Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1

Die Frage aber bleibt doch:
Inwieweit konnten sich die russischen Entscheidungsträger sich eines solchen fatalen Mechanismus bewusst sein und diesen mit ihren Handlungen abgleichen?

1. In vorangegangenen Krisen zwischen 1905 und 1913 hat Russalnd als Großmacht dem DR bei politischen Konflikten nachgegeben wie 1908 besonders deutlich.

2. Das DR hat sich bei seiner Außenpolitik in hohem Maße nach 1890 auf militärische Macht und weniger auf diplomatisches Geschick verlassen. Das hat in Europa zu einer generellen Entfremdung, aus der Sicht des DR zur "Einkreisung" geführt.

3. Die Formulierung des Ultimatus an die Serben war so scharf formuliert, nach damaligem diplomatischn Verständnis, dass es als nicht annehmbares Ultimatum verstanden wurde und somit unter anderem durch Sazonow sofort als konstruierter Anlaß für einen Krieg interpretiert wurde.

4. Diese Haltung unterstellte Sazonow als Motivation Ö-U und unterstellte ebenfalls, dass das DR die militärischen Machtmittel zur "Drohung" zur Verfügung stellen würde, wie in den Jahren zuvor. Und analysierte die Situation damit zutreffend.

5. Die "Lösung" der Serbienfrage zielte aus der Sicht von Ö-U darauf ab, Serbien territorial zu belassen, es aber als "Satelliten"-Staat in das informelle Imperieum von Ö-U zu integrieren

6. Dieses konnte Russland vor dem Hintergrund der Kriege gegen das Osmanische Reich und seinen eigenen Kriegstoten nicht akzeptieren und darauf basierte der publizistische Druck von Seiten der Pan-Slawisten.

7. Vor diesem Hintergrund hat Russland mobilisiert und war sich durchaus bewußt, dass es für einen potentiellen Krieg mobilisieren würde. Einmal mehr, Russland hat mobilisiert, weil es sich durch die Veränderung des politischen Status quos auf dem Balkan - Süd-Slawen-Problem - in seiner Rolle als "Schutzmacht" bedroht sah.

8. Hätte sich Ö-U vollständig mit seinen Vorstellungen in Serbien durchgesetzt, dann wäre das politische Ergebnis für Russland identisch gewesen mit einem weiteren verlorenen Krieg. Und hätte massive Auswirkungen auf seine "Bündnisattraktivität" in ganz Süd-Ost - Europa gehabt.

Und weil es den beiden anderen Mächten kriegerische Absischten unterstellt hatte. Die ja auch vorhanden waren. Insofern waren die Einschätzungen von Sazonow nicht ganz falsch.

Den engen Zeitplan, insbesondere die zentrale Rolle von Lüttich, des Schlieffenplan kannte Sazonow natürlich nicht. Den kannte noch nicht mal KW II und auch nicht der Kriegsminister Falkenhay. Das war eines der best gehütesten militärischen Geheimnisse.

Letztlich ist die russische Führung und auch die französische Führung durch die Krise "überrollt" worden. Das Ultimatum ist gezielt zu dem Zeitpunkt abgeschickt worden an dem die französische Führung auf See war. Zudem hat das DR durch Störsender gezielt die Kommunikation zwischen Frankreich und den Schiffen versucht zu unterbinden und somit die Abgewogenheit der Meinungsbildung durch die französische Führung negativ beeinträchtigt.

Und die Geschwindigkeit der Entwicklung lief ja auch innerhalb von ca. einer Woche!!! ab , seit dem 23. 07. 1914. Gemessen an den langen Verzögerungen von Telegrammen bis zum Lesen durch die Zielperson verging relativ lange Zeit. Es wurden Entscheidungen von allen Seiten getroffen vor dem Hintergrund einer sehr eingeschränkten Sicht auf die realen Prozesse.

Und deswegen wäre es extrem wichtig gewesen, dass es keine militärischen Pläne gegeben hätte, die das Primat der Politik durch vermeintliche Sachzwänge und in Form von Automatismen eingeschränkt haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auf russischer Seite wird man sich schon den einen Aspekt klargemacht haben (Meaning of Mobilization): das eine deutsche volle Mobilmachung zeitlich nicht wie eine russische aufrecht "gehalten" werden kann.

Über das Ausmaß, nämlich in welcher zeitkritischen Taktung Kriegsvorbereitungsphase, Mobilmachung und sofortiges Losschlagen beim deutschen Generalstab binnen Tagen angesetzt war, bestand aber keine Klarheit. Die bestand auch nicht bei der deutschen Politik, wie die Moltke-Analyse zeigt.
 
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Den engen Zeitplan, insbesondere die zentrale Rolle von Lüttich, des Schlieffenplan kannte Sazonow natürlich nicht. Den kannte noch nicht mal KW II und auch nicht der Kriegsminister Falkenhay. Das war eines der best gehütesten militärischen Geheimnisse.

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Gleichwohl aber scheint die grundlegende militärische Planung des DR bekannt gewesen zu sein, folgt man Schmidt:
Zwar galt es dem [französischen] Generalstab als eine gesicherte Erkenntnis, daß das Deutsche Reich in einem Koalitionskrieg zunächst
einen militärischen Erfolg über Frankreich suchen und in dieser Absicht
die Neutralität Belgien verletzen würde. Doch vermochte er hinsichtlich
des konkreten Plans und insbesondere des zeitlichen Ablaufs der militärischen
Operationen des Deutschen Reiches nur eine Reihe von Hypothesen
zu formulieren.
http://www.perspectivia.net/content/publikationen/phs/schmidt_aussenpolitik/at_download/file Seite 159/160.

Es scheint also so zu sein, dass zumindenst der französische Bündnispartner erkennen konnte, welchen fatalen Mechanismus ein russische Gesamt-Mobilmachung in Gang setzen konnte.
Es scheint mir naheliegend anzunehmen, dass das Drängen der französischen Seite auf eine, im Konfliktfalle, möglichst schnell durchzuführende Mobilisierung des russischen Verbündeten, von diesem nicht verstanden werden konnte,
ohne den, wie es scheint, vorher grundsätzlich bekannten Ablaufplan des DR vorauszusetzen.

(Was die Wahrnehmung des Sachverhaltes durch KWII angeht, so wundert mich ehrlich gesagt, bei diesem launischen Spieler auf der Bühne wenig.
Das macht die Sache vielleicht auch zusätzlich unentwirrbar.
Und schaut man sich die Beschreibung der "intellektuellen Fähigkeiten" von NikolausII durch Graf Witte an, dann hat einen noch autokratischeren Herrscher mit noch geringerer Eignung sein Amt zu bekleiden)

Gewiss ist es so wie Du im Hinblick auf das DR schreibst:
Und deswegen wäre es extrem wichtig gewesen, dass es keine militärischen Pläne gegeben hätte, die das Primat der Politik durch vermeintliche Sachzwänge und in Form von Automatismen eingeschränkt haben.
Es ist ja sogar so, dass das DR eben nur diesen einen Plan und Automatismus hatte, der im Ernstfall angewendet werden musste, ganz unabhängig von einer vorhandenen politischen Absicht.

Wo ich Dir aber nicht mehr folgen kann:
In dieser Situation zu sagen, die Russen hätten andere Optionen gehabt, ist einerseits natürlich theoretisch richtig, andererseits ist es absolut nicht zutreffend, da sie alle zusätzlich unter nicht unerheblichen komplizierten innenpolitischen Situationen gehandelt haben.
Das scheint mir ja nur dann Sinn zu machen, wenn man davon ausgeht, dass eine Neutralität in der Auseinandersetzung zwischen Ö-U und Serbien zu einer bedrohlichen inneren Destabilisierung hätte führen müssen.
Vielleicht habe ich ja wieder was überlesen, aber worauf fußt diese Annahme?

Und wenn es so war, lässt sich daraus ableiten, dass tatsächlich keine andere Option gewählt werden konnte?
Das scheint mir doch widersinnig zu sein.
Dieser Ansatz lässt sich ja auch teilweise auf eine postulierte Zwangslage des DR anwenden:
Die Handlungsfähigkeit der Reichsleitung war auf dem Felde der auswärtigen Politik in der Spätzeit der Willhelminischen Ära im im allgemeinen und im verschärften Maße in der Julikrise in zweifacher Hinsicht von Komponenten der Innenpolitik her eingeschränkt: 1. durch die in der Bismarckschen Reichsverfassung angelegte Sonderstellung der militärischen Führung, die im Rahmen des Dualismus von ziviler und militärischer Macht, die nur formal, nicht faktisch vom Kaiser (Wilhelm II) integriert wurden, was insbesondere in Krisensituationen auf die Vorrangstellung der militärischen Führung bei der Festlegung der Gesamtpolitik und bei der Entscheidung über Krieg und Frieden hinauslief, und 2. durch die von starken „pressure groups“ und Agitationsverbänden weitgehend nationalistisch-chauvinistisch beeinflusste öffentliche Meinung in Deutschland dieser Zeit.
(Hervorhebung durch mich) Hillgruber – Die Zerstörung Europas – Seite 84/85

War es im Falle Russland nicht auch eher so, dass dieser angebliche innenpolitische Zwang, den man als solchen doch bezweiflen kann, selbst herbeigeführt wurde?
Etwa dadurch, dass man, wie, mehr oder minder, andere Nationen auch, meinte den Chauvinismus selbst hervorzuheben zu müssen?
Und angenommen, man wollte selber als chauvinistischer und diktatorischer Akteur innenpolitische Zwänge dafür bemühen, aussenpolitische Risiken einzugehen,
wäre das denn nicht eher als eine selbsterhaltende Maßnahme zu verstehen, und nicht als eine solche die einem Sachzwang folgen würde?
 
Gleichwohl aber scheint die grundlegende militärische Planung des DR bekannt gewesen zu sein, folgt man Schmidt:

http://www.perspectivia.net/content/publikationen/phs/schmidt_aussenpolitik/at_download/file Seite 159/160.

Es scheint also so zu sein, dass zumindenst der französische Bündnispartner erkennen konnte, welchen fatalen Mechanismus ein russische Gesamt-Mobilmachung in Gang setzen konnte.
Es scheint mir naheliegend anzunehmen,

Der Schluss ist mE zu weitgehend.

Die russisch-französischen Mob-planungen - selbstverständlich auf maximale Geschwindigkeit ausgelegt und angefordert - gingen vom Kriegsfall aus, nicht von der Endphase einer politischen Krise. Somit: wenn der Kriegsfall eingetreten ist -> dann schnellstmöglich. Überlegungen zu Vorphasen oder Krisenverhalten iVm (Teil-)Mobilisierungen gab es mW nicht.

Dann ist weiter das "Wissen" zu relativieren.
Selbstverständlich ging man vom deutschen Hauptschlag im Westen aus, hatte also Vorstellungen von der Operationsidee. Das ist hier im Forum schon mal unter Schlieffenplan diskutiert worden. Zu Frankreich:

May: Knowing One's Enemies - Intelligence Assessment Before the Two World Wars
Hamilton/Herwig: War Planning 1914
Doughty: French Strategy in 1914 - Joffre's Own, JoMH 2003, S. 427.

Diese Grobzüge waren selbst in den Niederlanden bekannt:
Hubert P. van Tuyll: The Dutch Mobilization of 1914 - Reading the "Enemy" 's Intentions, JoMH 2000, S. 711.

Das heißt jedoch nicht, dass in Frankreich (oder Russland, oder auch den neutralen, aber gut informierten Niederlanden) Vorstellungen über die deutsche zeitkritische Taktung von Kriegsvorbereitungsphase/Mob-Fall/und sofortigem Angriff wegen Lüttich bestanden.

Dieses "Räderwerk" eröffnete Moltke auch nicht der deutschen Politik, sondern es war Hintergrund seiner Unruhe und seines Drucks Ende Juli 1914 wegen des Angelpunktes Lüttich, an dem er den Erfolg seiner Offensive "hängen" sah, sozusagen der (erste) seidene Faden:
Mombauer, Moltke, siehe hier: http://www.geschichtsforum.de/f62/der-kult-der-offensive-48746/index5.html#post718024
 
...darf ich aus der engstirnigen Perspektive des Festungsfetischismus ;):D eine kleine Überlegung zu den besonderen Umständen der russischen Mobilmachung beitragen?

In Richtung Westen verließ sich das russ. Imperium auf sein tief gestaffeltes Vorfeld: der seit dem Wiener Kongress von Russland beherrschte Teil Polens, siehe Kongresspolen ? Wikipedia
...ein solches Glacis hat nicht jeder vor der eigenen Grenze ;) und schon die ehemalige Grenze Russlands war kräftig fortifiziert: Kaunas, Grodno, Brest u.a. waren die Großfestungen der ehemaligen russ. Westgrenze. Auf dem polnischen Glacis, das wie ein Dreieck gen Westen vorgeschoben wirkt, wurden im Lauf von 100 Jahren die durch Flußsysteme und Verkehrswege vorgegebenen günstigsten Plätze für Fortifikationen ermittelt und solche auch errichtet. Hierbei passte sich der russische Festungsbau (gen. Dehn, Gen. Totleben*) u.a.) jeweils dem modernsten Stand an, vornehmlich orientiert an der "neudeutschen Manier". So entstanden u.a. die Festungen Iwangorod und Nowo Georgiewsk, welche sich wie die Festungslinie entlang der ehemaligen Westgrenze kaum von den Großfestungen des deutschen Bundes (Bundesfestungen) unterschieden. Interessant bzgl. der Verkehrswege sind die natürlichen Grenzen / Hindernisse, die durch Flüße markiert werden: da ist einerseits als Aufmarschrichtung westwärts das Narew-Bug Flußsystem (Festungen Osowiec, Lomza, Zegrze), andererseits die Weichsel als von süd nach Nord verlaufender Riegel (Festungen Nowo Georgiewsk (Modlin), Warschau, Iwangorod (Deblin))**)
Das 19. Jh., Industrialisierung, Technisierung, Eisenbahn, Fortschritt - auch im militärischen Bereich: weitreichende Artillerie, Brisanzgranatenkrise. Auf all das musste das russ. Militär reagieren - und reagierte. Analog zu den fortifikatorischen Neuerungen nach der Brisanzkrise wurden moderne Fortgruppen / Befestigungsgruppen errichtet, Beton, Stahlbeton, Beobachtungskuppeln, Panzertürme, Stacheldraht etc all das wurde wie in den Großfestungen des dt. Reichs mit immensem Aufwand gebaut. Exemplarisch hierfür sei das (geplante, nicht komplett realisierte!!) Festungsdreieck Modlin-Zegrze-Warschau sowie Osowiec und Brest genannt.
...freilich "100 Jahre, das ist eine lange Zeit" (Buddenbrooks) ;) und so wurde in Russland ebenso wie im dt. Kaiserreich das pro und contra des Festungsbaus nach der Brisanzkrise vehement und kontrovers diskutiert - die Folge der mal fließenden (pro) mal gestoppten (contra) Finanzmittel zeigte sich kurz vor WW I:
- das projektierte gigantische Festungsdreieck wurde nicht realisiert
- die Gürtelfestung / Großfestung Warschau wurde aufgelassen / demontiert
- Modlin wurde als Festung erster Klasse immens verstärkt und modernisiert (1908-15, blieb aber teilweise immer noch Baustelle (vgl. Fort Henrysin))
- Warschau wurde dann hekti 1913 doch wieder teilweise reaktiviert (Betonbauten im äußeren Fortgürtel)
...mal wollte der Zar "keine Millionen Rubel im Boden verbuddeln", mal wollte er das doch wieder - man erinnere sich an die Baustelle Port Arthur, die sehr lange unversorgt moderner Artillerie standhielt: diese "Festungsprobe" nach der Brisanzkrise stieß allseits auf großes Interesse der Militärs

Eisenbahnen konnte das russ. Imperium bauen, man denke nur an die Transsib. Und es baute welche, z.B. auch die vornehmlich militärisch genutzten Bahnlinien entlang des Bug-Narew Systems, nach Warschau -- und wie beim pro und contra bzgl. der Fortifikation baute man nicht genügend (wg der Möglichkeit, dass sie einem schnell vordringenden Feind zeitweilig nützen könnten)

??? was hat das mit dem Aufmarsch, mit den logistischen Problemen 1914 zu tun? Es beschreibt den Sonderfall der russischen Bedingungen***) für einen großen Aufmarsch: auf Grund der geografischen Bedingungen (weite Räume, wenige zentrale Bahnlinien) und der gen Westen strukturierten Fortifikationsketten hielt man einen weitaus größeren Zeitrahmen für unproblematisch, da man auf den Schutz der Weiträumigkeit und der Festungssysteme und der eher wenigen Bahnlinien vertraute

__________
*) da gelegentlich in den Fäden über WW I von der Unfähigkeit, Sturheit, Unflexibilität etc. der hohen Militärs die Rede ist, sei erwähnt, dass sich dieser General seinerzeit beim Zaren für den verbannten Schriftsteller F.M. Dostojewski eingesetzt hatte und dafür selber einigen Ärger in Kauf nehmen musste... (!)
**) ich hatte in einem Beitrag vor 3 Jahren eine Karte der russ. Bahnlinien und Festungsketten in Polen gepostet, finde den aber gerade nicht...
***) einerseits ragt das fortifizierte "Dreiecks-Glacis" bis an die Weichsel, andererseits lauern um es herum zahlreiche deutsche und österr. Festungen (Königsberg, Weichselmündung, Graudenz, Boyen, Thorn, Posen, Krakau, Przemysl) --- wir finden nur entlang der dt.-franz. Grenze ein ähnlich dichtes "Festungsvorkommen"
 
**) ich hatte in einem Beitrag vor 3 Jahren eine Karte der russ. Bahnlinien und Festungsketten in Polen gepostet, finde den aber gerade nicht...

Diese hier?
http://www.geschichtsforum.de/f62/d...914-bis-1917-18-a-4763/index5.html#post557968

Schöner Beitrag. Er macht auch deutlich, dass der zeitliche Druck auf die russische Seite nach 1900 der Allianz/dem Zweiverband geschuldet war. Die unterschiedlichen Schwerpunkte oder Wechselfälle im Festungsbau könnte man noch mit den Planentwicklungen abgleichen, sozusagen den wechselnden Schwerpunkten "gegen Deutschland" oder "gegen Österreich".
 
Die Interessenslage Russlands auf dem Balkan

Was mir schleierhaft bleibt ist die Interessenslage Russlands auf dem Balkan.
Ich will mal einen Versuch machen und bitte ggf. um Korrekturen und auch Ergänzungen:

Da findet sich der „Panslawismus“ der ja im Falle Russlands nicht ganz widerspruchsfrei sein sollte, da es große eigene ethnische Minderheiten gibt. Aber immerhin sind gut 2/3 Slawen
(Kappeler – Russland als Vielvölkerstaat – Tabelle 3)
Dabei frage ich mich inwiefern die Niederlage Russlands in Asien 1905 den Fokus, innenpolitisch wie außenpolitisch, auf den Balkan ausrichtete.

Man kann das in den Zusammenhang mit dem bereits erwähnten allgemeinen Imperialismus bringen, der als solcher Ziele braucht um als Idee fortzubestehen.

Ebenso haben beide Aspekte eine Rückwirkung auf eine innenpolitische Situation, die umso anfälliger für den Einfluss von „pressure groups“ ist, je geringer sich die innere Attraktivit des vorhandenen Gesellschaftsmodell gestaltet (eine These).

Einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt werden wohl die Dardanellen dargestellt haben, die eben am Balkan grenzen. Eine Schließung dieser Meerenge musste bedrohlich sein und der vergebliche Kampf um deren Beherrschung hat dementsprechend eine lange Vorgeschichte.

Eine nicht unwesentliches Interesse am Balkan kann auch in einer wünschenswerten Schwächung des Rivalen Ö-U vermutet werden, der sich eines inneren, wie äußeren Irredentismus, erwehren muss, welcher sich besonders auf dem Balkan kristallisieren kann.

Aber wie soll man das gewichten??
(Und auch das vor dem Hintergrund, dass Russland keine Landesgrenze zum Balkan hat, sofern man Rumänien nicht dazu zählt.)

Es bleibt mir rätselhaft warum Russland 1914 hier ein erhebliches Risiko einging , indem es nicht erneut einen Rückzieher machte,
wenn doch die allgemeine Einschätzung darin bestand, dass Russland sich nur wenige Jahre später in einer weitaus besseren militärischen Lage befunden hätte?

Das sind Fragen.
Ich krieg es selber nicht zusammen.
Falls ich vorherige Antworten überlesen habe, bitte ich um die Geduld der Wiederholung.
 
Was mir schleierhaft bleibt ist die Interessenslage Russlands auf dem Balkan.
Die Interessenlage ist eine Mischung aus rationaler, imperialer Großmachtpolitik und teils eigenständiger teils instrumentalisierter ethnischen Motiven bzw. religiösen Vorstellungen.

1. Großmachtpoltik: Seit Krimkrieg (O. Figes: Crimea)ist es deutlich, dass ohne eine Kontrolle des Bosporus, RusslAnd anfällig ist gegenüber den maritimen Mächten einerseits gegenüber Invasionen bzw. andererseits gegenüber Handelsblockaden, die die wirtschaftliche Modernisierung massiv beeinträchtgen würde (S. Dixon: The Modernisation of Russia 1676 - 1825)

2. Slawische "Schutzmacht": seit den russisch - türkischen Kriegen im 19. Jahrhundert, die auch auf russischer Seite nicht unerhebliche Tote gefordert haben, fühlte man sich in Moskau legitimiert, die Rolle der Schutzmacht im Rahmen des "Pan-Slavismus" zu übernehmen. Wobei dieser natürlich auch instrumentalisiert wurde, die imperialen Ansprüche zu untermauern.

3. Religiöse Motive: Moskau fühlte sich in seiner Rolle als "Drittes Rom" zusätzlich als Schutzmacht des orthodoxen Glaubens, der ursprünglich seine Heimat in Konstantinopel hatte. Aus diesem Umstand resultiert ebenfalls der "Drang" an den Bosporus.

Alle drei Motive interagierten und daraus kann man die starke historische Fixierung der Herrscher in Moskau auf Konstantinopel erkennen. Die ähnlich auch bei Stalin als imperiale Zielsetzung durchaus eine Rolle gspielt hat.

Es bleibt mir rätselhaft warum Russland 1914 hier ein erhebliches Risiko einging , indem es nicht erneut einen Rückzieher machte,
wenn doch die allgemeine Einschätzung darin bestand, dass Russland sich nur wenige Jahre später in einer weitaus besseren militärischen Lage befunden hätte?

Es ergab sich insofern eine Zwangslage, da man in vorausgegangenen Konflikte nachgegeben hatte (Bosnien-Krise etc.) und dennoch als Großmacht weiterhin präsent sein.

Diese russische Sicht war mit den deutschen Zielen schwerlich vereinbar. Die deutschen Ziele der Politik im Juli 1914 hatten entweder zum Ziel

- einen siegreichen Präventivkrieg gegen Russland zu führen und das Land auf Jahre militärisch zu schwächen

- durch ein Nachgeben der Entente, oder eines der Partner, sie politisch zu sprengen.

und dadurch die Stellung von Ö-U als Hegemonialmacht auf dem Balkan zu stabilisieren

Die Entente war sich als Bündnis absolut nicht sicher, ob man füreinander in den Krieg ziehen würde in 1914. Die Russen hinterfragten die Bündnisbereitschaft der Franzosen und diese Diskussion wurde an der innenpolitischen französischen Diskussion zur 3 jährigen Wehrdienstzeit angelehnt. Der Zar vertraute Frankreich nicht

Die im Forum häufiger formulierte Behauptung, Moskau hätte eine "Blankovollmacht" erhalten ist in diesem Kontext völlig unsinnig. Das Agieren von Poincare zielte primär darafu ab, Frankreich als verläßlichen Bündnispartner darzustellen und darauf aufbauen, von Russland die entsprechende Bündnistreue einzufordern.

Es war eher ein - notwendiges - gegenseitiges Versichern, aber keine Blankozusage.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Thane.

1. Großmachtpoltik: Seit Krimkrieg (O. Figes: Crimea)ist es deutlich, dass ohne eine Kontrolle des Bosporus, RusslAnd anfällig ist gegenüber den maritimen Mächten einerseits gegenüber Invasionen bzw. andererseits gegenüber Handelsblockaden, die die wirtschaftliche Modernisierung massiv beeinträchtgen würde (S. Dixon: The Modernisation of Russia 1676 - 1825)
Das leuchtet ein. Der Seezugang über den Bosporus ist von entscheidender Bedeutung.
Man kann sich auch fragen, inwiefern Russland sich im zumindest Hinblick darauf als "eingekreist" sehen musste.
Denn ein Blick auf die möglichen Handelswege legt das nahe.
(diese "Einkreisung", die ja im Zentrum der Wahrnehmung im Allgemeinen auf das DR bezogen wird, blieb für Russland auch bis in den Kalten Krieg bestehen.)

2. Slawische "Schutzmacht": seit den russisch - türkischen Kriegen im 19. Jahrhundert, die auch auf russischer Seite nicht unerhebliche Tote gefordert haben, fühlte man sich in Moskau legitimiert, die Rolle der Schutzmacht im Rahmen des "Pan-Slavismus" zu übernehmen. Wobei dieser natürlich auch instrumentalisiert wurde, die imperialen Ansprüche zu untermauern.
Was die "imperialen Ansprüche" angeht, so kann man versuchen das aus dem Zeitgeist heraus zu erklären. 'Blöderweise' konnten sich diese nach 1905 aber nicht mehr auf Fernost richten, oder gar auf Afrika, sondern konzentrierten sich zunehmend auf die instabilste Region Europas.
Und dies mit der Absicht deren wacklige Balance zum eigenen vermeintlichen Vorteil zu verändern.
Russland fördert nicht nur eine Allianz zwischen Bulgarien und Serbien zum Auftakt des ersten Balkankriegs, sondern ist auch bereit die Rolle als Schiedsrichter bei der Aufteilung der zu erwartendenden Beute zu spielen.
Und das zielt nicht nur feindseelig auf das Osmanische Reich sondern auch auf Ö-U. (dazu: Richard c. Hall -The Balkan Wars.. ab Seite 11)

Und hier würde sich ein angenommener russischer Imperialismus aus europäischer Sicht ganz erheblich vom Imperialismus der anderen Großmächte unterscheiden, welche ihre entsprechenden Bemühungen in einer größeren Entfernung zu Europa fanden.

Der Begriff "Pan-Slavismus" ist wahrscheinlich aus russischer Sicht zwiespältig.
Denn in Russland selbst hat er wohl einen anderen Inhalt.
Denn hier wird die Integrität des Staates gerade durch einen abweichenen slavischen Nationalismus, insbesondere durch Polen, und auch Ukrainer, in Frage gestellt. Noch während der Kampfhandlungen gegen Japan 1905 sieht sich das russische Reich genötigt seine Truppenpräsenz von 250.000 Mann in Polen zu erhöhen, da hier nicht nur Aufstände zu bekämpfen sind, sondern auch drei Generalstreiks innerhalb eines knappen halben Jahrs.
(Kappeler - Russland als Vielvölkerstaat- Seite 268-269)
Der "Pan-Slavismus" ist hier nicht ein solcher, sondern ein Nationalismus im Bezug auf eine russische Vorherrschaft im eigenen Reich, auch, und besonders, gegen andere Slaven.
Mag sein, dass hier innenpolitische Probleme nach aussen projeziert wurden...

3. Religiöse Motive: Moskau fühlte sich in seiner Rolle als "Drittes Rom" zusätzlich als Schutzmacht des orthodoxen Glaubens, der ursprünglich seine Heimat in Konstantinopel hatte. Aus diesem Umstand resultiert ebenfalls der "Drang" an den Bosporus.
Petersburg auch?
Dabei wäre es interessant einen Blick auf die diesbezügliche Wahrnehmung Nikolaus II zu werfen.
Ich würd mal sagen, der war weit eher Spiritist, und Rassist im Sinne eines virulenten Sozialdarwinismus dieser Zeit.
Aber mei, da bin ich mir auch nicht sicher.

Es ergab sich insofern eine Zwangslage, da man in vorausgegangenen Konflikte nachgegeben hatte (Bosnien-Krise etc.) und dennoch als Großmacht weiterhin präsent sein.
So schauen insgesamt die angeblichen 'Zwangslagen' Aller an der "Schwelle zur Hölle" aus.
 
Zuletzt bearbeitet:
Russland fördert nicht nur eine Allianz zwischen Bulgarien und Serbien zum Auftakt des ersten Balkankriegs, sondern ist auch bereit die Rolle als Schiedsrichter bei der Aufteilung der zu erwartendenden Beute zu spielen.

Und das zielt nicht nur feindseelig auf das Osmanische Reich sondern auch auf Ö-U. (dazu: Richard c. Hall -The Balkan Wars.. ab Seite 11)

Die Situation auf dem Balkan war kompliziert. Angeregt durch das "Nationbuilding" des "Deutschen Reichs" wollten vor allem Serbien und Bulgarien ein ähnlich erfolgreiches Modell eines National-Staates errichten.

Und an diesem Punkt setzen die Mißverständnisse ein (vgl. Rossos: Russia and the Balkans: Inter-Balkan rivalries and Russian foreign policy 1908-1914, 1981, S. 207ff).

Mit der Formierung der Balkan Allianz befand sich Russland auf dem vorläufigen Zenith seines politischen Einflusses auf dem Balkan.

Allerdings wollte Russland diese Allianz als Gegengewicht gegen Ö-U verstanden wissen und sie in diesem Sinne instrumentalisieren.

Die Balkanstaaten definierten sie jedoch eher als Instrument, ihre nationale Unabhängigkeit gegenüber dem Osmanischen Reich durchzusetzen und territoriale Zugewinne zu erreichen. In diesem Sinne war die Allianz massiv in einen scharfen Nationalismus eingebunden, der sich sehr emotional in den Kriegen entladen hat. Dann auch im 2. Balkan Krieg, den sie untereinander führten.

An diesem Punkt werden die völlig konträren politischen Intentionen von Russland und der Balkan-Staaten deutlich.

Russland war gegen den Krieg mit dem Osmanischen Reich. Auch weil es befürchtete, dass die Bulgaren ihrerseits auf Konstantinopel vorstoßen würden und sich als neue Macht dort festsetzen würden.

Für Russland wäre Bulgaren am Bosporus noch weniger akzeptabel gewesen wie ein relativ schwaches Osmanisches Reich und so mußte Russland vor allem verhindern, dass die Bulgaren gegenüber den Osmanen erfolgreich sind. Obwohl es mit Bulgarien verbündet war.

Aus dieser Sitation resultiert eine starke Entfremdung gegenüber Sofia, wie Hall (The Balkan Wars 1912-1913, 2000, S. 139) schreibt.

Und mit der Konsequenz, dass Serbien der einzige verbliebene Bündnispartner für Russland auf dem Balkan nach 1913 war.

Dieses "diplomatische Mißgeschick" - man könnte es auch als Inkompetenz bezeichnen, da die entsprechenden Botschafter einen deutlichen Anteil an dieser Entwicklung hatten - der Russen erklärt dann aber auch, warum die Russen in 1914 ihre letzte verbliebene Unterstützung auf dem Balkan nicht einfach aufgeben konnten oder wollten.

So schauen insgesamt die angeblichen 'Zwangslagen' Aller an der "Schwelle zur Hölle" aus.

Das europäische Staatensystem und seine Allianzen war durch eine Reihe von Aspekten gekennzeichnet.

1. Es befand sich im Umbruch, weil die Balance verloren gegangen war und die Großmächte war eher unschlüssig wie es weiter gehen sollte

2. Es gab keine Spielregeln mehr für kriegerische Konflikte in Euopa, da die klassische Großmacht-Diplomatie eines Metternichs verloren gegangen war. Nicht zuletzt weil die "Öffentliche Meinung" verstärkt durch "Patriotismus" bzw. Nationalismus das Nachgeben erschwerte.

3. Das Verhältnis zwischen den Mittel- und Großmächten wurde neu definiert, auch durch den verstärkten Nationalismus vor allem auf dem Balkan. Und "zwang" vor allem die an Gewicht verlierenden Großmächte zur militärischen Machtdemonstration

Vor diesem Hintergrund wurden die Zeiger im Juli 1914 in Richtung Krieg gestellt, da sich alle bedroht sahen und nur durch den Krieg eine Lösung der Probleme erhofft wurde.

Auch und vor allem in den Monarchien, die auch innenpolitische Ziel verfolgt haben.

- Russland: Man hat den Krieg akzeptiert, in 1914 aber nicht gewollt, weil man innenpolitsich nicht sofort mit einer Revolte oder Revolution rechnete. Die innenpolitische Situation war relativ stabil. Wobei von einflussreichen konservativen Politikern die Gefahr einer systemgefährdenden Destabilisierung durch den Krieg dem Zaren sehr deutlich via "Memoranden" kommuniziert worden ist

- Deutsches Reich: Durch einen erfolgreichen Krieg eine zusätzliche Legitimation für das "Kaisertum" gegen die heraufkommende gefahr der SPD.

- Ö-U: Stabilisierung der Hegemonie auf dem Balkna und somit die erfolgreiche Unterdrückung aufstrebender nationalistischer Tendenzen auf dem Balkan.
 
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- Ö-U: Stabilisierung der Hegemonie auf dem Balkna und somit die erfolgreiche Unterdrückung aufstrebender nationalistischer Tendenzen auf dem Balkan.
Hatte Ö-U denn eine Hegemonie auf dem Balkan?

War das nicht eher so, dass das Osmanische Reich diese Hegemonie mal hatte und Russland und Österreich sich jetzt um das Erbe zankten?
 
Hatte Ö-U denn eine Hegemonie auf dem Balkan?

Teilweise, bzw. durch den Zerfall des Osmanischen Reichs entstand durch den aufkeimenden Nationalismus eine neue Staatenwelt, die auch für Ö-U gefährlich werden konnte.

Das bot für Ö-U Chancen aber auch Gefahren. Wie in der Bosnien-Krise deutlich wird. Die nebenbei auf unterschiedliche Art der Bezugspunkt für die Einschätzung von Russland durch das DR wird und der Ziele von Ö-U durch Russland.

Bosnische Annexionskrise ? Wikipedia

Die Gefahren für Ö-U waren zum einen innenpolitischer und zum anderen auch außenpolitischer Natur.

Der zunehmende ethnisch definierte Nationalismus auf dem Balkan gefährdete vor allem auch den den Vielvölker-Staat Ö-U, neben dem Osmanischen Reich. Aus diesem Grund war Tisza zunächst gegen jede weitere territoriale Ausdehnung von Ö-U Anfang Juli 1914, da der Anteil der "Süd-Slawen" durhc eine potentielle Annektion deutlich zugenommen hätte und zu einer eher verstärkten, denn geringeren inneren Destabilisierung von Ö-U beigetragen hätte.

Außenpolitisch durch eine Allianz aus Serbien und Bulgarien, die unterstützt durch Russland, nicht wie oben beschrieben sich gegen das Osmanische Reich gerichtet hat, sondern gegen Ö-U.

Neben der Frage der Hegeomie von Ö-U ist vor allem die wirtschaftliche Position der DR auf dem Balkan zu beachten. Es war vor allem Bethmann und ein Kreis von Industriellen, die in dieser Region strategische Interessen des DR sahen. In diesem Sinne ergaben sich bereits in 1914 wirtschaftliche Konflikte zwischen Ö-U und dem DR auf dem Balkan.

Auch in Erweiterung in Richtung der Partnerschaft zum Osmanischen Reich (vgl. Stichwort Berlin- Bagdad- Bahnlinie).
 
Wann hatte Österreich-Ungarn eine Hegemonie auf dem Balkan?

Es war zunächst eine mit Russland geteilte Hegemonie nach 1878 und dann nach 1903 eine unkämpfte und nach 1908 eine Hegemonie, die entweder im Juli 1914 stabilisiert und ausgebaut werden konnte, oder aber für Ö-U den Weg in die Bedeutung eines "Mittelstaats" geendet hätte.

So zumindest die Überlegungen in Berlin zum Gleichgewicht der Bündnisse.

Ansonsten ist das Konstrukt "Hegemonialmacht" sicherlich theoretisch nicht ganz eindeutig definiert. Von mir wird es in dem Sinne einer Hierarchie von Macht verwendet, um Interessen durchsetzen zu können, wie beispielsweise in der Bosnienkrise.

Wenngleich Ö-U zum Ausfüllen dieser Rolle der tatkräftigen Unterstützung durch das DR bedurfte.

Zumindest ging es im Juli 1914 um die Stabilisierung und den Ausbau der Hegemonie über den Balkan im Rahmen eines lokalisierten Krieges. Das war das zentrale Ziel von Conrad und auch von Bethmann (Moltke sah das anders, anyway).
 
Zuletzt bearbeitet:
Es war zunächst eine mit Russland geteilte Hegemonie nach 1878...
Eine "geteilte" Hegemonie? Hast Du einen Duden im Haus? Dann lies mal nach, was das Wort "Hegemonie" bedeutet.

Ansonsten ist das Konstrukt "Hegemonialmacht" sicherlich theoretisch nicht ganz eindeutig definiert.
Gute Erklärung. Bin gespannt auf die nächste... :fs:

Von mir wird es in dem Sinne einer Hierarchie von Macht verwendet, um Interessen durchsetzen zu können, wie beispielsweise in der Bosnienkrise.
Welche "Hierarchie von Macht" bestand denn in der Bosniekrise angesichts der "geteilten Hegemonie" zwischen Ö-U und Russland und warum enthielt nur der hegemoniale Anteil von Ö-U die Tendenz zur Unterdrückung nationalistischer Tendenzen auf dem Balkan?
 
Eine "geteilte" Hegemonie? Hast Du einen Duden im Haus? Dann lies mal nach, was das Wort "Hegemonie" bedeutet.

:D Vielen Dank auf den Hinweis mit dem Duden, sehr gute Idee. Ich könnte mich ja revanchieren und Dir ein paar Standardwerke zum Balkankrieg empfehlen. Würde sicherlich mehr inhaltliche Lücken bei Dir schließen wie bei mir der Duden schließen könnte.
 
:D Vielen Dank auf den Hinweis mit dem Duden, sehr gute Idee.

Keine Ursache. Es freut mich, dass ich mich für Deine zahlreichen Literatur-Tipps mal revanchieren konnte... :pfeif:

Ganz unaufgeregt: Vielen Deiner Aussagen in den Beiträgen 48 und 50 stimme ich sogar zu. Mit dem Begriff "Hegemonie", den Du einseitig auf Ö-U beziehst, kommt hier aber ein schräger Zungenschlag rein. Zusammen mit dem Hinweis auf angeblich bedeutende deutsche Wirtschaftsinteressen auf dem Balkan liest sich das fast so, als habe Russland sich aus defensiven Gründen gegen einen deutsch-österreichischen Griff nach dem Balkan erhoben. Davon kann aber keine Rede sein.

Was Du bezogen auf Ö-U als Hegemonialstreben bezeichnest, war Ausdruck des imperialistischen Wesens der Großmächte - auch Russlands. In diesem Imperialismus ist die Ursache für die Balkankrise zu suchen.

Das Problem der Balkanregion zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag darin, dass sie eingekeilt war zwischen dem Osmanischen Reich, Ö-U und Russland - die alle eigene strategische Ziele auf dem Balkan verfolgten. Zu allem Überfluss litten auch noch alle drei "Reiche" an derselben inneren Krankheit, die Ursache für die Zersplitterung der Balkanstaaten und die daraus hervorgehenden Konflikte war. Seit fast 200 Jahren hatte Russland (mehrfach gemeinsam mit Österreich) alle Nasen lang Krieg gegen das Osmanische Reich geführt, um sich Teile davon einzuverleiben.

Dass Russland und Österreich dann 1914 wegen Serbien aneinandergeraten sind, ist eine "Fortsetzung" dieser Serie von Kriegen. Man wollte sich um die abgebröckelten Stücke des osmanischen Reichs schlagen. Das lag zwar gar nicht im Interesse der Balkanstaaten. Die wollten eigentlich einen unabhängigen Weg beschreiten, waren aber so klein und schwach, dass sie sich immer wieder an die eine Großmacht anlehnen mussten, um ihre Unabhängigkeit gegen die andere behaupten zu können. So haben sie die Konkurrenz zwischen Russland und Österreich noch verschärft.

Ob Deutschland dabei eigene Interessen berührt gesehen hat? Bismarck hatte 1876 vor dem Reichstag noch markig erklärt, Deutschland verfolge auf dem Balkan keinerlei Interesse, "...welches die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert wäre". Bis 1914 dürften keine Wirtschaftsinteressen hinzugekommen sein, die einen Krieg rechtfertigen konnten.

Ein strategisches Interesse hatte Deutschland natürlich: Russland sollte keinen Zugriff auf den Bosporus und die Dardanellen erhalten. Dieses Interesse musste aber nicht zwingend auf dem Balkan verfolgt werden. Das konnte man auch durch die Unterstützung des Osmanischen Reichs versuchen.

MfG
 
Für keine der übrigen europäischen Großmächte (-ÖU -RUS) können Interessen auf dem Balkan relativiert oder vernachlässigt werden.

Es ist ein Nebenprodukt der Fischer-Kontroverse, dass zB die deutschen politisch-ökonomischen Aktivitäten, von Anleihen bis Eisenbahnbau und Waffenlieferungen (ökonomische Penetration kleinerer Staaten) genauer untersucht worden sind. Darüber hinaus gab es das Projekt der Berlin-Bagdad-Bahn, wie der Name sagt: :D von Hamburg nach Bagdad. Auch im Kontext dieses Projektes gab es "durchlaufende" Interessen, Einmischungen in Griechenland, Rumänien, Aktivitäten in Bulgarien, Serbien. Diese Einmischung überflügelte sogar ÖU, zum Teil wurden hier Interessen des Bündnispartners auch abgegraben, oder im Fall Serbien sogar gegen österreichische Interessen vorgegangen (zB im Fall der Anleihen).

Gleiches trifft auf Großbritannien zu, mit dem Schwerpunkt Griechenland. Die Aktivitäten und Konflikte der kleineren Staaten untereinander wie auch zu ÖU/OR/RUS waren allesamt verwoben und kaum trennbar. Für Frankreich lassen sich ebenfalls reichhaltige Interessen finden, ausgehend zB von Serbien.
 
Für keine der übrigen europäischen Großmächte (-ÖU -RUS) können Interessen auf dem Balkan relativiert oder vernachlässigt werden.

Es ist ein Nebenprodukt der Fischer-Kontroverse, dass zB die deutschen politisch-ökonomischen Aktivitäten, von Anleihen bis Eisenbahnbau und Waffenlieferungen (ökonomische Penetration kleinerer Staaten) genauer untersucht worden sind. Darüber hinaus gab es das Projekt der Berlin-Bagdad-Bahn, wie der Name sagt: :D von Hamburg nach Bagdad. Auch im Kontext dieses Projektes gab es "durchlaufende" Interessen, Einmischungen in Griechenland, Rumänien, Aktivitäten in Bulgarien, Serbien. Diese Einmischung überflügelte sogar ÖU, zum Teil wurden hier Interessen des Bündnispartners auch abgegraben, oder im Fall Serbien sogar gegen österreichische Interessen vorgegangen (zB im Fall der Anleihen).

Gleiches trifft auf Großbritannien zu, mit dem Schwerpunkt Griechenland. Die Aktivitäten und Konflikte der kleineren Staaten untereinander wie auch zu ÖU/OR/RUS waren allesamt verwoben und kaum trennbar. Für Frankreich lassen sich ebenfalls reichhaltige Interessen finden, ausgehend zB von Serbien.
Stimmt. Wie das Beispiel Berlin-Bagdad-Bahn zeigt, waren das aber keine Interessen, die einen Krieg gerechtfertigt oder gar "notwendig" gemacht hätten.
 
In der Schwammigkeit von "Interessen" und "eines" Krieges und ohne Beachtung einer gewissen Dynamik ist das gar nicht mal so falsch.

Kommt nämlich auf "den" Krieg an. Ganz sicher lag die kriegerische Konfrontation mit Großbritannien wegen Balkan und BBB vor 1914 nicht im deutschen Interesse.

Ein anderer Krieg schon, der in Bethmanns Risikopolitik inkludiert war, um Serbien kleinzuhalten: es "interessierte" nämlich der lokalisierte Krieg von ÖU und Serbien, mit deutschem Blankoscheck und gedachter Abschreckung Russlands vor dem letzten Schritt, dem Eingreifen gegen ÖU. Soweit perfekt passend zu den deutschen imperialistischen Interessen auf dem Balkan und im Osmanischen Reich.

Zur Dynamik: das "Interesse" änderte sich dann im Verlauf, als das Eingreifen Russlands drohend wurde und Serbien das Ultimatum weitgehend erfüllte.
 
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