Derzeit lese ich '
Warfare in Medieval Europe c.400-c.1453' von David S. und Bernard S. Bachrach, beides Mediävisten und Spezialisten für das Frühmittelalter. Ich werde das Buch bald ausführlich rezensieren und kann es bereits allgemein empfehlen, da es einen weit über den Titel hinausgehenden Themenkreis abdeckt.
Die Autoren begreifen die Fähigkeit zur Kriegsführung nämlich vor allem als Mittel der Herrschaftslegitimation und erläutern daher detailliert die intellektuellen, wirtschaftlichen und auch administrativen Grundlagen, die ein solch teures und administrativ komplexes Unterfangen wie einen Krieg überhaupt möglich machten.
Dabei zerlegen sie unter anderem die Hypothese von den "Dark Ages", und zeigen auch die Angreifbarkeit des Begriffs der "karolingischen Renaissance", bzw. des Konzepts der mittelalterlichen Renaissancen insgesamt.
Sie zeigen, dass zwischen Spätantike und Frühmittelalter weniger Bruchlinien existieren, als gemeinhin angenommen, und dass Goten, Franken und Lombarden – oder später die Karolinger – nicht nur römische Gesetze und Praktiken, sondern auch die aus imperialer Zeit überkommene Infrastruktur (wie Festungen, Sakralbauten und Straßen) vielfach übernahmen, verbesserten und auf ebenbürtige Weise ergänzten.
Sie zeigen ferner, dass keineswegs alles römische Wissen mühsam neu entdeckt und erschlossen werden musste, sondern dass Werke wie 'De architectura' von Vitruv, Frontinus' 'Strategemata', die 'Epitoma rei militari' von Vegetius oder auch Fragmente von Euklid in den Nachfolgestaaten Westroms bekannt waren.
Umso mehr ich in diesem Buch lese und mich durch seine Quellen arbeite, umso überzeugter bin ich, dass man mit Bezug auf das Mittelalter äußerstenfalls von zeitweiliger Stagnation sprechen kann, kaum aber von einem Rückschritt – und keinesfalls von einem katastrophalen zivilisatorischen Zusammenbruch.
Auch darauf, wie negative Urteile über das Mittelalter häufig zustande kamen, gehen die Autoren ausführlich ein. So wird etwa anhand des folgenden Beispiels gezeigt, wie eine Mediävistik, die nicht verschriftlichte Quellen (z.B. archäologische Ausgrabungen) lange vernachlässigte, zu verzerrten Ergebnissen gelangt:
So seien in Franken mehr als 250 Festungen und Wehrbauten aus der Zeit von 700-1000 n. Chr. nachgewiesen, von denen bloß 30 in überlieferten Schriftstücken aus dem fraglichen Zeitraum Erwähnung finden.
Bedenkt man nun, dass der Festungsbau enorme Ressourcen verschlingt und einen Verwaltungsapparat zu seiner Organisation erfordert, lassen die schriftlichen Quellen also mehr als 80% der wirtschaftlichen, administrativen und personellen Leistungsfähigkeit des lokalen Staats- und Gemeinwesens im Dunklen.
Als wäre das noch nicht genug, seien jene 30 bekannten Festungen schier willkürlich verteilt, wohingegen die archäologischen Quellen mit ihrem vollständigeren Bild ein planvolles und fortschrittliches System erkennen ließen, das eine Verteidigung in der Tiefe des Raumes bei geringem Personaleinsatz erlaubt.
Auch hier "verheimlichen" die schriftlichen Quellen also die Expertise der Entscheidungsträger.