Die Völkerwanderung als große Migration

Zitat:
El Quijote
Ich bestreite auch weiterhin die Möglichkeit von individuellen Entscheidungen Personenverbandsgebundener. Da kannst Du mich mit einem Wiki-Zitat nicht sehr beeindrucken. Solche Entscheidungen waren denen vorbehalten, die an der Spitze dieser Personenverbände standen (und ein Personenverband ist mehr als nur eine Familie) und hatten natürlich Konsequenzen für alle anderen Mitglieder des Personenverbandes: Familienangehörige, Klienten und ihre Familienangehörige, Sklaven.
Seis drum.
Es geht mir auch nicht darum, Dich zu beeindrucken.
Es geht um den Austausch von Argumenten, Quellen und Meinungen. Und da stehst Du mit Deiner Meinung allein.
….
Aber, Deine Meinung, sie sei Dir gelassen.

Das Zitat von EQ oben hat durchaus Substanz. Die Oberhäupter der Personenverbände bestimmten für ihren Anhang und Gefolge mit ab und das war Verbindlich. Trat ein solcher Verband einer „fremden gens“ bei, dann war dies in erster Linie eine Angelegenheit zwischen dem Oberhaupt des Personenverbandes einerseits und den/dem Repräsentanten der „fremden gens“ Andererseits.
Individuell freie Entscheidungen Einzelner, „normaler Menschen“ spielten hier eine äußerst untergeordnete Rolle. Sie konnten bestenfalls hoffen an (relativ) herausgehobener Stelle in einen solchen Personenverband aufgenommen zu werden und dadurch Angehöriger einer anderen gens zu werden. Die Oberhäupter der Personengruppen konnten wohl auch relativ frei über die soziale Stellung der „Neumitglieder“ innerhalb ihres Verbandes entscheiden. Das gern zitierte Beispiel des ehemaligen römischen Kaufmanns am Hofe König Attilas, der von einem „Blinden Schicksal“ getrieben erst zum Sklaven der Hunnen wurde um dann später zum Krieger aufzusteigen ist Bezeichnend. Von der Abstammung her war er „Römer“. Indem er versklavt wurde, gehörte er nach „barbarischem Verständnis“ nun zum Personenverband (oft auch gerne, nicht zu Unrecht als Familienverband bezeichnet – auch wenn die Familie nur ein Teil, wenn auch der Kern solcher Verbände war!) seines Herrn. Indem er sich im Kampf bewährte, erhob sein Oberhaupt ihn zum Krieger und doch blieb er wohl weiter im gleichen Personenverband zu dem er rein ethnisch gesehen, ursprünglich keinerlei Verbindung hatte!

Hier zeigt sich auch das zwiespältige Gesicht dieser Personenverbände. Während früher gerne der familiäre Kern dieser „Sippen“ betont wurde – und damit ihren angeblich so „ethnisch reinen Charakter“ hervorhob, wird inzwischen mehr auch der „gemischtethnische Aspekt“ dieser Gruppen betont. Aufnahme in einen solchen Verband zu finden dürfte auf vielerlei Weise möglich gewesen sein: Von der Einheirat oder Adoption bis hin zur Versklavung. Auch konnten theoretisch andere „Personenverbände“ sich komplett einer solchen Gruppe unterstellen und dabei selbst Teil des größeren Verbandes werden – als Klientel etwa, wie es in EQ’s Zitat zu finden ist.

Im Übrigen sehe ich nicht dass EQ die Bezeichnung „Volk“ wirklich im Sinne des 19. Jht. verwendet. Wenn man seine Beiträge im Wesentlichen im Sinne von Repos anfänglichen Zitaten liest (also bevor der „Streit“ richtig ausbrach), beleuchtet er nur die andere Seite des „multiethnischen“ Charakters der Völker der Völkerwanderungszeit. Durch seine Einschränkung der Bedeutung des Willens „jedes Einzelnen“ und Betonung der „Sippen“/Personenverbände macht er nur ein wichtiges Detail fest.

Erst nach den Reichsbildungen, also nachdem die Völker sich niedergelassen hatten und wieder feste Wohnsitze ihr Eigen nannten, wurden die Gesetze in ihren Reichen kodifiziert: Generell immer auf dem Boden des Römischen Reiches und in Anlehnung an römisches Recht! Denn erst bei der neuen Landnahme fand die Ethnogese eines solchen Volkes einen (vorläufigen) Abschluss: Die relative „Durchlässigkeit“ für Neumitglieder während der Wanderungen endete dann meist wieder. Regelungen zwischen den römischen Kaisern und ihren Foederierten sollten sicherstellen, dass es zu möglichst wenig Reibungen zwischen beider Zuständigkeitsbereichen geben sollte. Später dann, als sich die Reiche endgültig von Rom emanzipiert hatten, blieb die Stellung der Angehörigen des „Staatsvolkes“ gegenüber den unterworfenen Provinzialen weiterhin herausgehoben durch ihre Sonderrechte, wie sie sich dann auch in das frühe Mittelalter hinein als besondere Rechtsstellung manifestierte. Das „einstige Volk“ konnte so zur Basis eines eigenen „Standes“ innerhalb des Reiches werden.

Weder die Goten noch die Langobarden betrieben in ihren Herrschaftsgebieten eine Politik der Verschmelzung mit den Indigenen. Einzig die Franken, wie es sich unter Chlodwig I. zeigt, blieben nach der Landnahme relativ offen für die Aufnahme provinzialer Personengruppen und verschmolzen so letztlich mit den Galloromanen im Westen zu den heutigen Franzosen. Dies war aber wohl nicht direkte Folge einer zielgerichteten Politik ihrer Könige, sondern erklärt sich teilweise auch durch die „Feudalisierung“ ihres Reiches, in dem die „gemeinfreien“ Franken relativ rasch ihre Bedeutung für den Bestand des Reiches verloren und eine dem König anfänglich eng verpflichtete neue Oberschicht als Vasallen zu Trägern eines feudalen Reiches wurden. Inwiefern diese massive Aufnahme von „Neufranken“ diesen Prozess erst ermöglicht hat oder nur beschleunigte, lasse ich offen.

Ich habe bewusst die Veränderungen zum Mittelalter hin nur anskizziert. Das Thema sprengt jeden Rahmen. Es soll nur ein kleiner Ausblick auf Späteres sein.

@Diskussion um Arbeitsethos & Ende der Antike durch neue Parameter der Gesellschaft: Sehr interessant! Ich lese aufmerksam mit..
 
Zuletzt bearbeitet:
Rückgriff auf die Metadiskussion

Die Ausgliederung verschiedener Beiträge in den eigenen Thread „Völkerwanderung und indogermnaische Sprachgemeinschaft“ hat wichtige Teile der Diskussion zur Migration & Völkerwanderung herausgerissen. Da wäre es besser gewesen, den „Exkurs“ drin zu lassen, zumindest die verschobenen Posts.

Folgende Beiträge dort gehören definitiv hier rein:

Beiträge #9 # 19 # 23 # 43 (Dieter)
# 16 # 27 (janogla)
# 17 # 28 # 44 (EQ)
# 18 # 25 (Klaus)
# 21 # 22 # 26 (Repo)
# 24 (Themistokles)
# 30 (rena8)

Im Übrigen hat die „Vergesellschaftung der Alanen“ mit Ostgermanen während der Wanderungen im Römischen Reich gewiss nicht eine – nicht gegebene! – Sprachähnlichkeit erleichtert. Wenn es Punkte gab wo man zusammenpasste, dann eher Gemeinsamkeiten in der Gesellschaftsstruktur, die „Verreiterung ihrer Krieger/Völker“ und das gemeinsame, zusammenschweißende Erleben während der Wanderung mit ihren Gefahren und Chancen. Und dazu ein passendes Zitat:

Dass iranische Alanen und germanische Goten im südrussischen Gotenreich des 4. Jh. zusammenfanden, lag einzig darin begründet, dass diese iranischen Reiternomaden den Raum schon vor Ankunft der Goten bevölkerten, den Goten tributpflichtig wurden und ihre Reitertaktiken sowie Kampfesweise den Goten vermittelten, was nicht heißt, dass die Goten deshalb ein nomadisches Reitervolk wurden.

Während allerdings die Alanen, die sich 406 den Vandalen und Sueben auf ihrem Zug nach Westen angeschlossen hatten, ein so starker Stammesverband blieben, dass sie ihre Identität noch lange bewahren konnten ("rex vandalorum et alanorum" als Titel der vandalischen Könige in Nordafrika), gingen die Sarmaten und Alanen, die sich den Terwingen/Westgoten angeschlossen hatten, wohl ziemlich rasch in dieser Stammesgemeinschaft auf.

…was man kaum schöner formulieren kann.

Was die dort aufgeflackerte Diskussion über Art und Weise der „Wanderung durch römisches Gebiet“ und die Versorgung der Gruppen betrifft, zitiere ich mich selbst in diesem Thread (# 68):

...Sie adaptierten diese Kampfesweise erst, nachdem sie deren durchschlagenden Erfolg [durch ihnen zu Hilfe gekommene Ostrogothen, Alanen und Hunnen (!)] während ihrer Schicksalsschlacht von Adrianopel 378 gegen die Römer am eigenen Leib erfahren konnten. Die werdenden Westgoten verreiterten nun in kurzer Zeit, auch weil ihre „Brotgeber“ (die Römer) solche Krieger haben wollten....

Die Westgoten wurden trotz ihrer nach 376 beginnenden Wanderungen niemals zu einem Nomadenvolk das von einer Viehzucht und Wechsel der Weideplätze lebte. Als in Dienst genommene römische Foederaten lebten sie von der römischen Logistik und in Zeiten ohne Vertrag eben „aus dem Land“. Ihre Kampfesweise aber passten sie den Steppenvölkern an…
 
Das Zitat von EQ oben hat durchaus Substanz. Die it..

Ich habe von dieser Thematik, wie ich bereits am Anfang schrieb, wenig Ahnung, obwohl es mich brennend interessiert.
Deshalb habe ich auch fast nur zitiert.

Die im Kontext gemachten, definitiv falschen Aussagen:
Wie beim Connubium-Verbot, wie bei den entvölkerten Gegenden Westdeutschlands.
haben mich aber zur, vielleicht falschen, Überzeugung gebracht, dass die genannte Quelle nicht besonders zuverlässig ist.

@Diskussion um Arbeitsethos & Ende der Antike durch neue Parameter der Gesellschaft: Sehr interessant! Ich lese aufmerksam mit..

Auch diese These ist natürlich nicht auf meinem Mist gewachsen. Korrespondiert aber mit meiner Aufforderung die Dinge auch mal von anderer Warte, quasi "über den Zaun" zu betrachten.

OT:
Was mir in Form einer Rotbewertung den Titel "Zaunkönig" einbrachte. Zusammen mit den erheblichen Schwierigkeiten die mir gemacht wurden, bis ich diesen Thread eröffnen konnte........
 
Die im Kontext gemachten, definitiv falschen Aussagen:
Wie beim Connubium-Verbot, wie bei den entvölkerten Gegenden Westdeutschlands.
haben mich aber zur, vielleicht falschen, Überzeugung gebracht, dass die genannte Quelle nicht besonders zuverlässig ist.

Tut mir leid, zu den entvölkerten Gegenden Westdeutschlands im Zuge insbesondere der fränkischen Landnahme in Gallien kann ich dir leider kein Literaturangaben machen, was daran liegt, dass ich diese Information nur aus privaten Gesprächen mit Gebietsarchäologen habe, die in der Feldforschung aktiv tätig sind.
Was das Connubiumverbot angeht, konnte ich zeigen, dass dies sehr wohl bis zu Rekkesvinth, also bis 654, Bestand hatte. Vermutlich wird das mit Rekkared/Leovigild seit Jahrzehnten unüberprüft falsch abgeschrieben, so wie z.B. auch die 144 Wagen des Nibelungenschatzes aus der nun schon 150 Jahre alten Simrockübersetzung des Nibelungenliedes immer noch durch die germanistische Literatur geistern.
Bevor du also schreibst, dass das, was ich schreibe >>falsch<< sei, bringe doch einfach mal eine Quelle bei, oder einen Literaturangabe, die sich explizit auf eine Quelle beruft. Denn die Quellen sollten - so ihnen nicht begründet widersprochen werden kann - vor der Literatur den Vorrang haben.
Dabei widerspreche ich Dir gar nicht darin, dass ein Verbot oder Gesetzt kein zuverlässiger Hinweis auf den wirklichen Brauch ist.
 
Ich wollte darauf abheben, dass die Vorstellung, die Germanen hätten durch und mit der Völkerwanderung "Invasion der Barbaren" die antike Hochkultur zerstört, falsch ist.

Mit Verlaub, Repo, aber diese so genannte "Katastrophentheorie" vertritt schon seit Jahrtehnten kein Historiker mehr.

Vielmehr ist der Untergang des spätantiken Imperium Romanum ein hochkomplexer Vorgang, der durch ein Bündel sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Faktoren ausgelöst wurde, sodass man eher von einer Implosion des morsch gewordenen Römischen Reichs sprechen kann. Der Einfall der Germanen und ihre Reichsgründungen auf römischem Boden sind damit eher eine Folge denn eine Ursache des innenpolitischen Niedergangs, der die einst einigermaßen stabile römische Gesellschaft zersetzte und den römischen Staat erodieren ließ.

Dieser machtpolitische Niedergang, der die Reichsverteidigung nicht verschonte, ermöglichte den germanischen Völkern ihr nahezu ungehindertes Vordringen auf römischen Reichsboden, was noch 200 oder 300 Jahre zuvor kaum möglich gewesen wäre - jedenfalls nicht ohne erbitterte und konsequente Gegenwehr. Somit bewirkten oder beschleunigten die Germanen den Untergang der ohnehin in Agonie befindlichen Spätantike, was sie ironischerweise nicht einmal beabsichtigten, denn das Imperium Romanum bildete für sie einen quasi naturgegebenen Kosmos, an dem sie lediglich teilhaben wollten.

Sowohl die Dekadenz- als auch die Katastrophentheorie im Hinblick auf den Untergang des Römischen Reichs sind also längst passé, denn die Wirklichkeit ist viel vielschichtiger und komplizierter, als das verflossene Historikergenerationen noch bis zu Beginn des 20. Jh. wahrhaben wollten.
 
Sowohl die Dekadenz- als auch die Katastrophentheorie im Hinblick auf den Untergang des Römischen Reichs sind also längst passé, denn die Wirklichkeit ist viel vielschichtiger und komplizierter, als das verflossene Historikergenerationen noch bis zu Beginn des 20. Jh. wahrhaben wollten.


Es geht mir nicht um das Römische Reich.
Sondern um die "Hochkultur" der Spätantike.

Ökonomisch technische Impulse aus der Neubewertung der Arbeit in der christlichen Spätantike und dem frühen Mittelalter
Dieter Hägermann in "Prophyläen Technik Geschichte Band 1"

Seite 324
".... Dieses Arbeitsethos bildete den wichtigsten Bestandteil eines religiös fundierten Wertekantons, dessen praktische Umsetzung - dies war völlig neu - zur Sache der geistig-kulturell führenden Schicht wurde, während in der vorausgegangenen Epoche Philosophen und Politiker lediglich ihre Mißachtung jedweder körperlichen Tätigkeit als mit der angestrebten -edlen- Muße nicht vereinbar, der Nachwelt als Klassenurteil schriftlich hinterlassen hatten. ...."

Es ist nichts untergegangen, es gab keine Stagnation, sondern im Gefolge eine ganz erhebliche Prosperität mit einem immensen Bevölkerungswachstum.

Wobei zu beachten ist, dass die Führerschichten der "Barbaren" dem Wertekanton der Spätantike mit Sicherheit bei ihrem Eindringen in die Römische Welt sehr nahe gestanden sind. Sie also hier nichts verändert haben, sondern die neuen Werte selbst vermittelt bekommen haben.
 
Was das Connubiumverbot angeht, konnte ich zeigen, dass dies sehr wohl bis zu Rekkesvinth, also bis 654, Bestand hatte. Vermutlich wird das mit Rekkared/Leovigild seit Jahrzehnten unüberprüft falsch abgeschrieben, so
Bevor du also schreibst, dass das, was ich schreibe >>falsch<< sei, bringe doch einfach mal eine Quelle bei, oder einen Literaturangabe, die sich explizit auf eine Quelle beruft. Denn die Quellen sollten - so ihnen nicht begründet widersprochen werden kann - vor der Literatur den Vorrang haben.
Dabei widerspreche ich Dir gar nicht darin, dass ein Verbot oder Gesetzt kein zuverlässiger Hinweis auf den wirklichen Brauch ist.

Warum soll ich das machen?
Mir sind 3-4 Literaturangaben (weiß gar nicht mehr wie viele) untergekommen, die einheitlich von der Zeit um 580 ausgehen. Du hast die deutlich spätere Aufhebung des Gesetzes angeführt. Aber auch in unserer heutigen, viel schriftlicheren Zeit, geschieht dies gar nicht so selten, dass ein Gesetz viele Jahre schon nicht mehr angewandt wird, bevor es aufgehoben wird.
Ich bin Hobbyist, kann keinen Ehrgeiz haben irgendwelche Abschreiber zu überführen.
Für mich ist die Sache erledigt.
 
Es geht mir nicht um das Römische Reich.
Sondern um die "Hochkultur" der Spätantike. Es ist nichts untergegangen, es gab keine Stagnation, sondern im Gefolge eine ganz erhebliche Prosperität mit einem immensen Bevölkerungswachstum.

Das Gegenteil ist der Fall!

Mit dem Untergang des Römischen Reichs im 5. Jh. verließen die meisten Römer - Beamte, Kaufleute, Gutsbesitzer, Soldaten - die Provinzen und kehrten in ihre Heimat zurück. Die Römerstädte an Rhein, Donau und Rhone verödeten, römische Gutshöfe verschwanden, Straßen und Brücken zerfielen. Der Untergang der römischen Zivilisation führte bei den germanischen Völkern zu einem Niedergang des Wissens und der Kultur und bewirkte einen Rückfall in barbarische Verhältnisse.

Dieser Verfallsprozes war so tiefgreifend, dass Karl der Große und seine Berater den Plan fassten, alle Bereiche des Wissens und der Kunst zu erneuern, was mit einem modernen Begriff als Karolingische Renaissance bekannt ist. In diesem Zusammenhang kam es u.a. zu einer Erneuerung des Gottesdienstes und der Liturgie und eine erneuerte Fassung der Bibel, da sich in die zahlreichen lateinischen Bibelabschriften Fehler eingeschlichen hatten, die manche Bibelstellen völlig entstellten.

Der bekannte Historiker Henri Pirenne betont:

"Obwohl die Kirche so tief gesunken war, blieb sie die einzige kulturelle Macht ihrer Zeit. Durch sie allein setzte sich die römische Tradition fort und dies verhinderte Europas Rückfall in völlige Barbarei. Die weltliche Macht wäre unfähig gewesen, die kostbare Erbschaft der Antike aus sich selbst heraus zu bewahren. Trotz des guten Willens der Könige war ihre rohe Verwaltung den Aufgaben nicht gewachsen ... Die Kirche blieb also inmitten der Anarchie ihrer Umgebung, und trotz der zersetzenden Wirkung, welche diese Anarchie auch auf sie selbst ausübte, unzerstört".
(Henri Pirenne, Geschichte Europas, Frankfurt 1961, S. 47)

Der Untergang des Imperium Romanum markiert auch das Erlöschen der Spätantike, wobei hier natürlich kein festes Datum zu nennen ist. Es gibt einen allmählichen Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter, der von Historikern meist als breiter Grenzsaum gesehen wird, der von der Teilung des Römischen Reichs in einen Westen und Osten über das faktische Ende Westroms bis hin zur Expansion des Islam im 7. Jh. reicht. Manche sprechen dabei auch von einem "Transformationsprozess" der Antike.

Nach Auflösung der römischen Staats- und Ordnungsstrukturen erfolgte neben einem kulturellen Niedergang auch eine wirtschaftliche Verödung. Henri Pirenne berichtet vom Verschwinden der Städte und des Handels als Folge dieser Entwicklung:

"Vom sozialen Gesichtspunkt aus ist das bedeutendste Phänomen, das in die Zeit zwischen den muslimischen Eroberungen und der Herrschaft der Karolinger fiel, die schnelle Verminderung und nachher das fast völlige Verschwinden der städtischen Bevölkerung ... Die soziale und verwaltungsmäßige Struktur verlöor nun ihren dem städtischen Charakter des römischen Staates entsprechenden Charakter: ein Phänomen, das in Westeuropa ganz neu und sehr erstaunlich war. Das Ende des städtischen Typus im frühen Mittelalter ergab sich zumindest für die Verwaltung daraus, dass die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen; denn nur die Institutionen des römischen Staates hatten in den durch Barbaren eroberten Provinzen - in Gallien, Spanien, Italien, Afrika und Britannien - einst die Existenz der Städte gesichert. Nur noch einige Städte an den Küsten des Mittelmeers trieben auch noch nach den Völkerwanderungen einen mehr oder weniger bedeutenden Seehandel."
(Henri Pirenne, a.a.O., S. 81)

Pirenne beschreibt sehr eindringlich, dass Wirtschaft und Handel nach den Eroberungen des Islam im Mittelmeerraum völlig versandeten:

"Daraus aber musste sich ein fast vollkommener Stillstand des Handels ergeben; auch das Gewerbe verschwand fast ganz, wenn man von einigen lokalen Erscheinungen wie der in Flandern noch aufrechterhaltenen Tuchweberei absieht. Der Umlauf von Geld hörte beinahe auf. Seitdem verfielen in den fast entvölkerten Städten die verlassenen Viertel und dienten den wenigen Einwohnern, die sich auf einen Winkel des früheren Stadtinnern beschränkten und dort hausten, als Steinbrüche ... In Gallien erlosch das städtische Leben so völlig, dass die Herrscher nicht mehr in den Städten residierten, denn der vollkommenen Mangel eines Handelsverkehehrs ermöglichte es ihnen nicht mehr, dort genügend Lebensmittel für den Unterhalt des Hofes zu finden. Sie verbrachten das Jahr auf den Domänen und zogen von einer zur anderen."
(Henri Pirenne, a.a.O., S. 83)

Große Teile des einst von Römern beherrschten Europas verödeten zwischen dem 5. und 8. Jh., der Handel versiegte und man kehrte zur Naturalwirtschaft zurück. Es entstanden riesige Domänen, die nahezu autark waren, da der Fernhandel weithin zum Erliegen gekommen war. Es waren also "Dark Ages", die weite Teile Europas nach dem Untergang des römischen Imperiums erfassten, was auf eine Reihe von Faktoren zurückzugühren ist, die einander bedingen und immer neue Auswirkungen haben. Dieser Zustand beginnt sich erst mit den Karolingern und später den Ottonen und Kapetingern zu wandeln.
 
Die Autoren des Buchs Der Untergang des Römischen Reiches: Und das Ende der Zivilisation: Amazon.de: Bryan Ward-Perkins, Nina Valenzuela Montenegro: Bücher zählen auf, was in dieser Zeit alles verloren ging : Dachziegel, kunstvolle Keramik, die Schrift u.v.m., letztlich alles, was einer Arbeitsteilung bedarf. Selbst die Millionenstadt Rom hatte nur noch 20.000 Einwohner. Warum sollten die Bauern auch Nahrungsmittel in die Stadt bringen, wenn das Geld keinen Wert mehr hatte ?

Offenbar ist um dieses Thema ein tiefgreifender Historikerstreit entbrannt um die Interpretation der Spätantike als (a) Verfall und Zerstörung durch Barbaren oder (b) friedliche Integration der Barbaren mit Neuorientierung wg. kultureller Bereicherung.

Dies lässt in mir Ideologieverdacht aufkommen und die Vermutung, dass hier ein Stellvertreterkonflikt um emotional beladene Themen der heutigen Zeit geführt wird.
 
Das Gegenteil ist der Fall!

Mit dem Untergang des Römischen Reichs im 5. Jh. verließen die meisten Römer - Beamte, Kaufleute, Gutsbesitzer, Soldaten - die Provinzen und kehrten in ihre Heimat zurück. Die Römerstädte an Rhein, Donau und Rhone verödeten, römische Gutshöfe verschwanden, Straßen und Brücken zerfielen. Der Untergang der römischen Zivilisation führte bei den germanischen Völkern zu einem Niedergang des Wissens und der Kultur und bewirkte einen Rückfall in barbarische Verhältnisse.
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Es lässt sich aber nirgends im Römerreich eine Spur dieser "Rückkehrer" feststellen!
Andererseits existierten die von Dir genannten Städte, mit erheblichen romanisierten Bevölkerungsteilen, weiter. Die "Villa Rusticis" begannen schon zuvor zu verschwinden, überhaupt ist schon vor den "Germanen" der Übergang zu Holzbauten festzustellen.
In den Quellen ist auch nur vom Abzug der Bevölkerung aus dem Noricum zu Odoakers Zeiten die Rede.


Dieser Verfallsprozes war so tiefgreifend, dass Karl der Große und seine Berater den Plan fassten, alle Bereiche des Wissens und der Kunst zu erneuern, was mit einem modernen Begriff als Karolingische Renaissance bekannt ist. In diesem Zusammenhang kam es u.a. zu einer Erneuerung des Gottesdienstes und der Liturgie und eine erneuerte Fassung der Bibel, da sich in die zahlreichen lateinischen Bibelabschriften Fehler eingeschlichen hatten, die manche Bibelstellen völlig entstellten.

Der bekannte Historiker Henri Pirenne betont:

"Obwohl die Kirche so tief gesunken war, blieb sie die einzige kulturelle Macht ihrer Zeit. Durch sie allein setzte sich die römische Tradition fort und dies verhinderte Europas Rückfall in völlige Barbarei. Die weltliche Macht wäre unfähig gewesen, die kostbare Erbschaft der Antike aus sich selbst heraus zu bewahren. Trotz des guten Willens der Könige war ihre rohe Verwaltung den Aufgaben nicht gewachsen ... Die Kirche blieb also inmitten der Anarchie ihrer Umgebung, und trotz der zersetzenden Wirkung, welche diese Anarchie auch auf sie selbst ausübte, unzerstört".
(Henri Pirenne, Geschichte Europas, Frankfurt 1961, S. 47)

Der Untergang des Imperium Romanum markiert auch das Erlöschen der Spätantike, wobei hier natürlich kein festes Datum zu nennen ist. Es gibt einen allmählichen Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter, der von Historikern meist als breiter Grenzsaum gesehen wird, der von der Teilung des Römischen Reichs in einen Westen und Osten über das faktische Ende Westroms bis hin zur Expansion des Islam im 7. Jh. reicht. Manche sprechen dabei auch von einem "Transformationsprozess" der Antike.

Nach Auflösung der römischen Staats- und Ordnungsstrukturen erfolgte neben einem kulturellen Niedergang auch eine wirtschaftliche Verödung. Henri Pirenne berichtet vom Verschwinden der Städte und des Handels als Folge dieser Entwicklung:

"Vom sozialen Gesichtspunkt aus ist das bedeutendste Phänomen, das in die Zeit zwischen den muslimischen Eroberungen und der Herrschaft der Karolinger fiel, die schnelle Verminderung und nachher das fast völlige Verschwinden der städtischen Bevölkerung ... Die soziale und verwaltungsmäßige Struktur verlöor nun ihren dem städtischen Charakter des römischen Staates entsprechenden Charakter: ein Phänomen, das in Westeuropa ganz neu und sehr erstaunlich war. Das Ende des städtischen Typus im frühen Mittelalter ergab sich zumindest für die Verwaltung daraus, dass die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen; denn nur die Institutionen des römischen Staates hatten in den durch Barbaren eroberten Provinzen - in Gallien, Spanien, Italien, Afrika und Britannien - einst die Existenz der Städte gesichert. Nur noch einige Städte an den Küsten des Mittelmeers trieben auch noch nach den Völkerwanderungen einen mehr oder weniger bedeutenden Seehandel."
(Henri Pirenne, a.a.O., S. 81)

Pirenne beschreibt sehr eindringlich, dass Wirtschaft und Handel nach den Eroberungen des Islam im Mittelmeerraum völlig versandeten:

"Daraus aber musste sich ein fast vollkommener Stillstand des Handels ergeben; auch das Gewerbe verschwand fast ganz, wenn man von einigen lokalen Erscheinungen wie der in Flandern noch aufrechterhaltenen Tuchweberei absieht. Der Umlauf von Geld hörte beinahe auf. Seitdem verfielen in den fast entvölkerten Städten die verlassenen Viertel und dienten den wenigen Einwohnern, die sich auf einen Winkel des früheren Stadtinnern beschränkten und dort hausten, als Steinbrüche ... In Gallien erlosch das städtische Leben so völlig, dass die Herrscher nicht mehr in den Städten residierten, denn der vollkommenen Mangel eines Handelsverkehehrs ermöglichte es ihnen nicht mehr, dort genügend Lebensmittel für den Unterhalt des Hofes zu finden. Sie verbrachten das Jahr auf den Domänen und zogen von einer zur anderen."
(Henri Pirenne, a.a.O., S. 83)

Große Teile des einst von Römern beherrschten Europas verödeten zwischen dem 5. und 8. Jh., der Handel versiegte und man kehrte zur Naturalwirtschaft zurück. Es entstanden riesige Domänen, die nahezu autark waren, da der Fernhandel weithin zum Erliegen gekommen war. Es waren also "Dark Ages", die weite Teile Europas nach dem Untergang des römischen Imperiums erfassten, was auf eine Reihe von Faktoren zurückzugühren ist, die einander bedingen und immer neue Auswirkungen haben. Dieser Zustand beginnt sich erst mit den Karolingern und später den Ottonen und Kapetingern zu wandeln

Dagegen Dieter Hägermann in "Propyläen Technik Geschichte" von 1990 im Band 1
Das Frühmittelalter wird häufig als Stagnationsphase, gar als Zeitalter der Krise und Not gesehen. Die "Verelendungstheorie", basierend auf einseitiger, methodisch höchst anfechtbarer partieller Interpretation einiger weniger Quellen, hat stillschweigend oder eingestandenermaßen Eingang in zahlreiche neuere Publikationen gefunden.... Entsprechend dem modernen Verständnis von Technik wird technisch-technologischer Wandel als Fortschritt im engeren "Maschinen"-Bereich mit Walkmühle oder horizontalem Webstuhl gesehen, auch im Rüstungsbereich, während die Landwirtschaft, die bis weit in die Neuzeit hinein den wichtigsten Sektor der europäischen Volkswirtschaft gebildet hat, zumeist als Quantité négligeable außerhalb der Betrachtung bleibt. Diese hochmittelalterlichen Wachstumsprozesse sind jedoch ohne Zunahme der landwirtschaftlichen Produktivität in Verbindung mit einem beachtlichen demographischen Aufschwung sei dem 7. Jahrhundert nicht denkbar."
 
Ich bin Hobbyist, kann keinen Ehrgeiz haben irgendwelche Abschreiber zu überführen.
Für mich ist die Sache erledigt.

Für mich aber nicht, solange du behauptest, dass das was ich schreibe >>falsch<< sei, ohne es hinreichend zu begründen. Natürlich können Dinge, die ich schreibe falsch sein. Falsch gelesen, falsch erinnert, falsch aufgefasst, Unkenntnis von Sachverhalten etc. können Gründe dafür sein. ABER die Gründe dafür, dass etwas als falsch behauptet wird, müssen schon ausführlich dargelegt werden, denn ganz egal ob du "nur" Hobbyhistoriker bist oder "mehr", eine Diskussion ist nur dann sinnvoll, wenn man auch etwas nachweisen kann.
Du hast gezeigt, dass es in der Forschung da eine Auffassung gibt, dass mit Leovigild/Rekkared das Connubiumverbot aufgehoben wurde. Ich habe dagegen gezeigt, dass erst mit den Gesetzen des Rekkesvinth das Connubiumverbot fällt. Es wäre also kritisch zu hinterfragen, ob es Quellen gibt, die eine Aufhebung des Connubiumverbots vor Rekesvinth nahelegen, oder ob hier ein Fehler eines Historikers beständig redupliziert wird. Am besten gelingt dies, wenn man versucht, die Quelle zu ermitteln, auf der dieser Fehler basiert.
 
Die Autoren des Buchs Der Untergang des Römischen Reiches: Und das Ende der Zivilisation: Amazon.de: Bryan Ward-Perkins, Nina Valenzuela Montenegro: Bücher zählen auf, was in dieser Zeit alles verloren ging : Dachziegel, kunstvolle Keramik, die Schrift u.v.m.,...

Die Schrift ging verloren? :nono:Da wird aber "das Kind mit dem Bad ausgeschüttet".

Auch im Römischen Reich konnte der größte Teil des Volkes nicht wirklich komplizierte, längere Texte lesen, dennoch war man mehr oder weniger des Lesens und Schreibens kundig. Davon künden nicht zuletzt Graffiti an Pompejis Hauswänden wie z. B. „Beste Grüße! Wir sind voll wie die Schläuche“ oder „Wir haben ins Bett gepinkelt. Ich gebe es zu, Wirt, das war nicht fein. Fragst du warum? – Es war kein Nachttopf da.“

Auch Wahlwerbung war nur sinnvoll, wenn ein gewisser Teil der Bevölkerung lesen konnte. So ist folgender Spruch gefunden worden: „Stimmt für Caius Julius Polybius als verantwortlichen Ädil für Straßen sowie heilige und öffentliche Gebäude. Und du, o Laternenträger, halte die Leiter fest.“

Für die Zeit der ostgotischen Herrschaft wurden zwar die kaiserlichen Bildungseinrichtungen in Rom von Theoderich d. Gr. aufrecht erhalten; nach dem Untergang des Ostgotenreiches bestätigte der byzantinische Kaiser Justininan ausdrücklich die vom gotischen König bewilligten Gehälter für Grammatiklehrer, Rhetoren, Ärzte und Rechtsgelehrte, aber danach ging es bergab. Deshalb ging jedoch die Schrift nicht verloren!

Erst etwas mehr als 2 Jh. später ordnete Karl d. Gr. an:
"Und es sollen Leseschulen für Buben eingerichtet werden. Stellt die Psalmen und Schriften, den Gesang, die Berechnung der Kirchenfeste, die Grammatik der Texte richtig! Weil nämlich viele, die Gott bitten wollen, wegen der fehlerhaften Bücher falsch bitten. Und lasst nicht zu, dass eure Schüler Falsches lesen und schreiben: Wenn ein Evangelium, Psalter oder Messbuch abzuschreiben ist, sollen dies gestandene Männer mit aller Sorgfalt tun."

Alkuin entwickelte im Auftrag des Kaisers die "Carolina", die karolingische Minuskel und damit eine "schnell" zu schreibende Normalschrift.

Natürlich stand im Vordergrund die Weitergabe der richtigen Glaubenstexte, die karolingische Bildungsreform (renovatio) sorgte aber auch für die übergreifende Verbreitung des Wissens der Antike. Allerdings hatte das normale Volk nicht unbedingt etwas davon und noch lange Zeit später konnte auch die Oberschicht nicht unbedingt lesen und schreiben.


 
Für mich aber nicht, solange du behauptest, dass das was ich schreibe >>falsch<< sei, ohne es hinreichend zu begründen.

Ich habe mehrere, in der Aussage gleichlautende Literaturquellen aufgeführt. Mir genügt das.



Es wäre also kritisch zu hinterfragen, ob es Quellen gibt, die eine Aufhebung des Connubiumverbots vor Rekesvinth nahelegen, oder ob hier ein Fehler eines Historikers beständig redupliziert wird. Am besten gelingt dies, wenn man versucht, die Quelle zu ermitteln, auf der dieser Fehler basiert.

Zirkelbeweis

eine Diskussion ist nur dann sinnvoll, wenn man auch etwas nachweisen kann


Die Argumente sind ausgetauscht, die Meinung der beiden Diskutanten über den jeweils anderen ebenfalls. Also was solls.
Ich habe zu Zeiten Nächte durchdiskutiert, da haben andere hier noch Pampers getestet, und kann von dem her sehr gut abschätzen, wann der Punkt erreicht ist eine Diskussion zu beenden.
 
Transformation oder Untergang?

Mit Verlaub, Repo, aber diese so genannte "Katastrophentheorie" vertritt schon seit Jahrtehnten kein Historiker mehr.....

Aber wie bewertest du Bücher wie das von Bryan Ward-Perkins mit seinem Buch „Der Untergang des Römischen Reiches: Und das Ende der Zivilisation“? Oder auch nur Peter Heather mit seinem „Der Untergang des Römischen Weltreichs“. Gut, letzteres hat nur das Reich im Blick und macht Hunnen und ihre Reflexbögen als eine der Hauptursachen des Untergangs aus – Aber Ward-Perkins setzt in seinem Titel Rom und die Zivilisation gleich…?

Auch in deinen weiteren Beiträgen zitierst du aus so etwas wie „Untergangsszenarien“, etwa Henri Pirenne (1961). Das beweist: Die „Untergangsszenarien“ existieren weiter und sind derzeit vielleicht sogar auf dem Vormasch?

...Offenbar ist um dieses Thema ein tiefgreifender Historikerstreit entbrannt um die Interpretation der Spätantike als (a) Verfall und Zerstörung durch Barbaren oder (b) friedliche Integration der Barbaren mit Neuorientierung wg. kultureller Bereicherung.

Dies lässt in mir Ideologieverdacht aufkommen und die Vermutung, dass hier ein Stellvertreterkonflikt um emotional beladene Themen der heutigen Zeit geführt wird.

Den Eindruck habe ich auch. Wobei auch bei einer „Neuorientierung“ vorheriges naturgemäß zurücktreten – wenn nicht gar Platz machen muss! Jeder Umschwung muss daher auch „Einbrüche“ verursachen. Eine Grenze zwischen Umformung und Untergang gibt es aber sicher.

Nachdem im Kontext mit Varusschlacht und Arminius-Bewertungen, auch in diesem Forum, häufig die Rezeptionsgeschichte dieser Ereignisse kritisch hinterfragt worden ist, könnte man glatt auf die möglichen Hintergründe neuerer Deutungsversuche eingehen. Auch die Rezeptionsgeschichte stirbt nicht. Wie gerne wurden im Kontext von Arminius und der Varusschlacht die nationalistische Deutungsweise des 19./20.Jhts. gegeißelt, die bekanntlich letztlich im völlig indiskutablen, rassistischen Geschichtsbild bis 1945 kumulierte. Auch die Dekadenztheorie eines Edward Gibbon ist weitgehend entzaubert. In diesen beiden Punkten sind sich wohl die Meisten inzwischen einig. Aber jeder Mensch lebt in einer Zeit die ihn prägt, so auch heutige Historiker. Sie wären keine Menschen, wenn ihr/unser Zeithorizont/Zeitgeist nicht ebenfalls Einfluss hätten. Das sollte man auch nicht vergessen, wenn man die Irrtümer früherer Zeiten anprangert.

Peter Heather hat in einem Interview mit dem Spiegel das Römische Reich mit einem „Einparteiensystem“ verglichen, das über sehr lange Zeit völlig ohne ernsthafte Konkurrenz blieb. Das Zentrum dieses Systems war ideell Rom und sein Reich. An ihm orientierten und schieden sich die Geister. Für die Anhänger dieses „Systems“ war Rom gleichbedeutend mit der „Welt“, was außerhalb stand wurde oft genug als chaotische Gegenwelt skizziert, wie er im Begriff des „Barbaren“ ständig in den Quellen präsent wird. Ein Untergang dieses Roms musste also mit Barbarei/Chaos gleichgesetzt werden können?! Mit dem Wegfall dieses Reiches verlor ein jahrhundertealtes Denkmodell seinen Mittelpunkt. Bis zu einem gewissen Grade ersetzt durch christliche-theologische Deutungsversuche. Hier könnte viel gesagt werden. Ich unterlasse das besser, außer den Hinweis, dass viele altrömische Denkmodelle nun unter kirchlicher Ummantelung weiterexistieren konnten. Wichtiger ist, dass diese Weltanschauung ihren Bezugspunkt: Das ideelle Rom verlor.

Die Folge davon ist die weitgehende Abkehr vom allumfassenden Reichsgedanken und zur Regionalisierung in Politik, Wirtschaft und fast allen Bereichen des menschlichen Lebens. Dergleichen hatte in der Spätantike längst eingesetzt: Die Provinzen hatten sich immer stärker emanzipiert, doch die römische „Krone“ immer anerkannt. Die Reichsbildungen des nun einsetzenden Frühmittelalters waren dezentraler ausgerichtet. Macht wurde nun feudalisiert und damit kleinräumiger. Entsprechend weniger große Kraftanstrengungen waren den neuen Herren nun möglich: Es fehlten die umfassenden Ressourcen! Dazu kam die Erosion der (theoretischen) Mittel der verbliebenen „Zentralmächte“ – wie wir sie etwa in Gestalt der Frankenkönige/Kaiser fassen können. Übertragene Macht fiel eben nicht mehr automatisch an die Zentrale zurück, sobald sie nicht erneuert wurde – sie wurde Feudalisiert und damit „kleinräumiger“, aber andererseits direkter auf den einzelnen Menschen einwirkend…
Das ist vielleicht auch im Kontext mit dem veränderten "Arbeitsethos" interessant, den Repo ausgeführt hat.
 
Ich habe mehrere, in der Aussage gleichlautende Literaturquellen aufgeführt. Mir genügt das.

Mir aber nicht, wie ich in aller Deutlichkeit ausgeführt habe. Historiker sind Menschen und Menschen passieren Fehler. Da in der Regel das Rad nicht in jeder historischen Arbeit neu erfunden wird, kann es passieren, dass ein Fehler sich unbemerkt durch die Forschungsgeschichte schleicht und einer brav vom nächsten abschreibt. Auch Historiker sind eben nur Zwerge auf Schultern von Riesen! Deshalb ist es auch kein


wenn man überprüft, wo der Fehler liegt, wenn man davon ausgeht, dass es einen Fehler gibt. Ich dachte das wäre deutlich:

El Quijote schrieb:
Es wäre also kritisch zu hinterfragen, ob es Quellen gibt, die eine Aufhebung des Connubiumverbots vor Rekkesvinth nahelegen, oder ob hier ein Fehler eines Historikers beständig redupliziert wird. Am besten gelingt dies, wenn man versucht, die Quelle zu ermitteln, auf der dieser Fehler basiert.
 
Finde ich wieder was dazu.
Nach Isidor soll Recared dann die Konversion der Westgoten auf dem Konzil von Toledo von 589 nach dem Tod des Vaters vorangetrieben haben. Isidor stellt Vater und Sohn als Antagonisten gegenüber – heute glauben die Historiker aber, dass schon Leovigild die Konversion zum Katholizismus vorbereitet hatte. Denn er war es, der schon 580 die Ehe zwischen Katholiken und Arianern, die bis dato verboten war („Connubium-Verbot“), autorisierte.
Was ja nun heißen würde, dass der Übergang zum Katholizismus und das aufgehobene Heiratsverbot tatsächlich nicht zeitgleich, aber in umgekehrter Reihenfolge wie von Dir dargestellt stattfand.

Überprüfen wir doch mal: Isidorus Hispalensis: Historia de regibus Gothorum, Vandalorum et Suevorum
Relevant sind die Kapitel 49 bis 56:

Kapitel 49: Leovigild ist nach dem Tod seines Bruders an die Macht gekommen führt viel Krieg, selbst gegen seinen eigenen Sohn Hermengild.

Kapitel 50: Christen- bzw. Katholikenverfolgung zugunsten der Arianae perfidiae, des arianischen Unglaubens. Bischöfe werden ins Exil abgeschoben, Katholiken wiedergetauft, nicht nur Laien, sondern auch Priester, selbst Bischof Vinzens von Zaragoza wird so zum Apostaten.

Kapitel 51: Er macht auch nicht halt vor der eigenen Nobilität. Diese wird enteignet und exiliert, manch einer sogar geköpft. Gründung von Rekkoolis.
Außerdem macht er notwendige Gesetze ("plurimas leges praetermissas adjiciens - viele bisher unterlassene Gesetze fügte er hinzu") Doch welchen Charakter diese hatten, verrät Isidor nicht.

Kapitel 52: Leovigild stirbt nach 18 Jahren Herrschaft in Toledo und sein Sohn Rekkared wird König. Nach anfänglicher Treue zur Religion seines Vaters konvertiert er zum katholischen Glauben und mit ihm das ganze Volk der Goten.

Kapitel 53: Eine Bischofssynode verurteilt den Arianismus. Rekkared bekräftigt seine Abkehr von der Lehre des Arius und bekennt sich zum trinitarischen Glauben.

Kapitel 54: Auch Rekkared ist ein erfolgreicher Kriegsherr, er bekämopft die Franken und kann mehrere tauend Gefangene machen. Außerdem bekämpft er die Römer (gemeint sind wohl die Byzantiner, die in Andalusien noch einige Besitzungen hatten) und die Basken.

Kapitel 55: Was sein Vater im Krieg eroberte, sicherte er im Frieden. Viel Herrscherlob. Das väterliche Unrecht wird rückgängig gemacht (zumindest dort, wo der Vater in die eigenen Tasche gewirtschaftet hat).

Kapitel 56: Beteuerung der Rechtgläubigkeit Rekkareds und friedvoller Übergang (Tod!) in Toledo nach 15 Jahren Herrschaft.

Kapitel 91: Leovigild bekämpft seinen Sohn (Hermenegild) und setzt ihn in Sevilla gefangen, wo dieser in Gefangenschaft stirbt.

Kapitel 92: Leovigild kämpft gegen die Sueben.

Das ist, was man Isidors Gotengeschichte über Leovigild und Rekkared entnehmen kann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch in deinen weiteren Beiträgen zitierst du aus so etwas wie „Untergangsszenarien“, etwa Henri Pirenne (1961). Das beweist: Die „Untergangsszenarien“ existieren weiter und sind derzeit vielleicht sogar auf dem Vormasch?

Du bringst hier zwei zentrale Aspekte durcheinander. Die inzwischen verschwundene Katastrophentheorie besagte, dass das Römische Reich allein durch den Ansturm der barbarischen Germanen unterging. Diese Auffassung vertritt heute kein Mensch mehr, sondern man sieht den Untergang des Imperium Romanum als einen komplexen Vorgang, der durch sozial-, wirtschafts- und gesellschaftsgeschichtliche Faktoren ausgelöst wurde, die somit auch die Reichsverteidigung, das Städtewesen sowie das Finanz- und das Agrarsystem tangierten.

Dass es nach dem Ende des Imperium Romanum in vielen Regionen Europas zu einem kulturellen, wirtschaftlichen und demografischen Niedergang kam, hat mit der Katastrophenthorie nichts zu tun. Die hebt nur auf das angeblich allein durch Germanen bewirkte Ende Roms ab.

Auch die Dekadenztheorie eines Edward Gibbon ist weitgehend entzaubert.

Die Dekadenztheorie ist nicht "entzaubert", sondern längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, wo sie auch hingehört. Nur noch Rechtsradikale und ähnliche Genossen behaupten, dass das "kernige römische Bauernvolk" verschwand und stattdessen eine "rassisch minderwertige Mixtur" aus dem Orient die Macht in Wirtschaft und Politik übernahm, die weder Anstand noch Moral besaß, und dadurch das Imperium dem Untergang weihte.

Ein bekannter Vertreter dieser Hypothese ist Houston Stewart Chamberlain, der als einer der wichtigsten intellektuellen Wegbereiter des nationalsozialistischen Rassismus gelten muss. Aber auch Oswald Spengler steht in seinem "Untergang des Abendlandes" einigen dieser Vorstellungen nahe.
 
Mir aber nicht, wie ich in aller Deutlichkeit ausgeführt habe. Historiker sind Menschen und Menschen passieren Fehler. Da in der Regel das Rad nicht in jeder historischen Arbeit neu erfunden wird, kann es passieren, dass ein Fehler sich unbemerkt durch die Forschungsgeschichte schleicht und einer brav vom nächsten abschreibt. Auch Historiker sind eben nur Zwerge auf Schultern von Riesen! Deshalb ist es auch kein



wenn man überprüft, wo der Fehler liegt, wenn man davon ausgeht, dass es einen Fehler gibt. Ich dachte das wäre deutlich:


Zitat El Quijote vom 28.3.2006 Beitrag Nr. 34 in "was wurde aus den Ostgoten"

Bei den Westgoten begann das mit der Konversion des Rekkared 583, wobei aber ein westgotische Adelsfamilie, wollte sie ihre Thronsaspirationen erhalten auf eine Vermischung mit dem provinzrömsichen Adel verzichtete, da die westgotische Gesetzgebung die Königswahl aktiv und passiv auf Westgoten beschränkte.


Also mir genügt dies wirklich.
Ist ja schließlich die Aussage eines Forenschwergewichts und Moderator:devil:
 
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Wenn wir einmal durchatmen und uns auf die Sache besinnen könnten? Danke... :winke:

Ob nun bezeichnet als Leges Visigothorum, Lex Visigothorum, Codicis legum Wisigothorum libri XII, Liber iudiciorum, Liber iudicum, Liber goticum, Liber iudicis, Forum iudicum, Lex Gotorum oder Forum Iudicum Gotico bzw. verballhornt zu Fuero Juzgo kann diese Rechtsquelle bzw. Sammlung von mehreren Rechtsquellen samt Verfasservermerken online eingesehen werden: MGH - dort Liber iudiciorum sive lex Visigothorum oder Liber iudiciorum auswählen und zum Liber Tertius blättern; dies ist die Textausgabe nach Karl Zeumer von 1902.
Eine neuere englische Übersetzung, die z.T. aber auch noch zusätzliche Einträge enthält, lieferte Samuel Parsons Scott; diese ist unter The Visigothic Code: Forum Iudicum -- Master Page zu finden. Das relevante Book III: Concerning Marriage weist im Title I: Concerning Nuptial Contracts folgende Aussage auf:
II. It shall be as Lawful for a Roman Woman to Marry a Goth schrieb:
FLAVIUS RECESVINTUS, KING.
II. It shall be as Lawful for a Roman Woman to Marry a Goth, as for a Gothic Woman to Marry a Roman.

The zealous care of the prince is recognized, when, for the sake of future utility, the benefit of the people is provided for; and it should be a source of no little congratulation, if the ancient law, which sought improperly to prevent the marriage of persons equal in dignity and lineage, should be abrogated. For this reason, we hereby sanction a better law; and, declaring the ancient one to be void, we decree that if any Goth wishes to marry a Roman woman, or any Roman a Gothic woman, permission being first requested, they shall be permitted to marry. And any freeman shall have the right to marry any free woman; permission of the Council and of her family having been previously obtained.
Vgl. dazu Book III, Title I: The Visigothic Code: (forum judicum)
 
Wenn wir einmal durchatmen und uns auf die Sache besinnen könnten? Danke... :winke:


Da fühle ich mich nun absolut nicht angesprochen.

Die Argumente sind ausgetauscht, die Meinung der beiden Diskutanten über den jeweils anderen ebenfalls. Also was solls.
Ich habe zu Zeiten Nächte durchdiskutiert, da haben andere hier noch Pampers getestet, und kann von dem her sehr gut abschätzen, wann der Punkt erreicht ist eine Diskussion zu beenden.

Das war mein Statement hierzu gestern Abend 20.13 Uhr Beitrag Nr. 140

Sorry, dass ich mir nicht verkneifen konnte, auf die penetrante Nachfrage hin, die olle Kamelle hervorzu holen.
Aber Hobbyisten sind auch nur Menschen.:friends:
 
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