Weshalb blieben Männer in einem Ministeramt, die nicht ausgewiesene Nationalsozialisten waren und leisteten loyal ihren Dienst, teils bis zum Ende des Krieges?
Das wird man sich im Einzelfall ansehen müssen, aber da sehe ich verschiedene, denkbare Motivationen:
1. Handfeste persönliche Vorteile
2. Möglicherweise die Vorstellung in Überschätzung der eigenen Bedeutung maßgeblichen Einfluss nehmen zu können
3. Scheu davor sich beruflich in schwierigen Zeiten komplett neu orientieren zu müssen (gerade bei den Berufspolitikern, deren Berufsfeld mit dem Verbot anderer Parteien und der Ausschaltung des Reichstags, gerade komplett weggebrochen war.
4. Übereinstimmung mit bestimmten Positionen der Nazis
5. Selbsstäuschung im hinblick auf die Annahme für alles, was außerhalb des eigenen Kernbereichs passierte nicht verantwortlich zu sein.
6. Ab einem bestimmten Punkt möglicherweise auch die Einsicht, persönlich so sehr in die Machenschaften des Regimes involviert zu sein, dass es nicht mehr möglich sein würde sich davon so einfach los zu sagen.
Müsste man sich wie gesagt im Einzelfall ansehen.
Wenn wir hier nicht lauter Ausnahmen annehmen, können wir doch zumindest vermuten, dass es auch im Bürgertum viele Anhänger des Regimes gab.
Inwiefern lauter Ausnahmen? Diese Personen sind schon auf Grund ihrer Positionen insofern Ausnahmen, als dass ihnen Vergünstigungen geboten wurden, die dem Bürgertum als solchem nicht zur Verfügung standen.
Wir reden hier immerhin von einer priviligierten Elite.
Auch die NS-Wahlergebnisse vor 1933 waren ja schon sehr gut, und sie gingen offenkundig zu Lasten der bürgerlichen Parteien mit Ausnahme des Zentrums.
Nun, wie gesagt, hinsichtlich Hitlers Wählerschaft liegt ja die Analyse Falters vor, die das Bürgertum als stärkste Wählergruppe der NSDAP ausweist.
Wie gesagt, sind das allerdings nur bis 1933 belastbare Zahlen, wo das Regime 5 oder 10 Jahre später die meisten Anhänger hatte, wird schwer auszumachen sein, zumal sich die Bevölkerungsstruktur Deutschlands durch die Annexionen umliegender Staaten und Gebiete ja durchaus auch noch änderte.
So weit mir bekannt, war es in Österreich wohl grundsätzlich vor allem die Position der Christsozialen und anderer Konservativer den eigenständigen Staat erhalten zu wollen, während unter den österreichischen Sozialdemokraten/Sozialisten (man korrigiere mich, wenn ich hier falsch liegen sollte) ein Anschluss an Deutschland bereits deutlich vor Hitler einige Beführworter hatten.
Dementsprechend mag das Regime nach 1938 in der Meinung der Arbeiterschaft Österreichs möglicherweise etwas besser weggekommen sein, als im übrigen Deutschland, im später annektierten "Sudetenland" und in den annektierten Teilen Polens, in denen letztendlich auch größere Teile der Arbeiterschaft, sofern deutschsprachig den Anschluss an Deutschland wollten, mag es sich damit ähnlich verhalten haben.
Weiterhin kommt die Politik der Aufrüstung hinzu, die zwar wegen des Lohnstopps und der Importlücken die Lebensqualität der Arbeiter nicht unbedingt verbesserte, aber zumindest durch das Hochfahren der Produktionskapazitäten und die Versorgung der Unternehmen mit Staatsaufträgen, kurzfristig erstmal Arbeitsplätze sicherte.
Das macht es für mich durchaus vorstellbar, dass sich die Unterstützung für Hitler zwischen 1936 und 1940 möglicherweise durchaus merklich in Richtung der Arbeitermillieus verschob, während im Gleichen Zeitraum Unterstützung aus dem bürgerliche/konservativen Lager etwas nachgelassen haben könnte.
Das ist allerdings rein hypothetisch und lässt sich nicht beweisen, da wirklich repräsentative, neutrale Erhebungen über die Stimmung in Deutschland kaum noch möglich waren.
Die SoPaDe versuchte zwar noch einige Zeit von Prag aus, systematisch die Stimmung in Deutschland zu erfassen, aber die Möglichkeit das wirklich repräsentativ und außerhalb des Untergrunds zu machen, gab es kaum und auch das endete dann mit dem deutschen Einmarsch in der "Resttschechei".
Dass Hitler dieser Schicht zumindest verbal immer mal wieder entgegenkam, mag bis 1934 auch mit Hindenburg zu tun gehabt haben, aber der Reichspräsident war natürlich auch nicht der Einzige, dessen Hilfe die NS-Regierung benötigte, um an der Macht zu bleiben.
Auch das ist, würde ich sagen, zeitabhängig.
Hitler war in den ersten Jahren seines Regimes sicherlich auf die Kooperation des alten Staatsaparates angewiesen, aber mit dem Umbau der Universitäten zu faktischen NS-Kaderschmieden, war das im Bereich der Verwaltung zunehmend weniger notwendig.
Die Reichswehr mit ihren 100.000 Mann wiederrum war so klein, dass die Nazis die dortigen konservativen Elemente recht schnell absorbieren konnte.
Als 1935 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wird, wird die Armee mit Rekruten überflutet, die zum Teil schon Vorprägungen aus der Hitlerjugend mitbringen und in den folgenden Jahren wird das institutionell, hinzu kommen die in die Reichwehr übernommenen SA-Kader.
Durch den rapiden zahlenmäßigen Ausbau der Armee wurden auch neue Spitzenpositionen geschaffen, so das Güstlinge des Regimes hier schnell aufrücken und in konkurrenz zu den alten Militäreliten treten konnte.
Es gab nun einmal eine große Offenheit gerade im national gesinnten, protestantischen Bürgertum gegenüber "Bewegungen", die sich als patriotisch, antimarxistisch und revisionistisch präsentierten und behaupteten, die Arbeiterschaft wieder mit der Nation versöhnen zu können.
Es gab diese Offenheit in der Zeit freier Wahlen, aber das sagt uns wenig darüber aus, wie offen das Bürgertum in dem Moment blieb, als dann die Diktatur da war, die auch in sein Leben eingriff, die gegebenen Versprechen aber nicht halten konnte.
Zudem, wie gesagt, auch die Struktur des Bürgertums veränderte sich ja im Laufe der Zeit.
Mit der Annexion Österreichs, der tschechischen Gebiete und der westponischen Gebiete, veränderte sich z.B. die Struktur des Bürgertums dahin, dass es in der der Summe wesentlich katholischer wurde, in Teilen (Österreich) dem eigenen Staat nachtrauerte und in Teilen möglicherweise auch weniger anfällig für antimarxistische Rhetorik waren, weil die Sozialdemokratie und die Kommunisten in der Gesellschaft in der sie sich vorher bewegten, weniger stark waren, als in Deutschland.
Österreich nach 1918, hat außer Wienund keinen wirklich großen städtischen Ballungsraum und abgesehen von zwei drei mittelgroßen Städten wie Linz, keine natürliche Machtbasis der Arbeiterbewegungen.
Und den österreichischen Konservativen, die eigentlich am eigenen Staat festhalten wollten zu versprechen die österreichische Arbeiterschaft auf Deutschland einzuschwören wird sicher auch nicht unbedingt zu Begeisterungsstürmen im dortigen Bürgertum geführt haben.
Außerdem sitzt in Österreich ja bereits Vorher eine faktische Rechtsdiktatur unter Dollfuß und dann unter Schuschnigg im Sattel, so dass das Bürgertum kaum Angst vor kommunistischen Umstürzen gehabt haben dürfte und sich mit der eigenen Diktatur möglicherweise besser identifizieren konnte als mit der aus Berlin.
Im "Sudetenland" und in den deutschsprachigen Gebieten Polens, brauchte es niemanden, der versprach die Arbeiterschaft auf "nationalen" Kurs "zurück zu führen", weil sie in Teilen bereits vor Hitler so eingestellt war
Unter diesen Umständen mag die Rhetorik beim Bürgertum in Deutschland 1933 möglicherweise besser verfangen haben, als 6 Jahre später in einem völlig anders zusammengesetzten Bürgertum, dass mit den Narratven Hitlers möglicherweise viel weniger anfangen konnte, weil es aus einer ganz anderen politischen Umgebung kam, in der die Narrative, die in Deutschland vielleicht verfingen möglicherweise so gar nicht passten.
Ich möchte damit die Grundannahme, dass das Bürgertum immer eine wichtige Stütze des Regimes blieb, gar nicht anzweifeln.
Ich sehe aber Gründe, warum sich mindestens zwischenzeitlich die Gewichte verschoben und rückverschoben (der Krieg traf in Form des Luftkrieges zuerst die Arbeitermilleus in den Großstätten) haben könnten und ich halte das Verbleiben von einer Hand voll bürgerlicher Minister nicht für ein gutes Stimmungsbarometer für die Loyalität des Bürgertums zum Regime.