Erstens: Es wurde berichtet, dass der König seinen Verpflichtungen bis zum letzten Tag nachgekommen war, d.h. alle Dokumente, die ihm auf das Schloss Neuschwanstein zum Unterschreiben gebracht wurden, auch unterzeichnete - wie konnten die Gutachter dann aber sagen, er wäre seit 1 Jahr regierungsunfähig?
Weil Regieren in der Zeit eines konstitutionellen Systems ein wenig mehr umfasste als einfach nur vorgelegte Dokumente zu unterzeichnen?
Wenn er sich tatsächlich krankheitsbedingt mehr und mehr von der Außenwelt abschottete, nicht mehr bereit war öffentlich aufzutreten zu repräsentieren und aktiv regelmäßig Rügsprache mit der Regierung zu halten, dann war er objektiv regierungsunfähig, was die Anforderungen der Zeit betrifft und dafür scheint einiges zu sprechen.
Fraglicher ist die Sache mit der Entmündigung.
Hilmes hat dazu die Theorie aufgestellt, dass die Entmündigung der einzige weg gewesen sei eine Entbindung Ludwigs von den Regierungsgeschäften zu erreichen.
Und zwar mit dem Argument, dass wenn der König wegen Geisteskrankheit nicht mehr befähigt war politische Entscheidungen zu treffen, auch eine Abdankungserklärung in ihrer Gültigkeit fraglich wäre, wenn sie aus dem Zustand psychischer Beeinträchtigung heraus zustande gekommen wäre und somit möglicherweise nicht den unverfälschten Willen des Monarchen widergespiegelt hätte, was für die Bindewirkung des Schrittes aber notwendig gwesen wäre.
Ich persönlich finde diese Argumentation nicht überzeugend, zumal man Ludwig um ihn von der Regierung zu entbinden nicht unbedingt (ich hatte hier schonmal auf Ferdinand I. v. Habsburrg verwiesen) formal absetzen musste, sondern die Einsetzung eines Regenten der das übernimmt bei formaler Wahrung der Ansprüche des Königs ebenso ein denkbarer Weg gewesen wäre.
Im Übrigen ist dieser Weg später auch bestritten worden, weil die Königswürde hiernach auf Ludwig II. Bruder Otto überging, dessen geistige Leiden wohl noch schwerwiegender waren und der erst recht regierungsunfähig war, hier allerdings hatte man dann kein Problem damit den Weg einer Regentschaft am nominalen König vorbei zu wählen.
Hier wäre meines Erachtens Diskussionspotential, bei der Plausibilität der Regierungsunfähigkeit Ludwig II. selbst, sehe ich das nicht. Das war durchaus plausibel.
Zweitens: Gudden befragte allein die Zeugen, d.h. all jene, die mit dem König konkret Kontakt hatten, und die anderen 2 Gutachter nachher nur (mündlich?) informierte, was diese aussagten, und schließlich das Gutachten auch allein schrieb, das die zwei anderen nicht gelesen, sondern aufgrund der Kürze dieser zweiten Zusammenkunft höchstens durchgeblättert haben konnten mit der Folge: sie haben das Gutachten quasi blind unterschrieben.
Wie ich das verstehe, waren die beiden anderen Gutachter dazu da, die Plausibilität des Gutachtens zu überprüfen und nichts weiter.
Wird heute irgendwo ein Zweitgutachter wege einer zweiten Meinung hinzugezogen, beschäftigt der sich in der Regel auch nur mit dem Ergebnis in Form des Gutachtens und ist nicht zwangsläufig vom ersten Schritt an bei der Entstehung des Gutachtens zugegen.
Zweitens: Hältst du es eventuell für möglich, dass die anderen beiden Gutachter über Aussagen aus dem Umfeld aus anderer Quelle Kenntnis hatten?
Gudden selbst war aus dem Umfeld derer, die Kontakt zum König hatten mit der Sache betraut worden, die anderen beiden Gutachter ebenso. Es kann also durchaus sein, dass sie bereits von anderer Seite als über Gudden über Vorkommnisse imm königlichen Umfeld orientiert waren.
Sollte dies der Fall und die Information hinreichend präzise gewesen sein, wird es auch relativ schnell möglich gewesen sein, sich mit Gudden darüber auszutauschen, wass dieser zu diagnostizieren gedachte und über die Plausibilität dessen.
Drittens: Wie verträgt sich Guddens Rolle als Gutachter mit seiner späteren Rolle als behandelnder Arzt des Königs?
Grundsätzlich einwandfrei, was das Medzinische betrifft. Warum sollte es grundsätzlich ungewöhnlich sein, dass der behandelnde Arzt auch die Diagnose selbst stellt? Ist vielleicht im Massenbetrieb eines modernen Krankenhauses nicht unbedingt üblich, aber abseits davon?
Viertens: Und wieso ordnete Gudden am besagten Abend an, dass kein Pfleger beim Spaziergang mitgehen dürfe? Bei einem Spaziergang am Nachmittag des gleichen Tages ging ein Pfleger in ca. 30 m Entfernung den beiden nach.
Möglicherweise deswegen weil er ausloten wollte, wie viel Freiraum man dem Patienten lassen konnte und weil es am Nachmittag keine Probleme gegeben hatte, was man als Hinweis auf einen stabilen Zustand nehmen konnte?
Wenn man davon ausgeht, dass Ziel der Therapie/Behandlung die tatsächliche Besserung des Zustands, nicht einfach das Verwahren war, wäre das Ziel der ganzen Angelegenheit gewesen dem Patienten am Ende wieder ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, so weit das Krankheitsbild das zuließ.