Gewiss sind Lippenbekenntnisse das eine, und die Umsetzung das andere.
Die Klöster, genau die spricht ja Augustinus an, haben aber allen Infos noch immensen Zulauf gehabt, gerade vom "Kriegeradel".
Eine Wirkung ist also irgendwo schon festzuschreiben.
An der Wirkung zweifle ich doch gar nicht. Ich werfe die Frage auf, ob wir die Wirkungen auf vermeintlich sichtbare Ursachen (christliche Wertsetzungen bezüglich der Arbeit) zurückführen können.
Da ich offenbar bei irgendwem religiöse Gefühle verletzt habe, schicke ich erstmal voraus, dass das nicht meine Absicht war. Ich will nicht über die christliche Religion diskutieren sondern über den Einfluss der Kirche auf die Entwicklung von germanischen Stämmen hin zum mittelalterlichen Staatswesen. Und hier spreche ich von der Kirche, wie sie damals real war. Ob die damalige Verfassung der Kirche viel mit christlichen Werten zu tun hatte, mag jeder selbst beurteilen. Ich lehne es ab, an einer Debatte hierüber teilzunehmen.
Betrachten wir also die Extrempunkte der Entwicklung:
Ausgangsform war die Stammesgesellschaft. In dieser Gesellschaftsform regeln die Individuen ihre Angelegenheiten weitgehend selbst, es gibt keinen übergeordneten Staat und keinen gesellschaftlich herausgehobenen Adel. Kurz: Keine Herrscher und keine Beherrschten.
Am Ende der Entwicklung stand ein hochdifferenziertes und streng hierarchisches Staatswesen, das geprägt war vom Feudalismus. Oben Herrschende, unten Leibeigene, dazwischen nichts. In dieser Gesellschaftsform gab es NUR NOCH Herrscher und Beherrschte.
Die Ausgangsform der Gesellschaft war "im Gleichgewicht". Sie blieb so lange unverändert, bis sie von außen angeschoben wurde. Die Endform war instabil. Sie existierte nur so lange, wie sie durch den Einsatz von Macht aufrecht erhalten wurde (was an zahllosen Konflikten in unserer Geschichte abzulesen ist). Macht manifestierte sich dabei sowohl auf einer weltlichen als auch auf einer kirchlichen Ebene. Oder anders ausgedrückt: Die Kirche war ein Herrschaftsträger und nutzte die Religion als Machtinstrument (womit ich ausdrücklich nichts zur Religion selbst sage!).
Ohne jetzt auf die einzelnen Phasen dieser Entwicklung einzugehen, bleibt festzuhalten, dass sie keineswegs zwangsläufig erfolgte. Es lag weder "in der Natur der Sache", dass die Entwicklung zu dem geschilderten Ergebnis führte, noch dass sie überhaupt begann. Nur zwei Belege für diese Aussage: Es gibt noch heute Stammesgesellschaften, die nie in so eine Entwicklung eingetreten sind (z.B. Afghanistan) und es gibt moderne Staaten, die nie Feudalismus und Leibeigenschaft kannten (z.B. Schweiz). Die Schweiz ist übrigens ein Beleg dafür, dass diese ganze Sache nichts mit Religion oder Christentum zu tun hat, denn bekanntlich sind die Schweizer auch relegiös und stellen bis heute die Leibwache des Papstes.
Alle Erklärungsmodelle, die man sich ausdenkt, müssen deshalb Antwort auf die Frage geben, warum die Entwicklung gerade so und nicht anders lief. Und die Erklärung "gewandelte Einstellung zur Arbeit" wird diesem Anspruch nicht gerecht.
Was hat das alles jetzt mit der Völkerwanderung zu tun?
Als die germanischen Stämme die ehemals römische Welt "übernommen" hatten, waren sie von ihrer Gesellschaftsstruktur her unfähig, das Vorgefundene zu dem Zweck zu nutzen, für den es geschaffen worden war. Das Wirtschaftssystem der Stämme war auf Subsistenz ausgelegt, das römische Wirtschaftssystem hatte dagegen den Zweck, Überschüsse zu produzieren, mit denen Expansion (innere wie äußere) möglich gemacht wurde. In den germanischen Stämmen musste deshalb erst ein gesellschaftlicher Wandel erfolgen, ehe sie die römische Wirtschaftsweise übernehmen beziehungsweise ähnliche Konzepte entwickeln konnten. Bis dieser Wandel abgeschlossen war, verfiel deshalb die römische Infrastruktur (auch die "geistige").
Als der Prozess des Wandels abgeschlossen war, war allerdings eine Gesellschaft entstanden, die zwar römischen Mustern zu folgen schien, die aber im Kern nicht römisch war. Deshalb sucht man heute vergeblich nach dem Datum, an dem "Rom" unterging. Rom wurde eben nicht an einem Tag niedergebrannt. Und deshalb wird man auch vergeblich nach archäologischen oder sonstigen Belegen für einen Fortbestand römischer Elemente nach der Völkerwanderungszeit suchen.
Noch ein paar Worte zu Hägermann: Die Geschichtswissenschaft neigt dazu, die Entwicklung der Welt anhand von schriftlichen Überlieferungen zu interpretieren. Das hat natürlich seine Berechtigung, da solche geschriebenen Berichte zumeist Ausdruck der Weltsicht der Autoren sind und die Weltsicht der Autoren in der Regel mit einem gesellschaftlichen Wertesystem in Verbindung steht. Die Geschichtswissenschaft geht aber schon lange nicht mehr so naiv vor, einzelne historische Quellen isoliert zu betrachten und sie nur textimmanent zu interpretieren. Deshalb würde man Hägermann sicher Unrecht tun, wenn man seine Aussagen über den Wandel der menschlichen Einstellung zur Arbeit so auslegen würde, als wolle Hägermann die gesellschaftlichen Entwicklungen jener Zeit ausschließlich oder auch nur überwiegend
damit erklären. Hier müssen schon auch die Erkenntnisse anderer Gesellschaftswissenschaften berücksichtigt werden, was Hägermann zweifellos tut. Ich kenne seine Arbeiten nicht persönlich, setze das aber trotzdem voraus, denn immerhin ist Hägermann Wissenschaftler.
MfG