Indoeuropäisch / Indogermanisch

Ich möchte noch einige Dinge ergänzen. Mir geht es erstmal um Kritik an der Anatolischen-PIE-LBK These.

Pope schrieb:
Sowohl die Sesshaftwerdung, wie auch die (gewiss beschränkte) Kultivierung des Landes scheint bereits VOR eintreffen des anatolischen "Funkens" kein seltenes Phänomen gewesen sein. Die spätmesolithiker Europas waren also möglicherweise vielerorts derart für die Neuerungen empfänglich, dass es eines "revolutionären" Lebenswandels garnicht bedurfte.

Ich habe auch gerade in diesem Zusammenhang von der "La Hoguette-Guppe" gelesen. Sie zählt stellenweise zu den ältesten Keramikfunden (bis zu 8.000 Jahre alt) - liegt damit also noch vor den Funden der LBK-Kultur. Man vermutet den Ursprung irgendwo in Frankreich, möglicherweise am Mittelmeer.

http://www.comp-archaeology.org/LaHoguette.htm
http://www.baselland.ch/docs/kultur/archaeologie/Pages/News/news_0012.html

Sollte diese Tatsache bestätigt werden, dass zumindest frühneolithische Elemente (vielleicht sogar eine frühneolithische Kultur) von Westen her nach Mitteleuropa drangen, wo sie in der zweiten Hälfte des 6.Jtds. v.Chr. von den Bandkeramikern "verdrängt"/"abgelöst" wurden, dann sehe ich die kulturelle Überlegenheit des Anatolischen als eher fragwürdig.

Ebensogut möchte man fragen, warum sich diese "indoeuropäisch-anatolische Überlegenheit" nicht nach Osten und Südosten ausgebreitet hat? Wieso sind sie nur durch's Nadelöhr des Bosporus? Warum wurde ihre Technologie, aber nicht ihre Sprache nach Syrien und Mesopotamien getragen?

Lässt sich zudem nachweisen, dass die Bandkeramische Kultur ohne Zutun größerer Kolonisierungswellen aus Anatolien entstanden ist - was mir mittlerweile durchaus plasibel erscheint -, dann wäre für mich die Anatolien-These gegessen.

Ein neues Saatgut alleine trug sicherlich keine PIE-Sprache über den europäischen Kontinent. Auch wenn ein anatolischer Bauer es einst über's Schwarze Meer nach Bulgarien oder Rumänien brachte ...

(Entschuldigt die Plattheit des letzten Statements)
 
Lieber Pope,
Du hast den Punkt getroffen. Warum hat sich die anatolische Bauernkultur gerade über den Bosporus nach Europa verbreitet und nicht über den ganzen Osten oder über den Kaukasus in nördlicher Richtung?:confused:
 
Also rein geograpfisch sind typische Steppenländer wie die Ukraine, Ungarn oder sogar Kansas durchaus für Ackerbau geeignet.
Aber vielleicht gab es in den Flachländern nur keine Möglichkeit zur Gründung grösserer Siedlungen.
 
Ich möchte mich nicht in die laufende Diskussion unnötig einmischen, aber um Askans Aussage zu stützen...

askan schrieb:
Also rein geograpfisch sind typische Steppenländer wie die Ukraine, Ungarn oder sogar Kansas durchaus für Ackerbau geeignet.

... erlaube ich mir den Hinweis darauf, daß in den klassischen Steppengebieten bzw. der nordamerikanischen Prärie rein bodengeographisch die günstigsten Bedingungen gerade auch für den Ackerbau herrschen.
Dazu siehe auch Bodentyp Schwarzerde (Tschernosem) :fs:
 
askan schrieb:
aber das hat sie doch! Iran- Indien, die sykischen Steppen...bis zur Taklammkan-wüste.

Askan, wir befinden uns in den Jahren 6.000 bis 3.000 v.Chr..

In diesen drei Jahrtausenden waren m.W. keine indogermanisch-sprechenden Völkerschaften östlich und südlich der heutigen Türkei anzutreffen. Nichteinmal 2.000 v.Chr. finden wir in den Texten der Sumerer und Akkader dort eine Spur von ihnen, und als die Hethiter um 1.700 v.Chr. ans "Licht der Weltgeschichte" treten, sind sie nicht nur die älteste indoeuropäische Schriftkultur, sondern zugleich auch die Östlichste. Erst danach kommen irgendwelche umherstreunenden (?) Bergvölkerschaften (??) auf die Idee, mal ein Wenig weiter nach Osten zu schauen.

Oder übersehe ich da etwas?
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber Pope,

vielleicht meint Askan, dass dort in den Steppen Ackerbauer waren, bevor die Indogermanen dorthin kamen?:confused: Dass in der Zeit 3000-6000 v.Chr. dort keine Indogermanen waren, ist völlig klar.:grübel:
 
heinz schrieb:
Lieber Pope,

vielleicht meint Askan, dass dort in den Steppen Ackerbauer waren, bevor die Indogermanen dorthin kamen?

Nun, das kann ja sein, aber die Anatolien-These, wie sie hier dargestellt wurde, will uns sagen, dass der "Vorsprung" der indoeuropäisch-sprechenden Anatolier eben der Ackerbau war. Je geringer dieser Vorsprung im Vergleich zu den angetroffenen/eroberten Völkern ausfiel, umso unwahrscheinlicher ist es, dass diese die Sprache übernahmen.

(Das kann man auch deutlicher Formulieren:grübel: )
 
Lieber Pope,

es sind eben die 2000-3000 Jahre, welche zwischen der Einführung des Ackerbaus und dem Auftauchen der indogermanischen Sprache fehlen. Wenn dieser Zeitraum aufgeklärt werden könnte, wären wir ein Stück weiter.:grübel:
 
Die Kritik an der Anatolien-Hypothese macht sich an folgenden Punkten fest:

Die Kultur der Bandkeramiker unterscheidet sich von der indoeuropäischen Gesellschaft, die man anhand der Grundsprache erschließen konnte, erheblich.

Die frühen Ackerbauern waren eine egalitäre Gesellschaft im Gegensatz zur sozial geschichteten Gesellschaft der Indoeuropäer, die eine patriarchalische Struktur hatten und ein halbnomadisches Leben als Viehzüchter mit spärlichem Ackerbau führten.

Sie hatten eine andere Religion, die Fruchtbarkeitskulte kannte (entsprechende Figuren und Statuetten sind zahlreich überliefert), und - möglicherweise - mutterrechtlich organisiert war. Ferner gab es andere Begräbnissitten und auch andere künstlerische Ausdrucksformen, was man anhand der Gräber, der Keramik und der Gebrauchsgegenstände leicht ablesen kann.

Zahlreiche Pflanzenarten und Tiere, die man aus der indoeuropäischen Grundsprache erschließen konnte, kommen in der Heimat der kolonisierenden frühen Ackerbauern - also Vorderasien bzw. Ostanatolien - gar nicht vor.

Zudem ist es unwahrscheinlich, dass aus einem derart kleinen Ursprungsgebiet so viele Völkerwellen nach Europa und Asien geströmt sein sollen, d.h. dass Ostanatolien quasi eine "vagina gentorum", eine Völkerquelle, gebildet haben soll.

Summa summarum: Gesellschaft und Kultur der Bandkeramiker unterscheiden sich derart gravierend von der frühen indoeuropäischen Gesellschaft, dass keinerlei Identitäten zu entdecken sind. Wir haben es hier mit zwei diametral entgegegesetzten Lebensentwürfen zu tun.

Schließlich ist auch der Zeitfaktor ein wichtiges Argument. Sprachforscher sind sich einig, dass die allmähliche Auflösung der indoeuropäischen Grundsprache etwa in die Zeit um 3000 v. Chr. zu datieren ist. Man kann solche Erscheinungen nicht einfach 3000 Jahre früher ansetzten.
 
Dieter schrieb:
Schließlich ist auch der Zeitfaktor ein wichtiges Argument. Sprachforscher sind sich einig, dass die allmähliche Auflösung der indoeuropäischen Grundsprache etwa in die Zeit um 3000 v. Chr. zu datieren ist. Man kann solche Erscheinungen nicht einfach 3000 Jahre früher ansetzten.

Gray & Atkinson haben da eine andere Meinung - und Hyokkose sicherlich auch. Aber ich will nicht an Hyokkoses Statt argumentieren...

Ganz so definitiv wie Du sehe ich das nicht, Dieter. Ich würde eher sagen, dass die "Summe der Unwahrscheinlichkeiten" an Unmöglichkeit grenzt. Das aber auch nur, wenn wir den aktuellen Forschungs- bzw. Wissensstand als Wahrheit nehmen.

In zehn Jahren ist vielleicht wieder alles anders.
 
Die mehrheitliche Auffassung, dass sich die Ursprünge der Indoeuropäer im Raum zwischen Ostsee und Südrussland befunden haben müssen, hält sich nun schon einige Jahrzehnte. Aber natürlich hast du recht, dass neue Funde unser Gedankengerüst jederzeit zum Einsturz bringen können, was für jede wissenschaftliche Disziplin gilt.

Verrate mir bitte noch einmal, wer Gray & Atkinson sind, möglicherweise habe ich das oben überlesen.
 
Wenn nicht neuere Erkenntnisse vorliegenm, welche die Anatolientheorie beweisen können, liegz die Ausbreitung der Ackervauer eben 2-3000 Jahre vor der Ausbreitung der indogermanischen Sprache.
Also bis zum Beweis des Gegenteils halte ich an der Kurgan-Theorie fest.:grübel:
 
Dieter schrieb:
Den Pferdefuß der Kurgan-Hypothese hat hyokkose oben ganz richtig benannt: Im Ursprungsgebiet der Kurganleute – d.h. im Steppengebiet Südrusslands – finden sich in fraglicher Zeit keine archäologischen Hinterlassenschaften wie z.B. Streitäxte oder Schnurkeramik, die ja bei Marija Gimbutas quasi Leitfunktion haben.

Weder Streitäxte noch Schnurkeramik haben bei Marija Gimbutas Leitfunktionen, zumindest nicht in ihrem letzten Buch zum Thema ("Das Ende Alteuropas - Der Einfall von Steppennomaden aus Südrußland und die Indogermanisierung Mitteleuropas, Innsbruck 1994"), das hinsichtlich örtlicher und zeitlicher Lokalisierung bemerkenswerte Diskrepanzen zu ihren früheren Veröffentlichungen aus den 1950ern/1960er Jahren aufweist.

In diesem Buch wird eine deutliche Trennlinie zwischen "Kurgan/Spätjamna" und "Schnurkeramik/Streitaxt" gezogen. Leider liefert sie kaum Hinweise auf die Verwandtschaft beider Kulturen, wenn man von einem Hinweis auf die überwiegende Bestattung von Männern absieht.
Zur Ausdehung der Schnurkeramik-Kultur schreibt sie:
Gimbutas schrieb:
ihr östlichster Zweig ("Fat'janovo") drang vor bis zum oberen Wolgabecken in Mittelrußland.

Dies hatte ich im Hinterkopf, als ich schrieb, daß die Schnurkeramik im eigentlichen Kurgan-Gebiet nicht vorkommt.

Richtig ist Popes Einwand, daß schnurverzierte Gefäße als solche sich auch in der Gegend der Srednij-Stog- und Grubengrabkultur findet.

Klare Indizien, daß sich diese Kulturen nach Mitteleuropa hinein ausgedehnt hätten, sind jedoch nicht beizubringen. 1990 fand ein Schnurkeramik-Symposium statt, bei dem u. a. die Frage der Ausbreitung dieser Kultur erörtert wurde. Dmitrij Jakovlevic Telegin - als Vertreter der Kurgan-Hypothese - versuchte seinerzeit, die Herkunft aus den Steppenregionen durch Gemeinsamkeiten der Bestattungsgebräuche und die (aufgrund der Funde von Dereivka aufgestellte) Hypothese der Pferdedomestikation zu untermauern.

Während die Basis der Pferde-Hypothese mittlerweile durch Radiokarbondatierungen zusammengebrochen ist, wurden die angeblichen Gemeinsamkeiten der Bestattungssitten von Alexander Häusler, einem der profiliertesten Kritiker der Kurgan-Hypothese (jedoch keineswegs einem Anhänger der Anatolien-Hypothese!) auseinandergenommen, welcher zur Schlußfolgerung kommt:

Alexander Häusler schrieb:
Ockergrabkultur und Schnurkeramik stellen sich uns also als zwei konträre, grundsätzlich unterschiedliche Kulturareale mit grundverschiedenen Strukturen dar.

Was das Schnurornament als solches betrifft, mußte auch Telegin zugeben:
Dmitrij J. Telegin schrieb:
Das Schnurornament in den schnurkeramischen Kulturen wurde offensichtlich von den vorherigen äneolithischen Stämmen der Trichterbecher und Kugelamphoren ererbt.

Die kontinentaleuropäischen Gruppen der Kultur mit Schnurkeramik - Schnurkeramik-Symposium 1990, Prag 1992
Darin:
Dmitrij Jakowlewitsch Telegin, Zum Ursprung der Schnurverzierung
Alexander Häusler, Zum Verhältnis von Ockergrabkultur und Schnurkeramik
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Pope schrieb:
Lässt sich zudem nachweisen, dass die Bandkeramische Kultur ohne Zutun größerer Kolonisierungswellen aus Anatolien entstanden ist - was mir mittlerweile durchaus plasibel erscheint -, dann wäre für mich die Anatolien-These gegessen.

Da möchte ich doch fragen, was Du Dir unter "größeren Kolonisierungswellen" vorstellst.



Pope schrieb:
Ein neues Saatgut alleine trug sicherlich keine PIE-Sprache über den europäischen Kontinent.

Getreidekörner allein machen ja auch keine neolithische Revolution.
 
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