Die Völkerwanderung als große Migration

Dass es nach dem Ende des Imperium Romanum in vielen Regionen Europas zu einem kulturellen, wirtschaftlichen und demografischen Niedergang kam, hat mit der Katastrophenthorie nichts zu tun. Die hebt nur auf das angeblich allein durch Germanen bewirkte Ende Roms ab.


Du vertrittst also die "Stagnationstheorie", die Hägermann aaO ebenfalls ablehnt.
Und wiederum auf die immensen Erfolge der Landwirtschaft abhebt. Wendepflug, Dreifelderwirtschaft, Brot wird in dieser Zeit erst zum Volksnahrungsmittel.
Was zu einem ganz erheblichen Bevölkerungswachstum führte.

Auch nennt er die "Karolingische Renaissance" als Beleg. Denn kulturelle Höhepunkte wären nie in Stagnationsphasen aufgetreten.
(Das Kloster Fulda als Hauptvertreter dieser Renaissance ist übrigens rechtsrheinisch und romanisch damit wenig beleckt!)

Und hier möchte ich nochmals den "Arbeitsethos" wie tejason treffend formuliert, anführen. Hägermann führt an, dass weder das Griechische noch Latein oder die daraus entstandenen Volkssprachen einen Begriff kennen, der unserem Arbeitsbegriff entspricht. (die Altsprachler hier, werden dies verm. bestätigen können)
 
Du vertrittst also die "Stagnationstheorie", die Hägermann aaO ebenfalls ablehnt.

Es ist offensichtlich und überhaupt nicht zu bezweifeln, dass der Untergang Roms in ehemals römischen Provinzen Rückschritt und Anarchie auslösten. Viele Zeitgenossen berichten von den chaotischen Zuständen der "Dark Ages", u.a. der hl. Severin, der im 5. Jh. anschauliche Berichte darüber hinterlassen hat, wie die Germanen in den Provinzen Raetia und Noricum südlich der Donau unter der Provinzbevölkerung und in den römischen Städten wüteten; ähnliche Quellen gibt es aus dem Kölner Raum und überhaupt aus allen römischen Provinzen, wo die Ordnung nach Abzug der Römer zusammenbrach.

Die archäologischen und urkundlichen Quellen sprechen eine beredte Sprache: dass z.B. die Städte westlich des Rheins verlassen wurden und zerfielen, dass die römischen Gutshöfe aufgegeben wurden, die Felder in ihren Urzustand zurückfielen, weil eine systematische Bebauung der Felder und eine geordnete Agrarwirtschaft nicht mehr existierten. Die gesamte Verwaltung und Ordnung zerfielen, da die von Osten einströmenden germanischen Barbaren überhaupt nicht in der Lage waren, eine geordnete Verwaltung, Logistik und Straßenbau oder ein Finanzwesen fortzuführen. Ich habe weiter oben zahlreiche von Henri Pirenne angeführte Beispiele genannt, die die Konsequenzen dieser Entwicklung nachdrücklich untermauern.

Hier sei ein weiterer Autor angeführt, der zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt:

Doch auch im 5. Jh., als - in den gefährdeten Grenzgebieten einsetzend und von dorther immer weiter ins Reichsinnere vordringend - der Niedergang der Städte und die Verödung des Landes bedrohliche Ausmaße annahmen, war die in Auflösung befindliche römische Staatlichkeit den vorstaatlichen Zuständen ringsum offensichtlich noch überlegen ...

Auf das verhältnismäßig stabile 4. Jh. ... folgten das 5. und 6. Jh., die Periode des Niedergangs und Zerfalls ... Der römische Staat hat trotzdem noch lange recht und schlecht weiterexistiert, jedenfalls auf der Verwaltungsebene der Provinzen ... Zunächst verschwanden also die überregionalen Instanzen des Reichsregiments; es folgte ein allmählicher Prozess des Städtesterbens und des Rückgangs der Zivilisation.

(Manfred Fuhrmann, Rom in der Spätantike, Düsseldorf/Zürich 1998, S. 33 f.)
 
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Auch nennt er die "Karolingische Renaissance" als Beleg. Denn kulturelle Höhepunkte wären nie in Stagnationsphasen aufgetreten.
(Das Kloster Fulda als Hauptvertreter dieser Renaissance ist übrigens rechtsrheinisch und romanisch damit wenig beleckt!)

Die karolingische Renaissance allerdings geschah in einer Zeit, gut dreihundert Jahre nach der Völkerwanderung (wenn man die Langobarden noch mitnimmt immer noch gut 200 Jahre). Ich glaube, wir vergessen zu leicht, dass das Frankenreich zwar ein Ergebnis der Völkerwanderung war, aber eben über die Völkerwanderungszeit weit hinaus reicht.
 
Forum iudicum, [...] verballhornt zu Fuero Juzgo

Halt Stopp! Das ist keine Verballhornung sondern der ganz normale sprachliche Prozess, die zu erwartende Entwicklung, wobei immerhin sogar noch das anlautende /f/ erhalten ist. In Kastilien wurde dieses nämlich im Laufe der Zeit durch ein /h/ ersetzt, was der umstrittene baskische Einfluss auf das Kastilische sein soll.
 
Die archäologischen und urkundlichen Quellen sprechen eine beredte Sprache: dass z.B. die Städte westlich des Rheins verlassen wurden und zerfielen, dass die römischen Gutshöfe aufgegeben wurden, die Felder in ihren Urzustand zurückfielen, weil eine systematische Bebauung der Felder und eine geordnete Agrarwirtschaft nicht mehr existierten. Die gesamte Verwaltung und Ordnung zerfielen, da die von Osten einströmenden germanischen Barbaren überhaupt nicht in der Lage waren, eine geordnete Verwaltung, Logistik und Straßenbau oder ein Finanzwesen fortzuführen. Ich habe weiter oben zahlreiche von Henri Pirenne angeführte Beispiele genannt, die die Konsequenzen dieser Entwicklung nachdrücklich untermauern.

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Da muss ich Dir widersprechen Dieter.
Im von mir schon mehrfach angeführten AiD Heft werden genau diese Punkte aufgrund aktueller archäologischer Forschungen ganz anders dargestellt.
Die Siedlungskontinuität in allen genannten Städten ist gegeben, die "Eroberer" nutzen sehr wohl die vorhandene Logistik und Verwaltungsstrukturen, im Gegenteil, die waren mit diesen Strukturen bestens vertraut, so vertraut, dass sie sie als Mittel zum Zweck der Herrschaftsübernahme nutzten.
 
...die "Eroberer" nutzen sehr wohl die vorhandene Logistik und Verwaltungsstrukturen, im Gegenteil, die waren mit diesen Strukturen bestens vertraut, so vertraut, dass sie sie als Mittel zum Zweck der Herrschaftsübernahme nutzten.
@Repo, das mag in Köln und Trier so gewesen sein, aber bestimmt nicht auf dem platten Land.
 
Die karolingische Renaissance allerdings geschah in einer Zeit, gut dreihundert Jahre nach der Völkerwanderung (wenn man die Langobarden noch mitnimmt immer noch gut 200 Jahre). Ich glaube, wir vergessen zu leicht, dass das Frankenreich zwar ein Ergebnis der Völkerwanderung war, aber eben über die Völkerwanderungszeit weit hinaus reicht.

Ja klar.
Es geht mir hier auch lediglich darum, dass nicht die "Invasion der Barbaren" zum Ende der Antike führte, sondern diese "Neubewertung der Arbeit" als originärer Teil des Christentums. Was dann lt. Hägermann zu ganz erheblichen Fortschritten in der Landwirtschaft führte, siehe Wendepflug, siehe Dreifelderwirtschaft, siehe Brot wird Grundnahrungsmittel.

Und nochmals: das frühe Mittelalter ist keineswegs als Zeit der Stagnation oder des Rückschritts zu sehen, noch ist es angebracht von "dunklen Jahrhunderten" zu reden.
Ein Paradigmenwechsel der geistig/kulturell führenden Schichten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Eine Zeitenwende eben.
 
Die Siedlungskontinuität in allen genannten Städten ist gegeben,

Aber was für eine Kontinuität: In Köln lebte nur noch der Bischof mit seinem Gefolge in seinem kleinen Palast, ansonsten zerfielen alle steinernen Bauten Kölns, seine Straßen und Versorgungsleitungen. Die Germanen siedelten sich nicht in der römischen Stadt an, sondern hausten am Rand der Römerstädte in Fachwerkhütten. Es gibt in unseren Geschichtsatlanten Karten des frühmittelalterlichen Köln, die zeigen, dass die Stadt nahezu komplett verödet war - ebenso wie Trier, Regensburg, Mainz und andere.

Die Germanen knüpften zwar vielfach an römische Städte im Rheinland oder Süddeutschland an. Aber zunächst fielen alle Römerstädte der Zerstörung anheim, ihre Steinbauten zerfielen im Lauf der Zeit und wurden höchstens als Steinbruch benutzt. Die Germanen scheuten ganz offensichtlich die stra0endurchzogenen steinernen Städte, da sie ihnen fremd und unheimlich waren. Insofern bedeutet "Siedlungskontinutät" nicht, dass die Römer auszogen und die Germanen bereits mit gepackten Möbelwagen vor den Römerhäusern standen. Das wäre ein völlig unrealistisches Bild.

Tatsache ist vielmehr, dass zunächst alle kulturellen und zivilisatorischen Einrichtungen der Römer verschwanden oder zerstört wurden. Nur ganz weniges überlebte den Völkersturm und den Umbruch nach Abzug der Römer und die Invasionen der Germanen. Aus diesen Trümmern schälte sich nur allmählich eine neue Ordnung, die zwar einiges aus dem Römerreich übernahm, doch schließlich etwas Neuartiges hervorbrachte. So überlebte Latein als Sprache des Klerus in der Liturgie, im Urkundenwesen oder in gelehrten Werken. Es überlebte die römisch-katholische Kirche mit dem römischen Bischof bzw. Papst an der Spitzeund es überlebte eine Fülle römischer Rechtsnormen.

Dennoch war das, was sich im Hohen Mittelalter kulturell und zivilisatorisch herausgebildet hatte, etwas ganz anderes, als die römische Antike.
 
Es geht mir hier auch lediglich darum, dass nicht die "Invasion der Barbaren" zum Ende der Antike führte, sondern diese "Neubewertung der Arbeit" als originärer Teil des Christentums. Was dann lt. Hägermann zu ganz erheblichen Fortschritten in der Landwirtschaft führte, siehe Wendepflug, siehe Dreifelderwirtschaft, siehe Brot wird Grundnahrungsmittel.
Es widerstrebt mir, das so zu akzeptieren. Auch wenn wir wertende Konnotate von Begriffen wie "Barbaren" weglassen und die römische Gesellschaftsform gegenüber der germanischen nicht als "überlegen" einstufen, bleibt eines festzuhalten: Im Zuge der Völkerwanderung trafen zwei Kulturen aufeinander, die hinsichtlich der Wirtschaftsweise dramatische Unterschiede aufwiesen. Die "militärischen Sieger" dieses Konflikts haben die Infrastruktur, die im römischen Reich Standard und Voraussetzung für den Fortbestand dieses Reiches war, nur sehr eingeschränkt genutzt. Sie hatten daran einfach keinen Bedarf. Das trat erst ein, als sich die Stammesgesellschaften der Sieger zu eigenständigen Staatswesen entwickelt hatten. Mit dem Christentum und seinen Werten hatte das meiner Ansicht nach nichts zu tun. Nur damit, dass im Zuge der Entwicklung der Gesellschaften insbesondere Grundbesitz auf "neue" Art zugewiesen wurde - mit der Folge, dass Teile der Bevölkerung Reichtum akkumuliert haben, dass sich fest Herrschaftsformen (ein Adel) herausbildeten und neue, durch Machtstrukturen aufrecht erhaltene Methoden der Nutzung des Grundbesitzes etablierten.

Das hat sich aber alles erst entwickeln müssen. Als die "Barbaren" im römischen Gebiet ankamen, waren ihre Gesellschaften aber noch das, was Völkerkundler und Soziologen als "militärische Demokratien" bezeichnen. Die konnten und wollten mit der römischen Infrastruktur nichts anfangen. Sie wollten zweifellos die Erträge abschöpfen, konnten diese Erträge aber nicht erzeugen. Und bis sie es gelernt haben, war das in der Tat ein dunkles Zeitalter.

MfG

P.S.: Übrigens ist es keineswegs selbstverständlich, dass sich Stammesgesellschaften in diese Richtung entwickeln. Wenn äußere Anstöße fehlen, bleiben sie wie sie sind. Solange solche Stammesgesellschaften "ungestört" bleiben, können und wollen sie "staatsfrei leben" (Zitiat aus "Metamorphosen der Macht" von Hans Peter Drexler).
 
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Es widerstrebt mir, das so zu akzeptieren. Auch wenn wir wertende Konnotate von Begriffen wie "Barbaren" weglassen und die römische Gesellschaftsform gegenüber der germanischen nicht als "überlegen" einstufen, bleibt eines festzuhalten: Im Zuge der Völkerwanderung trafen zwei Kulturen aufeinander, die hinsichtlich der Wirtschaftsweise dramatische Unterschiede aufwiesen. Die "militärischen Sieger" dieses Konflikts haben die Infrastruktur, die im römischen Reich Standard und Voraussetzung für den Fortbestand dieses Reiches war, nur sehr eingeschränkt genutzt. Sie hatten daran einfach keinen Bedarf. Das trat erst ein, als sich die Stammesgesellschaften der Sieger zu eigenständigen Staatswesen entwickelt hatten. Mit dem Christentum und seinen Werten hatte das meiner Ansicht nach nichts zu tun. Nur damit, dass im Zuge der Entwicklung der Gesellschaften insbesondere Grundbesitz auf "neue" Art zugewiesen wurde - mit der Folge, dass Teile der Bevölkerung Reichtum akkumuliert haben, dass sich fest Herrschaftsformen (ein Adel) herausbildeten und neue, durch Machtstrukturen aufrecht erhaltene Methoden der Nutzung des Grundbesitzes etablierten.

Das hat sich aber alles erst entwickeln müssen. Als die "Barbaren" im römischen Gebiet ankamen, waren ihre Gesellschaften aber noch das, was Völkerkundler und Soziologen als "militärische Demokratien" bezeichnen. Die konnten und wollten mit der römischen Infrastruktur nichts anfangen. Sie wollten zweifellos die Erträge abschöpfen, konnten diese Erträge aber nicht erzeugen. Und bis sie es gelernt haben, war das in der Tat ein dunkles Zeitalter.

MfG

P.S.: Übrigens ist es keineswegs selbstverständlich, dass sich Stammesgesellschaften in diese Richtung entwickeln. Wenn äußere Anstöße fehlen, bleiben sie wie sie sind. Solange solche Stammesgesellschaften "ungestört" bleiben, können und wollen sie "staatsfrei leben" (Zitiat aus "Metamorphosen der Macht" von Hans Peter Drexler).


Dann nochmals von vorne:
aaO: "Die Frühphase dieser Entwicklung von der Spätantike in die fränkische epoche der europäischen Geschichte wurde entscheidend von mentalen und wirtschaftlichen Veränderungen in der Gesellschaft getragen, mitverursacht durch die theoretische Neubewertung von Arbeit, insbesondere von Handarbeit, als sozialem Phänomen, die ihrerseits wesentliche ökonomische-technische Impulse auslöste. Im Gegensatz zu späteren Epochen war die klassische griechisch-römische Antike von der Leitvorstellung des Müßiggangs, von der Verneinung der arbeit als sittlichem Wert und von der gesellschaftlichen Mißachtung bestimmt. Das galt freilich nur für eine dünne Oberschicht, deren Reichtum zugleich ihre Tugend war.....Selbst der moderne Begriff der Arbeit findet keine Entsprechung im Griechischen und Lateinischen, auch nicht in den sogenannten späteren Volkssprachen"

Und dem setzt Paulus sein "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" entgegen. Eine dramatische Werteumkehr.

Von großem Einfluss auf die Arbeitsdoktrin waren laut Hägermann die Schriften der spätantiken Kirchenväter Ambrosius, Hieronymus und insbesondere Augustinus. Die Anfangs noch mit den Schriften der antiken Philosophen konkurrierten, diese aber letztlich überwanden.
 
Aber was für eine Kontinuität: In Köln lebte nur noch der Bischof mit seinem Gefolge in seinem kleinen Palast, ansonsten zerfielen alle steinernen Bauten Kölns, seine Straßen und Versorgungsleitungen. Die Germanen siedelten sich nicht in der römischen Stadt an, sondern hausten am Rand der Römerstädte in Fachwerkhütten. Es gibt in unseren Geschichtsatlanten Karten des frühmittelalterlichen Köln, die zeigen, dass die Stadt nahezu komplett verödet war - ebenso wie Trier, Regensburg, Mainz und andere.

Die Germanen knüpften zwar vielfach an römische Städte im Rheinland oder Süddeutschland an. Aber zunächst fielen alle Römerstädte der Zerstörung anheim, ihre Steinbauten zerfielen im Lauf der Zeit und wurden höchstens als Steinbruch benutzt. Die Germanen scheuten ganz offensichtlich die stra0endurchzogenen steinernen Städte, da sie ihnen fremd und unheimlich waren. Insofern bedeutet "Siedlungskontinutät" nicht, dass die Römer auszogen und die Germanen bereits mit gepackten Möbelwagen vor den Römerhäusern standen. Das wäre ein völlig unrealistisches Bild.

Tatsache ist vielmehr, dass zunächst alle kulturellen und zivilisatorischen Einrichtungen der Römer verschwanden oder zerstört wurden. Nur ganz weniges überlebte den Völkersturm und den Umbruch nach Abzug der Römer und die Invasionen der Germanen. Aus diesen Trümmern schälte sich nur allmählich eine neue Ordnung, die zwar einiges aus dem Römerreich übernahm, doch schließlich etwas Neuartiges hervorbrachte. So überlebte Latein als Sprache des Klerus in der Liturgie, im Urkundenwesen oder in gelehrten Werken. Es überlebte die römisch-katholische Kirche mit dem römischen Bischof bzw. Papst an der Spitzeund es überlebte eine Fülle römischer Rechtsnormen.

Dennoch war das, was sich im Hohen Mittelalter kulturell und zivilisatorisch herausgebildet hatte, etwas ganz anderes, als die römische Antike.


AiD, Archäologie in Deutschland, Sonderheft 2005 Völkerwanderung
Aufsatz von Dr. Arno Rettner M.A. (Konservator an der Archäologischen Staatssammlung München)

Nachdem er auf viele Nachweise unterschiedlichster Art für die, nicht geringe! Siedlungskontiunität hinweist, schreibt er:

"Warum tut sich nun die Archäologie mit alldem so schwer? Ein Grund besteht sicher darin, dass nördlich der Alpen scheinbar kaum eine römische Siedlung oder ein römisches Grab ins 5. Jahrhundert zu datieren ist. Für die vorausgegangene Zeit erfolgt die Datierung häufig durch kursierendes Kleingeld, das im Alltag leicht verloren ging oder gern auch den Toten in die Hand gedrückt worden ist. Um 400 aber brach an Rhein und Donau plötzlich die Zufuhr von neu geprägtem römischen Kupfermünzen ab. Da wir so die späten Römer schon aus den Augen verlieren, sind deren Nachkommen auf archäologischem Wege erst recht schwer zu fassen."

"Dunkle Jahrhunderts" aus Kleingeldmangel;)

Dies vorab. Mehr später.
 
Mit dem Christentum und seinen Werten hatte das meiner Ansicht nach nichts zu tun.
Die Rolle des Christentums würde ich eher im schriftlichen Bereich sehen: Da ja die römischen Behörden als Verwaltungsorgane nach und nach wegfielen, die Schriftlichkeit der Bevölkerung im Vergleich zur Blütezeit des römischen Reiches extrem absank und eigentlich über Jahrhunderte nur noch in den Klöstern gepflegt wurde, waren es eben auch die Kleriker, die Verwaltungsaufgaben übernehmen mussten.

Die Hägermann'sche These von der Neubewertung der Arbeit durch das Christentum aufgrund des paulinischen Satzes "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" und seiner Vermittlung durch Augustinus und Hieronymus erscheint mir nicht plausibel.
Was erleben wir in der Spätantike den tatsächlich? Die Versorgung der Städte bricht zusammen, Aquädukte werden nicht mehr in Stand gehalten, ganze Landstriche werden entvölkert, die Latifundienwirtschaft wird vielfach aufgegeben, die Städte verkleinern sich, mal an Einwohnern, mal an Fläche, häufig auch an beidem. Aber gerade dort, wo die gleiche Anzahl Einwohner enger zusammenrückt wird deutlich, dass man nicht mehr in der Lage ist, die Infrastruktur so wie zuvor aufrecht zu erhalten. Imho ein Argument gegen die These von Hägermann.


Selbst der moderne Begriff der Arbeit findet keine Entsprechung im Griechischen und Lateinischen, auch nicht in den sogenannten späteren Volkssprachen.

Nun ja, es gibt ja schon die opera, also 'die Werke', oder die labora. Ich weiß auch nicht, ob z.B. das westromanische Wort für 'arbeiten', trabajar (span.), trabalhar (port.), travailler (frz.) oder travagliare (it.), welches sich vom Folterinstrument Tripalium ableitet (*tripaliare), also vor seiner semantischen Verschiebung 'foltern' bedeutete, wirklich auf eine neue Positivbewertung von Arbeit hinweist.
 
Nun ja, es gibt ja schon die opera, also 'die Werke', oder die labora. Ich weiß auch nicht, ob z.B. das westromanische Wort für 'arbeiten', trabajar (span.), trabalhar (port.), travailler (frz.) oder travagliare (it.), welches sich vom Folterinstrument Tripalium ableitet (*tripaliare), also vor seiner semantischen Verschiebung 'foltern' bedeutete, wirklich auf eine neue Positivbewertung von Arbeit hinweist.


Das wäre ja ein Nachweis! Westromanisch: Folter = Arbeit
 
Das wäre ja ein Nachweis! Westromanisch: Folter = Arbeit

Schau Dir mal an, welche Umschreibungen es in den modernen Sprachen für "Arbeit" gibt. Meiner Ansicht nach hat sich an der Einstellung zur Arbeit nichts geändert, seit Menschen aufrecht gehen können.

Dabei bezweifle ich gar nicht die Beobachtung, dass sich als Folge der Völkerwanderung in der germanischen Kultur das "Arbeitsleben" gewandelt hat. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass dieser Wandel keine Folge eines "Wertewandels" war und dass es sich schon gar nicht um vorgegebene christliche Werte handelte. Wenn überhaupt, dann haben sich die Werte als Folge der Veränderungen in der Gesellschaft entwickelt. Ich vermute sogar, dass die von den Geistlichen formulierten Werte (z.B. "...im Schweiße deines Angesichts...") nur der vergebliche Versuch einer auf vermeintlichen göttlichen Willen gestützten Rechtfertigung der gesellschaftlichen Veränderungen war. Religion sollte als Instrument zur Festigung der sich herausbildenden Herrschaftsstrukturen genutzt werden. Das hat zwar funktioniert, aber geliebt haben die Menschen ihre harte Arbeit deshalb nicht.

Grundsätzlich muss man sich darüber klar sein, dass (religiöse) Vorschriften jener Zeit nicht zwingend Ausdruck der Werte der Menschen gewesen sind. In einem Buch, das sich in weiterem Sinne mit Werten und Gesellschaft befasst, habe ich mal folgendes witziges Beispiel gefunden:

Der Magistrat einer mittelalterlichen Stadt hat verfügt, dass an Sonntagen während der Messe keine Schweine über den Kirchhof getrieben werden durften.

Die Tatsache, dass diese Vorschrift erlassen wurde, deutet keineswegs darauf hin, dass die Menschen jener Stadt besonders am Schutz der Ruhe der heiligen Messe interessiert waren. Sie deutet eher auf das Gegenteil hin: dass nämlich regelmäßig während der Messe Schweine über den Kirchhof getrieben wurden.

So kann man auch den Satz "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" deuten: Die Machthaber waren der Ansicht, dass ihre Untertanen nicht genug gearbeitet haben. Deshalb haben sie Rechtfertigungen für Zwangsmaßnahmen geschaffen.

MfG
 
... es gibt ja schon die opera, also 'die Werke', oder die labora. Ich weiß auch nicht, ob z.B. das westromanische Wort für 'arbeiten', trabajar (span.), trabalhar (port.), travailler (frz.) oder travagliare (it.), welches sich vom Folterinstrument Tripalium ableitet (*tripaliare), also vor seiner semantischen Verschiebung 'foltern' bedeutete, wirklich auf eine neue Positivbewertung von Arbeit hinweist.
Das wäre ja ein Nachweis! Westromanisch: Folter = Arbeit

Ich mag mich irren, aber mW ist bei vielen derartigen Worten für arbeiten stets zumindest auch eine Bedeutung a la sich (ab)mühen inhärent...

Das lateinische laboro (labora ist bekanntlich die 2. Pers. Sing.) hat diese Bedeutung bereits: neben arbeiten kann es ebenso bspw. sich (ab)mühen oder sich plagen bedeuten - vgl. laboro - Wiktionary
Ähnlich scheint es sich bei opus (opera ist der Plural) zu verhalten: auch hier ist wohl neben Werk und Tat auch Mühe und Anstrengung möglich - vgl. opus - Wiktionary, das freie Wörterbuch ? Das Wikiwörterbuch
Anm.: Erst im althochdeutschen werc ist offenbar eine Einengung auf Tätigkeit und Werk i.S.v. Ergebnis gegeben (im mittelhochdeutschen werch erfährt dies dann wieder eine Ausweitung auf Werkstoff und Werkzeug), die sich aber wohl auf die (freilich rekonstruierte) indoeuropäische Wurzel uerg (für tun i.S.v. wirken) zurückführen läßt.

Deutlich wird das Ganze in seiner Ambivalenz jedenfalls beim deutschen Wort Arbeit: noch im Mittelhochdeutschen meint arebeit nämlich vorrangig Mühsal oder Leiden; das sind übrigens Bedeutungen, welche sich auch im althochdeutschen arapeit und im gotischen arbaiþs - und daraus rekonstruiert gemeingermanisch arbaiþis - wiederfindet.
Anm.: Selbst das aus dem Altkirchslawisch stammende работа (rabota), welches im Russischen heute für Arbeit steht (urspr. russ. Form wohl eher рoбота (robota)), hatte ursprünglich die Bedeutungen Mühsal oder sogar Sklaverei.

Eine Positivbewertung von Arbeit dürfte IMHO demnach eher in späterer Zeit liegen... :fs:
 
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Die Rolle des Christentums würde ich eher im schriftlichen Bereich sehen: Da ja die römischen Behörden als Verwaltungsorgane nach und nach wegfielen, die Schriftlichkeit der Bevölkerung im Vergleich zur Blütezeit des römischen Reiches extrem absank und eigentlich über Jahrhunderte nur noch in den Klöstern gepflegt wurde, waren es eben auch die Kleriker, die Verwaltungsaufgaben übernehmen mussten.

Die Hägermann'sche These von der Neubewertung der Arbeit durch das Christentum aufgrund des paulinischen Satzes "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" und seiner Vermittlung durch Augustinus und Hieronymus erscheint mir nicht plausibel.
Was erleben wir in der Spätantike den tatsächlich? Die Versorgung der Städte bricht zusammen, Aquädukte werden nicht mehr in Stand gehalten, ganze Landstriche werden entvölkert, die Latifundienwirtschaft wird vielfach aufgegeben, die Städte verkleinern sich, mal an Einwohnern, mal an Fläche, häufig auch an beidem. Aber gerade dort, wo die gleiche Anzahl Einwohner enger zusammenrückt wird deutlich, dass man nicht mehr in der Lage ist, die Infrastruktur so wie zuvor aufrecht zu erhalten. Imho ein Argument gegen die These von Hägermann.




Nun ja, es gibt ja schon die opera, also 'die Werke', oder die labora. Ich weiß auch nicht, ob z.B. das westromanische Wort für 'arbeiten', trabajar (span.), trabalhar (port.), travailler (frz.) oder travagliare (it.), welches sich vom Folterinstrument Tripalium ableitet (*tripaliare), also vor seiner semantischen Verschiebung 'foltern' bedeutete, wirklich auf eine neue Positivbewertung von Arbeit hinweist.


Hägermann sieht die entscheidende Wirkung bei Augustinus und dessen Schrift "Von der Arbeit der Mönche" in der er das spezifisch christliche Arbeitsethos ausformuliert hätte, ergänzt um Aszese, Nächstenliebe und Selbsthilfe.
Zitat: "lehrt Augustinus, dass nur ein Übermaß an Arbeit von der Sünde Adams herrühre. Im zustand der Unschuld nämlich sei Arbeit keine Last, sondern eine Aufheiterung des Willens gewesen, >damit das, was Gott geschaffen hatte, mit Hilfe menschlicher Arbeit fröhlicher und fruchtbarer voranging< Mit anderen Worten: Die Arbeit ist Fortsetzung des göttlichen Schöpfungswerks. Sie ist den Menschen vor aller Sünde als Naturtrieb eingegeben, um mehr Freude und Wohlstand zu schaffen". ............
Diese Arbeitsethos bildet den wichtigsten Bestandteil eines religiös fundierten Wertekanons, dessen praktische Umsetzung - dies war völlig neu - zur Sache der geistig-kulturell führenden schichten wurde, während in der vorausgegangenen Epoche Philosophen und Politiker lediglich ihre Mißachtung jedweder körperlichen Tätigkeit als mit der angestrebten "edlen" Muße nicht vereinbar der Nachwelt als Klassenurteil schriftlich hinterlassen hatten".
aaO Seite 324
 
Augustinus ist ein gutes Stichwort, wiewohl ich dabei eigentlich dachte, daß er in seinen Predigten zum Buch Genesis ausführt, daß erst im Paradies Arbeit nicht mehr Mühsal bereite, in der Hölle die Sünder jedoch zu ewiger Arbeit - als Strafe(!) - verdammt seien...

Aber vielleicht irre ich mich ja damit auch :grübel:
 
Ich glaube wir haben Hägermann verstanden. Recht geben müssen wir ihm deshalb noch lange nicht.
Nehmen wir z.B. Cato. Cato, selber ein Menschenschinder, ist weit entfernt davon, körperliche Arbeit zu missachten. Oder Seneca: Dieser weist auf die Fährnisse des Schicksals hin und dass jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft versklavt werden kann.
Wie weit reichte Augustinus' Arbeitsethik in das zeitgenöss. Bewusstsein?
Und, wie gesagt, auch der Verfall der Infrastruktur gibt Hägermann nicht recht.
 
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So kann man auch den Satz "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" deuten: Die Machthaber waren der Ansicht, dass ihre Untertanen nicht genug gearbeitet haben. Deshalb haben sie Rechtfertigungen für Zwangsmaßnahmen geschaffen.

MfG


Moment mal,
Paulus schrieb den Brief an die Thessaloniker Christengemeinde nicht als Herrscher an seine Untertanen.
Noch im Auftrag irgendwelcher Herrscher.
Ich unterstelle, dass bekannt ist, wer Paulus war, wie er endete.
 
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Folgendes möchte ich noch in die Debatte einbringen: in den letzten Jahren wird unter Althistorikern, z.B. Peter Heather, wieder stärker die Rolle der einfallenden Völker beim Zusammenbruch des Weströmischen Reiches betont - und er ist da durchaus nicht der Einzige.
Heather vertritt da auch insofern eine Extremposition, weil er das Weströmische Reich noch für eine sehr lange Zeit, nämlich bis in die 450er Jahre, für handlungsfähig hält, und somit eher für einen schnellen Niedergang plädiert.
Insgesamt werden also in letzter Zeit eher wieder die externen als - wie längere Zeit davor - die internen Faktoren betrachtet.
 
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