Diese Diskussion ist entlarvend wie erschreckend zugleich, obwohl sie für mich nicht überraschend ist, da hier vieles schon längst in anderen Fäden über Jahre hinweg angeklungen war.
Gemessen an der Vielfalt der unterschiedlichen Positionen im Forum eine ziemlich krude Verallgemeinerung. Ich frage mich nur, wer sich bei diesem Urteil angesprochen fühlen soll? Geht es nicht ein wenig konkreter?
... oder sagen wir auch Faschismus, seine Wurzeln durchaus in den vorangegangenen Jahrzehnten hatte. Dazu brauchen wir noch nicht einmal „Systemvergleiche“, mit deren fehlender Deckungsgleichheit weiter oben schon Thanepower argumentieren wollte. Man kann doch nicht einfach die Haltung der Gesellschaft und die Befindlichkeiten ihrer Individuen ausblenden. Systeme werden ja erst von Menschen gemacht, und ein ganzer Teil der Gesellschaft war ja ua. schon in der Zeit der Monarchie sozialisiert worden, als er 1933 zur Urne schritt.
Es freut mich natürlich ausgesprochen, dass jemand das Problem von Agent und Structure anspricht und damit ebenfalls die Form der Sozialisation. Dieses Problem habe ich in Anlehung an Archer, Giddens und Habermas versucht zu diskutieren, um die Reproduktion von Strukturen anzusprechen.
http://www.geschichtsforum.de/f72/das-handelnde-individuum-der-geschichte-43556/
Das Problem sollte jedoch noch erweitert werden, da die Reproduktion von Strukturen m.E. am weitestgehendsten durch die Arbeiten von Bourdieu zur Reproduktion der unterschiedlichen Kapitalsorten erklärt wird, bzw. es hat sich Michael Mann (The Sources of Social Power) im Rahmen eines makrosoziologischen Ansatzes der historischen Soziologie ebenfalls unter dem Aspekt unterschiedlicher "Macht-Quellen" mit dem Phänomen der Reproduktion von Macht beschäftigt.
Welchen Ansatz vertrittst Du denn zu diesem Themenkomplex, da ich natürlich nicht davon ausgehe, dass es lediglich so trivial zu verstehen ist, wie oben formuliert?
Nämlich, dass man heute die Zeit des Nationalsozialismus isolieren möchte, quasi als „Ausrutscher“, und dass nur deswegen, um die Verantwortung der bürgerlichen Gesellschaft diesbezüglich zu marginalisieren. Dahinter steckt ganz klar eine Geschichtspolitik, die sich schon längst auf die Gestaltung von Lehrbüchern aber auch auf „Dokumentationen“, wie auch auf die Inhalte von Lehrerkonferenzen ausgewirkt hat, und zwar in etwa seit der Zeit des Mauerfalls und der sich anschließenden so genannten Berliner Republik.
Ich beziehe diese Aussage auf die Eingangs formulierte pauschale Beurteilung des Forums und es wird damit unterstellt, dass hier ähnliches formuliert wird.
Vor dem Hintergrund des durchaus breiten politischen Spektrums des Forum geht diese Vermutung ins Leere. Alleine mir hat man wiederholt "Marxismus", "Stalinisnis" oder ähnliche freundliche Bewertungen angeheftet und nur, weil ich gewagt habe zu widersprechen.
Aber die Vielfalt der unterschiedlichen Positionen hast Du, obwohl Du ja ein intimer Kenner des Forums bist, wohl versehentlich überlesen.
Die Frage muss doch sein, warum verhielten sich die Menschen in den letzten Jahrzehnten der Monarchie schon so?
Natürlich hatten wir damals noch keinen Holocaust. Aber soll das etwa dazu reichen, dass man die Wurzeln des Nationalsozialismus nicht auch in der Spätphase der Monarchie zu suchen habe? Natürlich waren Rassismus und Chauvinismus, von ihrer Qualität her, nicht so ausgeprägt wie im Nationalsozialismus, - angelegt waren sie aber schon längst.
Das Hitler und sein NS-System nicht voraussetzungslos waren, wurde bereits deutlich betont:
Und es ist ebenfalls wichtig, auf die historische Genese des Antisemitismus in der NS-Bewegung einzugehen. So stellt MacGregor Knox (S. 341ff), Link wurde ebenfalls bereits eingestellt, in den Vordergrund, dass Hitler bereits um 1920 ein Amalgam aus vielen unterschiedlichen Slogans erzeugte und zu einem neuen System der "Ideologie" verband. Dabei bezog er sich nicht unerheblich auf die Aussagen des "Schutz- und Trutz- Bund".
Ansonsten, wie haben sich die Menschen denn im Kaiserreich verhalten? Die SPD war die stärkste Partei und Rosa und Karl organisierten die Avantgarde der Arbeiterbewegung. Wie haben sich diese ca. 35 Prozent der Wähler im Kaiserreich verhalten als Einstimmung auf Gewaltexzesse im WW1? Welche Studien zur Soziologie der Arbeiterkultur im Kaisserreich wird denn da von Dir angesprochen?
Und in der weiteren historischen Linie, vielleicht solltest Du die unterschiedlichen Meinungen ansehen, die E. Fromm in "Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches" darstellt, un sehr gravierende Unterschiede in der politischen Sozialisation deutlich machen, die absolut nicht auf "willige Helfer" für Hitler hingewiesen haben.
oder wie bei dekumatland beschrieben:
wenn es um die Frage geht, welche Wurzeln die rassistische und antisemitische NS-Ideologie hatte - man kann eher darüber nachdenken, ob die Jahre von 1871 bis 1918 ausschließlich von Gestalten wie Lanz von Liebenfels & Co. bevölkert waren... tut man dies, stellt man fest, dass diese Zeit im gesamten deutschsprachigen Raum nun mal nicht einzig und allein von Prä- oder Protonazis bevölkert war, und das schon gar nicht mehrheitlich. Die Gründer- und Jugendstil- und Naturalistenzeit hat nicht nur Pränazis hervorgebracht und schon gar nicht wird sie durch solche charakterisiert.
Dazu brauchen wir noch nicht einmal „Systemvergleiche“, mit deren fehlender Deckungsgleichheit weiter oben schon Thanepower argumentieren wollte.
Die in der Historiographie derzeit am weitesten entwickelte komparative Diskussion betrifft die Theorie über "Totalitarismus", aber das weist Du ja natürlich. Und im Rahmen dieser Diskussion wird deutlich, dass trotz der offensichtlichen Ähnlichkeiten der beiden Regime, je differenzierter man sich damit beschäftigt, die Unterschiede deutlicher hervortreten. So zumindest die übereinstimmende Bewertung aus den beiden Readern.
Und genau deswegen bedarf es schon einer ausführlicheren Darstellung, ob es nun eine Kontinuität oder sogar eine Kausalität gibt vom Kaiserrreich zum NS-System, weil die Methodik des Vergleich im Prinzip ähnlich ist. Und es ist zu fragen, wodrin diese Kontinuität besteht. Der Verweis auf irgendwelche Gewalt ist da sicherlich nicht ausreichend oder beliebig, da er für nahezu alle europäischen Länder gilt als universelles Phänomen, wie bei Pinker!! nachzulesen.
Beyond Totalitarianism: Stalinism and Nazism Compared - Michael Geyer - Google Books
Stalinism and Nazism: Dictatorships in Comparison - Google Books