Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1

Ich will nochmal auf van Evera zurückkommen.

Nach seiner Darstellung war es so, dass die meisten europäischen Entscheidungsträger offenkundig davon ausgingen, dass auf eine Mobilisierung, von welcher Seite auch immer, innerhalb von Tagen, wenn nicht von Stunden, reagiert werden musste, wollte man nicht einen ungünstigen Kriegsausgang riskieren.
.. most European leaders apparently believed that mobilization by either side which was not answered within a very few days, or even hours, could affect the outcome of the war.
D. h. ja, dass es der russischen Führung hätte klar sein müssen, dass eine Vollmobilisierung den großen Brand zünden, oder zumindest die Gefahr dafür erheblich vergrößern würde.
Warum also,zum Teufel, mobilisierte Russland zuerst und ging ein Risiko ein, für das es doch nach eigenem Verständnis nur ungenügend vorbereitet war? Das ist doch geradezu widersinnig!

Hier findet sich bei van Evera folgende Erklärung:
Die russische Führung habe zunächst nur eine Teilmobilisierung verkündet und musste dann feststellen, dass hierfür keine militärische Planung gegeben habe und wäre dann vor der Entscheidung gestanden entweder einen kompletten Rückzieher, mit dem entsprechenden Gesichtsverlust, zu machen oder die Vollmobilisierung durchzuführen.
Denn eine solche konnte, wie sich schnell zeigte, nur dann effektiv durchgeführt werden, wenn eben auf die Teilmobilisierung verzichtet wird.
Ganz oder garnicht..

Und nun steht die, folgt man den Darstellungen van Everas, offenkundig nicht ausreichend kompetente russische Führung vor einem folgenschweren Dilemma.
Man kann sich ganz zurückziehen und sich gewissermaßen blamieren, auch mit den damit einhergehenden negativen aussenpolitischen Auswirkungen,
oder man verschärft die Krise in gefährlicher Weise.
Keine der beiden Optionen ist wünschenswert.

Schließlich entscheidet man sich für die Verschärfung der Eskalation.
Und das ist ein außerordentlich unverantwortliches Tun,
welches noch nicht einmal aus einer vermuteten eigenen Stärke entspringt.
Und man muss sich fragen, ob eine solche Entscheidung möglich sein konnte ohne die Geringschätzung des Rechtes der eigenen Bürger auf ein würdiges Leben.

(Für jene im DR, die den baldigen Krieg wünschen, ist das gewissermaßen ein Glücksfall.
Denn eben diese Frage stellen sich hier die einflußreichen Sozialdemokraten mit der bekannten Antwort darauf.)
 
Ich will nochmal auf van Evera zurückkommen.

Nach seiner Darstellung war es so, dass die meisten europäischen Entscheidungsträger offenkundig davon ausgingen, dass auf eine Mobilisierung, von welcher Seite auch immer, innerhalb von Tagen, wenn nicht von Stunden, reagiert werden musste, wollte man nicht einen ungünstigen Kriegsausgang riskieren.

D. h. ja, dass es der russischen Führung hätte klar sein müssen, dass eine Vollmobilisierung den großen Brand zünden, oder zumindest die Gefahr dafür erheblich vergrößern würde.
Warum also,zum Teufel, mobilisierte Russland zuerst und ging ein Risiko ein, für das es doch nach eigenem Verständnis nur ungenügend vorbereitet war? Das ist doch geradezu widersinnig!

Hallo Hatl, ich möchte im Folgenden noch einmal auf die vorherige Diskussion zurückkommen. Sorry, wenn das jetzt diese wichtige Frage überdeckt.

Wenn es recht ist, können wir die anschließend duplizieren und erneut aufgreifen. Es soll also nicht verwischt oder überdeckt werden oder untergehen.
 
Wann und wodurch fiel denn die Entscheidung, dass die Balkankrise zum Weltkrieg werden sollte? Spätestens am 7.7.14? Dann müssen wir über den Einfluss, den Militärs am 31.7.14 hatten, gar nicht mehr nachdenken.
So simpel ist das nicht.

Die Entscheidung über Blankoscheck und lokalen Krieg (="Balkankrieg" ÖU/Serbien mit angestrebter Ausschaltung Serbiens als Machtfaktor) wurde bis zum 7.7.1914 vom Deutschen Reich und Österreich getroffen. An dieser Entscheidung waren deutsche Militärs nicht beteiligt (die entgegen stehende Ansicht von Hoffmann (Der Sprung ins Dunkle) basiert ausschließlich auf Spekulationen über Quellenlücken, und wird mangels Beleg von der Forschung nicht geteilt (siehe Jansen, Der Weg in den Ersten Weltkrieg, Daas deutsche Militär in der Julikrise 1914).

"Geschäftsgrundlage" bzw. Entscheidungsgrundlage des Blankoschecks war die Annahme bzw. die Unterstellung der Politik (dies wiederum ursächlich gespeist von den Äußerungen der Militärs vor der Krise), dass Russland zu diesem Zeitpunkt keinen Krieg gegen ÖU bei deutscher Rückendeckung riskieren würde (dazu später, siehe unten), insgesamt nicht kriegsbereit sei.

Diese Entscheidung mit dieser Entscheidungsgrundlage wurde bekanntlich von der deutschen Politik später in Frage gestellt, als es "ernst" wurde und die Unterstützung Russlands sicher wurde und nunmehr außer Frage stand. Bzgl. des Heeres (die Marine, obwohl interessanterweise früher skeptisch als das Heer) läßt sich das in die Zeit nach dem 21.7.1914, unmittelbar vor dem ÖU-Ultimatum verorten (-> Jansen). In diesen Ereignisablauf hinein wird nun die Einflussnahme des Militärs (u.a. Moltke-Memorandum), die Logik der Mobilisierungen und Offensivplanungen entscheidend.

Oben ging es weiter darum, den Kern des Blankoschecks nach dem Forschungsstand zu beschreiben:
silesia schrieb:
Bei der Blankovollmacht geht es um die Abschreckung eines russischen Eingreifens und um die Beeinflussung ÖUs, gegen Serbien militärisch vorzugehen und sich über ein Eingreifen Russlands nicht zu sorgen. Das kalkulierte Risiko Bethmanns ist gerade, dass bei einem angedrohten Beistand Berlins kein russisches Eingreifen erfolgen wird... Russland bei einer deutschen Rückdeckung nicht militärisch in den Konflikt ÖU/Serbien eingreifen werde...ÖU ging bei der beschlossenen Aggression gegen Serbien davon aus, dass Russland nicht eingreifen werde.
Der sachliche Inhalt dieser Aussagen ist eigentlich unkompliziert. McMeekin formuliert den Stand der Forschung folgendermaßen:

"As even its supporters realize, the botched execution of the Austro-German plot to isolate and punish Serbia hardly suggests brilliant, “cold-blooded” design. The original plan conceived by Bethmann Hollweg during the Count Hoyos visit in early July was to forge a fait accompli, a chastisement of Serbia by Austrian arms to be completed before the great powers could react. Bethmann Hollweg was clear from the start about the objective of localizing the conflict. While Moltke, a notorious pessimist, was less sanguine about the prospects for limiting the war’s scope, he too chimed in from Carlsbad with the hope that “Austria must beat the Serbs and then make peace quickly."

Bethmanns Konzept der kalkulierten Risikos sah also eine Rückendeckung für den lokalen Konflikt vor, um Serbien militärisch schnell zu erledigen, und damit die Konservierung des angestrebten Balkankrieges als lokalen Krieg, indem die anderen Großmächte (Russland durch die deutsche Beistandsgarantie) außen vor gehalten werden sollten. Dem Begriff "kalkuliertes Risiko" ist zu entnehmen, dass dieses - der große Europäische Krieg - "kalkuliert" vermieden werden sollte. Im Folgenden wird gezeigt, dass dieses Risiko deshalb kalkulierbar erschien, weil man einen Krieg ÖU/RUS bei einer deutschen Beistandsgarantie zu diesem Zeitpunkt für nicht wahrscheinlich hielt.

Im folgenden hingebogen liest man dann dieses:
Maelonn schrieb:
Diese These gibt aber keineswegs den "Stand der Dinge in der Forschung" wieder, den man "überall nachlesen" kann, wie Du das weiter oben und im hier zitierten Beitrag erneut behauptet hast. ...Entsprechend stellt auch der deutsche Kaiser mit der Blankovollmacht sehr wohl auf Russland ab....Die These, dass Deutschland mit der Blankovollmacht einen Kriegsentrittt Russlands nicht "unwahrscheinlicher machen" wollte, sondern ihn bewusst in Kauf genommen hat, belegt Mombauer mit einem Zitat von Bethmann Hollweg:...
Nach diesen Worten sah Bethmann Hollweg den Serbienkonflikt also als Chance, Russland in den Krieg zu ziehen und militärisch zu besiegen
Selbstverständlich stellten KW II. und Bethmann-Hollweg explizit auf Russland ab: wie oben geschrieben, ist es gerade Sinn der Rückendeckung, Russland von einer militärischen Konfrontation mit ÖU abzuschrecken. Wen denn auch sonst? Mombauer schreibt außerdem nicht, dass Ziel des Blankoschecks und der Risikopolitik sei, den Krieg mit Russland anzustreben.

1. ist das Abstellen des Blankoschecks zu Russland oben ausdrücklich erwähnt worden (nämlich dessen Abschreckung). Was hier die Formulierung "sehr wohl auf Russland" bedeuten soll, als ob das oben ausgeschlossen worden sei, ist mir mangels Gegensatz unerfindlich.

2. "nicht unwahrscheinlicher machen": das ist falsch zitiert, vielmehr sollte der Blankoscheck den Krieg ÖU/RUS "unwahrscheinlicher" machen.

3. ist zu trennen zwischen der Risikosicht eines Kriegseintritts Russlands bei den deutschen und ÖU-Entscheidungskreisen Anfang Juli 1914 und - darüber hinaus - einer angeblichen Zielsetzung des Blankoschecks, Russland "in den Krieg zu ziehen"

4. Mit dem von Dir erwähnten Berghahn hat das bei mir überhaupt nichts zu tun. Die von mir oben dargestellte Interpretation ist vielmehr herrschende Meinung, abgestützt auf die Quellenlage 3.7./21.7.: Die deutsche Blankovollmacht diente dazu, Russland aus dem von ÖU angestrebten lokalen Balkankrieg herauszuhalten, und nicht dazu, Russland "in den Krieg zu ziehen".

Dazu nun im Folgenden eine Aufarbeitung der Quellen und der Literatur.
 
Szenarien und Eintrittswahrscheinlichkeiten (Entscheidung unter Risiko): das "Kalkül"

Zu Literatur und Quellen:

Die gegenteilige These (mit der Blankovollmacht sei der Krieg gegen Russland ausdrücklich erwünscht, beabsichtigt oder sogar Zielsetzung) ist durch die Quellen nicht belegt, und so auch nicht bei Mombauer oder in den zitierten Quellen zu finden. Diese äußern sich zu einem allgemein wahrgenommenen Kriegsrisiko mit Russland (und zwar interessanterweise sowohl bei den "Falken", die aber das Risiko zugunsten des Konfrontationskurses marginalisieren, als auch bei den "Tauben", die in den Phasen der Julikrise gerade den riskanten argumentativ mit Verweis auf das Risiko der russischen Involvierung verhindern wollten).

Grob, aber eindeutig erläutert das und diesen Unterschied zwischen einem "Risiko", "Erwartungen" über verschiedene Szenarien und einem angestrebten "Ziel" auch Münkler:

"Berlin spielte auf Risiko, um die Gefahr eines eskalierenden Krieges zu bannen, und eröffnete Wien die Möglichkeit eines begrenzten Militärschlags gegen Serbien, um einen Krieg gegen Russland mit allen zu erwartenden Weiterungen zu verhindern" (Münkler: Der Große Krieg, mit Abstützung auf Angelow: Kalkül und Prestige. Und weiter:

"Dieser Deutung nach mag die deutsche Politik im Sommer 1914 waghalsig gewesen sein, verantwortungslos aber war sie keineswegs, zumal eine nur begrenzte Unterstützung Wiens ebenfalls viele Risiken barg. Es gab somit gute Gründe für die Annahme, Russland werde sich zurückhalten, und diese Gelegenheit sollte ausgenutzt werden, um Belgrad eine Lektion zu erteilen. Insofern nahm sich die Hochrisikopolitik des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg durchaus als verantwortbar aus." (Münkler)

Was erschien nun als das "Kalkulierbare" an der Risikopolitik? -> Eben die Annahme von Russlands derzeitiger Schwäche und die unbedingte - abschreckende! - deutsche Bestandsgarantie: so Pritt Buttar: Collision of Empires - The War on the Eastern Front in 1914:
"There was also a widespread belief that the reputation of German military power, coupled with Germany’s ‘blank cheque’ to Austria-Hungary, might be sufficient to deter the Russians from risking a conflict."

Der Falke Hoyos äußerte zwar vor dem Blankoscheck am 1.7. ein Risiko "von 90%", dass Russland eingreifen würde. Und auch Conrad "erwartete" ein russisches Eingreifen, war jedoch auch aufgrund der Gespräche mit Moltke "überzeugt, dass die serbische Kampagne abgeschlossen sei, bevor Russland mobilisiert" habe. Und diese "Erwartungen" der Falken wurden durch die deutsche Garantie auf eine optimistische Basis gesetzt, wie anhand der Quellen ersichtlich. Das "Restrisiko" bzgl. Russland erschien demnach als so gering, dass von einem angestrebten Krieg gegen Russland nicht die Rede sein kann (-> Münkler).

Solche Risikoeinschätzungen sind systematisch von den Zielen und Zwecken zu trennen, die mit dem Blankoscheck angestrebt werden sollten: a) Erledigung des "serbischen Problems", b) Raushalten von Russland, c) Aufsprengen des Zweiverbands, d) Störungen der Entente. "Russland in den Krieg zu ziehen", ist in diesen Zielsetzungen nicht enthalten.

Verschiedene Abläufe belegen, dass Russland ausdrücklich abgeschreckt und herausgehalten werden sollte, und im Übrigen darauf gesetzt wurde, dass Russland vor dem Krieg letztlich zurückschrecken würde. In unsortierter Reihenfolge die Quellenbelege und Argumentationen der Literatur:

1. die Wahl des Zeitpunktes des Ultimatums: die gezielte Verzögerung der russisch-französischen Reaktion sollte ausdrücklich das Heraushalten Rußlands bewirken, weil Petersburg sich nicht der frz. Rückversicherung sicher sein sollte und in der Serbien unterstützenden Reaktion behindert werden sollte (Angelow, Schmidt, Kreiger, usw). Zweck dieser Verzögerung: Verunsicherung Russlands, um es aus dem Krieg zu halten.

2. die ÖU-Mobilisierung ging zunächst mit Schwerpunkt Serbien und ohne angemessene Berücksichtigung eines russischen Kriegsschauplatzes ab, wurde überhaupt erst in den letzten Krisentagen auf Russland verlagert: Plan B gegen Serbien wurde am 19.7. beschlossen, und eben nicht Plan R gegen Russland. Endgültig ausgelöst wurde Plan B durch den Kaiser am 24.7. "Aware that he needed to deliver a killing blow to the Serbs before the Russians could intervene, Conrad moved to strengthen the forces committed against Serbia. Plan B called for the B-Staffel and Minimalgruppe Balkan to deploy seven corps, but Conrad now added III Corps from A-Staffel. In an attempt to avoid giving the Russians any excuse to declare war prematurely, he expressly ordered that no preparations were to be made for war in Galicia." (Stevenson)

3. umgekehrt war die steigende Irritation in Berlin über die ÖU-Verzögerung durch die Entscheidungsgrundlage verursacht, doch gerade mittels Geschwindigkeit und Überraschung Russland außen vor zu haltenn:

"Throughout the crisis, the inability of Vienna to move faster had been a repeated cause of irritation in Berlin, where officials, both military and civilian, believed that the best chance of preventing a general war and keeping the crisis localised was to proceed quickly. " (Stevenson)

4. unmittelbar mit dem Blankoscheck versicherte Wilhelm II. Falkenhayn in der Annahme, Russland außen vorhalten zu können, dass keinerlei militärische Vorbereitungen getroffen werden müssten. Stevenson, Militarization an Diplomacy in Europe before 1914.

Weiteres folgt.
 
5. Die Entscheidungen in Berlin für den Großen Europäischen Krieg fielen erst mit dem Krisenfortschritt und den politisch-diplomatisch Maßnahmen in FRA/RUS:

"The German government abandoned its goal of localized Balkan operations not because Moltke dictated policy but because the Triple Entente's military preparations (promptly and accurately reported by the GGS) persuaded the emperor and officials such as Jagow and Bethmann that they had to choose between entering a general war and backing down. Having resolved on July 5-6 to risk a European conflagration by giving assurances to the Austrians, after July 31 they resolved to start one." (Stevenson)

6. Warum nun war die Wahrnehmung des Risikos letztlich begrenzt? Weil Russland als unfertig und nicht bereit zum Krieg angesehen wurde:

"According to Jagow, however, the crux was that at present Germany was while "Russia fundamentally was not." The Kaiser himself considered Russian intervention unlikely, "because Russia is, at the present moment, militarily and financially totally unprepared for war. ... the kaiser as saying,"as things stand today, Russia is far from being prepared for war, and will think twice before taking up arms." Quelle Jagow, zitiert nach Wohlforth: The Perception of Power: Russia in the Pre-1914 Balance.

7. dass um den Zeitpunkt der (lokalen) Kriegsentscheidung gegen Serbien 3.7./7.7.14 von einem Heraushalten Rußlands ausgegangen wurde, zeigt letztlich die von politischen und militärischen Kreisen wahrgenommene Veränderung ab dem 20.7./23.7. mit dem verzögerten Ultimatum (McMeekin beschreibt diese Phase als "Radio Silence"), dass nunmehr die Überzeugung kippte und vorherrschend wurde, Russland werde die Eliminierung Serbiens verhindern. Dieses Kippen verband sich mit der Dynamik der Ereignisse des Ultimatums und den nun absehbar drohenden Mobilisierungen, also den militärischen Aufmarsch-Mechanismen und der Logik der Kriegspläne.

8. aus der engeren Betrachtung Wilhelms ein Schlaglicht: "Just how little Wilhelm was thinking of a major war in these first days after the murders in Bosnia is clear from the fact that on the evening of 3 July he was still talking about the journey he was planning to make to Bucharest in the autumn." (Röhl, Wilhelm II.)

Die Haltung vor und nach dem Attentat war in dem Sinne identisch, als das politische Ziel war, Serbien militärisch und als Machtfaktor zu erledigen. Ziel und Risikoeinschätzungen (greift Russland ein?) sind hier deutlich zu trennen. Natürlich gab die "Präventivkriegskrieger", die einen Krieg kommen sahen:

"Not merely German generals, but also some high-ranking civilians in the Wilhelmstrasse greeted the Sarajevo assassinations as a welcome opportunity to launch the so-called preventive war against Russia and France under what they thought would be favourable circumstances: neither Russia nor France was militarily ‘ready’, and England, faced with the Irish problem, the militant suffragette movement and other difficulties, could not go to war, and had moreover recently shown herself friendly towards Germany."

5.7.14: Russia’s attitude will inevitably be hostile, but he [Wilhelm] had been prepared for this for years, and if it should come to war between Austria-Hungary and Russia, we could be confident that Germany will, as usual, stand by our side as a loyal ally. Russia was, moreover, as things stood today, by no means prepared for war, and will certainly think twice about resorting to arms. [Diese Überlegungen betreffen den Fall, dass das Kalkül des Blankoschecks, des politischen Risikokalküls von KW II. und B-H nicht aufgeht.

"H.M. summons me to the Neues Palais for 5 o’clock. I find there the head of the Military Cabinet Lyncker and the War Minister Falkenhayn. H.M. reads us a letter from the Emperor of Austria and a memorandum from the Aus[trian] For[eign] Minister Count Berchtold, according to which the Austrians are preparing for war against Serbia and want to be sure of Germany in advance. The Reich Chancellor and the [Under ]Secretary of State also appear. We are of the opinion that the sooner the Austrians strike at Serbia the better and that the Russians – although friends of Serbia – will not join in." (Plessen, 5.7.14, zitiert von Röhl) "This contemporary source is an unvarnished record of the unanimous stance taken by the Kaiser, the Reich Chancellor and the army leadership. There was no disagreement amongst them. One even has the impression that the path to be taken was agreed between the generals and the civilian leaders before they went to Potsdam. The talks and correspondence between Waldersee and Zimmermann referred to above also suggest collusion" (Röhl)

9. die ältere Literaturkontroverse zum deutschen "Kriegsrat" belegt gerade die Annahme, dass man davon ausging, mit Blankoscheck und Kriegsentscheidung gegen Serbien Russland heraushalten zu können.

A) Beispiel McMeekin, July 1914, zum "Kriegsrat" vom 5.7.1914:
"There is no precise transcript of what was said at this historic 5 July audience in Potsdam, but several of the participants wrote accounts shortly afterwards, which give a good idea of what was —and was not— decided. First, General Plessen wrote in his diary that night that the gist of the Austrian diplomatic notes, as presented by the kaiser, was that “the Austrians are getting ready for a war with Serbia and want first to be sure of Germany.” Everyone was agreed, Plessen recalled, that “the sooner the Austrians make their move against Serbia the better.” The “prevailing opinion” in the room, he observed, was that “the Russians—though friends with Serbia—will not join in.” There was thus no need for extraordinary military preparations, and the kaiser would proceed with his annual July Baltic cruise as normal." ...Sowie:

B) "As the kaiser prepared to leave on Monday morning, he summoned Germany’s top-ranking active-duty army and navy officers. With Moltke and Tirpitz still absent, he spoke instead with Admiral Eduard von Capelle, the acting chief of Naval Staff, and General Hermann von Bertrab from the General Staff. He informed them of Austria’s plans to take action against Serbia. To Bertrab, he emphasized that he did “not think that Russia will intervene, particularly in view of the cause [e.g., a regicide], the Tsar . . . will hardly ever decide to do so. His Majesty therefore regards the affair as in the first instance a purely Balkan concern.” To Capelle, the kaiser said that “Russia and France were not prepared for war.”

C) Verschiedene Berichte bestätigen, dass man im Zeitpunkt der österreichischen Kriegsentscheidung gegen Serbien in Berlin davon ausging, Russland werde letztlich nicht involviert:
"H.M. had promised this, but did not believe that Russia would stand up for Serbia, who had soiled herself with the assassination. Nor would France let it come to a war either, as its field army was deficient in heavy artillery. But even if war against Russia and France was unlikely, it must nevertheless always be kept in mind as a military possibility." (Zenker-Tagebuch).

D) So auch die österreichische Wahrnehmung aus den deutschen Meinungen, siehe Szögyény:
"His Majesty Kaiser Wilhelm Himself, are – one might almost say actually pressing us towards possibly taking military action against Serbia’, Szögyény attributed to a number of ‘general political considerations’. First and foremost was the conviction that although Russia was arming for a future war, she was ‘not adequately prepared for one at the present moment’. Hence there was ‘absolutely no certainty’ that Russia would help Serbia militarily if she became involved in war with Austria-Hungary. ‘And should the Tsarist Empire nevertheless decide to do so, it is at the moment far from militarily prepared and far less strong than it will be in a few years’ time.’" (Röhl)

E) Was selbstverständlich in keiner Weise ausschließt, dass der Krieg gegen Russland als Möglichkeit einkalkuliert wurde, und auch eine Wahrscheinlichkeit dafür gesehen wurde. Die "Reihenfolge" legte Wilhelm selbst fest, am Tage seiner Kreuzfahrt 7.7.14:
"‘This time I shall not topple over.’ If Russia mobilised, he declared, he would answer with war."

F) Schließlich sprachen aus deutscher Sicht sehr plausible Gründe dafür, dass Russland zögern musste: Clark, Schlafwandler, sieht das so: "Immerhin implizierten die Hinweise, dass sich die Erfolgsaussichten derzeit verringerten, zugleich, dass das Risiko einer russischen Intervention minimal* war. Wenn die russischen Siegeschancen in einem Krieg gegen Deutschland drei Jahre später wirklich erheblich besser als 1914 sein sollten, warum sollte St. Petersburg dann jetzt das Risiko eines Kontinentalkrieges eingehen, solange es noch nicht dazu bereit war?"

* das "minimal" als Eintrittswahrscheinlichkeit ist dabei falsch und wird von Clark auch nicht begründet.
 
10. Diese Haltung zog sich bis zur "Halt-in-Belgrad"-Idee durch. Am 23.7.1914: "The articles from St Petersburg on the farewell speeches of the French President and the Tsar on 23 July he spattered with his favourite dismissive expressions: ‘Quatsch!’ ‘Rubbish!’ and ‘Lies!’ The Dual Alliance between France and Russia had been concluded, he was convinced, ‘for a combined robber attack on us!" (Clark)

Die obskure "Halt-in-Belgrad"-Idee zielte darauf, Russland aus dem Krieg zu halten.

11. Die Sichtweise in ÖU nach Erhalt des Blankschecks war ausdrücklich darauf gerichtet, Russland rauszuhalten (Rauchensteiner: ) "Die politische und vor allem die militärstrategische Sicht blieb in Wien auf das Problem Serbien konzentriert, und es wurde lediglich der Frage des russischen Verhaltens noch einige Aufmerksamkeit geschenkt. In Berlin hingegen wurde über den großen Krieg nachgedacht, der durchaus in europäischen Dimensionen gesehen wurde und daher mit ganz anderen Vorzeichen herbeigeführt werden sollte als der isolierte »dritte Balkankrieg«, den die k. u. k. Verantwortlichen führen wollten.

12. Kennzeichnend hierzu der österreichische (Kriegsrat/) Ministerrat ÖU: 7.7.1014:
"Das Fazit des gemeinsamen Ministerrats war: »Es entspinnt sich aufgrund dieser Aufklärungen eine längere Debatte über die Kräfteverhältnisse und den wahrscheinlichen Verlauf eines europäischen Krieges.« Am Schluss riet nur Tisza dazu, nichts zu überstürzen, und er war es, der durchsetzte, dass eine Mobilmachung und im Weiteren ein Krieg gegen Serbien erst in Erwägung gezogen werden sollten, wenn, wie es im Protokoll dieser Sitzung hieß, »konkrete Forderungen an Serbien gerichtet und dieselben zurückgewiesen sowie ein Ultimatum gestellt worden« waren. Allerdings waren sich alle Teilnehmer des Ministerrats darin einig, dass die konkreten Forderungen an Serbien so formuliert werden sollten, dass sich eine Ablehnung voraussehen ließ und damit eine »radikale Lösung im Wege militärischen Eingreifens angebahnt würde«. Auch hier geht es ausschließlich um den lokalen Balkankrieg (Rauchensteiner)

Und Nachlass Tisza: "Um jedoch Verwicklungen mit Italien aus dem Wege zu gehen, die Sympathie Englands zu sichern und es Russland überhaupt zu ermöglichen, Zuschauer des Krieges zu bleiben, müsste unsererseits in entsprechender Zeit und Form die Erklärung abgegeben werden, dass wir Serbien nicht vernichten, noch weniger annektieren wollen. Nach einem glücklichen Kriege nämlich wäre meines Erachtens Serbien durch Abtretung seiner eroberten Gebiete an Bulgarien, Griechenland und Albanien zu verkleinern, für uns aber höchstens gewisse strategisch wichtige Grenzregulierungen zu fordern. Freilich hätten wir Anspruch auf Entschädigung der Kriegskosten, was uns [eine] Handhabe bieten würde, Serbien für lange Zeit in fester Hand zu behalten." 8.7.1914 (Rauchensteiner)

"Dabei kamen sicherlich auch ein gerüttelt Maß an Wunschdenken ins Spiel und die schon mehrfach erwähnte eingeengte Sicht der Machtverhältnisse und der Interessen in Europa. Die isolierte Sicht ging so weit, dass zwar immer wieder Russland als möglicher Kriegsgegner genannt wurde, ein sofortiges Eingreifen aber als zumindest fraglich galt und nicht einmal als eine 50: 50-Eventualität in Rechnung gestellt wurde. Russland, Frankreich, Großbritannien, Italien und wer immer sollten mit einem Dossier über die Schuld Serbiens informiert und damit ruhiggestellt werden. Denn, so hoffte man am Ballhausplatz, wenn die Beteiligung der serbischen Regierung am Thronfolgermord zweifelsfrei nachgewiesen würde, dann konnte doch kaum jemand hergehen und die österreichischen Maßnahmen als übertrieben ansehen. Dann würde Russland Serbien vielleicht noch verbal unterstützen, es aber an einer tatsächlichen Hilfe fehlen lassen, ..." (Rauchensteiner)

Über den österr. Kriegsrat gibt es zwar eine Debatte zu Berchtolds Protokollnotizen, aber McMeekin stellt hierzu klar: "There is some debate as to whether Berchtold revised the meeting protocol here, having originally said that the Germans believed that “war with Russia would be the likely consequence” of an Austrian war against Serbia. This statement may have reflected the views of Zimmermann, as passed on by Hoyos. It would not, however, have accurately represented the views of either the kaiser or Bethmann Hollweg, who both clearly told Austria’s ambassador that they did not think Russia would intervene."

13. Die Lokalisierbarkeitsthese war unter den Politikern weiter vorherrschend: Siehe Rauchensteiner mit Forgach-Zitat am 16.7.:

"...wegen einer Lokalisierung des Krieges ... meinte Forgách: »Nein. Wir können ja nicht darüber sprechen, um nicht im Vorhinein zuzugeben, dass wir den Krieg möglicherweise führen werden. Wir glauben, dass Russland nicht so weit ist, um einen Krieg zu führen.« Auch Deutschland vertritt diese Ansicht, Deutschland, »das sehr aktionslustig und auch bereit ist, jetzt, wenn es sein müsste, die Liquidation der Weltsituation durchzuführen. Wir glauben aber nicht, dass Russland einschreiten wird, weil wir uns nicht denken können, dass der Zar an der Bahre des erschlagenen Erzherzogs den Krieg erklärt. "4

Und zuvor am 12.7. (McMeekin) "The news from Berlin was more positive. That Sunday, Ambassador Szögyény reiterated that the Germans wanted Austria to move quickly against Serbia. This time, though, he was more explicit, saying that “both H. M. Kaiser Wilhelm and all other responsible personages” wanted Austria to “make a clean sweep of the revolutionary conspirators’ nest [in Serbia] once and for all.” The Germans wanted Vienna to realize that “it is by no means certain that . . . Russia would resort to arms” in support of Serbia, and, more significantly, that “the German government further believes it has sure indications that England at the present moment would not join in a war over a Balkan country, even should this lead to a passage of arms with Russia and eventually even with France.” This was more than a blank check: the Germans were all but demanding that Austria attack Serbia immediately."

14. Die Szenarien kippten mit der Dauer, die Österreich bzgl. des Ultimatums ins Land streichen ließ: ab dem 20.7.1914 (Rauchensteiner: ) "Im Augenblick aber, da man in Berlin zur Überzeugung kam, dass sich Russland vom Schock erholt hatte und zu seiner früheren Politik der Unterstützung Serbiens zurückkehrte, kamen die alten Überlegungen über den Zusammenhang einer Ost- und einer Westfront wieder zur Geltung. "

Ergo, wie zB Clark (Wilhelm II.) resümiert:

"Mit großer Wahrscheinlichkeit spielten solche Argumente bei den Überlegungen der deutschen Führung im Hintergrund eine Rolle, in dem Sinne, dass sie das wahrgenommene Risiko relativierten, das mit einem potenziellen Konflikt zwischen Deutschland und zwei oder mehr Großmächten verbunden war. Auf der anderen Seite liegt aber auch auf der Hand, dass Wilhelm eine russische Intervention weder für wahrscheinlich hielt, noch provozieren wollte. Am 2. Juli hatte Salza Lichtenau, der sächsische Gesandte in Berlin berichtet: Obwohl hohe Militärs erklärten, dass »wir es zum Kriege jetzt, wo Russland noch nicht fertig [sei], kommen lassen sollten«, halte er es für unwahrscheinlich, dass der Kaiser diese Ansicht übernehme. Am nächsten Tag stellte der sächsische Militärbevollmächtigte in einem Bericht fest, dass sich der Kaiser, im Gegensatz zu denen, die einen Krieg je eher desto besser für »günstig« hielten, »für die Erhaltung des Friedens ausgesprochen haben« soll. Wilhelms Adjutant General Hans von Plessen, der an dem Treffen vom 5. Juli teilnahm, notierte in sein Tagebuch: »Bei uns herrschte die Ansicht […] dass die Russen – obwohl Freunde Serbiens – doch nicht mitmachen.« Auf Falkenhayns Frage hin, »ob irgendwelche Vorkehrungen zu treffen seien« für die Möglichkeit eines Konflikts unter Großmächten, verneinte der Kaiser dies folglich. Das Zögern der Deutschen, militärische Vorbereitungen zu treffen, das noch bis Ende Juli ein Kennzeichen des deutschen Krisenmanagements blieb, spiegelte womöglich zum Teil das Vertrauen der Armee auf den bestehenden Bereitschaftszustand wieder. Es zeugte, wie David Stevenson darlegt, aber auch davon, dass die deutsche Führung »am liebsten den Konflikt auf den Balkan beschränkt hätte, selbst wenn sie dadurch ihre Bereitschaft aufs Spiel setzte, falls die Eingrenzung scheitern sollte«" (Clark)

Und so wurde auch die Risikopolitik von außen durch Zeitgenossen betrachtet (zB Kelly, Tirpitz and the Imperial German Navy: ) "Hopmann sent Tirpitz an early draft of the ultimatum for Serbia, and also the first signs of German frustration about the glacial pace of Austrian diplomacy and mobilization preparations; nevertheless, both Capelle and Hopmann were confident that none of the great powers had the appetite for a continental war over Serbia."

Oder kurz zusammengefasst wie bei Keegan (The First World War):

"With the arrival of Berchtold’s emissary, Count Hoyos, in Berlin, on 5 July, calculations of the import of war planning switched to the German side. Berchtold’s memorandum was delivered to the Kaiser by the Austrian ambassador the same day. Over lunch Wilhelm II authorised him to tell Emperor Franz Josef that Austria could ‘rely on Germany’s full support’. The offer seemed to apply as much to the proposal for an alliance with Bulgaria as to action against Serbia; the possibility of Russian intervention was discussed but discounted. So it was also in the discussions with the Kaiser’s ministers and military advisers whom the ambassador saw next. General von Falkenhayn, the Minister of War, asked if preparatory measures should be taken and was told not. Bethmann Hollweg, the Chancellor, had been independently advised by his Foreign Office that Britain would not involve herself in a Balkan crisis nor would Russia if it came to the point. The following day, Monday 6 July, after repeating his own judgement to a number of military officers that Russia, and France also, would not involve themselves and that precautionary measures were consequently not necessary, the Kaiser departed on the imperial yacht, Hohenzollern, for his annual cruise in the Norwegian fjords. "

Nichts anderes behaupten Mombauer und ihr akademischer ex-Lehrer Röhl.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Hatl, ich möchte im Folgenden noch einmal auf die vorherige Diskussion zurückkommen. Sorry, wenn das jetzt diese wichtige Frage überdeckt.

Wenn es recht ist, können wir die anschließend duplizieren und erneut aufgreifen. Es soll also nicht verwischt oder überdeckt werden oder untergehen.

Gar kein Problem Silesia, und ein Kompliment für Deinen nachfolgenden großen Beitrag!
Ich will nicht unbescheiden sein, aber in gewisser Weise führt er sogar auf den Punkt hin, über den ich mir Gedanken machte.
 
... führt er sogar auf den Punkt hin, über den ich mir Gedanken machte.

Das ist so. Vorab zwei ergänzende Hinweise:
http://www.geschichtsforum.de/f62/welchen-teil-des-ultimatums-hat-serbien-1914-nicht-erf-llt-33269/
http://www.geschichtsforum.de/f62/k...d-russlands-vom-deutschen-blankoscheck-48521/

Für die russische Reaktion ist dieser Ablauf bedeutsam.

Während die Diplomatie der Mittelmächte Aktivitäten entwickelte, um im Kontext des Ultimatums Verbündete zu finden (so zB das Osmanische Reich, Bulgarien), erwarteten die übrigen Großmächte die Note, von deren Vorbereitung sie zwar nicht inhaltlich im Detail, aber dem Bevorstehen nach Kenntnis hatten.

Die russische Reaktion (Vorbereitungsphase, dann Teilmobilmachung) steht im unmittelbaren Kontext des Ultimatums (Otte, July Crisis). Hier gibt es in der Literatur zwei Lager, deren Exponenten man kurz grob und kurz skizzieren kann:

1. McMeekin geht von einem mittelfristigen russischen Plan aus, die Balkankrisen zur Besetzung der Dardanellen auszunutzen. Dieses habe sich mit der Liman-von-Sanders-Krise,
http://www.geschichtsforum.de/f58/liman-von-sanders-krise-und-die-dardanellen-ein-versuch-48539/
den russisch-britischen Marinegesprächen
http://www.geschichtsforum.de/f58/d...sch-britische-marineabkommen-1912-14-a-32681/
dem Besuch des französischen Bündnispartners in Petersburg
http://www.geschichtsforum.de/f62/poincar-besucht-russland-im-juli-1914-a-31936/
etc. verfestigt. Das sich McMeekin hier entweder auf überhole Literatur oder durch Verweise auf Quellenlücken stützt, hatte ich schon geschrieben.

2. Die restlichen Forschungsbeiträge (ich lasse mal die "Abschreibenden" wie Clark außen vor) gehen davon aus, dass das Ultimatum die russische Reaktion hinreichend erklärt.

Angeführt wird hier u.a. die heftige Reaktion Sazonows auf das Ultimatum (die McMeekin ohne schlüssigen Beleg als "gespielt" abstuft und in Art einer Verschwörungstheorie vorherige Kenntnis unterstellt). Die heftige Reaktion der russischen Diplomatie erklärt sich (Otte, July Crisis, und andere wie Bobroff etc.) ...

- aus der Form des Ultimatums (ein Urteil, dass vielerorts geteilt wurde, und dessen Form aus der speziellen "diplomatische Lesart" beachtet werden muss)
- aus der kurzen Fristsetzung (für die es nach den wochenlangen Verzögerungen keine diplomatische Begründung geben konnte)
- aus der Wahl des Zeitpunktes (jedem war klar, dass Abgabe und Fristsetzung unter Ausnutzung der Kommunikationsprobleme während des Poincare-Besuches in Petersburg gezielt gesetzt waren)

Otte analysiert, dass diese "Umstände" des Ultimatums für die russische Seite nur eine Interpretation offenließen: a) die Antwort ist egal, b) es ist abgemachte Sache den Krieg gegen Serbien unter alllen Umständen zu beginnen, und das Deutsche Reich deckt entgegen aller diplomatischen Dementis dieses Kriegsziel. Das wurde auch so deutlich allen Dritten kommuniziert, inkl. den Mittelmächten und FRA/GB.

Damit ergab sich folgende russische Lagebeurteilung:

- die bisherigen russischen Positionierungen waren nicht ausreichend, obwohl es massenweise eindeutige, unmissverständliche diplomatische Warnungen vor dem nicht lokalisierbaren Balkankrieg ÖU/Serbien gab) - die oben genannten Punkte wurden daher auch als unmittelbarer diplomatischer "Angriff" auf Russland interpretiert.

- der Krieg ÖU/Serbien ist beschlossene Sache der Mittelmächte.

- es handelt sich um eine konzertierte Aktion, eine gemeinsame Konfrontation von ÖU und DR gegen Russland.

- die bisherigen russischen Warnungen, dass eine Kriegführung gegen Serbien nicht hingenommen werden würden, sind in den Wind geschlagen worden: daraus ergibt sich zwingend aus russischer Sicht das Urteil, dass die Mittelmächte diese Warnungen als Bluff verstanden haben.

Zu konstatieren ist eine besondere Aufregung durch diese gezielte, getaktete und aus russischer Sicht als gegen Russland interpretierte Krisenverschärfung. Daraus haben sich zwei Handlungsoptionen ergeben:

- die Haltung des russischen Militärs: den Krieg gegen Serbien ohne russische Beteiligung hinzunehmen. Man muss sich die Dramatik dieser Haltung vor Augen führen: neben der diplomtischen Niederlage würde die Balkanfrage endgültig zu Gunsten der Mittelmächte "geregelt" (man saß auf massiven Spannungen mit Bulgarien, man wartete beiderseits auf den nächsten Krieg mit dem Osmanischen Reich, Rumänien würde sich der Dominanz der Mittelmächte nicht verschließen können, Serbien würde erledigt. Mir geht es hier nicht darum, moralische Wertungen solcher imperialistischen Betrachtungen vorzunehmen: es soll das Ausmaß und die Konsequenz dieser Haltung des russischen Militärs vor Augen geführt werden, um die Dramatik der Situation zu erfassen. Bildlich steht man diplomatisch mit dem Rücken an der Wand, und die Militärs plädieren: Hände verschränken.

- die (obsiegende) Haltung der Politik: Verschärfung der bislang diplomatisch nicht ernstgenommenen russischen Positionierung, bei einem von den Mittelmächten geführten Angriffskrieg gegen Serbien mit dem Ziel der Beseitigung als Machtfaktor nicht an der Seite zu stehen. Hier blieb nach den diplomatischen Monologen und gebetsmühlenartigen Kriegswarnungen für den Fall des Angriffs nur eine weitere (Eskalations!)Möglichkeit, um einen Krieg ÖU abzuschrecken: Kriegsvorbereitungshase, ggf. nachfolgend eine Mobilmachung.

Übrigens basiert die Information, eine russische Teilmobilmachung sei geradezu undurchführbar, bei allen Autoren letztlich auf einer einzigen russischen (nachrangigen) Nachkriegsquelle, die dies in Kenntnis der Kriegsentwicklungen 1914/17 behauptet. Ich halte das für unplausibel und nachträglich konstruiert, wenn man neuste Literatur zur russischen Armee heranzieht, aufgrund der ganz überwiegend geographisch strukturierten Korps-Mobilmachung (sortiert nach Distrikten, schon aufgrund des Engpasses der überregionalen Eisenbahnverbindungen), und entsprechend zahlreichen praktischen "Teil"übungen.

Das ist aber nur eine Randfrage. Sollte man sich dagegen der Meinung anschließen, dass sei tatsächlich "unmöglich" gewesen, dann verschärft sich logischerweise nur die Dramatik dieses politisch dominierten (die Militärs überstimmenden!) Schrittes: es wird ein Organisationschaos produziert, möglicherweise eine noch angeordnete Generalmobilmachung erschwert, nur um einen weiteren Schritt in der Eskalation der Abschreckung zu unternehmen, von dessen Erfolg man nicht überzeugt war.
 
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Ganz ehrlich: Ihr seht mir persönlich Russlands Rolle einfach zu harmlos. Man könnte den Eindruck gewinnen, es hätte für Russland wer weiß was auf dem Spiel gestanden. Dem war aber nicht so. Gerade durch die Balkankriege ist die Situation für Russland auf dem Balkan sehr vorteilhaft umgestaltet worden. Und der Balkanbund wurde von Herrn Hartwig, russischer Botschafter in Belgrad, maßgeblich geschmiedet. Und Russland war ein Riesenreich; da gab es nicht nur den Balkan. Petersburg hat Wien auf dem Balkan sehr erfolgreich in die Enge getrieben.

Es ist nicht leicht, argumentativ entgegenzutreten wenn Clark und Co. hier regelmäßig in Bausch und Bogen zerrissen werden. Ich habe schon viele positive Rezensionen zu sein Werk gelesen.
 
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Übrigens basiert die Information, eine russische Teilmobilmachung sei geradezu undurchführbar, bei allen Autoren letztlich auf einer einzigen russischen (nachrangigen) Nachkriegsquelle, die dies in Kenntnis der Kriegsentwicklungen 1914/17 behauptet. Ich halte das für unplausibel und nachträglich konstruiert, wenn man neuste Literatur zur russischen Armee heranzieht, aufgrund der ganz überwiegend geographisch strukturierten Korps-Mobilmachung (sortiert nach Distrikten, schon aufgrund des Engpasses der überregionalen Eisenbahnverbindungen), und entsprechend zahlreichen praktischen "Teil"übungen.
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Danke.
Ich bin schon fast ein bisserl entteuscht, denn die Darstellung van Everas, die sich auf die Memoiren von Anton Denikin (die ich nicht gelesen habe) stützen, hätte mir die Haltung der russischen Regierung noch halbwegs plausibel gemacht.
Denn ich vermute, dass Turgot hiermit schon richtig liegt:
Man könnte den Eindruck gewinnen, es hätte für Russland wer weiß was auf dem Spiel gestanden.
Vor allem wenn man bedenkt, was für Russland durch eine weitere Eskalation auf dem Spiel stand.
Denn soweit ich es verstehe, musste es doch wissen, dass diese den großen Krieg triggern konnte für den man auch nach eigener Einschätzung nicht ausreichend vorbereitet war.
Und was mich noch mehr erstaunt und was ich nicht wusste:
- die Haltung des russischen Militärs: den Krieg gegen Serbien ohne russische Beteiligung hinzunehmen.
... Bildlich steht man diplomatisch mit dem Rücken an der Wand, und die Militärs plädieren: Hände verschränken.
Das lässt ja die Handlung der russischen Führung als noch unverantwortlicher erscheinen, als ich annahm.
Denn es wäre hier ganz offenkundig ein Vabanquespiel gegeben; sozusagen die russische Variante des "Sprung ins Dunkle".
 
Man könnte den Eindruck gewinnen, es hätte für Russland wer weiß was auf dem Spiel gestanden. Dem war aber nicht so.

Das wird aber vielfach anders bewertet.

Zu Deinem Einwand:
nochmals beschleunigt mit dem kommenden österreichischen Ultimatum, aber schon seit dem Attentat orientierten sich Bulgarien und das Osmanische Reich in Richtung auf ein Bündnis.

Ab den 22.7. wurde über ein Bündnis verhandelt (gegen das interessanterweise Wangenheim - im Interesse des OR! - opponierte und zur Räson gerufen wurde), Bulgarien und das OR verhandelten Richtung ÖU/DR und gegen Russland, und mit erstrebten Garantien des DR gegen Russland und Beistandspakt. Diskutiert wurden Grenzgarantien. Den deutschen Winkelzug aus dem Juli, den Bündnisvertrag nur auf diese Krise zu beschränken, ließ man locker bis zum Kriegsbeginn wegfallen. Grundlegend die Darstellungen:
Hall: Bulgaria's Road to the First World War.
Aksakal: The Ottoman Road to War in 1914 - The Ottoman Empire and the First World War

Nach Isolation Österreichs zu Gunsten Russlands sieht das nicht aus, ganz im Gegenteil: nach Isolation Russlands zugunsten der Mittelmächte. Dazu drohte ein aus russischer Perspektive durch Krieg eliminiertes Serbien, und es drohten weiterreichend Absprachen von ÖU, DR, OR und BUL gegen Griechenland und Rumänien. Im Juli 1914 waren die bisherigen Konstellationen auf dem Balkan vakant.

Die russische Lagebeurteilung war daher völlig zutreffend, Perspektive:
a) das Szenario eines ausgeschalteten Serbiens,
b) eines feindseligen Bulgariens,
c) obsoleter vergangener Bündnisabsprachen,
d) einer sofortigen Anlehnung des Osmanischen Reiches ...
(für das beide Seiten OR/RUS ohnehin auf den nächsten Krieg warteten: siehe Sanborn: Imperial Apocalypse - The Great War and the Destruction of the Russian Empire sowie Reynolds: Shattering Empires - The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires, 1908–1918)
... an die Mittelmächte bei einer offenen, deutlichen Niederlage Russlands in der Julikrise. Das sind in etwa die Eckpunkte der Darstellungen, die den Kontext der russischen politischen Entscheidung für die Abschreckungssignale des drohenden serbisch-österreichischen Krieg eben nicht an einer (quellenseitig nicht belegten) Mittelfristig-Strategie zur Besetzung der Dardanellen festmachen (vorwiegend an die Person Sasonow geknüpft), sondern die konkrete Lage im Juli 1914 in den Vordergrund rücken.

Und das ist nicht überraschend: exakt diese Zuspitzung wurde ja gerade von den Mittelmächten, aktiv und agierend durch das Ultimatum, angestrebt. Genau dieses Szenario sollte kurzfristig umgesetzt werden durch den bereits beschlossenen Krieg gegen Serbien. Es gab auch die zitierten internen Warnungen bzw. Einschätzungen auf Seiten der Mittelmächte, dass dieses Szenario zum Krieg mit Russland führen wird. Diese Warnungen waren schließlich nicht aus der Luft gegriffen.

OT noch eine tageweise strukturierte, umfangreiche Neuerscheinung, die ich gerade lese: Gordon Martel, The Month that changed the World - July 1914
 
Denn soweit ich es verstehe, musste es doch wissen, dass diese den großen Krieg triggern konnte für den man auch nach eigener Einschätzung nicht ausreichend vorbereitet war.

Das lässt ja die Handlung der russischen Führung als noch unverantwortlicher erscheinen, als ich annahm.
Denn es wäre hier ganz offenkundig ein Vabanquespiel gegeben; sozusagen die russische Variante des "Sprung ins Dunkle".

Dass die Teilentscheidungen den Großen Krieg "triggern" konnten, wurde in dem Ringen über das weitere Vorgehen am 24.7.1914 mit Sicherheit besprochen. Der Gegensatz zwischen Politik und Militär macht das gerade deutlich.

Du "überspringst" mit dem Hinweis auf ein Vabanquespiel aber einen Gedanken: nämlich den, dass die Abschreckung durch die gesteigerten, eindeutigen und scharf warnenden russischen Signale gegen einen "lokalen" Krieg Serbien/Österreich ungehört verhallen. Nichts in den Quellen deutet darauf hin, dass es sich hier um Maskerade handelt, und man diesen Schritt bereits ex ante als wertlos angesehen hätte. Die Verschärfung hatte nach den Besprechungen vielmehr das Ziel, diesen österreichischen Schritt aufzuhalten, und das ist erstmal plausibel.

Warum nun der Teilschritt, und nicht - gleich! - die ganz scharfe Drohung mit Mobilisierung?

Diesen "Kompromiss" - herausgekommen ist mit der Teil-Mob. eine Lösung, die jedenfalls angeblich überhaupt nicht ging - muss man wohl der unklaren Situation Russlands im Hinblick auf Großbritannien und damit mittelbar im Hinblick auf Frankreich zuweisen. Der russischen Seite war völlig klar, dass man in einem isolierten Konflikt bzw. Krieg mit den Mittelmächten chancenlos sein würde. Völlig unklar und unsicher war die Haltung Großbritanniens bei einer solchen Verschärfung, und Frankreichs Beistand für Russland wurde - ganz realistisch, völlig abseits von Bündnis"mechanismen" - auch als abhängig vom Beistand Großbritanniens gesehen. FRA/RUS suchten nun eine Klärung dieser Frage vom 24.7./28.7. in hektischen diplomatischen Aktivitäten, um die Abschreckung der Mittelmächte vor dem Waffengang gegen Serbien zu verstärken, was ihnen aber nicht gelang.

Großbritannien, zunächst von der Krisendynamik überrascht, zudem europäisch in der Schaukelpolitik mit beiden Blöcken völlig verheddert, rang sich eben nicht 14 Tage eher als tatsächlich geschehen zu einer klaren Linie durch (wenn das überhaupt eine realistische Option gewesen ist, was man angesichts der realen Abläufe um den 1./3.8.1914 bezweifeln kann):

a) entweder FRA/RUS eine Haltelinie aufzuzeigen, bei der man Serbien den Mittelmächten überlassen hätte und dann künftig globale Krisen mindestens mit Russland zu erwarten waren
b) oder dem Deutschen Reich ähnlich wie 1912 eine unmissverständliche Kriegsdrohung für den Fall zukommen zu lassen, dass man Österreich im weiteren Balkankrieg gegen Russland unterstützen würde.
 
silesia schrieb:
Du "überspringst" mit dem Hinweis auf ein Vabanquespiel aber einen Gedanken: nämlich den, dass die Abschreckung durch die gesteigerten, eindeutigen und scharf warnenden russischen Signale gegen einen "lokalen" Krieg Serbien/Österreich ungehört verhallen. Nichts in den Quellen deutet darauf hin, dass es sich hier um Maskerade handelt, und man diesen Schritt bereits ex ante als wertlos angesehen hätte. Die Verschärfung hatte nach den Besprechungen vielmehr das Ziel, diesen österreichischen Schritt aufzuhalten, und das ist erstmal plausibel.

Die Abschreckung, wenn es denn tatsächlich als solche gemeint war, konnte doch nur funktionieren, wenn dies entsprechend kommunziert wird und das wurde es nicht. Die Mobilmachung wurde als so verstanden, wie eine Mobilmachung nur verstanden werden konnte, nämlich als letzten Schritt hin zur militärischen Auseinandersetzung. Und diesen Schritt ist Russland ohne wirkliche Not zuerst gegangen.
 
Dass die Teilentscheidungen den Großen Krieg "triggern" konnten, wurde in dem Ringen über das weitere Vorgehen am 24.7.1914 mit Sicherheit besprochen. Der Gegensatz zwischen Politik und Militär macht das gerade deutlich.

Du "überspringst" mit dem Hinweis auf ein Vabanquespiel aber einen Gedanken: nämlich den, dass die Abschreckung durch die gesteigerten, eindeutigen und scharf warnenden russischen Signale gegen einen "lokalen" Krieg Serbien/Österreich ungehört verhallen. Nichts in den Quellen deutet darauf hin, dass es sich hier um Maskerade handelt, und man diesen Schritt bereits ex ante als wertlos angesehen hätte. Die Verschärfung hatte nach den Besprechungen vielmehr das Ziel, diesen österreichischen Schritt aufzuhalten, und das ist erstmal plausibel.

Warum nun der Teilschritt, und nicht - gleich! - die ganz scharfe Drohung mit Mobilisierung?

Diesen "Kompromiss" - herausgekommen ist mit der Teil-Mob. eine Lösung, die jedenfalls angeblich überhaupt nicht ging - muss man wohl der unklaren Situation Russlands im Hinblick auf Großbritannien und damit mittelbar im Hinblick auf Frankreich zuweisen. Der russischen Seite war völlig klar, dass man in einem isolierten Konflikt bzw. Krieg mit den Mittelmächten chancenlos sein würde. ....
(Hervorhebung durch mich)

Darf man daraus schließen, dass es dem Interesse der Regierenden Russlands daher entsprach einen größeren Konflikt anzustreben, da ein nicht mehr abwendbarer isolierter Konflikt als nachteiliger angesehen wurde?

Bitte betrachte das nicht als rethorische Frage, denn eine Antwort darauf habe ich nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Darf man daraus schließen, dass es dem Interesse der Regierenden Russlands daher entsprach einen größeren Konflikt anzustreben, da ein nicht mehr abwendbarer isolierter Konflikt als nachteiliger angesehen wurde?

Das ist die Kernfrage.

Turgot ist in seiner Erwiderung oben schon einen Schritt weiter in der Eskalationsspirale, nämlich bei der russischen (Gesamt-)Mobilmachung.

Ich habe oben auf den früheren Zeitpunkt der Verbreitung des Ultimatums an Serbien angespielt, die Krisensitzungen 23.7./24.7. und die Entscheidung der Politik (gegen die Militärs) auf Kriegsvorbereitungsphase. Dass ein Angriff ÖUs auf Serbien Krieg auch mit Russland bedeuten würde, wurde unmissverständlich kommuniziert.

Insofern würde ich die Kernfrage damit beantworten, dass unverändert der Große Europäische Krieg aus russischer Sicht nur als vermeidbar angesehen wurde, wenn ÖU auf den Angriff auf Serbien verzichtet. In gewisser Weise war das ein zweifacher Bluff
a) er war noch von der Aussicht getragen, dass es nicht zum Krieg ÖU/Serbien kommt und die Abschreckung wirkt
b) richtig, es war ein Vabanquespiel, weil für diesen Schritt nicht die definitive Unterstützung Frankreichs klar war, die - Sazonow war nun nicht dumm - wiederum von einer unterstützenden Haltung GBs abhängen würde. Das gilt jedenfalls für diesen Zeitpunkt. Quellenseitig ist nirgends zu entnehmen, dass sich Sazonow der frz. Beteiligung schon aus dem Grund "sicher" sein konnte, dass tatsächlich eine deutsche Kriegserklärung an Russland unmittelbar mit dem grenzüberschreitenden Angriff deutscher Truppen auf Frankreich (Schlieffen-Moltke) dieses russische "Problem" erledigen würde. Das wussten am 28.7. nur interne Kreise in Berlin (und Wien).

Und Sazonows hektische Aktivitäten in Richtung GB zeigten, dass man sich - zutreffenderweise! - selbst in der Kombination RUS/FRA gegen die Mittelmächte nicht in einer überlegenen militärischen Position befand, ganz im Gegenteil.

Diese "Schwebelage" ist doch ein wesentlicher Aspekt, weshalb die "Abschreckung", anders als in anderen historischen Fällen, in der Endphase der Julikrise nicht funktionierte.
 
...
b) richtig, es war ein Vabanquespiel, weil für diesen Schritt nicht die definitive Unterstützung Frankreichs klar war, die - Sazonow war nun nicht dumm - wiederum von einer unterstützenden Haltung GBs abhängen würde. Das gilt jedenfalls für diesen Zeitpunkt. Quellenseitig ist nirgends zu entnehmen, dass sich Sazonow der frz. Beteiligung schon aus dem Grund "sicher" sein konnte, dass tatsächlich eine deutsche Kriegserklärung an Russland unmittelbar mit dem grenzüberschreitenden Angriff deutscher Truppen auf Frankreich (Schlieffen-Moltke) dieses russische "Problem" erledigen würde. Das wussten am 28.7. nur interne Kreise in Berlin (und Wien).
....

Damit wäre es auch mit dem (unsicheren) Kriegseintritt Frankreichs noch ein 'Vabanquespiel' gewesen.
Und es wäre zudem auch so gewesen, dass der russischen Führung zwar der Schlieffenplan als solcher bekannt war, jedoch nicht dessen fataler Automatismus aufgrund seiner (unzweifelhaft verantwortungslosen) Alternativlosigkeit.

Insofern würde ich die Kernfrage damit beantworten, dass unverändert der Große Europäische Krieg aus russischer Sicht nur als vermeidbar angesehen wurde, wenn ÖU auf den Angriff auf Serbien verzichtet. In gewisser Weise war das ein zweifacher Bluff
a) er war noch von der Aussicht getragen, dass es nicht zum Krieg ÖU/Serbien kommt und die Abschreckung wirkt.
Der "Bluff" ist in diesem Zusammenhang vielleicht besonders bemerkenswert.
Denn ich frage mich, ob es nicht typischer für ein diktatorisches System ist, welches ja Russland unter Nikolaus II in hervorgehobener Weise darstellt, das Wohlergehen der eigenen Bürger zum Gegenstand eines Pokerspiels zu machen,
als für liberalere Staatsformen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und es wäre zudem auch so gewesen, dass der russischen Führung zwar der Schlieffenplan als solcher bekannt war, jedoch nicht dessen fataler Automatismus aufgrund seiner (unzweifelhaft verantwortungslosen) Alternativlosigkeit.

Nicht bei Van Evera, aber bei irgend jemand anderem (müsste ich jetzt nachsuchen) ist "the meaning of mobilization" beschrieben, und auch der Umstand, dass dieser Ablauf der Mobilisierung und Aufmärsche laut Schlieffenplan schnell in den Krieg führt bzw. führen kann.

Das ist der "Mechanismus". Ob der russischerseits als wirksam unterstellt wurde, ist nicht mehr aufklärbar, nur das abstrakte Wissen. Wenn man nun mal unterstellt, dass diese Aufmarschplanung - ebenso wie die Fälle des Großes Aufmarsches Ost bis 1912, ab 1913 entfallen - der russischen Seite grob klar war, ist immer noch unklar und wäre quellengestützt zu belegen, ob man sich bei diesem Risikokalkül der russischen Seite darauf verlassen hat.

Nach dem Motto: "FRA bleibt ein unsicherer Kantonist, zuckt vielleicht wg. GB zurück, das erledigen dann aber sicher die Deutschen über den Einmarsch in FRA." So etwas ist nirgends ersichtlich.

Wie der Stimmungsumschwung bei KaWeZwo zeigt, hätte es ja auch sein können, dass der ganze deutsche Aufmarsch-Zirkus Anfang Juli doch noch nach Osten umgestülpt wird (Groener mit seinen: "das würde Monate dauern", lasse ich mal wegen der bis 1912 real existierenden Großaufmarschpläne OST beiseite - da hätte man sicher improvisiert und bei den Hunderten Generalstäblern durchgearbeitet). Ist wohl dann eine Glaubensfrage, ob ein solches Vertrauen in den frz. Kriegseintritt wegen eines deutschen Angriffes auf FRA wirkt, aber ich kann mir kein russisches Kalkül vorstellen, was sich in dieser existenziellen Kriegsfrage "nur" auf die deutsche Planungslandschaft abstützt. Ist auch nirgends problematisiert.

Und in Stufe Zwei ist Folgendes dann nicht geklärt: ist der Zweiverband FRA/RUS überhaupt in der Lage, einen aussichtsreichen Krieg gegen die Mittelmächte zu führen. Die Meinungen dazu dürften bei den Militärs - siehe deren Widerstand gegen den Abschreckungskurs - skeptisch gewesen sein. Auch Sazonow hielt die Unterstützung GBs für unabdingbar. Das spricht alles gegen eine Vermutung, mit der "Kriegsvorbereitungsphase" hätte RUS den Krieg bereits sicher kalkuliert, und es spricht für den Abschreckungskurs.
 
Nicht bei Van Evera, aber bei irgend jemand anderem (müsste ich jetzt nachsuchen) ist "the meaning of mobilization" beschrieben, und auch der Umstand, dass dieser Ablauf der Mobilisierung und Aufmärsche laut Schlieffenplan schnell in den Krieg führt bzw. führen kann.

Ist am Anfang des Threads ausführlich dargestellt worden.

http://www.geschichtsforum.de/716325-post32.html

Der "Klasssiker" war sicherlich die Arbeit von Taylor "War by Timetable. Von Trachtenberg kam dann "The meaning of Mobilization 1914" in International Security, Vol 15, Issue 3,Winter 1990-1991.

Trachtenberg bezieht sich dabei auf Trachtenberg: The Coming of the First World War. A Reassesment, in ders. History & Sterategy, 1991, S. 47 ff

Es gibt dazu noch eine "Correspendence" von Levy, Christensen und Trachtenberg: Mobilization and Inadvertence in the July Crisis.

Und Stevenson hat es zusätzlich noch erweitert in: War by Timetable. The Ralway Race before 1914. in: Past and Present, No. 162, Febr. 1999
 
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