisher unwidersprochen. Tatsächlich hätten die Wikinger die britischen Inseln samt Irland beinahe für immer in den skandinavischen Einflussbereich gezogen. Sie besiedelten fast ganz England. Doch wegen der klerikalen Propaganda hätten sie kaum eine Spur im kollektiven Gedächtnis hinterlassen.



In der Sprachtheorie ist das nicht anders: In ihr ist das Angelsächsische gleichbedeutend mit Altenglisch, das sich, bereichert durch französischen Einfluss nach dem Sieg von Wilhelm dem Eroberer, über Mittel- und Frühneuenglisch kontinuierlich zum modernen Englisch fortentwickelte. Das sei völlig verfehlt, werfen der akademische Neuwikinger und sein tschechischer Kollege ein. Das Altenglische sei ausgestorben wie Gotendeutsch. Nur die Wikingersprache habe überlebt, wenngleich durchsetzt mit angelsächsischen Vokabeln.
Faarlund und Emmonds suchten ursprünglich eine Antwort auf ein altes Rätsel der Sprachwissenschaft: Warum unterscheidet sich die englische Grammatik so grundsätzlich von der ihrer vermeintlichen Schwestersprachen Deutsch und Niederländisch?
Auf Deutsch sagt man: Ich habe ein Buch gelesen. Im Englischen steht das Objekt am Ende: I have read a book. Altenglisch – man kennt es aus dem epischen Heldengedicht Beowulf – verwendete die "deutsche" Syntax. Schon im Mittelenglischen kommt die kaum mehr vor. Doch in fast allen Fällen, in denen das Englische abweicht, dämmerte es Faarlund, deckt sich dessen Satzbau mit der Syntax seiner Muttersprache. Verzahnte englische Wortstellungen sind keine Hürde für Norweger. Sie bilden ein für Deutsche schwer nachvollziehbares I promise to never do it again – ich verspreche zu niemals tun es wieder. In gleicher Wortfolge: Eg lovar å ikkje gjera det igjen.

Sprachstruktur wichtiger als Vokabeln

Traditionalisten beweisen die Zugehörigkeit des Englischen zum westgermanischen Sprachstamm mit der Wortähnlichkeit. Ihnen zufolge stammt das englische I im ersten Beispiel vom althochdeutschen ih ab, have von Althochdeutsch habèn, read vom altsächsichen radan und book von Althochdeutsch buoh. Nur weil das Wort "Kaffee" in den meisten Sprachen vorkomme, seien die doch nicht verwandt, hält der rebellische Norweger dagegen. Außerdem: Könnte das englische I nicht genauso gut dem Altnordischen ek und die anderen Vokabeln des Satzes mit den altnordischen Begriffen hafa, rátha und bók verwandt sein?
Die Sprachstruktur sei für die linguistische Einordnung viel wichtiger als die Vokabeln, erklärt Faarlund. Alle germanischen Sprachen hätten einen gemeinsamen Wortschatz. Doch selbst eine Analyse des englischen Wortschatzes spreche für seine These. Die Angeln und Sachsen sagten niman, ähnlich dem deutschen "nehmen". Im Englischen gibt es das Verb nicht mehr, heute sagt man take – das komme vom skandinavischen taka. Nicht anders stehe es um they und them, die ähnelten den skandinavischen dey und dem, nicht den deutschen "sie" und "ihnen." Das treffe auf Tausende Vokabeln zu.
Blättert man das in Oxford verlegte Wörterbuch der englischen Sprache durch, kommt man kaum umhin, Faarlund recht zu geben. Ständig stolpert man über die etymologische Abkürzung ON (Old Norse) für Altnordisch. Faarlung erkennt das Vokabular Skandinaviens vor allem in Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Bislang haben er und sein Kollege ihre Thesen erst in einem hausinternen Magazin der Universität Oslo veröffentlicht. Als sie ihre Erkenntnisse auf einer Konferenz in Cambridge vortrugen, wandte ein Traditionalist ein, warum denn niemand zuvor auf diese Idee gekommen sei, wenn sie so einleuchtend sei?
Ja, sagt Faarlund. Das frage er sich auch.
 
Jetzt bin ich aber etwas verwirrt, lieber Dieter. Wenn die Deutschen doch aus den Großstämmen der Sachsen, Schwaben, Franken, Bayern usw. hervorgegangen sind, die wiederum aus einer Vielzahl kleiner germanischer Stämme und Stammesschwärme zur römischen Kaiserzeit hervorgingen dann verstehe ich diese Aussage nicht: "Die Goten waren Germanen und keine Deutsche und die Deutschen waren keine Germanen."

Eigentlich ist das leicht verständlich. Ich sagte, dass die Deutschen aus den Germanen hervorgingen, was nicht bedeutet, dass die Deutschen Germanen sind. Eine deutsche Identität entwickelte sich erst ab dem 11./12. Jh., wobei exaktere Bestimmungen in der Forschung umstritten sind. Und somit waren die Goten Germanen, während die Deutschen längst keine mehr sind.

Die Ethnogenese der Bayern wird immer wieder kontrovers diskutiert und im Moselraum gab es bis ins Mittelalter "romanische" Sprachinseln. Die Ethnogenese der Deutschen hat doch nach der Niederlage Sachsen der gegen Charlemagne erst angefangen und erst nach der Französischen Revolution aufgehört, oder sind die frühen Neu-Isenburger keine Deutschen?

Der Wandel von germanischen Stämmen zum deutschen Volk war ein fließender Übergang inmitten eines breiten Zeitkorridors. So wurden die Straßburger Eide von 842 zwischen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen bereits in altfranzösischer und althochdeutscher Sprache verfasst. Von einer "deutschen Identität" kann man zu diesem Zeitpunkt dennoch nicht sprechen, aber vielleicht liegt im 9. Jh. ihr früher Kern?

Die romanischen Sprachinseln an der Mosel hielten sich bis ins 11. Jh. und hinterließen u.a. ein eigenes Idiom: die moselromanische Sprache Moselromanische Sprache ? Wikipedia

Während der Völkerwanderung, da sind wir uns doch alle einig, war es gang und gäbe von einer Zugehörigkeit zur anderen zu wechseln. Wer Gote sein wollte konnte es werden. Weshalb nun die Unterscheidung zwischem "deutschem Staatsbürger " und "Deutschem"?

Das Ethnonym "Deutsche" wird heutzutage in vielfacher Weise verwendet. So z.B. in ethnischer Hinsicht, um eine Gruppe von Menschen zu charakterisieren, die durch Herkunft, Kultur und deutsche Muttersprache eine bestimmte Identität aufweisen. Unterscheiden davon muss man den juristischen Begriff "deutscher Staatsbürger", der mit ethnischer oder nationaler Herkunft nichts zu tun hat. Ethnienkonzept und rechtliche Zugehörigkeit sind also zwei verschiedene Dinge.

Die Beeinflussung des damals im heutigen Nordfrankreich gesprochenen Vulgärlatein durch die Franken ergab doch erst das Altfranzösiche = Langues d'oïl, wobei die Pluralform verdeutlicht dass es mehrere Varietäten davon gibt.

Einen erstaunlichen Sprachwechsel haben die Franken nach der Eroberung Galliens und der Gründung des Frankenreichs vollzogen. Obwohl sie in Gallien die herrschende Schicht der Eroberer bildeten, gaben sie dennoch im Verlauf eines längeren Prozesses - Karl der Große sprach noch Fränkisch - ihre germanisch-fränkische Sprache auf und übernahmen das romanische Idiom der - allerdings weitaus zahlreicheren - gallo-romanischen Bevölkerung.

Die Gründe dafür sind komplexer Art. Die gesamte gallorömische Bildungselite und mit ihr die Staatsverwaltung, auf die die Franken angewisen waren, sprach Latein (Vulgär- bzw. Sprechlatein), das somit ein hohes Prestige gegenüber dem Fränkischen besaß. Zudem war es als Alltagssprache bei der großen Mehrheit der Bevölkerung verbreitet und diente als Umgangssprache der Administration bzw. der Verwaltung des Staates. Allerdings haben sich einige hundert germanische Begriffe im Französischen erhalten, sodass die Sprache der Sieger immerhin eine Spur hinterließ. Der germanisch-fränkische Einfluss zeigt sich somit als Superstrat.

Interessant wäre es zu wissen wie der Übergang vom Gotischen zum Spätlateinischen vonstatten ging. Wann beginnt man in einer "fremden" Sprache nicht nur mit den Anderen zu reden, sondern auch mit seinesgleichen oder gar in ihr zu träumen?

Bei den Eliten war es sicher so dass man dazugehören wollte, zur römisch/spätlateinischen Oberschicht. Der gemeine Gote hatte vielleicht sprachliche Probleme mit "Ämtern" und musste dazulernen, der gemeine Schreiber sprach eher Vulgärlatein als Gotisch.

Die Westgoten eroberten Spanien spätestens nach dem Untergang ihres Tolosanischen Reichs in der Schlacht bei Vouillé 507 gegen die Franken. Inmitten der romanisierten Bevölkerung der Iberischen Halbinsel bildeten sie eine winzige Minderheit von etwa 3-5%. Der Gebrauch der gotischen Sprache verschwand rasch nach dem Übergang vom Arianismus zum Katholizismus der breiten Bevölkerung mit dem 3. Konzil von Toledo 589, was auch zum Fall des Eheverbots zwischen Goten und der einheimischen Bevölkerung fürhrte (was allerdings schon zuvor nicht immer strikt beachtet wurde).

Als die Araber 711 das Westgotenreich eroberten, war die gotische Sprache nahezu verschwunden, sieht man einmal von einigen hochadligen Eliten ab. Dennoch führten die westgotischen Könige, Herzöge und Grafen immer noch westgotische Namen, was bedeuten kann, dass westgotische Herkunft und Traditionen zum Teil lebendig blieben.
 
Ob die provencalischen/spanischen Goten 507 überhaupt noch Gotisch sprachen, ist zumindest umstritten:

[Bossong:] "Allerdings bleibt bei Halm ein Einwand unberücksichtigt: nach allem was wir wissen, haben die Goten schon längst kein Germanisch mehr gesprochen, als sie in Spanien eingedrungen sind, sie waren längst zum Lateinischen übergegangen. Dass sich Germanisches noch bis ins 8. Jahrhundert hinein hätte halten sollen, scheint schwer vorstellbar." (S. 153)
Dagegen schreibt Lapesa, der bis zu seinem Tode 2001 einer der wichtigsten internationalen Hispanisten war:
"Romanizados pronto, abandonaron el uso de su lengua, que en el siglo VII se hallaba en plena descomposición. No hubo en España un período bilingüe tan largo como en Francia – bald romanisiert, gaben sie den Gebrauch ihrer Sprache auf, die sich im 7. Jahrhundert in völliger Auflösung befand. Es gab in Spanien keine so lange Periode des Bilingualismus, wie in Frankreich."

Das Problem ist, valide Belege gibt es weder für noch gegen den Gebrauch des Gotischen nach Vouillé 507. Es sei denn, Halm hätte Recht und al-Andalus ginge auf ein gotisches *Landahlauts zurück. Und dem ist ja von Noll (zugunsten einer Hypothese der arabischen Übernahme eines griechischen Wandalusien) und Bossong zugunsten seiner baskoiden Hypothese widersprochen worden. (Ich freilich halte Halms Hypothese dennoch für die sinnvollste und überzeugendste.)
 
Ob die provencalischen/spanischen Goten 507 überhaupt noch Gotisch sprachen, ist zumindest umstritten:

Eine Hypothese, die den Gebrauch des Gotischen bereits am Ende des Tolosanischen Reichs verneint, geht mir zu weit. Allerdings ist man in der Tat auf Vermutungen und Hypothesen angewiesen, da keine belastbaren Quellen vorliegen.

Ähnliche Entwicklungen gab es bei den Langobarden in Oberitalien und bei den Burgundern in ihrem zweiten Reich.
 
Warum, wenn keinerlei valide Belege für den Gebrauch der gotischen Sprache vorliegen?

Dann könnte man annehmen, dass die Goten bereits in der südrussischen Steppe kein Gotisch mehr sprachen, da keine "validen Beweise" vorliegen.

Eine Hypothese ist eine Hypothese, gerade weil die Beweislage dürftig ist.
 
Nein. Das ist Bauchgefühl, keine Hypothese.
Eine Hypothese sollte schon nach Möglichkeit zu falsifizieren oder zu verifizieren sein. Für die Ostgoten können wir z.B. festhalten, dass sie es um 500 noch für sinnvoll hielten, die Wulfila-Bibel zu reproduzieren (den Codex Argenteus, heute Uppsala). Für die Westgoten dagegen haben wir nur ein sehr geringes Superstrat an Lehnworten im Spanischen, von denen einige auch aus dem frankophonen Einfluss auf Spanien besonders seit dem 11. Jhdt. stammen können.
Wie gesagt, ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass die provencalischen/spanischen Goten kein Gotisch mehr sprachen, aber valide Belege dafür/dagegen gibt es nun mal nicht.
 
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