Andererseits sind aber gerade bei historischen Spielern, die eine besondere Machtfülle haben, der Charakter und die persönliche Wahrnehmung besonders interessant zu ergründen.
Die Persönlichkeit von Kaiser Wilhelm II war sicherlich vielschichtig. Ob er für seine Aufgabe bei der Amtsübernahme geeignet gewesen ist, bezweifelt beispielsweise Mommsen [1, S. 20] und zitiert v. Holstein und Herbert v. Bismarck, der KW II zutraute, Deutschland leichtfertig zu regieren und innenpolitisch in Richtung auf einen Bürgerkrieg zu steuern und außenpolitisch in Richtung Krieg. Was zumindest 1888 unter dem verhängnisvollen Einfluss von Waldersee in Richtung "Päventivkrieg" gegen Russland sich bereits zeigte und nur durch Bismarck unterbunden werden konnte.
Bei Röhl werden die negativen Merkmale von KW II deutlich herausgearbeitet, wie auch von "hatl" schon erwähnt [2]. Manifestieren tun sich diese Persönlichkeitsmerkmale im "persönlichen Regiment" und dieses setzt er im Rahmen der "Kommandogewalt" durch und hat damit den direkten Zugriff auf das zentrale Ordnungsinstrument im DR. der Armee.
Der autoritäre, selbstherrliche Herrschaftsstil wirkt sich drastisch auf die Personalpolitik im Kaiserreich aus, indem die "negative Selektion" von Opportunisten ein Merkmal wird.
Ähnlich wirkt sich das "persönliche Regiment" direkt auch im Bereich der Armee aus, da KW II einerseist sich zum Militärischen hingezogen fühlt, aber gleichzeitig die Spitzenmilitärs für inkompetente "alte Säcke" hält. Mit der Konsequenz, dass er sehr tief in militärische Belange einsteigt, die allerdings aufgrund mangelnder Konstanz und Konzentration von KW II nicht selten schlecht gelöst werden.
Am gravierendsten ist sein persönlichkeitsbedingtes negative Wirken auf der Ebene der Integration von Politik und Armee zu sehen. Es gab keine Institution, wie in Frankreich oder in GB, die die politischen und die militärischen Ziele koordinierte. Auch beispielsweise auf der Ebene der Integration von Zielen der Armee (Schlieffenplan) und den Aktionen der Risiko-Flotte. Moltke und Tirpitz haben deswegen weitgehend autonome Ziele verfolgt, die eigentlich durch KW II hätten koordiniert werden müssen. Ähnlich wie die Planungen von Moltke und Bethmann.
In Berlin herrschte somit unklare Kompetenzzuweisungen, keine ausreichende Koordination und ebenfalls keine ausreichende Kommunikation der zentralen Institutionen.
Als Erklärung wird angeführt, dass er es mit seiner Persönlichkeit als oberster Befehlshaber nicht vebinden konnte, dass ein Gremium einen Teil seiner Befugnisse übertragen bekommt.
Zusätzlich, und sofern man die ganzen Skandale betrachtet, wie Röhl [3 & 6] es ausführlich darstellt, wird ersichtlich, dass die Persönlichkeit von KW II für einen "weisen" Herrscher denkbar ungeeignet war, auch in allen seinen Facetten wie die neueren Beiträge bei Mombauer und Deist als Festschrift für Röhl es zeigen [7]
Und kritisch ist m.E.mit Röhl [5] auch zu konstatieren, dass die neuere Historiografie zum WW I, wie beispielsweise in den ansonsten hervorragenden Readern oder Monographien von Hamilton oder Herwig, die Rolle bzw. auch Verantwortung von KW II für die Entscheidung zugunsten des Krieges eher untertrieben wird.
Und noch eine Anmerkung zu Nikolaus: So stellt Clark fest, dass die nicht selten vermutete "Geisteskrankheit" nicht immer eine eine medizinische Dimension aufwies, als vielmehr eine politische Beurteilung war. Vor allem neigten britische Botschafter dazu, dieses zu konstatieren, sofern der Zar britischen Interessen nicht entsprochen hat [4, S. 43].
Damit will ich die kritische Beurteilung von Witte, der m.E. ein fähiger Staatsmann war, gar nicht in Frage stellen.
Abschließend ist dennoch auch festzuhalten, dass die semi-absolutistischen Herrscher, KW II und Nikolaus II, um 1900 mittlerweile sehr stark durch das Verhalten ihrer Regierungen bzw Kanzler "domestiziert" waren, wie es sich dann an "Björko" zeigte.
Und genau diese Widersprüche illustrierten die strukturellen Defizite des politischen System in Russland und im DR.
1.W.Mommsen: War der Kaiser an allem schuld? 2002
2. J. Röhl: Kaiser, Hof und Staat.1987, bes. S. 17 ff: Kaiser Wilhelm II. Eine Charakterskizze
3. J. Röhl: Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900 - 1914, 2009, S. 709 ff, z.B. Nemesis: Wilhelm II und die Daily Telegraph Affäre,
4. C. Clark: Wilhelm II, 2000, S. 40ff Die Persönlichkeit des Kaisers
5. J. Röhl: The Curious Case of the Kaiser`s Disappearing War Guilt. in: H. Afflerbach & D. Stevenson: An improbable War. 2007, S. 75ff
6. J. Röhl: Wilhelm II, 2013, bes. Kap. IV Der skandalumwitterte Souverän (1906-1909)
7. A. Mombauer & W. Deist: The Kaiser. New Research on Wilhelm II`s Role in Imperial Germany, 2013