Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1

Folgt man Angelows Habilitationsschrift, so stand der Kriegsentschluss von ÖU für den lokalen Krieg vermutlich schon am 3.7.14, spätestens aber am 7.7.14 fest. Auf das Ultimatum kam es demnach nicht an. Ein Aspekt, den Angelow anhand umfangreicher Quellenstudien herausarbeitet.
Juergen Angelow. Kalkuel und Prestige. Der Zweibund am Vorabend des Ersten Weltkrieges.
https://networks.h-net.org/node/193...uel-und-prestige-der-zweibund-am-vorabend-des

Dem habe ich ja schon zugestimmt. Nur bleibt die Frage: Was hätte Ö-U getan, wenn Serbien auch diesem letzten und letztlich einzig strittigen Punkt im Ultimatum zugestimmt hätte? Welchen Kriegsgrund hätte es dann noch gegeben? Dass spätestens am 7.7.14 die endgültige Entscheidung gefallen ist, hat niemand infrage gestellt - besonders nicht, nachdem Kaiser Wilhelm am 6.7.14 mit dem Telegramm Nummer 1272 die Blankovollmacht ausgestellt hatte.

Übrigens: Ich teile Deine Meinung, dass zu dem Zeitpunkt der Krieg bereits beschlossen und deshalb nicht mehr abwendbar war. Ich weise nur darauf hin, dass es sinnbefreit wäre, so eine frühe Kriegsentscheidung anzunehmen und trotzdem noch zu behaupten, dass ein "Kult der Offensive" und ein dadurch ausgelöster unwandelbarer Aufmarsch deutschen Militärs erst in der Folgezeit jede Möglichkeit zur Abwendung des Kriegs unmöglich gemacht habe.

Wann und wodurch fiel denn die Entscheidung, dass die Balkankrise zum Weltkrieg werden sollte? Spätestens am 7.7.14? Dann müssen wir über den Einfluss, den Militärs am 31.7.14 hatten, gar nicht mehr nachdenken.

Übrigens Nr. 2: Ich denken, dass am 7.7.14 sowohl in Wien als auch in Berlin alle wichtigen Entscheidungen gefallen waren.

MfG
 
Dem habe ich ja schon zugestimmt. Nur bleibt die Frage: Was hätte Ö-U getan, wenn Serbien auch diesem letzten und letztlich einzig strittigen Punkt im Ultimatum zugestimmt hätte? Welchen Kriegsgrund hätte es dann noch gegeben? Dass spätestens am 7.7.14 die endgültige Entscheidung gefallen ist, hat niemand infrage gestellt - besonders nicht, nachdem Kaiser Wilhelm am 6.7.14 mit dem Telegramm Nummer 1272 die Blankovollmacht ausgestellt hatte.

Übrigens: Ich teile Deine Meinung, dass zu dem Zeitpunkt der Krieg bereits beschlossen und deshalb nicht mehr abwendbar war. Ich weise nur darauf hin, dass es sinnbefreit wäre, so eine frühe Kriegsentscheidung anzunehmen und trotzdem noch zu behaupten, dass ein "Kult der Offensive" und ein dadurch ausgelöster unwandelbarer Aufmarsch deutschen Militärs erst in der Folgezeit jede Möglichkeit zur Abwendung des Kriegs unmöglich gemacht habe.

Wann und wodurch fiel denn die Entscheidung, dass die Balkankrise zum Weltkrieg werden sollte? Spätestens am 7.7.14? Dann müssen wir über den Einfluss, den Militärs am 31.7.14 hatten, gar nicht mehr nachdenken.

Übrigens Nr. 2: Ich denken, dass am 7.7.14 sowohl in Wien als auch in Berlin alle wichtigen Entscheidungen gefallen waren.

MfG

Man kann sicher darüber spekulieren was gewesen wäre, wenn die Serben das Ultimatum komplett akzeptiert hätte.
Wenn es so gewesen wäre:
Nach den Anschlägen vom 28. Juni, kristallisierte unter ihnen [den österreichischen Entscheidungsträgern] der Konsense heraus, dass nur eine militärische Aktion das Problem der Beziehungen Serbien zu lösen könne.
Clark - die Schlafwandler - Seite 504,
..dann wäre es naheliegend anzunehmen, dass man anschließend davon ausgegangen wäre, und dies propagiert hätte, eine Erfüllung sei eben nicht gegeben.

Was mich aber schon bei Deiner Argumentation nachhaltig stört:
Du interpretierst die Ansichten Anderer bisweilen falsch um dies zur Grundlage einer Widerlegung zumachen.
Ich wüsste nicht wer behauptet hat, der "Kult der Offensive" habe "jede Möglichkeit zur Abwendung des Kriegs unmöglich gemacht", sondern es wurde herausgearbeitet, dass dieser Kult geeignet war, die diplomatischen Spielräume in einer gefährlichen Krise kritisch einzuengen.

Was die Rolle Russlands angeht, die ja Gegenstand des Threads ist,
so kann man mE davon ausgehen, dass sich die serbischen Entscheidungsträger sich hier auf Russland stützten,
um nicht eine innenpolitisch gefährliche Situation zu geraten,
und um die Gefahr zu vermeiden, dass ein Nachweis auf eine vorhandene Verbindung zum eigenen Geheimdienst, mit dessen Chef Apis, geführt werden könnte.
Dabei kann man hier eine doppelte Zwangslage vermuten.
Denn es ist zwar von einer Verstrickung der serbischen Regierung in das Attentat auszugehen,
es ist aber auch diese Regierung, wie vorherige auch, stets bedroht durch die Gruppe um Apis, die im Hintergrund so wirkmächtig agiert, dass sie Entscheidungsspielräume wesentlich einschränkt.

Eine interessante Frage wäre die:
Fanden diese Details überhaupt eine angemessene Würdigung durch Ö-U und der anderen Mächte,
oder war der Weg zur großen Konfrontation nicht bereits unabhängig davon vorgezeichnet?

Und um wieder auf die Theaderöffnung zurückzukommen:
Welche Rolle spielte hier Russland in einer komplizierten Lage?
 
Man kann sicher darüber spekulieren was gewesen wäre, wenn die Serben das Ultimatum komplett akzeptiert hätte.
Lieber @hatl, das Problem liegt darin, dass die ganze Zeit nur spekuliert wird. Die Aussage "Die Entscheidung war bei Stellung des Ultimatums längst gefallen..." ist inhaltlich die Antwort auf die von mir gestellte Frage "Was wäre denn gewesen, wenn die Serben auch die letzte Bedingung erfüllt hätten?" Insofern ist es merkwürdig, wenn exklusiv mir unterstellt wird, zu "spekulieren". Ich erinnere daran: Hier wurde die Auffassung vertreten, dass das Ultimatum lediglich gestellt wurde, um einen Vorwand zur Eröffnung des längst beschlossenen Krieges zu bekommen. DEM STIMME ICH ZU!
Nur: "Dummerweise" haben die Serben die meisten Bedingungen des Ultimatums erfüllt. Ausgehend davon hat man die Antwort auf die Frage, was denn passiert wäre, wenn Serbien auch der letzten und an sich völlig unbedeutenden Bedingung zugestimmt hätte. Die oben genannte Aussage "...nur ein Vorwand, weil alles längst beschlossen..." besagt letztlich, dass es völlig egal war, was die Serben antworten: Egal welche Antwort sie geben würden - das Ergebnis wäre Krieg.

Und wenn das so war - wenn der Krieg schon zu diesem Zeitpunkt so feststand, dass die serbische Antwort gar keine Rolle mehr spielte, dann muss mir mal jemand erklären, wieso drei Wochen später die gleichen Leute, die den Krieg beschlossen hatten, einen Frieden hätten herstellen wollen, an dem sie durch die innere Dynamik militärischen Irrsinns gehindert worden wären.

Du selbst zitierst es hier:

Nach den Anschlägen vom 28. Juni, kristallisierte unter ihnen [den österreichischen Entscheidungsträgern] der Konsense heraus, dass nur eine militärische Aktion das Problem der Beziehungen Serbien zu lösen könne.
Genauso sehe ich das auch. Nur: Wozu musste das Militär die "österreichischen Entscheidungsträger" da dann noch drängen? Und viel wichtiger: Wozu mussten die DEUTSCHEN Entscheidungsträger, die eine viel wichtigere Rolle spielten, da noch gedrängt werden?

Was mich aber schon bei Deiner Argumentation nachhaltig stört:
Du interpretierst die Ansichten Anderer bisweilen falsch um dies zur Grundlage einer Widerlegung zumachen.
Ich wüsste nicht wer behauptet hat, der "Kult der Offensive" habe "jede Möglichkeit zur Abwendung des Kriegs unmöglich gemacht", sondern es wurde herausgearbeitet, dass dieser Kult geeignet war, die diplomatischen Spielräume in einer gefährlichen Krise kritisch einzuengen.
Wo ist der Unterschied? Mitte bis Ende Juli sollen "diplomatische Entscheidungsspielräume" eingeengt worden sein, die von den Entscheidungsträgern Anfang Juli gar nicht mehr gewünscht worden sind?

Entscheide Dich mal: Wann ist die Entscheidung zum Krieg gefallen? Anfang Juli unter Ignorierung jeder denkbaren serbischen Antwort oder Ende Juli unter dem Druck amoklaufender Militärs? Es ist ein Widerspruch in sich, wenn man die Kriegsentscheidung auf Anfang Juli datiert und gleichzeitig Herrn van Evera zustimmt, dass der "Kult der Offensive" Ende Juli "a principal cause" für den Kriegsausbruch gewesen sei.

Das ist auch genau der Punkt, der mich an der von Dir und anderen vorgetragenen Haltung "nachhaltig stört".

MfG
 
Übrigens: Ich teile Deine Meinung, dass zu dem Zeitpunkt der Krieg bereits beschlossen und deshalb nicht mehr abwendbar war. Ich weise nur darauf hin, dass es sinnbefreit wäre, so eine frühe Kriegsentscheidung anzunehmen und trotzdem noch zu behaupten, dass ein "Kult der Offensive" und ein dadurch ausgelöster unwandelbarer Aufmarsch deutschen Militärs erst in der Folgezeit jede Möglichkeit zur Abwendung des Kriegs unmöglich gemacht habe.

Wann und wodurch fiel denn die Entscheidung, dass die Balkankrise zum Weltkrieg werden sollte? Spätestens am 7.7.14? Dann müssen wir über den Einfluss, den Militärs am 31.7.14 hatten, gar nicht mehr nachdenken.

Übrigens Nr. 2: Ich denken, dass am 7.7.14 sowohl in Wien als auch in Berlin alle wichtigen Entscheidungen gefallen waren.

Das klärt sich relativ einfach.

Wir reden hier über zwei Kriegsentscheidungen: über die österreichisch-ungarische zum lokalen Krieg mit Serbien und über die deutsche, zum europäischen Krieg. Das ist eigentlich Stand der Dinge in der Forschung.

Eine Kriegsentscheidung vor dem ÖU-Ultimatum für den "europäischen", den großen Krieg, gab es nicht und ist auch quellenseitig nicht zu belegen. Es gab allerdings eine Entscheidung für den kleinen lokalen Krieg gegen Serbien, bekanntlich unter der Annahme, dass Russland nicht eingreifen würde und draußen gehalten werden kann (dies ist der Zweck des deutschen Blankoschecks).

Darum (Entscheidung für den großen Krieg) wurde in Berlin überhaupt erst mit dem dem Ultimatum, mit dem Moltke-Memorandum, mit der Positionierung von Russland zur zwingenden Verwicklung in einen serbisch-österr. Krieg (womit bei Übergabe des Ultimatums sowohl in Berlin als auch in Wien nur als "leere Drohung" hantiert wurde) etc. gerungen.

Am 7.7. gibt es in Berlin einen Risikokurs zur Sprengung der Verbindungen RUS/GB/FRA, keine Kriegsentscheidung für den europäischen Krieg, nicht einmal ein nachweisliches Interesse für den "kleinen" lokalen Krieg ÖU/SER. Anderes zu behaupten, ist durch die Quellenlage nicht gedeckt.

Ich wüsste nicht wer behauptet hat, der "Kult der Offensive" habe "jede Möglichkeit zur Abwendung des Kriegs unmöglich gemacht", sondern es wurde herausgearbeitet, dass dieser Kult geeignet war, die diplomatischen Spielräume in einer gefährlichen Krise kritisch einzuengen

Es wurden hier inzwischen gefühlt ein Dutzend "Interpretationen" des "Cult of Offensive"-Ansatzes in den verschiedenen Threads vorgetragen, die alle nichts mit dem Forschungsverständnis zur Wirkungsmacht dieses Aspekts zu tun haben.
 
Wann und wodurch fiel denn die Entscheidung, dass die Balkankrise zum Weltkrieg werden sollte? Spätestens am 7.7.14? Dann müssen wir über den Einfluss, den Militärs am 31.7.14 hatten, gar nicht mehr nachdenken.

Übrigens Nr. 2: Ich denken, dass am 7.7.14 sowohl in Wien als auch in Berlin alle wichtigen Entscheidungen gefallen waren.

Das klärt sich relativ einfach.

Wir reden hier über zwei Kriegsentscheidungen: über die österreichisch-ungarische zum lokalen Krieg mit Serbien und über die deutsche, zum europäischen Krieg. Das ist eigentlich Stand der Dinge in der Forschung.
Ganz so leicht klärt sich das nicht, denn Du selbst hast das Datum "7. Juli 1914" ins Spiel gebracht. Dieser 7. Juli war der Tag nach dem Eingang der "Blankovollmacht" des deutschen Kaisers in Wien.

Die Interpretation, dass es hier noch ausschließlich um den österreichisch-ungarischen Krieg gegen Serbien gegangen sei, ist zumindest gewagt. Ich persönlich bezweifele, dass Österreich-Ungarn für einen Krieg gegen Serbien auf eine so weitgehende Unterstützung angewiesen war, wie der Kaiser sie mit seiner Blankovollmacht in Aussicht gestellt hat. Ich bezweifele sogar, dass Ö-U eine solche "Unterstützung" gewünscht hat. Ö-U war immer noch eine Großmacht und hätte das Telegramm aus Berlin eher als Versuch der "Einmischung in innere Angelegenheiten" empfunden, wenn es nur um einen läppischen Lokalkonflikt mit Serbien gegangen wäre.

Die Absicht Österreichs, gegen Serbien vorzugehen, musste unter den damaligen politischen Gegebenheiten zwangsläufig zu einer Einmischung Russlands führen. Das war allen Beteiligten klar. Auch den Österreichern. Und auch dem deutschen Kaiser. Dessen Blankovollmacht ist demnach als verbindliche "Zusage" zu verstehen, dass Deutschland auch dann an Österreichs Seite stehen werde, wenn der Krieg gegen Serbien sich zu einem Krieg gegen Russland ausweiten sollte. Das Wort "Zusage" steht in Anführungszeichen, weil es hier um mehr als nur eine Zusage ging. Es war eher ein "Appell". Erkennbar daran, dass Kaiser Wilhelm in seiner Blankovollmacht darauf hinweist, dass Eile geboten sei, "um den jetzigen für uns so günstigen Moment nicht unbenutzt zu lassen".

Was mag er wohl gemeint haben, als er von einem "für uns so günstigen Moment" sprach? Und das schon am 7. Juli (eigentlich sogar schon am 5., aber egal...). Warum hätte Berlin glauben sollen, dass der Moment für einen Krieg gegen Serbien günstig gewesen sein soll? Schon hier ging es definitiv nicht mehr um Serbien. Vielmehr war das die Zusage Berlins, an einem Krieg gegen Russland teilzunehmen! Es war geradezu die Aufforderung, diesen Krieg loszutreten!

Dass der "Stand der Forschung" was anderes belegen soll, wäre mir neu. Aber ich kenne den "Stand der Forschung" ja auch nicht... :cry:

Eine Kriegsentscheidung vor dem ÖU-Ultimatum für den "europäischen", den großen Krieg, gab es nicht und ist auch quellenseitig nicht zu belegen.
Lag der 7. Juli "vor" oder "nach" dem von Dir genannten Ultimatum? Ich hatte Deine Aussagen bislang so verstanden, dass spätestens AM 7. Juli die Kriegsentscheidung gefallen war. Wenn ich Dich falsch verstanden haben sollte, bitte ich um Nachsicht.

Es gab allerdings eine Entscheidung für den kleinen lokalen Krieg gegen Serbien, bekanntlich unter der Annahme, dass Russland nicht eingreifen würde und draußen gehalten werden kann (dies ist der Zweck des deutschen Blankoschecks).
Was meinst Du mit der Formulierung "bekanntlich unter der Annahme"? Willst Du andeuten, dass es "Stand der Forschung" sei, dass Österreich bei seiner Aggression gegen Serbien davon ausgehen konnte (oder wollte), dass Russland NICHT eingreifen würde?

Wo soll das "bekanntlich" gewesen sein? Eigentlich ist es "Stand der Forschung" dass des Kaisers Telegramm für Österreich ein Freibrief war, im Osten jeden beliebigen Krieg führen zu dürfen, ohne auf Russland Rücksicht nehmen zu müssen. Dass Kaisers Telegramm Deiner Auslegung nach dazu gedient haben soll, Russland "draußen zu halten", ist eine Deutung, die ich hier zum ersten Mal lese. Nenn doch mal den Teil des "Stands der Forschung", der das angeblich belegt.

Am 7.7. gibt es in Berlin einen Risikokurs zur Sprengung der Verbindungen RUS/GB/FRA, keine Kriegsentscheidung für den europäischen Krieg, nicht einmal ein nachweisliches Interesse für den "kleinen" lokalen Krieg ÖU/SER. Anderes zu behaupten, ist durch die Quellenlage nicht gedeckt.
Erstens: Wo soll ich behauptet haben, dass es ein "nachweisliches Interesse" Deutschlands an dem von Dir so bezeichneten ""kleinen" lokalen Krieg" gegeben haben soll? Belege bitte! Tatsächlich habe ich nämlich behauptet, dass Deutschland überhaupt keine eigenen Interessen auf dem Balkan hatte, die einen Krieg erfordert hätten!

Zweitens: Der "Risikokurs" Berlins ist - WENN es ihn denn gab (was ich für wahrscheinlich halte!) - nicht erst am 7.7. eingeschlagen worden, sondern schon am 5.7.. Das war nämlich der Tag, an dem Herr Kaiser seine Blankovollmacht formuliert hat. Das war der Tag, an dem alles gelaufen war. Das war der Tag, an dem der Krieg beschlossen war - weil es ja "blöd" gewesen wäre, "den jetzigen für uns so günstigen Moment (...) unbenutzt zu lassen".

Es wurden hier inzwischen gefühlt ein Dutzend "Interpretationen" des "Cult of Offensive"-Ansatzes in den verschiedenen Threads vorgetragen, die alle nichts mit dem Forschungsverständnis zur Wirkungsmacht dieses Aspekts zu tun haben.
Das stimmt. Wenn ich Du wäre, würde ich mich allerdings fragen, wie sich das mit van Everas Formulierung "a principal cause" verträgt und wie das zu Deiner Behauptung passen soll, dass am 7.7.1914 längst alles entschieden war.

Die monotonen Verweise auf einen angeblich unwidersprochenen "Stand der Forschung" beantworten diese Frage jedenfalls nicht.

MfG
 
Ganz so leicht klärt sich das nicht, denn Du selbst hast das Datum "7. Juli 1914" ins Spiel gebracht. Dieser 7. Juli war der Tag nach dem Eingang der "Blankovollmacht" des deutschen Kaisers in Wien.
Bei den Daten geht es nicht um den Blankoscheck, sondern um Angelows Analyse, dass man bereits am 3.7., und weiter dokumentiert am 7.7. zum Krieg mit Serbien entschlossen war. Beide Daten sind auf die Frage bezogen, ob die serbischen Reaktionen auf das Ultimatum eine Bedeutung hatten. Die Antwort ist demnach: nein.

Die Interpretation, dass es hier noch ausschließlich um den österreichisch-ungarischen Krieg gegen Serbien gegangen sei, ist zumindest gewagt. Ich persönlich bezweifele, dass Österreich-Ungarn für einen Krieg gegen Serbien auf eine so weitgehende Unterstützung angewiesen war, wie der Kaiser sie mit seiner Blankovollmacht in Aussicht gestellt hat. Ich bezweifele sogar, dass Ö-U eine solche "Unterstützung" gewünscht hat.
Die Interpretation hat auch sonst keiner vorgenommen.

Die Absicht Österreichs, gegen Serbien vorzugehen, musste unter den damaligen politischen Gegebenheiten zwangsläufig zu einer Einmischung Russlands führen. ...Dessen Blankovollmacht ist demnach als verbindliche "Zusage" zu verstehen, dass Deutschland auch dann an Österreichs Seite stehen werde, wenn der Krieg gegen Serbien sich zu einem Krieg gegen Russland ausweiten sollte. ...Vielmehr war das die Zusage Berlins, an einem Krieg gegen Russland teilzunehmen! Es war geradezu die Aufforderung, diesen Krieg loszutreten!
Bei der Blankovollmacht geht es um die Abschreckung eines russischen Eingreifens und um die Beeinflussung ÖUs, gegen Serbien militärisch vorzugehen und sich über ein Eingreifen Russlands nicht zu sorgen. Das kalkulierte Risiko Bethmanns ist gerade, dass bei einem angedrohten Beistands Berlins kein russisches Eingreifen erfolgen wird. zu diesem Zeitpunkt wurde der europäische Krieg nicht erwogen, Zitat Wilhelm am 6.7.: Russland werde keine Königsmörder decken, die russische Kriegspartei werde wegen des hohen Einsatzes (deutsche Rückdeckung für ÖU) nicht die Oberhand gewinnen, Wien wird hierdurch ein lokaler Krieg gegen Serbien ermöglicht, der Blankoscheck werde den erweiterten europäischen Krieg verhindern.
Ist so Standard, kann man überall nachlesen.
Lag der 7. Juli "vor" oder "nach" dem von Dir genannten Ultimatum? Ich hatte Deine Aussagen bislang so verstanden, dass spätestens AM 7. Juli die Kriegsentscheidung gefallen war.
Was meinst Du mit der Formulierung "bekanntlich unter der Annahme"? Willst Du andeuten, dass es "Stand der Forschung" sei, dass Österreich bei seiner Aggression gegen Serbien davon ausgehen konnte (oder wollte), dass Russland NICHT eingreifen würde?
Der 7.7. lag bekanntlich vor dem ÖU Ultimatum gegen Serbien, und logischerweise auch vor der serbischen Antwort.

Die ÖU Kriegsentscheidung für den lokalen Krieg gegen Serbien war am 3.7., spätestens am 7.7. gefallen. Eine ÖU Entscheidung für den europäischen Krieg, sollte Russland nicht abgeschreckt werden können, ist vor dem Ultimatum nicht gefallen, da man fest davon ausging, dass Russland bei einer deutschen Rückdeckung nicht militärisch in den Konflikt ÖU/Serbien eingreifen werde.

Die letzte Andeutung ist richtig: ÖU ging bei der beschlossenen Aggression gegen Serbien davon aus, dass Russland nicht eingreifen werde. Hast Du andere Erkenntnisse?

Dass Kaisers Telegramm Deiner Auslegung nach dazu gedient haben soll, Russland "draußen zu halten", ist eine Deutung, die ich hier zum ersten Mal lese.
Das ist Standard und ein Zweck des Blankoschecks, siehe oben.
Ein daraus abgeleiteter weiterer Zweck ist, ÖU diesmal unbedingt zum Krieg mit Serbien zu veranlassen (da Russland nicht eingreifen werde).
Zweitens: Der "Risikokurs" Berlins ist - WENN es ihn denn gab (was ich für wahrscheinlich halte!) - nicht erst am 7.7. eingeschlagen worden, sondern schon am 5.7.. Das war nämlich der Tag, an dem Herr Kaiser seine Blankovollmacht formuliert hat. Das war der Tag, an dem alles gelaufen war.
Den Risikokurs müssen wir nicht fraglich oder streitig stellen, der ist hinreichend belegt. Dass der erst am 7.7. eingeschlagen sei, hat hier niemand behauptet.

Das war auch nicht der Tag, "an dem alles gelaufen war". Bekanntlich ruderte Berlin politisch zurück, als das Eingreifen Russlands entgegen der Spekulationen des Risikokurses doch wahrscheinlich wurde.
 
Bei der Blankovollmacht geht es um die Abschreckung eines russischen Eingreifens und um die Beeinflussung ÖUs, gegen Serbien militärisch vorzugehen und sich über ein Eingreifen Russlands nicht zu sorgen.
Das ist Deine These, die z.B. auch von Berghahn in die Diskussion gebracht worden ist. Diese These gibt aber keineswegs den "Stand der Dinge in der Forschung" wieder, den man "überall nachlesen" kann, wie Du das weiter oben und im hier zitierten Beitrag erneut behauptet hast. Als Beispiel sei Annika Mombauer (Die Julikrise: Europas Weg in den Ersten Weltkrieg genannt.

Sie verweist darauf, dass Kaiser Wilhelm mit der "Blankovollmacht" auf einen persönlichen Brief des österreichischen Kaisers geantwortet hat, in dem Franz Josef das Attentat als direkte Folge der Agitation von "russischen und serbischen Panslawisten" bezeichnet, deren Ziel die "Zertrümmerung" Österreich-Ungarns sei. Von Beginn an wird Russland also zum Kreis der Schuldigen gezählt.

Entsprechend stellt auch der deutsche Kaiser mit der Blankovollmacht sehr wohl auf Russland ab. Dazu Mombauer (S. 41f):

Wie Szögyény am 5. Juli berichtete, versicherte der Kaiser dem österreichischen Botschafter nach Lektüre der Schriftstücke aus Wien, "dass Deutschland in gewohnter Bündnistreue an unserer Seite stehen werde", selbst wenn es "sogar zu einem Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Russland kommen" sollte. Aber in dieser historisch wichtigen Besprechung übte der deutsche Verbündete auch Druck auf die Österreicher aus, denn, so der Kaiser, wenn man in Wien "wirklich die Notwendigkeit einer kriegerischen Aktion gegen Serbien erkannt hätte", dann wäre es bedauerlich, diesen für Österreich "so günstigen Moment" ungenutzt verstreichen zu lassen.

Mombauers Urteil hierzu:

Diese deutsche Blankovollmacht gegenüber Österreich-Ungarn, es möge nach eigenem Gutdünken handeln – selbst auf die Gefahr der Eskalation eines lokalen Kriegs gegen Serbien in einen Krieg gegen Russland (und damit zwangsläufig gegen dessen Verbündeten Frankreich) hin –, ist ein Schlüsselmoment in der Julikrise.

Die These, dass Deutschland mit der Blankovollmacht einen Kriegsentrittt Russlands nicht "unwahrscheinlicher machen" wollte, sondern ihn bewusst in Kauf genommen hat, belegt Mombauer mit einem Zitat von Bethmann Hollweg:

Bezeichnend hierbei ist Bethmann Hollwegs Kalkül am 8. Juli: "Kommt der Krieg nicht, will der Zar nicht, oder rät das bestürzte Frankreich zum Frieden, so haben wir doch noch Aussicht, die Entente über dieser Aktion auseinanderzumanövrieren."

Nach diesen Worten sah Bethmann Hollweg den Serbienkonflikt also als Chance, Russland in den Krieg zu ziehen und militärisch zu besiegen - oder, für den Fall dass es doch nicht zum Krieg kam, die Entente ohne Gewalt zu sprengen.

Die letzte Andeutung ist richtig: ÖU ging bei der beschlossenen Aggression gegen Serbien davon aus, dass Russland nicht eingreifen werde. Hast Du andere Erkenntnisse?
Ja, habe ich. Auch hierzu Mombauer:

Das Versprechen von Berlin ermöglichte es der Wiener Regierung, ihren nächsten Schritt gegen Serbien zu planen, was in der historisch entscheidenden Sitzung des gemeinsamen Ministerrats am 7. Juli geschah. Dabei war allen Teilnehmern durchaus bewusst, dass ein Vorgehen gegen Serbien einen Krieg gegen Russland nach sich ziehen könnte. Der Vorsitzende, Berchtold, führte aus, "dass ein Waffengang mit Serbien den Krieg gegen Russland zur Folge haben könne". Dieser sei auf lange Sicht unvermeidlich, da Russland eine österreichfeindliche Außenpolitik betreibe. "Die logische Folge […] wäre, unseren Gegnern zuvorzukommen und durch eine rechtzeitige Abrechnung mit Serbien den bereits in vollem Gang befindlichen Entwicklungsprozess aufzuhalten, was später nicht mehr möglich sein würde". Er sprach also sowohl von einem Präventivkrieg gegen ein in Zukunft auf dem Balkan intervenierendes Russland als auch von einer Abrechnung mit Serbien…

MfG
 
Nach diesen Worten sah Bethmann Hollweg den Serbienkonflikt also als Chance, Russland in den Krieg zu ziehen und militärisch zu besiegen - oder, für den Fall dass es doch nicht zum Krieg kam, die Entente ohne Gewalt zu sprengen.

Im Prinzip bezieht sich Mombauer in ihrer Darstellung auf Mombauer (The Origins of the First World War, 2013, S. 192 5. July, Szögyeny an Berchtold).

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch wichtig, was bei Mombauer (Die Julikrise) nicht steht. So schreibt Szögyeny als Einschätzung durch Berlin "Russia was...at the present time not prepared for war, and would certainly think very hard before appealing to arms."

Berlin hielt St. Petersburg wie in der Vergangenheit noch nicht für einsatzbereit und deswegen !!!! war man auch "bellizistischer" gegenüber Ö-U.

In diesem Sinne war durchaus, wie 1908 (Bosnien Krise) und 1912 /13 ein "Brinkmanship" gegenüber St Petersburg beabsichtigt und sofern Krieg, dann als "Polizeiaktion" (Halt in Belgrad). Man wollte den lokalisierten Krieg, aber war auch bereit, ihn als "Präventiv-Krieg" gegen Russland in 1914 zu führen. Weil man glaubte ihn dann eher gewinnen zu können wie in 1917 oder später.

Zumal man von der Neutralität von GB zu diesem Zeitpunkt durchaus ausging.

Somit war es eine politische Fehleinschätzung durch Berlin (Bethmann, Jagow & Zimmerman und von Moltke & Falkenhayn) des Verhaltens in St. Petersburg und letztlich auch in London.
 
Zuletzt bearbeitet:
In diesem Zusammenhang ist jedoch auch wichtig, was bei Mombauer (Die Julikrise) nicht steht. So schreibt Szögyeny als Einschätzung durch Berlin "Russia was...at the present time not prepared for war, and would certainly think very hard before appealing to arms."

Nachtrag: Ähnlich Plessen (ebd. S. 194) "that the Russians - though friends of Serbia - nonetheless will not participate.", als übereinstimmende Meinung zusammen mit KW II und Militärkabinett (Lyncker & Falkenhayn).
 
Und diese Fehleinschätzung der russischen und der britischen Bereitschaft durch Berlin, den letzten Schritt in den Krieg zu gehen ist, findet sich in der historischen Diskussion ebenfalls wieder.

Bei Trachtenberg (The Meaning of Mobilization 1914, International Security, Vol. 15, Issue 3, Winter 1990-91, S. 120-150) wird der Eskalationsprozess betrachtet, der sich nach dem Ö-U Ultimatum an die Serben vollzog.

Aufbauend auf diese Darstellung greift Levy (J.S. Levy: Mobilization and Inadvertence in the July Crisis, International Security, Vol 16, Issue 1, Summer 1991, S. 189-203) die Fehlwahrnehmung der britischen und der russischen Position auf.

Vor diesem Hintergrund argumentiert Levy, dass ein Scheitern des "Brinkmanship" in Reichweite kam, als Bethmann am 29 und 30 July mässigend auf Ö-U einzuwirken versuchte. Die Ursache ist dabei aus der Sicht von Levy in der Warnung durch Grey zu sehen, dass GB nicht neutral bleiben würde bei einem Krieg. Zu diesem Zeitpunkt wird Bethmann deutlich, dass die Lokalisierung, wie von KW II zu dem Zeitpunkt auch gewünscht ("Halt in Belgrad") nicht erreichbar ist und somit das "Brinkmanship" versagt.

Von Trachtenberg kommt eine Erwiderung auf Levy (ebd, S. 198) und er streicht die Interaktionswirkung der Warnung von Grey und der russischen Teilmobilmachung heraus auf den "Ernüchterungsprozess" um den 29. 07. bei Bethmann.

In diesem Sinne war das "Brinkmanship" bis zum 30. 7. durch die Politik mit getragen worden, aber nach dem 30.07. waren es vor allem die Militärs, die die Eskalation der Krise vorangetrieben haben. Sowohl Moltke als auch Conrad wollten jetzt "ihren" Krieg. Moltke einen Präventivkrieg gegen Russland und Conrad einen Krieg gegen Serbien, der zumindest die Bedrohung von Bosnien Herzegowina beendet.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Prinzip bezieht sich Mombauer in ihrer Darstellung auf Mombauer (The Origins of the First World War, 2013, S. 192 5. July, Szögyeny an Berchtold).
Sie bezieht sich also auf sich selbst und "zitiert" aus einem ihrer eigenen Werke, das ein Jahr früher erschienen ist. Was ändert das? Sie vertritt - "unter dem Strich" - die Auffassung, dass Deutschland und Ö-U einen Kriegseintritt Russlands in Kauf genommen, vielleicht sogar provoziert haben. Damit vertritt sie eine Position, die in krassem Widerspruch zu der Behauptung steht, Österreich habe einen russischen Kriegseintritt für "unwahrscheinlich" gehalten und Deutschland habe mit der "Blankovollmacht" einen russischen Kriegseintritt noch unwahrscheinlicher machen wollen.

Und damit belegt die bloße Existenz der These von Mombauer, dass die hier gebetsmühlenartig wiederholten Hinweise auf einen angeblichen "Stand der Forschung", den jeder Lernbereite/(Gut-)Willige "überall nachlesen" könne, jeder Grundlage entbehren. Dass hier jemand anderer Meinung ist als ich, ist mir völlig egal. Ich finde es nur langsam nervtötend, dass mir monoton und argumentfrei entgegengehalten wird, ich sei ja nur deshalb anderer Meinung, weil ich den "Stand der Forschung" nicht kennen würde. Alternativ kam auch schonmal das Argument, ich sei ideologisch verblendet...

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch wichtig, was bei Mombauer (Die Julikrise) nicht steht. So schreibt Szögyeny als Einschätzung durch Berlin "Russia was...at the present time not prepared for war, and would certainly think very hard before appealing to arms."
Lies es doch einfach nochmal! Das steht bei Mombauer sehr wohl. Sie geht selbstverständlich darauf ein, dass die Verantwortlichen in Berlin Russland für "noch nicht kriegsbereit" hielten. Genau deshalb war man in Berlin ja der Ansicht, dass die Juli-Krise eine so "günstige" Situation war, einen Krieg zu beginnen! So günstig, dass man sie - mit Kaisers Worten - nicht "unbenutzt verstreichen lassen" durfte!

Du liest daraus, dass mit einem Kriegseintritt Russlands nicht gerechnet worden wäre. Dann ruf Dir mal die von Mombauer zitierte Aussage von Bethmann Hollweg in Erinnerung. Die liest sich nämlich ganz anders! Da steht: Wenn Russland in diesem für Russland so "ungünstigen" Moment in den Krieg eintritt, wird Russland unterliegen. Wenn Russland NICHT in den Krieg eintritt, ist das der Hebel, mit dem man diplomatisch die Tripleentente zerbrechen kann.

Und das hat Bethmann Hollweg schon am 8. Juli 1914 (!) so formuliert. Schon an diesem 8. Juli 1914 war Deutschland sicher, dass Österreich mitziehen würde (der Beschluss fiel ja am 7. Juli 1914). Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Deutschland die Serbienkrise nutzen wollte, um die deutsch-russischen Verhältnisse militärisch zu klären.

Dass dies den österreichischen Regierungskreise auch vollkommen klar war, ist an den Zitaten aus der Sitzung vom 7. Juli abzulesen, die Mombauer in ihrem Werk schreibt. Diese Zitate widerlegen unmissverständlich die Behauptung, dass Österreich geglaubt habe, die Russen würden stillhalten. Den Österreichern war völlig klar, dass mit einem russisches Eingreifen gerechnet werden musste.

In diesem Sinne war durchaus, wie 1908 (Bosnien Krise) und 1912 /13 ein "Brinkmanship" gegenüber St Petersburg beabsichtigt und sofern Krieg, dann als "Polizeiaktion" (Halt in Belgrad).
Warum spekulierte Bethmann Hollweg dann am 8. Juli 1914 über einen Rückzieher des Zaren oder über mögliche "erschreckte" Reaktionen Frankreichs? Schon am 8. Juli muss Bethmann Hollweg gewusst haben, dass Frankreich in die ganze Sache involviert werden würde. Und das soll jetzt belegen, dass es sich um einen "Regionalkonflikt" zwischen Ö-U und Serbien handelte, der erst später grenzüberschreitend wurde???

Mit "Halt in Belgard" hat das übrigens genau gar nichts zu tun. Niemand hat behauptet, dass Österreich (oder Deutschland) einen Vorstoß zur Eroberung Moskaus geplant hätten. Man wollte nur provozieren, dass die Russen ihrerseits zum Angriff übergehen und unterliegen. Es mag jetzt revanchistisch klingen, aber: Der Plan hat ja sogar funktioniert.

Man wollte den lokalisierten Krieg, aber war auch bereit, ihn als "Präventiv-Krieg" gegen Russland in 1914 zu führen. Weil man glaubte ihn dann eher gewinnen zu können wie in 1917 oder später.
Genauso ist es. Und genau deshalb ist die Blankovollmacht ausgefertigt worden. Sie diente dazu, Russland schon 1914 in einen Krieg zu ziehen, der 1917 nicht mehr zu gewinnen gewesen wäre. Das meinte der Kaiser, als er von der "für uns so günstigen" Lage sprach.

Zumal man von der Neutralität von GB zu diesem Zeitpunkt durchaus ausging.
Woran sieht man, dass dies den Konflikt beeinflusst haben soll?

Wenn meine These richtig ist, dann hat das Deutsche Reich in der Julikrise entschieden, dass es günstiger wäre, den (erwarteten) Krieg nicht erst 1917 (nach Abschluss der russischen Aufrüstung) sondern schon 1914 zu führen. Wenn das so war, dann war klar, dass in den Krieg auf Frankreich involviert werden würde. Damit war auch klar, dass der Schlieffen-Plan ausgelöst werden musste. Damit war klar, dass einer der Gegner - Russland oder Frankreich - "schnell und nachhaltig" besiegt werden musste, um einen Zwei-Fronten-Krieg zu verhindern. Und damit gab es auf deutscher Seite die Hoffnung, dass ein Kriegseintritt Englands keine Auswirkungen mehr haben würde. Genau darum ging es ja beim Schlieffenplan: Frankreich so schnell zu plätten, dass man die Hände frei hatte für die Befassung mit einem russischen Reich, das noch nicht wirklich kriegsbereit war.

Somit war es eine politische Fehleinschätzung durch Berlin (Bethmann, Jagow & Zimmerman und von Moltke & Falkenhayn) des Verhaltens in St. Petersburg und letztlich auch in London.
Meiner These nach war es keine politische Fehleinschätzung. "Politisch" betrachtet, ist genau das passiert, was dermaßen "erwartbar" war, dass sogar ein Kommentator der Berliner Zeitung es niederschreiben und veröffentlichen konnte. Es war eine MILITÄRISCHE Fehleinschätzung. Russland war schneller kriegsbereit als es in Berlin erwartet wurde. Und Österreich hatte den Russen weniger entgegenzusetzen, als es in Berlin erhofft wurde.

MfG
 
In diesem Sinne war das "Brinkmanship" bis zum 30. 7. durch die Politik mit getragen worden, aber nach dem 30.07. waren es vor allem die Militärs, die die Eskalation der Krise vorangetrieben haben.
Zwei Dinge sollten Dir auffallen.

Erstens: Wir reden jetzt seit einiger Zeit nicht vom 30.7. sondern vom 7.7. Beachtet man das, könnte es "völlig egal" sein, was am 30.7. noch so alles passiert ist.

Zweitens: Aus Deiner Argumentation, dass erst ab dem 30.7. es "vor allem die Militärs" gewesen seien, die zur Eskalation der Krise beigetragen haben, darf man schließen, dass VOR dem 30.7. "vor allem" die Politiker die Krise eskaliert haben.

Ich halte es immer noch für völlig blödsinnig, zu behaupten, dass das Militär einen Krieg dadurch ausgelöst haben soll, dass es einem Marschbefehl der Politik gehorcht hat.

MfG
 
....

Berlin hielt St. Petersburg wie in der Vergangenheit noch nicht für einsatzbereit und deswegen !!!! war man auch "bellizistischer" gegenüber Ö-U.

In diesem Sinne war durchaus, wie 1908 (Bosnien Krise) und 1912 /13 ein "Brinkmanship" gegenüber St Petersburg beabsichtigt und sofern Krieg, dann als "Polizeiaktion" (Halt in Belgrad). Man wollte den lokalisierten Krieg, aber war auch bereit, ihn als "Präventiv-Krieg" gegen Russland in 1914 zu führen. Weil man glaubte ihn dann eher gewinnen zu können wie in 1917 oder später.
....

Man kann den Gedanken so weiterführen:
Sollte Russland bereits jetzt bereit für eine Eskalation sein,
so wäre es dies wenige Jahre später umsomehr.
Denn im DR, wie auch in anderen Staaten, ging man davon aus, dass Russland dann sich in ganz erheblich stärkerer militärischer Position befände.
Somit konnte auch argumentiert werden, dass diese Krise ein Prüfstein für längerfristige Absichten Russlands sei.
Clark vertritt diese These (Schlafwandler - Seite 537).
Man kann sich das durchaus vorstellen in einem allgemeinen Klima der fieberhaften Aufrüstung und einer damit einhergehenden Paranoia.
(Nicht plausibel hingegen ist Clarks Annahme, dies widerspreche einer "Politik des kalkulierten Risikos". Denn natürlich ging man ein großes Risiko ein.)
 
Maelonn schrieb:
Dem habe ich ja schon zugestimmt. Nur bleibt die Frage: Was hätte Ö-U getan, wenn Serbien auch diesem letzten und letztlich einzig strittigen Punkt im Ultimatum zugestimmt hätte? Welchen Kriegsgrund hätte es dann noch gegeben?
Eine sehr berechtigte Frage. Die Kriegstreiber in Wien hätten ernste Probleme gehabt, den Krieg den eigenen Völkern zu erklären; unbestritten von der Tatsache, das man den Krieg wollte. Das Ultimatum war absichtsvoll so aufgesetzt, das es angeblich für Belgrad unannehmbar war; nur das war es definitv nicht. Hätten die Russen den Serben nicht den überflüssigerweise den Rücken so gestärkt, wäre es möglicherweise doch nicht, zumindest nicht zu jenem Zeitpunkt zum Kriege gekommen. Und die serbische regierung befürchtete wohl auch nicht ganz zu unrecht, das ihre Verwicklung bzw. Kenntnis derAttentatspläne bekannte wurden, das Licht der Weltöffentlichkeit erblicken. Serbien Ruf wäre dann restlos ruiniert.


thanepower schrieb:
Vor diesem Hintergrund argumentiert Levy, dass ein Scheitern des "Brinkmanship" in Reichweite kam, als Bethmann am 29 und 30 July mässigend auf Ö-U einzuwirken versuchte.
Das war schon ein wenig mehr als nur mäßigend, das war letzten Ende die Kündigung des Blankoschecks, die auf Anweisung Wilhelms von Bethmann in Wien storniert; siehe seine Weltbrandtelegramme.
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Ich halte es immer noch für völlig blödsinnig, zu behaupten, dass das Militär einen Krieg dadurch ausgelöst haben soll, dass es einem Marschbefehl der Politik gehorcht hat.

MfG

Natürlich wäre eine solche These "blödsinnig".
Nur stellt sich die Situation ja so nicht dar.

Auf das Ansinnen des Kaisers WII am 1. August man könne nun den Angriff auf Frankreich unterlassen reagiert Moltke mit einer schlichten Befehlsverweigerung.
Am Höhepunkt der Krise diktiert hier das Militär und nicht die Politik.
Man kann davon ausgehen, dass Wallach die Sachlage zutreffend beschreibt:
"Die deutschen Staatsmänner auf den ihnen zustehenden Anteil an der Gesamtplanung verzichtet und haben den militärischen Plan als einen endgültigen Orakelspruch angenommen."
Es ist Stand der Kenntnis, dass hier es eben nur einen Plan gab, welcher sofort zur großen Eskalation führen musste.

Es wäre also auch "blödsinnig", wenn man schon diesen Ausdruck gebrauchen will, davon auszugehen, dass das Militär nur ausführendes Organ gewesen sei.
Vielmehr war ein erheblicher politischer Einfluss vorhanden.

Und blicken wir auf Russland:
Am 28. Juli veranlasst die russische Regierung eine Teilmobilmachung gegen Ö-U, um dieses von einer Aggression gegen Serbien abzuschrecken.
Unmittelbar darauf erklärt das Militär seinem Souverän, dass es hierfür nicht nur keinen Plan gäbe, sondern die Fahrpläne der Eisenbahnen derart durcheinander bringen würde, dass eine spätere Gesamtmobilmachung dadurch ganz erheblich behindert werden würde.
"General Sukhomlinov warned the Czar that "much time would be necessary in which to re-establish the normal conditions for any further mobilization" following a partial mobilization, and General Yanushkevich flatly told Sazonov that general mobilization "could not be put into operation" once partial mobilization began."
Van Evera - The Cult of the Offensive and the Origins of the First World War.

Auch hier wird nicht etwa das Handeln durch die Politik bestimmt, sondern durch das Militär.
Und es sind auch hier bemerkenswerte Parallelen zum DR zu sehen.

Es war halt nicht so, dass Soldaten das waren was wir heute als "Bürger in Uniform" kennen, oder uns so vorstellen.
Vielmehr haben wir in Russland, und im DR, Herrscher in Uniform, deren Intellekt nicht dem der Militärs gewachsen war und sich daher diesen letzlich beugten.

In der Tat, wenn die Militärs sich dem politischen Willen unterworfen hätten, wären sie nicht dafür zu rügen, dass der große Krieg begonnen wurde.
Nur entspricht das halt nicht der Sachlage.
Mit der Zuspitzung der Krise wuchs ihr unangemessener Einfluss zur Entscheidungsgewalt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Am 28. Juli veranlasst die russische Regierung eine Teilmobilmachung gegen Ö-U, um dieses von einer Aggression gegen Serbien abzuschrecken.

Diese angebliche Drohung wurde so stümperhafte umgesetzt, das man die Mobilmachung als das verstand, als was sie nur verstanden werden konnt: Als handfeste Kriegsdrohung. Den wie bitte soll denn eine Mobilmachung ohne eine unmissverständliche Kommunikation anders verstanden werden?


Unmittelbar darauf erklärt das Militär seinem Souverän, dass es hierfür nicht nur keinen Plan gäbe, sondern die Fahrpläne der Eisenbahnen derart durcheinander bringen würde, dass eine spätere Gesamtmobilmachung dadurch ganz erheblich behindert werden würde.

Moltke hat hier ein wenig gesponnen. Der Aufmarsch Ost war zwar nicht ganz auf den laufenden Stand er Dinge, nach Auskunft von Groener, aber man hätte sicher zügig über ein Plan B verfügt.

In der Julikrise war die treibende Kraft auf deutscher Seite nicht das Militär, sondern ganz eindeutig das Auswärtige Amt und der Reichskanzler. Das Militär kam erst spät, sehr spät ins Spiel. Und dauch dann war Moltke noch zögerlich. Es war Falkenhayn, der Kriegsminister, der es nicht erwarten konnte.
 
Sollte Russland bereits jetzt bereit für eine Eskalation sein, so wäre es dies wenige Jahre später umso mehr.
Denn im DR, wie auch in anderen Staaten, ging man davon aus, dass Russland dann sich in ganz erheblich stärkerer militärischer Position befände.

Diese Überlegung hat eine Rolle gespielt in der Sichtweise von Moltke (Mombauer: Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War. 2001, S. 106ff) und auch bei Bethmann, wie man bei Riezler vom 7.7.1914 (Erdmann: Tagebücher, Aufsätze, Dokumente, 1972, S. 181) nachlesen kann.

Speziell bei diesen beiden waren es jedoch Kombinationen, die auf der einen Seite eine sehr skeptische Beurteilung der Zukunft beinhaltete und somit den Gedanken des Präventivkriegs umso attraktiver erschienen ließen.

Andererseits vertritt Hewitson die These, dass die Entscheider im DR durchaus auch selbstbewußt im Jahr 1914 waren und somit zumindest für 1914 davon ausgingen, den Krieg erfolgreich zu beenden (Hewitson: Germany and the Causes of the First World War, 2014)

Allerdings darf bei dieser Betrachtung nicht übersehen werden, dass es durchaus realistische Alternativen zu dem Bündnis vom DR und Ö-U gab. In diesem Sinne diente - aus der Sicht von Bethmann - die Lokalisierung des Konflikts dabei dem primären Zweck, der Stabilisierung der Position von Ö-U auf dem Balkan. Und wie Riezler auch deutlich macht, dem Zusammenhalt der Allianz zwischen dem DR und Ö-U.

Ob im Jahr 1917, das als Jahr der Fertigstellung für den Ausbau der russischen Armee und der strategischen Eisenbahnlinien als bedrohlich angesehen wurde, Russland überhaupt noch mit Frankreich gegen das DR verbündet gewesen wäre, darf man durchaus hinterfragen.
 
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Turgot,

die letzte Zitierung ordnest Du Moltke zu.
Sie bezieht sich aber auf Sukhomlinov und Yanushkevich.
-- "General Sukhomlinov warned the Czar that "much time would be necessary in which to re-establish the normal conditions for any further mobilization" following a partial mobilization, and General Yanushkevich flatly told Sazonov that general mobilization "could not be put into operation" once partial mobilization began."

Ich versuch mal eine Übersetzung:
"General Sukhomlinov warnte den Zaren, dass es viel Zeit brauchen würde für jede weitere Mobilisierung um normale Bedingungen herzustellen die "einer Teilmobilmachung folgen würden, und General Yanushkevich erklärte Sazonov schlicht, dass eine Generalmobilmachung "nicht durchgeführt werden könne" wenn erst eine Teilmobilmachung erfolgt sei."

Es ist ja die Parallelität zu Moltke fast verblüffend.
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Ob im Jahr 1917, das als Jahr der Fertigstellung für den Ausbau der russischen Armee und der strategischen Eisenbahnlinien als bedrohlich angesehen wurde, Russland überhaupt noch mit Frankreich gegen das DR verbündet gewesen wäre, darf man durchaus hinterfragen.

Das "darf man durchaus hinterfragen."
Denn angenommen Russland hätte sich so entwickelt, wie seinerzeit vorausgesagt, und in der Rückschau schwer nachvollziehbar ist, dann hätte es ja nicht mehr eines Bündnisses mit Frankreich bedurft.
Und wären sich die Franzosen dessen bewusst gewesen, so müsste es ihr Interesse gewesen sein, den großen Konflikt alsbald zu schüren und, unter gerade noch günstigen Bedingungen, zu entflammen.

Europa als Pulverfass:
Und Gewinner wird nur der sein, dem es gelingt den ersten großen Schritt zu tun.
Was für ein Wahnsinn!
Und freilich, fragt man nach der Schuld, dann richtet sich zurecht der Blick auf jene, die das Streichholz in die Pulvermühle warfen.
Und die Frage ob es ein halber Depp war, wie KWII, oder der nicht weniger debile Nikolaus, macht die Sache auch nicht besser.

Es war der Kriegseröffner das DR.
Welch eine Schande.
 
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Und die Frage ob es ein halber Depp war, wie KWII, oder der nicht weniger debile Nikolaus, macht die Sache auch nicht besser.

Es war der Kriegseröffner das DR. Welche Schande.

Weder KW II noch Nikolaus waren Deppen. Die Kritik von Röhl an KW II kann ich an vielen Punkten nachvollziehen, dennoch wird man anerkennen müssen, dass beide alleine, ohne ihre Berater, sich wohl geeinigt hätten. Entsprechend dem "monarchischen Prinzip", auch wenn es schon etwas fragil geworden war in 1914.

Und das mit der "Schande" ist wohl nicht mehr zeitgemäß. Eine nicht sinnvolle Emotionalisierung einer vergangenen Periode.

Und letztlich und da kann man Albertini oder Fay nur in ihrem frühen, differenzierten und faktenreichen Urteil zur Kriegsursachenforschung für 1914 zustimmen, dass es wenige gab, die gänzlich ohne "Schuld" waren. Ohne die Verantwortung von den Akteuren im DR und in Ö-U zu nehmen.

Wie hatte doch ein Historiker zutreffend formuliert: "Wenn sie doch wenigstens Handies gehabt hätten, um sich gegenseitig anzurufen". Es wären deutlich weniger Mißverständnisse über die Intentionen des jeweils anderen Staates entstanden. Es wurde in 1914 nicht unerheblich unter den Bedingungen des "Fog of War" entschieden mit eingeschränkter Sicht auf die Intentionen der anderen Staaten.

Und die "Lessons learned" für die Bewertung der Möglichkeit eines Atomkriegs aus dem Juli 1914 war dementsprechend, dass die unkontrollierte "versehentliche" Eskalation eines Konflikts wohl die größte Gefahr für den Frieden ist.
 
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